Börsenverein zeichnet den deutschsprachigen Roman des Jahres aus / Preisverleihung im Frankfurter Römer vor 300 Gästen
Der Gewinner des Deutschen Buchpreises 2017 ist Robert Menasse. Er erhält die Auszeichnung für seinen Roman „Die Hauptstadt“ (Suhrkamp).
Am Shortlist-Abend im Literaturhaus Frankfurt hatte Robert Menasse noch „sein Schwein“, welches er sinnbildlich für „die“ Brüsseler Bürokratie-Verhältnisse in seinem spannenden Roman „Die Hauptstadt“ durchs Geschehen treibt, gegen Gerd Scobels „Auf-den-Hund-gekommen-Moderation“ verteidigt. Heute flossen Tränen der Rührung und Freude, als den österreichischen Autor völlig unerwartet der Deutsche Buchpreis 2017 traf.
Dem wortgewaltigen Außenseiters des Literaturbetriebs, der zunächst als Lektor für österreichische Literatur, dann als Gastdozent am Institut für Literaturtheorie – an der Universität São Paulo vor allem Lehrveranstaltungen über philosophische und ästhetische Theorien unter anderem über Hegel, Lukács, Benjamin und Adorno abhielt, hatte der Erfolgsschock zunächst ein wenig die Sprache geraubt.
Seine Worte fand Menasse aber rasch wieder und rief zunächst seinen Mitbewerbern zu: sie alle hätten diese Auszeichnung ebenso verdient. In der restlichen Zeit von drei Minuten, die für Dankesreden zugestanden werden, dankte der Träger des Deutschen Buchpreises 2017 der Jury, dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels und seinen Sponsoren, und allen, die an seinem Erfolg ihren Anteil hatten. Schließlich nutzte der Autor des preisgekrönten EU-bürokratiekritischen Romans „Die Hauptstadt“ (Suhrkamp, 2017, 24,00 Euro) die Gelegenheit, auch mal ein Lob an die EU-Beamten auszusprechen, nämlich dafür, dass sie vernünftigerweise die Buchpreisbindung und damit die Vielfalt des Literaturbetriebs bewahrt hätten.
Insofern trifft die Jury-Begrünung auch auf den Menschen Robert Menasse und nicht nur auf sein
Werk zu, wenn es darin heißt: „Das Humane ist immer erstrebenswert, niemals zuverlässig gegeben: Dass dies auch auf die Europäische Union zutrifft, das zeigt Robert Menasse mit seinem Roman ‚Die Hauptstadt‘ auf eindringliche Weise. Dramaturgisch gekonnt gräbt er leichthändig in den Tiefenschichten jener Welt, die wir die unsere nennen. Und macht unter anderem unmissverständlich klar: Die Ökonomie allein, sie wird uns keine friedliche Zukunft sichern können. Die, die dieses Friedensprojekt Europa unterhöhlen, sie sitzen unter uns – ‚die anderen‘, das sind nicht selten wir selbst. Mit ‚Die Hauptstadt‘ ist der Anspruch verwirklicht, den Robert Menasse an sich selbst gestellt hat: Zeitgenossenschaft ist darin literarisch so realisiert, dass sich Zeitgenossen im Werk wiedererkennen und Nachgeborene diese Zeit besser verstehen werden.“
Der Jury für den Deutschen Buchpreis 2017 gehören an: Silke Behl (Radio Bremen), Mara Delius (Die Welt), Christian Dunker (autorenbuchhandlung berlin), Katja Gasser (Österreichischer Rundfunk), Maria Gazzetti (Casa di Goethe, Rom), Tobias Lehmkuhl (freier Kritiker, Berlin) und Lothar Schröder (Rheinische Post).
„Wie schaffen wir es in der heutigen Zeit, Menschen mit Büchern zu erreichen? Indem wir Literatur über eine Vielzahl an Kanälen ins Gespräch bringen. Den Austausch über Literatur zu fördern, Debatten und Gespräche anzuregen, das ist der Grundgedanke des Deutschen Buchpreises. Seit dreizehn Jahren macht er erfolgreich aktuelle Romane zum Thema“, sagte Heinrich Riethmüller, Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, heute bei der Preisverleihung.
Für die Auszeichnung waren außerdem nominiert: Gerhard Falkner (Romeo oder Julia, Berlin Verlag), Franzobel (Das Floß der Medusa, Paul Zsolnay), Thomas Lehr (Schlafende Sonne, Carl Hanser), Marion Poschmann (Die Kieferninseln, Suhrkamp) und Sasha Marianna Salzmann (Außer sich, Suhrkamp).
Robert Menasse erhält ein Preisgeld von 25.000 Euro; die fünf Finalisten erhalten jeweils 2.500 Euro. Der Preisträger wurde in mehreren Auswahlstufen ermittelt. Die sieben Jurymitglieder haben seit Ausschreibungsbeginn 200 Titel gesichtet, die zwischen Oktober 2016 und dem 12. September 2017 erschienen sind. Aus diesen Romanen wurde eine 20 Titel umfassende Longlist zusammengestellt. Daraus haben die Jurorinnen und Juroren sechs Titel für die Shortlist gewählt.
Mit dem Deutschen Buchpreis 2017 zeichnet die Börsenverein des Deutschen Buchhandels Stiftung zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse den deutschsprachigen Roman des Jahres aus. Förderer des Deutschen Buchpreises ist die Deutsche Bank Stiftung, weitere Partner sind die Frankfurter Buchmesse und die Stadt Frankfurt am Main. Die Deutsche Welle unterstützt den Deutschen Buchpreis bei der Medienarbeit im In- und Ausland.
Unter www.deutscher-buchpreis-blog.de veröffentlichen die „Buchpreisblogger“ Rezensionen zu allen Titeln der Longlist sowie Hintergrundinformationen und kritische Debattenbeiträge. Mehr ist auf der Facebook-Seite des Deutschen Buchpreises und unter dem Hashtag #dbp17 zu finden.
Exklusive englische Übersetzungen von Leseproben der sechs Shortlist-Titel sowie ein englischsprachiges Dossier stehen unter www.new-books-in-german.com bereit.
Weitere Informationen und Termine des Preisträgers rund um die Frankfurter Buchmesse können abgerufen werden unter www.deutscher-buchpreis.de.
Zum Buch:
In Brüssel laufen die Fäden zusammen – und ein Schwein durch die Straßen.
Fenia Xenopoulou, Beamtin in der Generaldirektion Kultur der Europäischen Kommission, steht vor einer schwierigen Aufgabe. Sie soll das Image der Kommission aufpolieren. Aber wie? Sie beauftragt den Referenten Martin Susman, eine Idee zu entwickeln. Die Idee nimmt Gestalt an – die Gestalt eines Gespensts aus der Geschichte, das für Unruhe in den EU-Institutionen sorgt. David de Vriend dämmert in einem Altenheim gegenüber dem Brüsseler Friedhof seinem Tod entgegen. Als Kind ist er von einem Deportationszug gesprungen, der seine Eltern in den Tod führte. Nun soll er bezeugen, was er im Begriff ist zu vergessen. Auch Kommissar Brunfaut steht vor einer schwierigen Aufgabe. Er muss aus politischen Gründen einen Mordfall auf sich beruhen lassen; »zu den Akten legen« wäre zu viel gesagt, denn die sind unauffindbar. Und Alois Erhart, Emeritus der Volkswirtschaft, soll in einem Think-Tank der Kommission vor den Denkbeauftragten aller Länder Worte sprechen, die seine letzten sein könnten.
In seinem neuen Roman spannt Robert Menasse einen weiten Bogen zwischen den Zeiten, den Nationen, dem Unausweichlichen und der Ironie des Schicksals, zwischen kleinlicher Bürokratie und großen Gefühlen.
Und was macht Brüssel? Es sucht einen Namen – für das Schwein, das durch die Straßen läuft. Und David de Vriend bekommt ein Begräbnis, das stillschweigend zum Begräbnis einer ganzen Epoche wird: der Epoche der Scham.
Suhrkamp Verlag
Gebunden, 168 Seiten
ISBN:978-3-518-42758-3
459 Seiten, 24,00 Euro