Donnerstag, 1. Juni 2017, 20 Uhr:
Anke Stelling: Fürsorge
Seit sechzehn Jahren hat Nadja ihren Sohn nicht mehr gesehen. Es war eine bewusste Entscheidung der Ballerina, ihn direkt nach der Geburt bei ihrer Mutter unterzubringen und sich der eigenen Karriere zu widmen. Diese ist nun beendet, der Körper – noch immer schön und jugendlich – ist nach 30 Jahren des harten Trainings zerschunden. Als Nadja in eine Krise gerät, besucht sie Mutter und Sohn. Das Familientreffen folgt jedoch nicht den üblichen Mustern: Zwischen Nadja und Mario, dem fitnessgestählten Sohn, entstehen Gefühle, die weit über die Liebe zwischen Eltern und Kindern hinausgehen. Es dauert nicht lange, bis die beiden zum ersten Mal miteinander schlafen.
Nach ihrem für den Deutschen Buchpreis nominierten Roman Bodentiefe Fenster blickt Anke Stelling in Fürsorge einmal mehr schonungslos in die Abgründe einer Mutter. Nicht um des Skandals oder Schocks willen beschreibt Stelling einen Inzest. Anhand dieser Thematik gelingt es ihr vielmehr, Einsamkeit, Zwänge und Emotionskälte zu sezieren.
Moderation: Björn Jager
Ort: Literaturforum im Mousonturm
Eintritt: 7,-/4,- (VVK)| 8,-/5,- (AK)
Anke Stelling, Jahrgang 1971, in Ulm geboren, wuchs in Stuttgart auf. Sie ist Absolventin des Deutschen Literaturinstituts in Leipzig und lebt derzeit mit ihrer Familie in Berlin. Zusammen mit Robby Dannenberg schrieb sie den Roman Gisela (1999) und Nimm mich mit (2002). Gisela wurde 2004 verfilmt, 2010 ihre Erzählung Glückliche Fügung (2004). Darüber hinaus veröffentlichte sie 2010 den Roman Horchen und zuletzt ihren Roman Bodentiefe Fenster (2015), der auf die Longlist des Deutschen Buchpreises 2015 kam und mit dem Melusine-Huss-Preis 2015 ausgezeichnet wurde.
***************************************************************************
Mittwoch, 7. Juni 2017, 20 Uhr:
Andreas Stichmann: Die Entführung des Optimisten Sydney Seapunk
Einst als alternatives Wohnprojekt von Hippies ins Leben gerufen, ist der ‚Sonnenhof’ mittlerweile ein heruntergekommenes Betreutes Wohnen. Der Alltagstrott auf dem Hof verändert sich schlagartig durch Bianca und den ‚Focusing Trainer’ David van Geelen. Sie muss Sozialstunden leisten, weil sie aus Langeweile eine Tankstelle mit einer Gaspistole überfallen hat, während er dem Familienunternehmen den Rücken kehrt, um den Welthunger auszumerzen. David versorgt die Bewohner mit Fairphones und –tablets und glaubt nicht mehr an Revolution, sondern an Management und Mantras.
In Die Entführung des Optimisten Sydney Seapunk lässt Andreas Stichmann widerstreitende politische und individuelle Wünsche aufeinanderprallen. Die Sprache, die Stichmann seinen Figuren in den Mund legt, offenbart deren Unzulänglichkeiten, gibt sie aber nie der Lächerlichkeit preis.
Moderation: Malte Kleinjung
Ort: Literaturforum im Mousonturm
Eintritt: 7,-/4,- (VVK)| 8,-/5,- (AK)
Andreas Stichmann, geboren 1983 in Bonn, ist Absolvent des Deutschen Literaturinstituts Leipzig. 2008 debütierte er mit dem Erzählband Jackie in Silber, für den er u.a. mit dem Clemens-Brentano-Preis 2009 und dem Hamburger Literaturförderpreis 2010 ausgezeichnet wurde. Darüber hinaus erhielt er 2009 den Kranichsteiner Literaturförderpreis, das Grenzgängerstipendium der Robert Bosch Stiftung, sowie das Stipendium des Literarischen Colloqiums Berlin. 2012 erschien sein erster Roman Das große Leuchten, der im selben Jahr für den Bachmann-Preis nominiert und 2013 mit dem Literaturförderpreis der Stadt Bremen ausgezeichnet wurde. Er lebt in Berlin.
***************************************************************************
Dienstag, 20. Juni 2017, 20 Uhr:
Paul Celan – Dichter im Hier und Jetzt.
Vortrag von Barbara Wiedemann
Paul Celan wurde 1920 im damals rumänischen Czernowitz (Bukowina) als Sohn deutschsprachiger Juden geboren. 1942 wurden seine Eltern in ein deutsches Lager in der Ukraine deportiert und ermordet, er selbst musste Zwangsarbeit in Rumänien leisten. Nach seiner Entlassung im Februar 1944 zog Celan nach Zwischenstationen in Bukarest und Wien 1948 schließlich nach Paris, wo er bis zu seinem Freitod 1970 lebte.
Die ab 1947 veröffentlichten Gedichte zeigen einen der Gegenwart Zugewandten, der aus dem »Neigungswinkel« seines Schicksals schreibt. Ausgangspunkt ist das Hier und Jetzt: Österreichische Vergangenheitsvergessenheit ebenso wie die Atombewaffnung der Bundeswehr, der Krieg in Israel und der Antisemitismus von rechts und links im Mai 68, Kritiken und Plagiatvorwürfe mit antisemitischen Nuancen, Psychiatrieaufenthalte, Ereignisse in der Familie und Gespräche mit Zeitgenossen, aber auch aktuelle Lektüren – Literatur und Tagespresse.
Adornos Verdikt, nach Auschwitz Gedichte zu schreiben sei barbarisch, kann Celan nicht akzeptieren. Aber er mutet den deutschen Lesern eine verstörende Gedichtsprache zu, die den grundsätzlichen Bruch spürbar macht – Gedichte, die dessen »was war«, wie er sagt, in der Gegenwart eingedenk bleiben.
Ort: Literaturforum im Mousonturm
Eintritt: 7,-/4,- (VVK)| 8,-/5,- (AK)
Dr. phil. Barbara Wiedemann, Literaturwissenschaftlerin, Lehrtätigkeit an der Universität Tübingen, Herausgeberin von Werken und Briefen Paul Celans.
In Kooperation mit CROM (Communitatea Românilor din Rin-Main).
***************************************************************************
Mittwoch, 28. Juni 2017, 20 Uhr:
Jahrbuch der Lyrik 2017
Mit Judith Hennemann, Jan Kuhlbrodt und Ulrike Almut Sandig. Im Rahmen der Frankfurter Lyriktage.
Die deutschsprachige Lyrik auf einen Nenner zu bringen ist mehr denn je ein Ding der Unmöglichkeit. Zu vielschichtig, zu variantenreich sind ihre Ausformungen. Einen Eindruck von dieser Bandbreite vermittelt das seit 1979 alle zwei Jahre erscheinende Jahrbuch der Lyrik. Es versammelt Dichterinnen und Dichter verschiedener Generationen und Stilrichtungen. Für das Jahrbuch 2017 haben Christoph Buchwald und Ulrike Almut Sandig aus etwa 5000 eingereichten Gedichten eine Auswahl getroffen. An welchen Kriterien haben sie sich dabei orientiert? Inwiefern zeichnen sich Trends und Schwerpunkte ab? Und welche Erwartungen richten eigentlich die Autorinnen und Autoren an das Jahrbuch? Ulrike Almut Sandig, Jan Kuhlbrodt und Judith Hennemann werden nicht nur darüber Auskunft geben, sondern auch aus ihren Gedichten lesen.
Mit freundlicher Unterstützung des Kulturamts der Stadt Frankfurt.
Moderation: Malte Kleinjung
Ort: Literaturforum im Mousonturm
Eintritt: 7,-/4,- (VVK)| 8,-/5,- (AK)
Judith Hennemann ist Lyrikerin und lebt in Frankfurt am Main. 2016 veröffentlichte sie ihren Debütband Bauplan für etwas anderes (Axel Dielmann Verlag). Der Schriftsteller Jan Kuhlbrodt war Geschäftsführer der Literaturzeitschrift Edit. 2015 erschien sein Gedichtband Kaiseralbum. Choräle und Kantaten (Verlagshaus Berlin), im Jahr darauf sein Roman Das Modell (Edition Nautilus). Ulrike Almut Sandig schreibt Prosa und Lyrik. Zuletzt erschien 2016 der Gedichtband ich bin ein Feld voller Raps verstecke die Rehe und leuchte wie dreizehn Ölgemälde übereinandergelegt (Schöffling).
Hessisches Literaturforum im Mousonturm e.V.
Waldschmidtstraße 4
60316 Frankfurt am Main