Gedenkfeier zum 35. Jahrestag des Mauerfalls im Hessischen Landtag – Mauer war mehr als eine „physische Trennung“

Gedenkfeier zum 35. Jahrestag des Berliner Mauerfalls am 5.November 2024 im Hessischen Landtag Wiesbaden, Foto © Stefan Krutsch

Kaum ein anderes Ereignis in der deutschen Nachkriegsgeschichte symbolisiert die menschliche Sehnsucht nach Freiheit und Befreiung von staatlicher  Bevormundung mehr als der Fall der Mauer in Berlin vor 35 Jahren am 9. November 1989. Die größte Gedenk-Veranstaltung ist am 8. u. 9. November in Berlin mit Konzerten sowie mit tausenden mahnenden Plakaten, Schildern und Transparenten gegen Diktatur entlang des ehemaligen Mauerverlaufs geplant. In Hessen hatte die Landtagspräsidentin Astrid Wallmann am 5. November 2024  zu einer  Gedenkfeier anlässlich des 35. Jahrestags des Mauerfalls in den Musiksaal des Hessischen Landtags eingeladen. Im Zentrum der Veranstaltung stand das Podiumsgespräch mit den Zeitzeugen Prof. Dr. Horst Teltschik und Prof. Dr. Richard Schröder, die auf ihre Erlebnisse und die Ereignisse zur Zeit des Mauerfalls aus ganz unterschiedlichen Perspektiven zurückblickten. Moderator war Dr. Ewald Hetrodt.

Landtagspräsidentin Astrid Wallmann betonte zur Begrüßung der Gäste, dass die Erinnerung an die historischen Ereignisse der Jahre 1989 und 1990 „uns den hohen Wert von Einheit, Freiheit und Demokratie ein jedes Mal aufs Neue erkennen und wertschätzen“. Auch vergegenwärtigte dieses Ereignis „uns den großen Mut der Frauen und Männer, die damals in der DDR auf die Straße gegangen sind, um gegen Unterdrückung und für Freiheitsrechte zu demonstrieren.“

„Erinnerung lässt uns den hohen Wert von Einheit, Freiheit und Demokratie wertschätzen“ Astrid Wallmann, Landtagspräsidentin.© Stefan Krutsch

Horst Teltschik gehörte 18 Jahre lang zum engsten Mitarbeiterkreis des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl und galt als sein wichtigster Berater in außen- und sicherheitspolitischen Fragen. Seit dem Regierungswechsel 1982 leitete er die Abteilung „Auswärtige und innerdeutsche Beziehungen, Entwicklungspolitik und Äußere Sicherheit“ im Bundeskanzleramt.

Auf die Entwicklungen 1989/90 hatte er als Impulsgeber und Gestalter des Zehn-Punkte-Programms, das als wichtiger Katalysator für den Wiedervereinigungsprozess gilt, maßgeblichen Einfluss. Zudem war er zentral an den deutsch-deutschen Verhandlungen der Wendezeit beteiligt. Gemeinsam mit dem Bundeskanzler besuchte er 1990 den damaligen sowjetischen Staatspräsidenten Michail Gorbatschow in Moskau, in Folge dessen der Weg für die Wiedervereinigung frei war.

Richard Schröder war seinerseits Mitglied der Bürgerrechtsbewegung in der DDR und gehört laut einem FAZ-Artikel aus dem Jahr 2023 zu „den Köpfen [unseres] Landes, die große Wirkung entfalteten, ohne je ein hohes politisches Amt“ innegehabt zu haben. Da ihm aufgrund seines kirchlichen Elternhauses der Zugang zur staatlichen höheren Bildung verwehrt wurde, studierte er an kirchlichen Ausbildungsstätten Philosophie und Theologie und war anschließend als Pfarrer und Hochschullehrer tätig.

Im Zuge der friedlichen Revolution 1989 engagierte er sich bei der Ökumenischen Versammlung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung in der DDR und war Mitautor des Grundsatzdokuments „Mehr Gerechtigkeit in der DDR“. Im Dezember 1989 trat er in die Sozialdemokratische Partei in der DDR ein und arbeitete an deren Grundsatzprogramm mit. Er war Abgeordneter und Fraktionsvorsitzender der SPD in der letzten und einzig frei gewählten Volkskammer der DDR sowie Abgeordneter im Deutschen Bundestag zur Zeit der Wiedervereinigung.

Abschließend resümierte die Landtagspräsidentin, dass sich „35 Jahre nach dem Mauerfall“ festhalten ließe, „dass die Deutsche Einheit zwar vollendet, aber nicht vollkommen ist. Die Beschäftigung mit den Dingen, die sich noch nicht so entwickelt haben, wie erhofft, oder damit, was die alten und die neuen Bundesländer auch heute noch unterscheidet und trennt, verstellt jedoch bisweilen den Blick darauf, warum wir damals in Ost und West zur Überwindung der Teilung aufgebrochen waren, und was wir dabei bereits gewonnen haben. Hierin liegt eine große Chance von Gedenktagen: sich zu erinnern, was war, und zugleich auszuloten, welche Bedeutung dies für unsere Gegenwart und Zukunft hat.“

Die Berliner Mauer war mehr als nur physische Trennung

Nie wieder kriechen – aufrechtgehen. Eine Original-Demobanner, gezeigt auf der Ausstellung „Einheit leben“. © Foto: Diether von Goddenthow

Nach 35 Jahren ist oftmals in Vergessenheit geraten, dass die Berliner Mauer für die Menschen damals mehr bedeutete als „nur“ eine physische Trennung. Die Berliner Mauer brachte großes menschliches Leid und eine massive Einschränkung der Freiheit und der Grundrechte mit sich. Die Mauer, die ab 1961 Ost- und Westberlin und damit die DDR von der BRD abriegelte, zwang Millionen von Menschen zu einem Leben in Trennung, unter strikter Überwachung und in Angst vor Repression. Folgend sind einige der zentralen Leiden und Herausforderungen, die die Menschen durch die Berliner Mauer ertragen mussten:

1. Trennung von Familie und Freunden
Die Mauer schnitt viele Familien, Freunde und Liebespaare abrupt auseinander. Ost- und Westberlin wurden über Nacht voneinander isoliert, und Menschen, die im falschen Stadtteil lebten, konnten sich plötzlich nicht mehr sehen. Für viele bedeutete dies jahrelanges, manchmal lebenslanges Getrenntsein.
Besuche waren für Ostdeutsche nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich und stark eingeschränkt. Briefe und Pakete wurden oft kontrolliert, und der Kontakt war schwer aufrechtzuerhalten.

2. Einschränkung der Bewegungsfreiheit
Die DDR-Regierung schränkte die Reisefreiheit ihrer Bürger massiv ein. Es war nahezu unmöglich, ohne besondere Genehmigung in den Westen zu reisen. Die Mauer symbolisierte diese Einschränkung auf brutalste Weise: mit Stacheldraht, Schießbefehl und militärischen Sperranlagen.
Wer versuchte, die Grenze zu überqueren, riskierte sein Leben. An der Berliner Mauer starben mindestens 140 Menschen durch Grenzschüsse oder andere Gewaltmaßnahmen der Grenzsoldaten.

3. Überwachung und Repression
Die Mauer war das sichtbare Zeichen eines Überwachungsstaates. Die Stasi (Ministerium für Staatssicherheit) überwachte die Bevölkerung streng, um Fluchtversuche oder regimekritische Aktivitäten zu verhindern.
Menschen wurden bespitzelt, verhaftet und verhört, wenn sie nur verdächtigt wurden, ausreisen zu wollen oder westliche Kontakte zu haben. Viele Menschen verloren aufgrund von Ausreiseversuchen oder abweichenden Meinungen ihre Arbeit und litten unter sozialer Ausgrenzung.

4. Psychologische Belastungen
Die Mauer prägte das tägliche Leben und erzeugte ein Gefühl der Ohnmacht und Isolation. Viele Menschen litten unter der psychischen Last, keine Freiheit zu haben und in einem eingeschränkten System leben zu müssen.
Die permanente Angst vor Repression und die Ungewissheit, ob man von Nachbarn oder Bekannten denunziert wurde, führten oft zu psychischem Stress und Misstrauen in der Gesellschaft.

5. Fluchtversuche und deren Konsequenzen

Das berühmte Foto aus der Wanderausstellung zu 30 Jahren Mauerfall der Hessischen Staatskanzlei 2020. © Foto: Diether von Goddenthow

Einige Menschen wagten gefährliche Fluchtversuche, indem sie sich über die Mauer gruben, durch Tunnel kletterten oder die Grenze auf selbstgebauten Ballons und Schwimmgeräten überquerten. Diese Versuche waren lebensgefährlich und wurden oft mit dem Tod oder schweren Verletzungen bezahlt.
Wenn Fluchtversuche scheiterten, hatten die Betroffenen und oft auch ihre Familienangehörigen mit harten Strafen, wie langen Gefängnisstrafen, zu rechnen.

6. Einschränkungen im täglichen Leben und kulturelle Isolation.
Die Mauer isolierte die Menschen in Ostdeutschland nicht nur physisch, sondern auch kulturell und wirtschaftlich. Zugang zu westlicher Musik, Literatur und Lebensstil war stark eingeschränkt und wurde oft als „feindliche Propaganda“ betrachtet.
Westdeutsche Medien waren in Ostdeutschland zwar teilweise empfangbar, wurden aber von der Regierung als „feindliche Hetze“ bekämpft. Diese Trennung führte zu einer kulturellen und gesellschaftlichen Entfremdung zwischen Ost und West.

7. Wirtschaftliche Schwierigkeiten und Mangelwirtschaft
Die DDR litt unter wirtschaftlicher Isolation und Ressourcenknappheit, was zu Mangelwirtschaft führte. Viele Produkte des täglichen Bedarfs waren schwer erhältlich oder von schlechter Qualität. Die Westdeutschen hingegen erlebten den „Wirtschaftswunder“-Aufschwung, was das Gefühl der Isolation und Ungerechtigkeit in der DDR verstärkte.
Während die Menschen in Westdeutschland in den 1970er und 1980er Jahren steigenden Wohlstand genossen, war die DDR-Wirtschaft zunehmend überlastet, und die Menschen litten unter Versorgungsengpässen und fehlenden Perspektiven.

Zusammenfassend kann man sagen, dass die Berliner Mauer eine Zeit des Leids und der Entfremdung für viele Deutsche brachte und somit zum Symbol von staatlicher Unterdrückung und Abgrenzung geworden ist. Die Mauer, einst in Verdrehung der Verhältnisse zum „antifaschistischen Schutzwall“ erklärt,  war ein Instrument, um eine ideologische Grenze mit Waffengewalt und Kontrolle zu verteidigen. Das prägte das Leben der Menschen in Berlin und in ganz Deutschland für fast 35 Jahre. Erst mit dem Fall der Mauer am 9. November 1989 endete dieses Kapitel, das bis heute nachwirkt. Die Wunden der Teilung sind in vielerlei Hinsicht immer noch spürbar, sowohl in der Gesellschaft als auch bei Einzelpersonen, die diese Zeit miterlebt haben. Nicht oft genug kann man hieran erinnern, um immer wieder auf die Gefahr von  Unterdrückung und Gängelung hinzuweisen, die von allen ideologischen Systemen ausgehen.

(Diether von Goddenthow/ RheinMainKultur.de)

siehe auch: LeMO-Online-Museum