Woher kommt der Mensch? Ein neuer Blick auf Homo sapiens
Öffentliche Vortragsreihe der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung und der Goethe-Universität im Rahmen der Stiftungsgastprofessur „Wissenschaft und Gesellschaft“
Wohl kaum ein Thema fasziniert die Menschheit so sehr wie ihre eigene Herkunft. In Zeiten, in denen sich überall in der Welt populistisch-rassistische Tendenzen ausbreiten, ist das Wissen über die gemeinsamen Wurzeln besonders wichtig – und zwar nicht nur, was die Evolution des menschlichen Körpers, sondern auch die weit weniger bekannte Evolution geistiger, kultureller und emotionaler Fähigkeiten anbelangt. Hierfür soll die interdisziplinäre Vortragsreihe der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung und der Goethe-Universität Frankfurt, die durch die Stiftungsgastprofessur „Wissenschaft und Gesellschaft“ der Deutsche Bank AG finanziert wird, den Blick weiten.
Aktuell sind in allen Disziplinen, die die Evolution des Menschen betreffen, atemberaubende Fortschritte zu verzeichnen. Dank eines neuen Verständnisses der „biokulturellen Evolution“ entsteht das Gesamtbild des heutigen Menschen als physiopsychisches System, als Teil seines sozialen Systems und als Akteur in seiner natürlichen Umwelt. Evolution wird nicht länger nur als „Survival of the Fittest“ in Bezug auf körperliche Anpassung, Kraft und Geschicklichkeit angesehen werden. Vielmehr wirkt sich die Funktionslogik von Selektion und Anpassung auch auf Verhaltensweisen wie Kooperation und Altruismus aus und befördert diese. All diese Perspektiven tragen bei zu einem neuen, integralen evolutionären Selbstverständnis des Menschen – und seiner Welt. Und sie ermöglichen ganz neue Antworten auf die große Frage nach dem, was uns ausmacht, die noch vor wenigen Jahrzehnten nicht denkbar gewesen wären. Diese Erweiterung des Horizonts soll dem Publikum in der Reihe deutlich werden.
23. November, 19:30 Uhr
DIE GENETISCHE HERKUNFT DER EUROPÄER: MIGRATION UND ANPASSUNG IN DER VORGESCHICHTE
Vortrag von Dr. Wolfgang Haak (Max-Planck-Institut für
Menschheitsgeschichte, Jena)
Viele Jahrzehnte wurde diskutiert, was den Übergang von Wildbeuter-Gesellschaften zu frühen Ackerbauern bewirkte: eine Einwanderung aus dem Nahen Osten zu Beginn der europäischen Jungsteinzeit oder innovative Technologien und domestizierte Pflanzen und Tiere, die zu diesem Wandel der Lebensweise führten. Durch genetische Analysen prähistorischer Skelette lässt sich die Frage, inwieweit Kulturwechsel rein kulturell zu verstehen sind oder ob auch Bevölkerungswechsel zugrunde liegen, heute beantworten. Um der genetischen Herkunft der frühen Europäer nachzugehen, wurden mittlerweile die Genome knapp 300 prähistorischer Individuen untersucht.
Dabei wurden Hinweise auf zwei massive Expansionsereignisse gefunden, die Spuren in allen heutigen Westeurasiern hinterlassen haben.
Wolfgang Haak ist Leiter der Forschungsgruppe Molekulare Anthropologie am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena. Bei seiner Arbeit an der Schnittstelle von Genetik, Archäologie, Anthropologie, Linguistik und Medizin analysiert er die genetischen Daten früherer menschlicher Populationen, um unter Einbeziehung benachbarter wissenschaftlicher Disziplinen ein detailliertes und umfassendes Bild der Geschichte des Menschen über die letzten 20.000 Jahre zu schaffen.
Referent: Dr. Wolfgang Haak, Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte, Jena
Datum: Mittwoch, 23. November, 19:30 Uhr
Ort: Hörsaal des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums (BiK-F), Georg-Voigt-Straße 14, 60325 Frankfurt.
Der Eintritt ist frei. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich.
14. Dezember 2016
LOB DER LÜGE. ZUR EVOLUTION VON INTELLIGENZ.
Prof. Dr. Volker Sommer, University College London
Moderation: Prof. Dr. Friedemann Schrenk, Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, Frankfurt, und Goethe-Universität
Andere hinters Licht zu führen und zugleich deren Tricks zu durchschauen, ist vorteilhaft. Denn obwohl das Sozialleben Vorteile hat – beim Verteidigen von Ressourcen, Schutz vor Feinden oder gemeinsamer Brutpflege –, sind doch Gruppengenossen gleichzeitig Konkurrenten. Deshalb werden jene mehr Nachkommen hinterlassen, die soziale Vorteile eigennützig genießen, zugleich jedoch die Kosten des Wettbewerbs abmildern, indem sie Desinformation streuen – z. B. ein Vogel, der andere Vögel durch einen Warnruf in die Lüfte schickt und dann selbst mehr Würmer fressen kann. Gehirne sollten mithin sowohl täuschen können wie auch Lügendetektoren sein. In dem Sinne lässt sich die Lüge geradezu als Wetzstein der Intelligenz begreifen. Wer dabei die Absichten anderer durchschaut, vermag umso besser zu betrügen. Evolutionsbiologen vermuten, dass sich die Fähigkeit zum Gedankenlesen unter Tieren mit besonders komplexem Sozialleben ausbildete – was auf Papageien, Krähen, Elefanten oder Delfine zutrifft, speziell aber auf Primaten wie Affen und Menschen. Sich in andere hineinversetzen zu können, hat dabei allerdings nicht nur eine egoistische Schattenseite, sondern paradoxerweise ermöglichte die Lüge zugleich effizientere Kooperation, Mitgefühl und Mitleid.
Volker Sommer, geb. 1954, ist Professor für Evolutionäre Anthropologie am University College London. Er studierte Biologie, Chemie und Theologie in Göttingen, Marburg, Berlin und Hamburg. Es folgten Stationen als Privatdozent für Anthropologie und Primatologie an der Universität Göttingen und an der University of California in Davis. Seit vielen Jahren erforscht er in Asien und Afrika Ökologie und Verhalten von Primaten. Einer breiteren Öffentlichkeit ist der engagierte Naturschützer durch Funk und Fernsehen sowie seine Thesen und Bücher zu evolutionsbiologischen Themen bekannt, etwa „Lob der Lüge“ oder „Menschenaffen wie wir“.
Der Vortrag findet im Hörsaal des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums statt.
18. Januar 2017
THE SKIN OF HOMO SAPIENS: THE EVOLUTION OF OUR INTERFACE WITH THE WORLD
Prof. Dr. Nina Jablonski, Pennsylvania State University, State College
Moderation: PD Dr. Ottmar Kullmer, Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, Frankfurt
Die menschlichen Hautfarben faszinieren die Menschen seit Jahrhunderten. Sie stellen eine biologische Anpassung dar, die das Eindringen von UV-Strahlung in die Haut reguliert. Die Evolution der menschlichen Hautfarbe ist ein gutes Beispiel für einen evolutionären Kompromiss und zeigt beispielhaft, wie Evolution durch natürliche Selektion vorangetrieben wird und den menschlichen Körper beeinflusst. In der Geschichte des Homo sapiens ist die Pigmentierung der Haut ein sich stets wandelndes Merkmal, ähnliche Hautfarben haben sich unter ähnlichen Umweltbedingungen oft mehrfach entwickelt. Dies zeigt, dass die Verwendung der Hautfarbe für eine Klassifizierung des Menschen nicht geeignet ist – und dass die soziale Bedeutung, die der Hautfarbe noch immer beigemessen wird, keine wissenschaftlichen Grundlagen hat.
Nina Jablonski, geb. 1953, ist seit 2006 Professorin für Anthropologie an der Pennsylvania State University. Nach einem Bachelor im Fach Biologie in Pennsylvania wechselte sie für den Master an die University of Washington, um dort Anthropologie zu studieren und das aufkeimende Fachgebiet molekulare Evolution mit der Anthropologie zu verbinden. Nach der Promotion lehrte sie gut zehn Jahre an der Universität Hongkong, bevor sie nach einigen Jahren an der University of Western Australia, wo sie sich der Evolution des aufrechten Ganges und der Hautfarben zuwandte, einen Lehrstuhl an der California Academy of Sciences in San Francisco antrat. Bis heute erforscht sie, wie Umweltveränderungen die Entwicklung von Altwelt-Primaten und uns Menschen beeinflussen. Neben ihrer Forschung engagiert sich die vielfach ausgezeichnete Wissenschaftlerin für die Verbreitung des Wissens über die Evolution des Menschen an wissenschaftliche Laien.
Der Vortrag findet im Hörsaal des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums statt, in englischer Sprache mit deutscher Simultanübersetzung.
25. Januar 2017
JÄGER UND KÜNSTLER: WARUM DER NEANDERTALER AUSSTARB UND DIE KUNST ENTSTAND
Prof. Dr. Nicholas J. Conard, Eberhard Karls Universität Tübingen
Moderation: Prof. Dr. Dr. h. c. Volker Mosbrugger, Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, Frankfurt, und Goethe-Universität
Der Neandertaler bewohnte Europa zwischen vor rund 300.000 bis vor 40.000 Jahren. Wäre der moderne Mensch, der in Afrika entstanden ist, nicht ab ca. 40.000 Jahren vor heute nach Europa eingewandert, so wäre der Kontinent wahrscheinlich bis heute von Neandertalern bewohnt. Aus jener Zeit vor 40.000 Jahren sind zum ersten Mal figürliche Kunst und Musik dokumentiert. Die besten Belege für frühe Kunstwerke und Musikinstrumente stammen dabei aus vier Höhlen der Schwäbischen Alb in Süddeutschland. Der Vortrag schildert, warum Kunst und Musik entstanden sind, und erklärt, warum die archäologische Forschung in den Höhlen der Schwäbischen Alb für die Frage nach deren Anfängen von so großer Bedeutung ist. Diese Erkenntnisse basieren auf Ausgrabungen, die sich über zwei Jahrzehnte erstrecken.
Nicholas J. Conard, geb. 1961 in Cincinnati, ist Professor fürÄltere Urgeschichte und Quartärökologie an der Universität Tübingen. Er studierte Anthropologie, Chemie und Physik an der University of Rochester, New York, Ethnologie und Chemie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg sowie Ur- und Frühgeschichte an der Universität zu Köln. In Yale studierte und promovierte er anschließend in der Anthropologie. Seit 1995 hat er die Professur in Tübingen inne und ist wissenschaftlicher Direktor des Urgeschichtlichen Museums Blaubeuren. Conard beschäftigt sich mit der frühen Menschheitsentwicklung im eurasischen und südafrikanischen Raum sowie den Anfängen von Ackerbau und Viehzucht und wurde durch die Entdeckung der weltweit ältesten Kunst und Musikinstrumente in den Höhlen der Schwäbischen Alb bekannt. Conard ist seit 2007 Senckenberg-Professor an der Universität Tübingen.
Der Vortrag findet im Hörsaal des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums statt.
8. Februar 2017
STÄNDCHEN; SCHLAFLIED ODER KRIEGSGESCHREI? THEORIEN ZUM URSPRUNG DER MUSIK UND IHRER FUNKTION FÜR DEN MENSCHEN
Prof. Dr. Melanie Wald-Fuhrmann, Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik, Frankfurt
Moderation: Prof. Dr. Dr. h. c. Volker Mosbrugger, Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, Frankfurt, und Goethe-Universität
Warum gibt es Musik? Und was ist Musik eigentlich? Mit diesen Fragen beschäftigen sich Wissenschaftler nicht erst seit unseren Tagen. Schon in den Mythen und Legenden vieler Völker weltweit wurden diese Fragen aufgegriffen und auf oft erstaunlich ähnliche Weise beantwortet. Zur Erklärung ihres Ursprungs und Wesens gehört immer auch eine Bestimmung ihrer Funktionen. Fünf Funktionen, die am intensivsten als möglicher Ursprung der Musik diskutiert wurden und werden, sollen im Vortrag zur Sprache kommen. Dabei gilt es, Argumente und Erkenntnisse aus so verschiedenen Disziplinen wie Evolutionstheorie, Biologie, Sprachwissenschaft und Psychologie zusammenzutragen und gegeneinander abzuwägen.
Melanie Wald-Fuhrmann, geb. 1979, studierte Musikwissenschaft und Gräzistik in Rostock, Marburg, Salzburg und an der Freien Universität Berlin und wurde am Musikwissenschaftlichen Institut der Universität Zürich promoviert. Ihre Dissertation wurde 2009 mit dem Max-Weber-Preis der Bayerischen Akademie der Wissenschaften ausgezeichnet. 2009 erfolgte ihre Habilitation zum Thema Melancholie in der Instrumentalmusik um 1800. Melanie Wald-Fuhrmann war 2010/11 Professorin für Musikwissenschaft an der Musikhochschule Lübeck und lehrte dann an der Humboldt-Universität zu Berlin als Professorin für Musiksoziologie und historische Anthropologie der Musik. Seit 2013 leitet sie die Musik-Abteilung am Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik in Frankfurt.
Der Vortrag findet im Hörsaal des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums statt.
15. Februar 2017, Senckenberg-Naturmuseum, Senckenberganlage 25, 19:00 Uhr
Podiumsdiskussion mit Impulsvorträgen
EIN NEUER BLICK AUF HOMO SAPIENS – DIE ZUKUNFT DES MENSCHEN
Moderation: Joachim Müller-Jung, Frankfurter Allgemeine Zeitung
Auf dem Podium:
PD Dr. Miriam N. Haidle, Heidelberger Akademie der Wissenschaften
Prof. Dr. Annette Kehnel, Universität Mannheim
Prof. Dr. Dr. h. c. Volker Mosbrugger, Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, Frankfurt
Prof. Dr. Hans-Dieter Mutschler, Hochschule Ignatianum, Krakau
Evolution in die Zukunft: Warum spielt der Evolutionsgedanke in den Geistes- und Kulturwissenschaften bislang eine eher untergeordnete Rolle? Welche Zukunft geben uns die evolutionären Rahmenbedingungen des Menschen vor, und sind wir uns dieser „Grenzen“ bewusst? Was können – und dürfen – wir in Zukunft tun? Brauchen wir ein neues „evolutionäres Selbstverständnis“, um die Herausforderungen des Anthropozäns zu bewältigen?
Miriam N. Haidle, geb. 1966, studierte Urgeschichte, Vor- und Frühgeschichte, Geologie, Anthropologie und Ethnologie in Tübingen und Basel. Sie betreut als wissenschaftliche Koordinatorin die Forschungsstelle „The Role of Culture in Early Expansions of Humans“ der Heidelberger Akademie der Wissenschaften am Senckenberg Forschungsinstitut in Frankfurt/Main und an der Universität Tübingen. Ihr Arbeitsschwerpunkt ist die kulturelleund kognitive Evolution des Menschen in Wechselwirkung mit seiner Umwelt. In verschiedenen interdisziplinären Projekten knüpft sie urgeschichtliche Forschung an aktuelle Fragen zur Geistes- und Gesellschaftsentwicklung.
Annette Kehnel, geb. 1963, studierte Geschichte und Biologie in Freiburg, Oxford und München. Sie wurde am Trinity College Dublin promoviert und habilitierte sich 2004 an der TU Dresden mit einer Arbeit über die Franziskaner auf den Britischen Inseln. Seit 2005 ist sie Professorin für Mittelalterliche Geschichte an der Universität Mannheim. Sie ist Mitglied im Kuratorium des eutschen Historischen Instituts, London und hielt verschiedene Fellowships u.a. in Paris, Oxford, Cambridge, Peking, Bogotá, Fribourg (Schweiz). Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich der Politik-, Kultur- und Wirtschaftsgeschichte, die sie mit Forschungsansätzen aus der Historischen Anthropologie verbindet.
Volker Mosbrugger, geb. 1953, studierte Biologie und Chemie in Freiburg und Montpellier, promovierte in Freiburg und habilitierte sich 1989 am Paläontologischen Institut der Universität Bonn. 1990 bis 2005 hatte er den Lehrstuhl für Paläontologie am Institut für Geowissenschaften der Universität Tübingen inne, mit diversen Leitungsfunktionen. Seit 2005 ist er Direktor des Senckenberg Forschungsinstituts und Naturmuseums in Frankfurt sowie Professor für Paläontologie und Historische Geologie an der Goethe-Universität Frankfurt. Seit 2009 ist er Generaldirektor der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung.
Hans-Dieter Mutschler, geb. 1946, studierte Theologie, Physik und Philosophie in München, Paris und Frankfurt. In Frankfurt promovierte und habilitierte er sich an der Goethe-Universität. Er ist Professor für Naturphilosophie an der philosophischpädagogischen Hochschule Ignatianum in Krakau, Dozent für Naturphilosophie an der philosophisch-theologischen Hochschule St. Georgen und Lehrbeauftragter für Philosophie der Biologie an der Universität Zürich. Seine Forschungsschwerpunkte sind Naturphilosophie und der Dialog Naturwissenschaft – Theologie.
Die Veranstaltung findet im Senckenberg Naturmuseum statt.
Alle Vorträge finden mittwochs um 19.30 Uhr statt.Die Abschlussveranstaltung beginnt schon um 19.00 Uhr.
Für die erste Vorlesung am16.11. ( 15. Gustav Heinrich Ralph von Koenigswald-Lecture) ist bis 9. November eine Anmeldung per E-Mail erforderlich unter Koenigswald-Lecture@senckenberg.deDer Eintritt ist frei.
Kontakt: Dr. Julia Krohmer, Stab Wissenschaftskoordination, Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung,
Tel. (069)7542-1837, E-Mail: jkrohmer@senckenberg.de