Selbst Carl Zuckmayer wäre wohl entzückt gewesen über den bewegten Abend der Auszeichnung des Schauspielers und Autors Joachim Meyerhoff durch Ministerpräsidentin Malu Dreyer am 18. Januar 2017 im Mainzer Staatstheater mit der Carl-Zuckmayer-Medaille, bestehend aus Bronze-Medaille, Urkunde und 30 Liter Wein aus Nackenheim, dem Geburtsort Zuckmayers.
Malu Dreyer würdigte den diesjährigen Preisträger als „einen der begabtesten Schauspieler unserer Zeit“, der ein wunderbarer Erzähler sei und mit seinen autobiographischen Romanen sein Publikum begeistere. Meyerhoff sei ein Fantasiebündel, ein Querdenker und habe einen Überschuss von Energie, was sehr intensiv, manchmal anstrengend, aber immer toll sei, so die Ministerpräsidentin, die aber auch einen Schlenker in Meyerhoffs Vergangenheit machte, als sie auf eines von Meyerhoffs Hauptschreibmotive, nämlich seinen Verlust von geliebten Menschen, abhob: „Dass das Leben von einen Tag auf den anderen anders aussehen kann, erfährt Joachim Meyerhoff als 17jähriger. Er hält sich bei seiner Gastfamilie in Wyoming auf, als ihn die Nachricht erreicht, dass sein mittlerer Bruder bei einem Verkehrsunfall tödlich verunglückt ist. Später stirbt der geliebte Vater an Krebs, und in kurzer Folge sterben dann auch seine innig geliebten Großeltern, der Philosophie-Professor Herrmann Krings und seine Frau Inge“. Sie war Schauspielerin. Diese und weitere Verlusterlebnisse waren mit ein Antrieb für Joachim Meyerhoff, seine Stücke „Alle Toten fliegen hoch“ in einer inzwischen bald vierbändigen Reihe niederzuschreiben. Alle bisher im Kiepenheuer und Witsch Verlag erschienenen Werke „Alle Toten fliegen hoch“, 2011, „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“, Teil 2, 2013 und „Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke“, Teil 3 2015, sind Bestseller.
Wie Zuckmayer habe auch Meyerhoff eine Art des Erzählens gefunden, die uns mit viel Witz und Ironie zum Lachen und zum Nachdenken zugleich bringe und die von Menschenliebe getragen sei, ohne sentimental zu werden, begründete die Ministerpräsidentin ihre Entscheidung für den Preisträger, die sie aufgrund von Vorschlägen einer hochkarätigen Fachkommission getroffen hat. Mit der Carl Zuckmayer Medaille werden Verdienste um die deutsche Sprache geehrt. Sie ist die höchste kulturelle Auszeichnung der Ministerpräsidentin und wird in Erinnerung an den großen rheinhessischen Schriftsteller und Dramatiker Carl Zuckmayer verliehen.
Beim Lesen habe man manchmal das Gefühl, „jetzt müsstest du eigentlich wegschauen, um der Scham zu entkommen, um den anderen nicht zu nahe zu treten, das hätte schiefgehen können“, so die Ministerpräsidentin. Doch Joachim Meyerhoff sei es gelungen, und darin zeige sich seine literarische Meisterschaft, „die Figuren vor der Lächerlichkeit zu bewahren, weil am Ende die Menschen, die er beschreibt, nicht nur von ihrer Eigenart, sondern auch von ihrer Liebenswürdigkeit ganz deutlich werden“, so die Ministerpräsidentin. Joachim Meyerhoff gehe es in seinen Darbietungen und Werken um die Wertschätzung jedes und jeder Einzelnen in ihrer Individualität. „Keine Schubladen nach Herkunft, nach Rolle, nach Geschlecht, nach Status, die jemandem einen Platz in der gesellschaftlichen Ordnung zuweisen. Das beeindruckt mich zutiefst“, sagte die Ministerpräsidentin. „Meyerhoffs Spiel und seine Romane sind für mich das Plädoyer, die Freiheitsräume für Verwandlungen zu bewahren. Damit jeder und jede eine Chance hat, sich zu entfalten.“ Seine mit so viel Herz und Witz erzählten Geschichten machten Lust auf mehr, „eigentlich machen sie geradezu süchtig. Wir erwarten also sehnsüchtig auf die Fortsetzung auf der Bühne und im Buch“, schloss die Ministerpräsidentin.
Szene aus „Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke“
Aus „Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke“ spielten Mitglieder des Schauspielensembles des Staatstheater Mainz brillant kroteske Szenen eines ersten Tages in der Münchener Falckenberg-Schauspielschule mit der Aufgabe, eine beliebige Textstelle aus Fontanes „Effi Briest“ in Rollen von Eule, Affe, Elefant und Nilpferd zum Besten zu geben. Der Saal brüllte vor Lachen.
„Betrachtungen eines Freundes“ von Dr. Johannes Janssen
Gleichsam emotional berührt war das Publikum nachfolgend von Dr. Johannes Janssens Laudatio auf seinen engen Freund seit Kindertagen Joki, die, wie schon der Titel „Die Betrachtungen eines Freundes“ signalisierte, als sehr persönliche Retrospektive über eine übliche Lobrede weit hinausreichte. Den Verlust von geliebten Menschen ist eine Erfahrung, die Meyerhoff schon sehr früh und immer wieder machen musste. Durch diese Zeit begleitet hatte ihn Janssen, mittlerweile Kunsthistoriker und Leiter des Bad Homburger Museums Sinclair-Haus. Dieser hatte schon früh erkannt, welche Talente in dem großgewachsenen und immer irgendwie unruhigen Joachim Meyerhoff schlummern. Janssen ist sicher, dass die Lebenslücken einen großen Anteil an seiner künstlerichen Entwicklung haben, sagt er in seiner Laudatio: „Damals hat mich schon beeindruckt, dass diese Lücke nicht nur entsetzlich war und ein Ohnmachtszustand, sondern, dass du sehr früh begriffen hast, dass du konstruktiv, kreativ und vital auf diese Lücke reagieren kannst“, und dass diese Lücke auch neue Freiräume eröffnet hätte, fügte er hinzu. Er habe begriffen, „dass alles was du tust, damit zu tun hat, dass Du dich weigerst, dass Erinnerung klein wird, dass Du dich weigerst, dass das im Leben irgendwo verschwindet, dass die ganze Arbeit darauf hingerichtet ist, dass die Sachen groß bleiben, dass man sie behauptet, dass man souverän mit ihnen umgeht“, sagte Janssen, der vor allem über Meyerhoffs großes Talent, insbesondere zu konzentriertem Arbeiten und temporärem Expertentum, und über seinen unbändigen Drang nach Freiheit, um sich immer wieder neue Räume zu erobern, bewundernd erstaunt war. Da Meyerhoff eine erste kleine Rolle in Kassel als „Razman“ in Schillers Räuber zu „limitiert“ erschien, habe er diese durch eine lebende Ratte auf der Schulter dramaturgisch zum „Ratsman“ aufwertend zu erweitern versucht. Das sei beim Regisseur gar nicht gut angekommen. Schließlich habe sich der in der gemeinsamen WG in einer Duschwanne untergebrachte Nager nach und nach durch zwei als Behausung gedachte Hemingway-Schuber gefressen.
Janssen gelangt es immer wieder mit tiefgründigem Witz seine „Liebeserklärung“ an seinen Freund zu pointieren, dessen Wahrhaftigkeit er abschließend ganz besonders hervorhob.
„Der Fish, der vile Freinde hatte“ statt einer Dankesrede
Der so humoristisch, bisweilen seelisch entblößte, geehrte Joachim Meyerhoff rächte sich daraufhin für die Freundes-Worte und für die Preisverleihung als Dank mit der Lesung seines literarischen Erstlings: „Der Fish, der vile Freinde hatte“.
Projiziert auf Bühnen-Großleinwand, konnten die über 800 geladenen Gäste im aufgeschlagenen linierten Schulheft des achtjährigen Joachim Meyerhoff visuell der mit voller selbstironischer Hingabe vorgetragenen frühdichterischen Lesung folgen. Auf 10 Seiten hatte Meyerhoff einst in krakeligem Deutsch nach Gehör seine Geschichte von Tom verfasst, einem Jungen seines Alters, der sich einen „Goldvish“ wünschte, und als stolzer Besitzer eines Akwariums unfreiwillig zum „Goldfish“-Züchter avancierte. Das Publikum bog sich vor Lachen.
Hätte man seinen Lehrern damals erzählt, so Meyerhoff, dass er eines Tages für die Verdienste um die deutsche Sprache ausgezeichnet würde, hätte dies wohl niemand glauben wollen. Wo die Lust hergekommen sei, überhaupt irgendwann etwas zu schreiben, könne tatsächlich auch mit diesen Verlusten zu tun haben, wenn man Menschen verliere, die man so liebt – und irgendwann Antworten suche und brauche, vermutet der Preisträger.
(Diether v. Goddenthow – Rhein-Main.Erokunst)
Übrigens: Das filmische Porträt des Preisträgers von Kulturredakteur Alexander Wasner und weitere Begegnungen rund um die Carl-Zuckmeyer-Medaille sind am Samstag, 21. Januar 2017, 18.45 h, in der SWR-Sendung „landart“ zu sehen.