
Am 3. Mai 2025 öffnete der 131. Internistenkongress im Rhein-Main-Congress-Center (RMCC) in Wiesbaden seine Pforten. Die Veranstaltung, die von der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) ausgerichtet wird, ist die größte ihrer Art in Deutschland. In den kommenden vier Tagen sind insgesamt 450 Sitzungen und 1.554 Vorträge geplant.
Das diesjährige Kongressmotto „Resilienz“ spiegelte sich auf verschiedenen Ebenen wider, wie der Kongress-Vorsitzende Professor Dr. med. Jan Galle bei der Eröffnungspressekonferenz erklärte. Resilienz werde aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet: „1. Individuell – wie können wir uns selbst stärken? 2. Strukturell – was braucht das System, um leistungsfähig zu bleiben? 3. Zukunftsorientiert – welche Rolle spielen Digitalisierung, Aus- und Weiterbildung sowie eine zukunftsfähige Krankenhausstruktur?“, so Galle. Zu den größten Belastungsfaktoren im Gesundheitssystem zählte er den akuten Fachkräftemangel, der viele Teams an ihre Belastungsgrenze bringt, den enormen bürokratischen Aufwand, der oft wertvolle ärztliche Zeit bindet, sowie die Herausforderungen bei der Integration internationaler Fachkräfte und den ökonomischen Druck, der zunehmend medizinische Entscheidungen mitbestimme.
Der Internistenkongress sei mehr als ein fachlicher Austausch, betonte Galle. „Er ist auch eine Plattform für zukunftsweisende Diskussionen. Er ist ein Aufruf: Lasst uns gemeinsam das System stärken – und uns selbst! Resilienz im Alltag von Praxen, Kliniken und im Gesundheitswesen insgesamt ist nicht nur ein individuelles Konzept, sondern eine gesundheitspolitische Notwendigkeit. Wenn wir nicht jetzt handeln, riskieren wir die Handlungsfähigkeit des Systems – und die Gesundheit der Menschen, die darin arbeiten.“ Bereits 30 Prozent der Ärztinnen und Ärzte in Deutschland leiden unter psychischer Erschöpfung. Die zentrale Frage sei, wie medizinisches Personal trotz hoher Arbeitsbelastung, komplexer Herausforderungen und ständigem Zeitdruck leistungsfähig bleiben könne und welche Strategien die psychische Widerstandskraft der medizinischen Fachkräfte stärken könnten.

Um das Thema Resilienz im Gesundheitswesen aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten, hatte der Kongresspräsident namhafte Fachkollegen eingeladen. Professor Imad Maatouk erklärte, warum Resilienz ein zentraler Bestandteil ärztlicher Handlungskompetenz sei. Dr. Tankred Stöbe berichtete von seinen medizinischen Einsätzen in humanitären Krisengebieten und erzählte, wie Menschen in Extremsituationen überleben. Dr. Martin Herrmann widmete sich der Frage, wie wir eine Gesellschaft resilient gegenüber den Auswirkungen der Klimakrisen gestalten können.
Ein besonderes Highlight war der Vortrag von Franziska Liebhardt, dreifach organtransplantierte Paralympicssiegerin und Vorsitzende des Vereins Kinderhilfe Organtransplantation – Sportler für Organspende e.V. (KiO). Sie schilderte eindrucksvoll ihre persönliche Geschichte und ihre Botschaft. Trotz dreier Transplantationen, lebensbedrohlicher Erkrankungen und großer Verluste bezeichnet sie sich selbst als „Glückskind“. „Pech war es natürlich, krank zu werden. Aber ich habe drei Spenderorgane bekommen – das ist in Deutschland keineswegs selbstverständlich. Ich habe viele Menschen gesehen, die dieses Glück nicht hatten und gestorben sind. Durch die Organspenden wurden mir mittlerweile 16 Jahre voller Leben geschenkt – und dafür bin ich einfach nur dankbar. Deshalb stehe ich hier und sage: Ich bin ein Glückskind.“

Nur wer selbst nicht zusammenbricht, kann andere retten
Professor Dr. med. Imad Maatouk, Schwerpunktleiter für Psychosomatische Medizin am Uniklinikum Würzburg, betonte, dass Resilienz im Gesundheitswesen letztlich über die Zukunft der Inneren Medizin entscheiden wird. „Wir beobachten eine zunehmende Radikalisierung unserer Gesellschaft. Das betrifft auch die Situation in Krankenhäusern und in den Praxen. Der Schutz vor emotionaler Erschöpfung und Traumatisierung wird dadurch noch bedeutsamer“, erklärte Maatouk. Die Belastungen im Gesundheitswesen steigen, und bis zu 30 Prozent der Ärztinnen und Ärzte in Deutschland leiden bereits unter psychischer Erschöpfung. Resilienzstrategien seien daher von großer Bedeutung, um diesen enormen emotionalen Belastungen zu begegnen und die Leistungsfähigkeit langfristig zu erhalten.
„Resilienz ist keine individuelle ‚Nice-to-have‘-Eigenschaft, sondern systemrelevant“, so Maatouk weiter. „Ohne belastbare Ärztinnen und Ärzte leidet nicht nur die medizinische Versorgung, sondern auch die Patientensicherheit.“ Nur wer selbst nicht zusammenbricht, könne andere retten. Es gehe darum, die Fähigkeit zu entwickeln, sich nach schwierigen Fällen mental zu regenerieren und die eigene psychische Gesundheit langfristig zu bewahren.
Wie Menschen mit mentalen Herausforderungen umgehen, ist dabei nicht nur eine Frage der persönlichen Einstellung, sondern auch der Biologie. „Die Fähigkeit, mit Stress umzugehen, hängt von einem Gleichgewicht bestimmter Hormone im Körper ab“, erklärte Maatouk. Beeinflusst werde dieses durch die sogenannte HPA-Achse (Hypothalamus, Hypophyse, Nebennierenrinde), das „Stresshormon“ Cortisol und das dopaminerge System. Resiliente Menschen zeichnen sich vor allem durch zwei Eigenschaften aus: Zum einen erholen sie sich nach stressigen Situationen körperlich sehr schnell, zum anderen bewerten sie Stresssituationen grundsätzlich positiv.
Jedoch sei Resilienz keine rein individuelle Eigenschaft, sondern ein dynamischer Prozess, der auch durch das Arbeitsumfeld beeinflusst wird. Im medizinischen Bereich gebe es strukturelle Rahmenbedingungen, die die Resilienz der Mitarbeitenden unterstützen können. „Klare Kommunikation, eine wertschätzende Feedbackkultur und interdisziplinäre Zusammenarbeit tragen dazu bei, die kollektive Resilienz im Gesundheitswesen zu stärken“, erklärte der Psychosomatiker abschließend.

Rasche Hitzeschutzmaßnahmen überlebensnotwendig
Dr. Martin Herrmann, Mitbegründer und Vorsitzender von KLUG e. V. (Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit), erklärte, dass Hitze das größte klimawandelbedingte Risiko für die Bevölkerung in Deutschland darstelle. Besonders gefährdet seien ältere Menschen sowie chronisch Kranke, die durch Hitzewellen stark belastet werden. Diese könnten sich zu Katastrophensituationen entwickeln, die großflächige Versorgungsengpässe nach sich ziehen. Gerade im Alter nehme die Fähigkeit zur effektiven Thermoregulation – also der Anpassung des Körpers an hohe Temperaturen – ab. Gleichzeitig litten ältere Menschen häufiger unter Herz-Kreislauf-, Nieren- oder Lungenerkrankungen, die durch Hitzebelastung weiter verschärft werden können.
Ein weiteres Problem seien bestimmte Medikamente, die entwässernd oder blutdrucksenkend wirken und die körpereigene Wärmeregulation stören. Kognitive Einschränkungen, Immobilität und soziale Isolation steigerten zusätzlich das Risiko, dass betroffene Personen eine Hitzewelle nicht rechtzeitig wahrnehmen oder nicht adäquat darauf reagieren. „Für diese Menschen ist Hitze keine bloße Unannehmlichkeit, sondern ein potenziell lebensbedrohlicher Stressfaktor“, so Herrmann. Die Folgen reichten von Dehydrierung über Herzinfarkt bis hin zum plötzlichen Todesfall.
Die zentralen Herausforderungen im Gesundheitssektor seien, dass viele Kliniken unzureichend auf Hitzewellen vorbereitet seien. Oft fehlten Hitzeschutzpläne auf Abteilungsebene, und die technischen sowie baulichen Voraussetzungen variierten stark. Es gebe einen dringenden Bedarf an bundesweiten Kompetenzzentren, die Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen und andere Akteure beraten und schulen könnten.
Herrmann forderte von der Politik, dass Hitzeschutz ein zentrales Thema in der Stadtplanung und der Bauwende berücksichtigt werden müsse. Der Hitzeschutz für Gebäude sollte sektorübergreifend in bestehende Planungen integriert werden. Ohne frühzeitige Berücksichtigung von Hitzeschutzmaßnahmen bei Sanierungen und Neubauten entstünden später teure Fehlplanungen. Gesundheitsakteure müssten auf allen Ebenen Verantwortung übernehmen und politische Entscheidungen kritisch begleiten.
Zudem appellierte Herrmann an die Gesellschaft, die Bevölkerung hitzeresilient zu machen – durch Aufklärung, Vorsorge und gezielte Maßnahmen. Der Gesundheitssektor trage hierbei eine Schlüsselrolle, da auf ihn bei politischen Entscheidungen gehört werde. Es bedürfe sowohl struktureller als auch individueller Lösungen, um Menschen in besonders vulnerablen Lebenslagen wirksam zu schützen. Auch in Deutschland könnten künftig Hitzewellen wie die im Jahr 2024 in Kanada, mit Temperaturen von bis zu 50 Grad Celsius über mehrere Tage, auftreten. Das Ruhrgebiet beispielsweise liegt etwa auf dem gleichen Breitengrad wie Kanada.
Fazit: Resilienz als Schlüsselkompetenz in der Inneren Medizin
„Resilienz ist eine Schlüsselkompetenz in der Inneren Medizin und muss auf individueller, teambezogener und systemischer Ebene gezielt gefördert werden“, betont Kongresspräsident Professor Dr. Jan Galle. „Wir brauchen eine Arbeitskultur, die nicht nur Leistung fordert, sondern auch Erholung und psychische Gesundheit systematisch unterstützt.“ Der DGIM Kongress 2025 bietet eine wertvolle Gelegenheit, die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse zu diesem Thema zu diskutieren und konkrete Maßnahmen für den klinischen Alltag abzuleiten. Denn nur ein resilientes Gesundheitssystem kann langfristig eine qualitativ hochwertige Patientenversorgung und die Gesundheit der Behandelnden sicherstellen. Resilienz ist nicht nur eine persönliche Eigenschaft, sondern eine notwendige Voraussetzung für den Erfolg der Inneren Medizin – sowohl für die Fachkräfte als auch für die Patienten.
(Diether von Goddenthow/RheinMainKultur.de)