Am Sonntag-Nachmittag ging nach fünf turbulent-kreativen Tagen das internationale Treffen der Kleinverlage und künstlerischen Handdruckpressen erfolgreich in der Mainzer Rheingoldhalle zu Ende. Auftakt bildete am Mittwochabend die 19. Stomps-Preisverleihung im Gutenberg-Museum Mainz, bevor die Minipressenmesse am Donnerstag, den 4. Juni 2015 durch die Dezernentin für Bauen, Denkmalpflege und Kultur, Marianne Grosse in der Rheingoldhalle eröffnet wurde. Die Stadt Mainz war Träger der 23. Internationalen Mainzer Minipressen-Messe, die vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels und vom Kultursommer Rheinland-Pfalz der Stiftung Rheinland-Pfalz für Kultur gesponsert wurde. Erstmals 1970 ins Leben gerufen, ist die Mainzer Minipressen-Messe mit 45 Jahren die beständigste und älteste Veranstaltung ihrer Art in Europa. Verdanken ist das vor allem Jürgen Kipp, der seit praktisch 30 Jahren immer wieder die Minipressenmesse mit viel Herzblut und Know-how organisiert hat.
Über 250 Aussteller präsentierten ihre Produkte vom komplett selbstgemachten Buch (Text, Handdruck, Bindung), über Handpressendrucke und Bücher im Selbstverlag bis hin zu Kleinverlagen mit ihren spannenden, bisweilen skurrilen, sozialkritischen und belletristischen Programmen sowie Spezialarchiven wie dem Kleist-Archiv sowie Spiele und Künstlerarbeiten (Holz, Siebdrucke etc.).
Kontrastprogramm der Aussteller
Frech präsentierte sich der „bissige“ Verleger Thorsten Low mit seinen Recyceling-Cover Tagebüchern, eines davon mit ausrangierten Slip designed . Eigentlich sei es nicht sein Genre, nur ein Gag. Der Jungverleger Torsten Low fing mit einem selbstgeschriebenen Roman an. Inzwischen bietet sein Kleinverlag 32 gedruckte und 5 digitale Werke sowie Hörbücher im Bereich Phantastik und Mystery-Horror an. Eine kleine Erfolgsgeschichte.
Ein Kontrastprogramm hierzu bot Günther Emig, der das „halbe“ Heilbronner Kleist-Archiv – mittels Gesamtverzeichnis und einigen Neuerscheinungen – präsentierte. Emig ist Bibliothekar und Direktor des Kleist-Archivs
Sembdner in Heilbronn. Er gilt als Förderer und Verleger alternativer Literatur und ist vor allem als Autor, Herausgeber und exzellenter Kenner Heinrich von Kleist’scher Werke bekannt. Seine Publikationsliste, etwa die Heilbronner Kleist-Reprints, ist unendlich lang.
Bei Wikipedia lesen wir über Emig:
Noch während seiner Studienzeit editierte Emig vier Bände der Gesamtausgabe des Dichters Erich Mühsam (1878–1934). 1972 gründete Emig den Kleinverlag „Günther Emigs Literaturbetrieb – verhält sich zu Andy Warhols Factory wie eine postmoderne Melkmaschine zur Milch der frommen Denkungsart“, der bis 1984 bestand. Emig gilt als „one of the most prominent alternative publishers“.[2] Er war Mitbegründer der Arbeitsgemeinschaft alternativer Verlage und Autoren e.V. (AGAV) und der IG Literaturzeitschriften; Zusammenschlüsse, in denen sich junge Autoren ein Forum gegen den etablierten Literaturbetrieb suchten. In diesem Zusammenhang gab Emig u. a. von 1979 bis 1984 dreimal das „Verzeichnis deutschsprachiger Literaturzeitschriften“ (VdL) heraus. Ein Teil seiner Literaturzeitschriftensammlung ging an das Minipressenarchiv der Stadt Mainz. Die Zahl seiner herausgegebenen Veröffentlichungen pflegt er in lfdm auf den Buchrücken anzugeben (3 lfdm, Stand: 8. Februar 2013). Er ist Gründer und Redakteur der Internetseiten zu Ludwig Pfau und Justinus Kerner.“
Gute Chancen, sich als Selbst- und Kleinverleger selbständig zu machen
Besonders ermutigend war, zu erfahren, dass trotz allgemeiner Verlagskrise eine Existenzgründung als Selbst- oder Kleinverleger auch heute noch funktionieren kann. Ein weiteres Erfolgsbeispiel neben Torsten Lows Weg vom Autor zum Kleinverleger ist die Gründergeschichte des Archäologen und Historikers Michael Kuhn, der erst 2008, also vor sieben Jahren, mit einer eigenen Buchveröffentlichung begann und mittlerweile – auch mit Hilfe der neuen Medien – zum Amminanus-Kleinverlag metaphorisierte:
„Gut 30 Prozent unseres Umsatzes machen wir inzwischen über Amazon, und demnächst wird es unsere Bücher auch als E-Book-Ausgaben geben. Ohne diese Mischung aus traditionellem Büchermachen und der Nutzung neuer Technologien und Vertriebswege wären wir als Kleinverlag kaum überlebensfähig“, erläutert Michael Kuhn, Historiker M.A., einen wesentlichen Aspekt des Erfolges seines erst 2008 in Aachen gegründeten Ammianus-Verlag. Begonnen hatte der langjährig tätige Archäologe Michael Kuhn („habe die halbe Eifel durchgraben“) als Selfpublishing-Autor mit der im antiken Rom und Germanien angesiedelten Marcus-Trilogie. Inzwischen fesselten die Marcus-Abenteuer über 30 000 Leser, die mit Hilfe des Buchanhangs ganz gezielt auf archäologische Spurensuche gehen können in der ehemaligen römischen Provinz Germaniens, sprich in Westdeutschland.
Michael Kuhn besucht zum wiederholten Mal die Mainzer Minipressenmesse. Zudem ist er auch auf anderen kleineren Regional-Buchmessen vertreten „weil ich hier meine Leser am ehesten treffe und die lockere Atmosphäre auf der Mainzer Minipressenmesse einfach wunderbar finde“. Kuhn liest aus seinen Büchern in regionalen Buchhandlungen, auf historischen Veranstaltungen und präsentiert die Werke seines Verlages auch auf Römertagen und ähnlichen Festen etc. Dies alles mache ihm viel Spaß und sei wichtig für einen nachhaltigen Erfolg. Man müsse immer wieder präsent sein und so viele Leser wie möglich, persönlich kennen lernen.
Die eigentliche Verlags-Geschichte begann eigentlich erst vor drei Jahren, als sich 2012 weitere Autoren zu ihm gesellten. Sie hatten sich ebenfalls die Faszination für Geschichte auf ihre Fahnen geschrieben und waren froh, in Michael Kuhn einen Verleger gefunden zu haben, mit dem sie kooperativ auf gleicher Augenhöhe zusammenarbeiten können.
Ob Mittelalter-Epos, historischer Kriminalroman, Tatsachenroman über die Hexenverfolgung oder Phantastik mit dem Schwerpunkt Mythologie: In seinem Verlagsprogramm, welches übrigens seit 2014 zum ersten Mal nun mit Buchhandelsvertreter durch die Buchhandlungen tourt, werden Freunde historischer Romane und Fantasy-Books fündig.
Michael Kuhns Erfolgsgeschichte zeigt, dass es auch heutzutage – trotz wachsendem E-Book-Markt und Krise der Verlagslandschaft – noch möglich ist, mit guter Qualität, einem passenden Konzept und ein wenig Glück, erfolgreich einen Verlag zu gründen.
Wie man einen Kleinverlag als Self-Publisher (Selbstverleger) kostengünstig freiberuflich und/oder gewerblich starten kann, erläutert Martin Massow ab Seite 410 in seinem sehr empfehlenswerten, 2015 aktualisiertem, Standardwerk Freiberufler-Atlas. Schnell und erfolgreich selbständig werden, 505 Seiten, 12,99 Euro, aus dem Ullsteintaschenbuchverlag Berlin.
Dass neue digitale technologische Möglichkeiten wie E-Book, Internetvertriebe und Social-Media durchaus sinnvoll von Kleinverlegern, Druckpressenbetreibern und Künstlern ergänzend genutzt werden können, statt sie von vornherein generell als Totengräber der Print- und traditionellen Verlags-Kultur zu verteufeln, war bei den Ausstellern der Mainzer Minipressenmesse ziemlich breiter Konsens. Das Paradoxon besteht dabei für etliche gestandene Büchermacher, Künstler, Autoren und Handdruckpressenbetreiber jedoch darin, sich ausgerechnet digital engagieren zu sollen, um den Fortbestand traditioneller Herstell-Techniken rund um Druck und Büchermachen zu sichern. Doch schon heute sichert vielen alternativen Verlegern und Druckern die Präsens und Vertriebsmöglichkeit im Internet ihre Existenz. Beispielsweise können Handdruckpressenbetreiber dank Internet-Popularität ihre ausgefallenen Produkte jetzt bis nach Übersee vertreiben und sind unabhängiger geworden von einem regionalen Markt.
Ungeachtet der Entdeckung mancher Vorteile von E-Book und Internet-Vertrieb stand die Mainzer Minipressenmesse jedoch einmal mehr als Fels in der Brandung für traditionelles Büchermachen und haptisches Lesevergnügen. Darauf hatte bereits die Mainzer Dezernentin für Bauen, Denkmalpflege und Kultur Marianne Grosse in ihrer Eröffnungsrede mit den Worten hingewiesen: „Die Minipressen-Messe ist der Beweis, dass wir nicht allein mit E-Books leben“.
Kommunikation und gemeinsames Soziales Engagement auf der Minipressenmesse
Die 23. Mainzer Minipressenmesse ließ vor allem auch wieder viel Raum für Kommunikation und Austausch über alternative und soziale Projekte, man lernte sich kennen und gegenseitig unterstützen, und wenn es beispielsweise darum ging, das alte Amtsgericht in Wiesbaden, ein Neorenaissance-Bau der Gründerzeit, vor der Zerstörung durch Umnutzung in Eigentumswohnungen zu bewahren. Ob am Stand der Fakultät der Mainzer Buchwissenschaften oder des Verein für Sozialgeschichte Mainz e.V. : Viele Aussteller bekundeten sogleich ihre Solidarität mit der Wiesbadener Initiative „Haus der Stadtkultur und Stadtgeschichte“ und traten der Petition bei.
Künstler und Rahmenprogramm
Viele Künstler, vom Illustrator bis zum Siebdrucker, waren mit eigenen Werken oder auch als Dienstleister mit ihrem Angebot vertreten. Beispielsweise auch wieder vertreten mit neuesten siebdrucktechnischen Kreationen war Ellen Löchner, Kunst- und Musikpädagogin, Mitglied in der Künstlergruppe Nahe und seit 2010 mit einen eigenen Siebdruck-Atelier in Undenheim. Sie strahlt über das ganze Gesicht und findet die Minipressenmesse unheimlich inspirierend und motivierend und aktivierend, die vielen Gespräche mit Gleichgesinnten, die Lesungen, einfach die Atmosphäre, da kann ich so richtig auftanken.
Manch Autor ist nicht nur schreibgewandt, sondern auch verbaler Wortkünstler, wie beispielsweise die Multikünstlerin und „Märchentante“ Hanna Rut Neidhardt aus Frankfurt, die Kids an Kunst heranführt, mit Kindern und Familien und in sozialen Projekten arbeitet, Bücher illustriert und eben Märchen und andere Texte vorliest.
Begleitet wurde die Mainzer Minipressenmessen von einem umfangreichem Rahmenprogramm in Rheingoldhalle, Eisenturm (Kunst-Ausstellung) und Gutenberg-Museum mit: Poetry-Slam, Seminaren (z.B. booktree – E-Books aus der Buchhandlung von Guido Stemme, und Selfpublishing 2.0 Matthias Matting), täglichen Marathonlesungsprogrammen, Kinderprogrammen mit Dimido, Lese-Showabend „Erotischer Nachschub: LOVE Bites“ sowie Sonderaktionen wie: „Papier schöpfen“, „Drucken direkt“, „Klassischer Kupferstich“, „Linoldruck“, „Drucktechniken-Präsentation“ und begleitende Ausstellungen im Gutenberg-Museum: „e-wald – Buchkunstwerke der Berliner Katzengraben-Presse seit 1990“ (Stomps-Preisträger 2013), geht bis 9. August, und „Am 8. Tag schuf Gott die Gloud“ noch bis September (über Medienentwicklung von Gutenberg bis I-Pad).
Hier finden Sie weitere Infos zur Minipressenmessen 2015 und demnächst zur 24. Internationalen Buchmesse der Kleinverlage und künstlerischen Druckpressen.