Das Museum Wiesbaden zeigt vom 17. März bis 18. Juni 2017 in der Ausstellung „Richard Serra – Props, Films, Early Works“ frühe Werke des diesjährigen Alexej-von-Jawlensky-Preisträgers.
Als der amerikanische Künstler Richard Serra in den frühen 1960er Jahren mit industriellen Werkstoffen wie Gummi und Blei experimentierte und mit seinen tonnenschweren Installationen, den sogenannten Prop Pieces (gestützte Stücke), „die“ klassische Skulptur vom Sockel gestoßen hatte, sorgte er für viel Wirbel in der damaligen Kunstwelt. Erstmals hatte ein Künstler im avantgardistischen Zeitgeist von einst, kein Abbild der Wirklichkeit schaffen zu wollen, gewagt, industriell gefertigte Materialstücke skulptural auf dem realen Ausstellungsboden liegend zu inszenieren. Richard Serra wollte den Prozess zeigen, den Prozess variierender Herstellung, Bearbeitung, Aufstellung sowie den kommunikativen Prozess von Raumsituation, Installationsplatz und Blickwinkel des Betrachters. All diese mit der Materialität, Formgebung und Form einhergehenden prozessualen Faktoren zusammen sind die Skulptur.
Richard Serra wäre es fast lieber, so Museumsdirektor Dr. Alexander Klar, die Ausstellung würde nicht stattfinden, weil Serra in seiner euphorischen Jugend diese Dinge getan habe, und heute im reifen Alter wisse er, dass das mehr als nur ein Spiel mit Bleiplatten gewesen sei, dass es unter Umständen auch etwas Tödliches sein könne. Denn die Ausstellung sei nämlich gefährlich, so der Museumsdirektor bei der Pressevorbesichtigung: „Was Sie nachher sehen werden, sind lauter, ich sag’s mal, nur durch ihr Gewicht gesicherte Werke. Wir haben schon einige Mühen mit der Sicherheit gehabt. Es sind wahnsinnig schwere Dinge, die alle nicht zementiert sind, sondern, wenn man ordentlich an ihnen arbeitet, könnten die einen auf die Füße fallen. Das Gegeneinander von sehr, sehr schwer und scheinbar leicht, ist ein Reiz dieser Arbeit, aber gleichzeitig auch eine große Gefahr!“.
Doch das Museum Wiesbaden wagt es mit der Ausstellung Richard Serra – Props, Films, Early Works seine Besucher vom 17. März bis 18. Juni 2017 dieser „Gefahr“ von „tonnenschweren Bleiplatten“ und womöglich „platten Füße auszusetzen. Mehr noch: Richard Serra ist der diesjährige Alexej-von-Jawlensky-Preisträger. Der Alexej-von-Jawlensky-Preis wird zu Ehren des berühmtesten Künstlers der Stadt im fünfjährigen Turnus von der Landeshauptstadt Wiesbaden gemeinsam mit Spielbank und Nassauischer Sparkasse vergeben. Damit ist dem Museum Wiesbaden wieder ein großer Clou gelunden: Denn Richard Serra, geboren 1939 in San Francisco/USA, zählt zu den bedeutendsten zeitgenössischen Bildhauern und besetzt mit großer Konsequenz eine Position in der Kunst der letzten 50 Jahre, die heute bereits zu den Klassikern zählt. Er ist der sechste Preisträger nach Agnes Martin (1991), Robert Mangold (1996), Brice Marden (2004), Rebecca Horn (2007) und Ellsworth Kelly (2012). „Rein zufällig“ ergab sich auch der Ausstellungszeitrum. Denn so mancher international reisender Dokumenta-Besucher dürfte beim Namen „Richard Serra“ von Kassel einen Abstecher nach Wiesbaden einplanen und umgekehrt.
Die Ausstellung im Museum Wiesbaden konzentriert sich auf Serras frühe Arbeiten, die sogenannten „Props“ oder „Prop pieces“, sowie filmische Arbeiten aus den späten 1960er- und frühen 1970er-Jahren. Denn Richard Serras große Stahlarbeiten, die wir, so Kurator und stellvertretender Museumsleiter Dr. Jörg Daur, auch in Deutschland im öffentlichen Raum an vielen Orten haben, könnten schon ihrer Größe wegen gar nicht gezeigt werden. Ein Phänomen wäre, dass, wenn man in die Stahlschnecken, Stahlgewinde von Richard Serra hineinginge, tatsächlich ein Gefühl aufkomme, eine körperliche Erfahrung gemacht zu haben. Man fühle sich tatsächlich in gewisser Weise bedrängt, aber vielleicht auch aufgehoben in dieser Masse von Stahlmaterial, so Daur. Und das, was seine heutigen großen Stahlskulpturen suggerierten, dass man „bedrängt“ wird durch den Stahl, dass man sozusagen körperlich ja wirklich eintaucht in ein Raum der Installation, das ist auf der anderen Seite total ungefährlich, so der Kurator. Bei den großen Stahlarbeiten heute wäre „Gefahr“ überhaupt gar kein Thema, abgesehen davon , dass der Raum, der Boden, sie tragen müsse. Aber stünden die Stahlkolosse einmal, kann zwischen durchgangen werden, da passiere gar nichts.
Richard Serras frühe Arbeiten, wie sie jetzt in Wiesbaden gezeigt würden, seien anders, so Jörg Daur. Die frühen Arbeiten, diese Prop Pieces , bestehen aus Blei „und sie werden tatsächlich nur zusammengehalten von der Schwerkraft, von dem Gewicht des Bleis und ganz minimalen Berührungen der einzelnen Platten untereinander. Und da ist tatsächlich Gefahr drin. Das heißt: Da sieht es nicht nur gefährlich aus, sondern es ist gefährlich. Es ist tatsächlich so, dass Sie eben nicht zwischendurch gehen können“. Deswegen hat das Museum Wiesbaden die gefährlichsten Arbeiten vorsorglich durch entsprechende Absperrungen gesichert.
Bei beiden Werkgruppen steht die Handlung als künstlerische Aktion im Vordergrund. Das Stellen, Lehnen und letztlich auch Ausrichten der verwendeten Bleiplatten korrespondiert mit den einfachen Handlungen der filmischen Arbeiten. „Die Skulptur wird dabei eben nicht mehr auf dem Sockel präsentiert als ein Ding, sozusagen aus einer anderen Welt, die auch keine Geschichte und kein Bild mehr widergibt“, so Jörg Daur. Die Skulptur halte sich mit ihrem Material im gleichen Raum mit ihrem Betrachter auf. „Diese Skulptur ist noch gar nicht abgeschlossen, wenn ich aus dem Raum gehe, sondern es spielt auch noch eine Rolle, was der Betrachter damit anfängt, oder: es geht auch darum, die Skulptur immer wieder neu aufzubauen. Das ist nämlich auch spannend. Seine Skulpturen, die Prop Pieces, die kommen ja nicht fertig gestellt, sondern die kommen als einzelne Platten, werden hier zusammengesetzt“, so Jörg Daur.
Es sei interessant, dass gar kein Künstler beim Aufbauprozess der „Prop Pieces “ dabei sein müsse. Es reiche ein Aufbauassistent. Ernst Fuchs beherrsche den Aufbau der Skulpturen seit 40 Jahren. Jede Skulptur habe ihre Form. Aber die Form bildet zuletzt eben immer wieder neuen Raum, das heißt: die Skulptur existiert eigentlich nicht in der Kiste, sondern sie wird im Raum wieder neu aufgestellt, und wird in Beziehung zu dem Raum gestellt. Ernst Fuchs war mit seinem Team und Spezialgerätschaft in Wiesbaden. Ohne ihn wäre es gar nicht möglich gewesen, diese tonnenschweren Bleiplatten entsprechend der Wiesbadener räumlichen Möglichkeiten zu Skulpturen zusammenzustellen.
Ganz wesentlich sei natürlich der Ansatz, den Richard Serra Ende der 60er Jahre verfolgt habe. Serra habe, so Jörg Daur, zum ersten Mal seine Verb-List, eine Liste von Verben, von „Tun-Wörtern“, aufgeschrieben wie: rollen, sägen, schneiden, reißen, wickeln, hängen, und damit eigentlich klar macht, dass all diese Tätigkeiten eigentlich schon gedanklich den Raum der Skulptur beinhalten, dass jede dieser Tätigkeiten die Skulptur hervorbringen kann. Schon das Reißen eines Blattes schafft Skulptur, dass Zerreißen von Blei natürlich umso mehr, und das Wickeln von Blei, das Schneiden von Stein. Das war erst konzeptuell gedacht. Richard Serra sei jemand, so Jörg Daur, der vom Konzept herkommt. Und die Konzeptkunst Ende der 60er ist wesentlich. Aber: bei ihm steht nicht nur das Konzept, sondern auch die Ausführung des Konzeptes, so Jörg Daur. Hinter jeder Skulptur stehe quasi ein Konzept, ein Ansatz, sozusagen eine Möglichkeit, etwas zu zeigen, wie in einem Baukasten, aber letztlich ist auch die Ausführung entscheidend. Deswegen müssen die Skulpturen auch immer wieder neu gestellt aufgebaut werden. Dabei folgen Handlungen.
Handlungen werden ausgeführt. Aus diesen Handlungen entsteht Skulptur. Die Skulptur entsteht eben nicht, um ein Bild zu machen, sondern um eigentlich all diese Handlungen zu illustrieren, so Jörg Daur. „Es wird eine Handlung ausgestellt, es wird ein Tun ausgestellt, oder ein Ergebnis dieses Tuns. Das geht dann nachher soweit, dass in seinen Skulpturen ganz wesentlich ist die industrielle Produktion.“, so der Kurator. Die Arbeiten selbst seien ja nicht im Atelier entstanden. Die Stahlplatten habe er ja nicht selbst im Atelier gehämmert, sondern das seien alles Dinge, die industriell produziert, vorproduziert seien. So sei auch Serras Film Stahlwerk / Steelmill zu verstehen, der die Produktion seiner Skulptur Berlin Block (for Charlie Chaplin) dokumentiere, vor allem aber auch die Arbeiter und deren Arbeitsbedingungen in der Henrichshütte in Hattingen.
Die Ästhetik der Arbeiten speist sich aus den physikalischen Parametern des Materials, dessen Oberfläche, dessen Gewicht und Stabilität. Die Anordnung folgt dabei unterschiedlichen Möglichkeiten balancierter Aufstellung. Einerseits fragil und temporär erscheinend – Serra selbst nennt eine der zentralen Arbeiten „House of Cards“ (Kartenhaus) – verbleiben die Konstellationen doch allein durch das Gewicht der Platten fixiert und unveränderlich.
Eine Auswahl von zwölf „Prop Pieces“, zeitgleich entstandene Arbeiten aus Gummi und weiteren Materialien sowie die frühen Filme des Künstlers werden in der Ausstellung einander gegenübergestellt. Die Ausstellung – konzipiert in enger Zusammenarbeit mit dem Künstler – versammelt Werke u.a. aus dem Museum of Modern Art, New York, dem Whitney Museum of American Art, New York, der Tate, London, der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, dem Museum Abteiberg sowie der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen.
Das Museum Wiesbaden zeigt seit über 25 Jahren in einem besonderen Schwerpunkt amerikanische Kunst von den 1960er-Jahren bis in die Gegenwart, darunter die Werke von
Donald Judd, Eva Hesse, David Novros, Fred Sandback sowie der Jawlensky-Preisträger Agnes Martin, Robert Mangold, Brice Marden und Ellsworth Kelly. Mit den Arbeiten Richard Serras präsentiert das Museum Wiesbaden nun eine weitere herausragende Position der amerikanischen Gegenwartskunst.
Richard Serra Biografie
Geboren 1938 in San Francisco studierte er an der Universität von Kalifornien in Berkeley und Santa Barbara. Seit 1966 lebt er in New York. Erste Einzelausstellungen zeigten sein Werk bereits 1966 in der Galleria La Salita in Rom und 1969 im Leo Castelli Warehouse, New York. 1970 wurden seine Arbeiten im Pasadena Art Museum präsentiert. Richard Serra war Künstler der Documenta in Kassel (1972, 1977, 1982 und 1987) sowie der Biennale von Venedig (1984, 2001, 2013). Bereits zweimal (1986 und 2007) wurde er mit Einzelausstellungen im Museum of Modern Art, New York, geehrt. In Europa wurde sein Werk unter anderem im Stedelijk Museum, Amsterdam (1977), im Centre Pompidou, Paris (1984) und in der Fondation Beyeler, Riehen (2011) gezeigt. Seit 2005 prägen acht monumentale Arbeiten (The Matter of Time) das Guggenheim Museum in Bilbao. In Deutschland finden sich zahlreiche Arbeiten im öffentlichen Raum, in der Situation Kunst, Bochum, ist Richard Serra mit einem permanenten Werkkomplex vertreten.
Führungen und Veranstaltungen zur Ausstellung
Führung
Sa 18 März 15:00 Uhr
So 26 März 15:00 Uhr
Di 28 März 18:00 Uhr
So 2 April 15:00 Uhr
Di 4 April 18:00 Uhr
Sa 8 April 15:00 Uhr
Di 11 April 18:00 Uhr
Sa 15 April 15:00 Uhr
Mo 17 April 15:00 Uhr
Di 18 April 18:00 Uhr
Sa 22 April 15:00 Uhr
Di 25 April 18:00 Uhr
So 30 April 15:00 Uhr
Sa 6 Mai 15:00 Uhr
Sa 13 Mai 15:00 Uhr
Sa 20 Mai 15:00 Uhr
Sa 27 Mai 15:00 Uhr
Sa 3 Juni 15:00 Uhr
Sa 10 Juni 15:00 Uhr
Sa 17 Juni 15:00 Uhr
Vortrag
Do 4 Mai 19:00 Uhr
„Handfilme und Denkräume – Zum filmischen Werk von Richard Serra
Mit Maria Anna Tappeiner, Frankfurt am Main
Kunstpause
Mi 7 Juni 12:15 Uhr
Richard Serra
Kunst & Kuchen
Do 13 April 15:00 Uhr
Art after Work
Di 18 April 19:00 Uhr
„Federleicht“ – Richard Serra
60+
Di 25 April 15:00 Uhr
Angebote für Kinder und Familien
So 23 April 11:00 – 14:00 Uhr
Offenes Atelier für Kinder und Familien in der Ausstellung Richard Serra – Props, Films, Early Works
Sa 13 Mai 11:00 – 13:30 Uhr
Museumswerkstatt für Kinder: „Wie ein Kartenhaus“, Betrachtungen und Übungen in der Ausstellung Richard Serra – Props, Films, Early Works
Sa 3 Juni 11:00 – 14:00 Uhr
Offenes Atelier Spezial am eintrittsfreien Samstag zur Ausstellung Richard Serra – Props, Films, Early Works
Sa 10 Jun 11:00 – 13:30 Uhr
Museumswerkstatt für Kinder: „Wie ein Kartenhaus“, Betrachtungen und Übungen in der Ausstellung Richard Serra – Props, Films, Early Works
Museum Wiesbaden Hessisches Landesmuseum für Kunst und Natur Friedrich-Ebert-Allee 2, 65185 Wiesbaden Fon 0611 ⁄335 2250, Fax 0611 ⁄335 2192 www.museum-wiesbaden.de museum@museum-wiesbaden.de
Öffnungszeiten
Mo geschlossen Di, Do 10:00—20:00 Uhr Mi, Fr—So 10:00—17:00 Uhr An Feiertagen 10:00—17:00 Uhr geöffnet. Auch Ostermontag und Pfingstmontag geöffnet.
Eintritt Sonderausstellung* 10,— Euro (7,— Euro) * Eintritt in die Sonderausstellungen beinhaltet den Besuch der Sammlungen. Familienangebot: Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre in Begleitung ihrer Eltern freier Eintritt. Weitere Ermäßigungen und Tarife für Gruppen unter www.museum-wiesbaden.de ⁄preise
Verkehrsanbindung PKW und Reisebusse: A 66, Abfahrt Wiesbaden-Erbenheim, Richtung Stadtmitte, Parkhaus Rheinstraße Bahn: Zum Hbf Wiesbaden mit DB und S1, S8 und S9 aus Richtung Frankfurt und Mainz. Vom Hbf 10 min Fußweg zum Museum Linienbusse: Rheinstraße und Wilhelmstraße Service Schwellenfreier Zugang: Aufgrund von Baumaßnahmen verlegt. Bitte folgen Sie der Beschilderung am Haupteingang. Museumsshop: Fon 0611 ⁄ 335 2251