Als einzige Kirche hatte sich die Wiesbadener Anglikanische Kirche St. Augustine auf Dries Verhoevens Kunst-Event eingelassen und es nicht als allzu gotteslästerlich empfunden, namens der Kunst in ihren christlich sakralen heiligen Hallen eine „Beerdigung ganz besonderer Art“ zuzulassen. Zu Grabe getragen wurde nämlich kein Mensch, sondern eine Idee, eine Wertvorstellung: das Konstrukt der „multikulturellen Gesellschaft“.
Ganz in schwarz begrüßte Dries Verhoeven die Trauergäste mit einer Umarmung und den Worten: „Schön das du gekommen bist!“ Dann ging es vorbei am offenen Sarg, in dem ein junger Mann mit geöffneten Augen aufgebahrt lag, in die Kirche. Die ersten beiden Bank-Reihen sind reserviert, wie wir ein wenig später erleben, für die „Trauergäste“. Als die Kirche bis auf den letzten Sitz-und Stehplatz gefüllt ist, und er Chor anstimmt, zieht der Trauerzug ein: Voran die Messdiener, gefolgt vom „Pfarrer“ (Schauspieler Ulrich Schmissat), hinter diesem schultern sechs original als Sargträger gekleidete Statisten den schwarzglänzenden Holz-Sarg. Die Gruppe der „trauernden Angehörigen“ folgt dem Sarg, der in der Chorapsis aufgebockt wird. Vier Kerzen, die auf Geheiß des Geistlichen hin von einem deutlich als Migrantenkind erkennbarem Mädchen entzündet werden, sollen ein wenig helfen, die „Finsternis“ zu erhellen. Wie das Entzünden der Kerzen passiert auch alles andere in zum Verwechseln ähnlicher, christlicher Liturgie: Weihrauch, Kreuz, Gebet, Ornat, Predigt, Lesung, Sammeln, Fürbitte, Friedensgruß und das Orgelspiel vom Wiesbadener Kirchenmusiker Thomas Schermuly.
Die Begräbnisfeier der „multikulturellen Gesellschaft“, wie sie hierzulande assoziiert wird, nimmt ihren Lauf. Ihr Todeszeitpunkt wird auf die Zeit um Charli Hebdo datiert. Seitdem sind hierzulande Migranten unter Generalverdacht geraten. Radikale, zunehmend auch aus der Mitte der Gesellschaft, haben die Angst der Leute vor Überfremdung und der Abschaffung des Abendlandes geschürt und vielfach für ihren eigenen Zwecke missbraucht.
Nun endlich hat die monokulturelle Gesellschaft wieder eine Chance. Begrüßt wird daher die neue deutsche Leitkultur, und „Thilo Sarazin“, dem Schöpfer des Basiswerkes „Deutschland schafft sich ab!“ skandiert: „Dank sei Thilo!“
Der Auszug aus der Kirche erfolgt nach einer Abendmal-ähnlichen Darreichung einer Dattel an interessierte Trauernde in gleicher Aufstellung wie der Einzug. Die Messdiener, der Pfarrer, der Sarg und hintenan die Trauernden, insgesamt gut 200 Personen.
Nachdem der Sarg in das Beerdigungsfahrzeug geladen ist, stoppt gar ein Bus in der Frankfurter Straße, damit der Trauerzug gefahrlos hinüber und entlang der Wilhelmstrasse in Richtung Schillerdenkmal zur letzten – bereits für die Erdbestattung vorbereitete – Ruhestätte am Theater marschieren kann.
Nach der Beisetzung mit Grabrede und persönlicher Abschiednahme folgten zahlreiche Trauergäste der Einladung zum „Leichenschmaus“ mit Kaffee und Käsebrötchen in das „Café hinter dem Friedhof“ (Theater-Kantine). Hier war auch Gelegenheit, den als Menschen mit Migrationshintergrund erkennbaren Hinterbliebenen zu kondolieren und/ oder entsprechende Beileidsbekundungen in ein ausliegendes Trauerbuch zu schreiben.
Noch bis einschließlich zum 3. September 2016 veranstaltet der Niederländer täglich ab 18.00 Uhr seine „Beerdigungs-Happenings“. „Segen und Eintritt“ sind frei.