
Der deutsch-amerikanische Künstler Hans Haacke (*1936) gilt als eine der einflussreichsten Figuren der Gegenwartskunst. Die Schirn Kunsthalle Frankfurt beleuchtet vom 8. November 2024 bis zum 9. Februar 2025. Der eine oder andere erinnert sich vielleicht noch daran, dass Haacke der Künstler ist, der das Gras wachsen und das Austreiben von Stangenbohnen als „gerichtetes Wachstum“ in den 1960er Jahren bereits als Kunst proklamierte. Das, wie alle seine Kunstwerke natürlich mit politischer Aussage. Wie wohl kaum ein anderer seiner Generation hat Haacke die politische Kunst geprägt. Sein von Direktheit und theoretischer Klarheit gekennzeichnetes Werk ist zugleich poetisch, metaphorisch, ökologisch und in vielfacher Hinsicht äußerst zeitgenössisch. Mehrfach wurden seine brisanten künstlerischen Beiträge zu aktuellen Debatten von Ausstellungen ausgeschlossen. Künstlerisch verfolgte er verschiedene Strategien, arbeitete schon früh in den Bereichen Ökologie und Naturwissenschaften, griff u. a. Ansätze der Gruppe ZERO und der Minimal Art, der Konzeptkunst, der Kunst im öffentlichen Raum sowie der Plakatkunst auf. Als wesentlicher Wegbereiter der institutionskritischen Konzeptkunst untersuchte er in seinen Arbeiten Ordnungen oder Systeme und stellte diese vergleichend vor. Der Künstler selbst beschreibt die Welt als ein Supersystem mit zahllosen Untersystemen, von denen jedes mehr oder weniger durch die anderen beeinflusst wird. Systemisches Denken, Institutionskritik und Demokratie sind die großen Themen, die sich durch Haackes Werk ziehen. Die Schirn präsentiert ikonische Frühwerke der 1960er-Jahre, bedeutende Realzeit-Systeme, Arbeiten, die die Mitwirkung des Publikums einfordern, sowie raumgreifende (geschichts-) politische Installationen.
Mit rund 70 Gemälden, Fotografien, Objekten, Installationen, Aktionen, Plakaten und einem Film verdeutlicht die Ausstellung, wie Haacke zu einem der international bedeutendsten und für die jüngere Künstlergeneration prägenden politischen Künstler wurde.
Überblick der Werke in der Ausstellung

RETROSPEKTIVE, vom 8. NOVEMBER 2024 – 9. FEBRUAR 2025 in der Schirn Kunsthalle Frankfurt © Foto: Diether von Goddenthow
In der Rotunde der Schirn wird Hans Haackes ikonisches Werk „Gift Horse“ (2014) präsentiert – eine beeindruckende Bronzeskulptur, die im Rahmen der renommierten „Fourth Plinth Commission“ für den Trafalgar Square in London entstand. Das Werk, eine kritische Auseinandersetzung mit imperialer Machtinszenierung, zeigt ein 4,5 Meter hohes Pferdeskelett, inspiriert von George Stubbs’ anatomischer Studie The Anatomy of the Horse. Eine elektronische Anzeige am Oberschenkel des Skeletts überträgt live den Ticker der Frankfurter Börse. Haackes „geschenkter Gaul“ kann als ein scharfer Kommentar auf Klassengegensätze und die Dominanz der Märkte gelesen werden.
Die Ausstellung beginnt mit frühen Arbeiten aus den 1960er-Jahren, die physikalische, biologische und ökologische Themen erforschen. Haackes Schaffen dieser Zeit wurde durch die Freundschaft mit Otto Piene und den Kontakt zur Düsseldorfer ZERO-Gruppe geprägt. Obwohl sein Werk Berührungspunkte mit Kinetik, Op-Art, Konzeptkunst und Land Art hatte, fühlte er sich keiner dieser Bewegungen eindeutig zugehörig. Sein Interesse galt vielmehr den Zusammenhängen zwischen physikalischen, biologischen und gesellschaftlichen Systemen.
Zu den frühesten Werken der Ausstellung zählt das Gemälde „Ce n’est pas la voie lactée“ (Das ist nicht die Milchstraße, 1960) sowie Reliefs mit Spiegelfolie, die ab 1961 entstanden und die Interaktion mit Betrachterinnen in den Fokus rückten. Eine weitere frühe Arbeit, „Fotonotizen, documenta 2“ (1959), dokumentiert das Verhalten von Ausstellungsbesucherinnen.
Physikalische Prozesse zeigt Haacke in Werken wie „Säule mit zwei unvermischbaren Flüssigkeiten“ (1965) oder „Große Wasserwaage“ (1964–1965). Besonders faszinierend ist seine Beschäftigung mit den Aggregatzuständen von Wasser, etwa im „signature work“ „Large Condensation Cube“ (1963–1967). Dieser Plexiglas-Kubus, in dem Wasser verdunstet und kondensiert, verbindet meteorologische Phänomene mit politischen „Klimata“.
Ein zentrales Merkmal von Haackes Arbeitsweise ist die Verknüpfung von Systemen und der Übergang vom Objekt zum Prozess. Seine Installationen veranschaulichen physikalische und natürliche Zyklen, wie den Wasserkreislauf („Circulation“, 1969), Luftbewegungen („Blaues Segel“, 1964–1965) oder Wachstumsprozesse („Grass Grows / Gras wächst“, 1969).
Ab 1967 verlagerte Haacke seine Experimente auch in den Außenraum. Werke wie „Sky Line“ (1967) und Prozesse mit Wasserdampf oder schmelzendem Schnee dokumentierte er fotografisch und erweitere damit den Dialog zwischen Natur und Kunst.
Hans Haacke widmete sich immer wieder systemischen und ökologischen Fragestellungen. Eines der ersten ökologischen Kunstwerke überhaupt ist seine Fotografie „Monument to Beach Pollution“ (1970). Mit Arbeiten wie dem „Krefelder Abwasser-Triptychon“ (1972) und der „Rheinwasseraufbereitungsanlage“ (1972) prangerte er eindringlich die Verschmutzung des Rheins an.
Ein weiteres charakteristisches Element in Haackes Werk sind seine „Realzeit-Systeme“. In der Aktion „Chickens Hatching“ (Küken ausschlüpfend, 1969) ließ er Küken direkt im Ausstellungsraum schlüpfen, wodurch Geburts- und Wachstumsprozesse in einer minimalistischen Struktur sichtbar wurden. Ebenso dokumentiert die Arbeit „Ant Co-op“ (Ameisenkooperativ, 1969) die Regelmäßigkeit der von Ameisen gegrabenen Gänge und thematisiert damit biologische und soziale Systeme. Der Künstler- und Dokumentarfilm „Hans Haacke. Selbstporträt eines deutschen Künstlers in New York“ (1969) bietet spannende Einblicke in Haackes Arbeitsweise und zeigt viele seiner frühen, prozessorientierten Arbeiten in Aktion.
Ein zentraler Schwerpunkt der Ausstellung liegt auf Haackes soziologisch-politischen Werken, die zu seinen bekanntesten Arbeiten zählen. Ab 1969 begann er, gesellschaftliche Systeme zu analysieren und sichtbar zu machen, um politische und soziale Debatten innerhalb des Kunstkontexts anzustoßen. Diese Form der Konzeptkunst hinterfragt die ökonomischen, institutionellen und gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen Kunst entsteht, präsentiert, gehandelt und wahrgenommen wird.
Zu einem großen Skandal führte 1971 seine Arbeit „Shapolsky et al. Manhattan-Immobilienbesitz – Ein gesellschaftliches Realzeitsystem, Stand 1.5.1971“. Mithilfe von Fotografien, tabellarischen Übersichten und Karten legte Haacke die fragwürdigen Praktiken der Shapolsky-Immobiliengruppe offen, die 142 Grundstücke in der Lower East Side und Harlem besaß. Diese Enthüllung führte dazu, dass Thomas Messer, der Direktor des Guggenheim Museums, Haackes geplante Einzelausstellung kurz vor der Eröffnung absagte.
Ein weiteres umstrittenes Werk war das „Manet-PROJEKT ’74“ (1974), das Haacke für die Jubiläumsausstellung des Wallraf-Richartz-Museums in Köln einreichte. Hier schlug er vor, Manets Gemälde „Spargel-Stilleben“ (1880) zusammen mit einer Provenienzrecherche zu zeigen, die die Vorbesitzer des Werks sowie deren Verstrickungen in den Nationalsozialismus offenlegte. Auch diese Arbeit wurde von der Institution abgelehnt.
Die Schirn zeigt zudem zwei weitere Werke, die kritisch die Beziehungen zwischen Kunstmäzenatentum und ökonomischen Aktivitäten beleuchten: „Der Pralinenmeister“ (1981), eine Untersuchung der steuer- und kulturpolitischen Verstrickungen des Kölner Sammlers Peter Ludwig, sowie „Buhrlesque“ (1985), das sich mit dem Schweizer Kunstsammler und Waffenproduzenten Dr. Dietrich Bührle auseinandersetzt.
Partizipative Arbeiten und gesellschaftspolitisches Engagement
Die Ausstellung umfasst auch partizipative Werke, die Hans Haackes Interesse an demokratischen Prozessen und Meinungsbildung verdeutlichen. Ein Beispiel ist die Installation „MoMA Poll“ (1970), bei der Haacke Besucherinnen des New Yorker Museum of Modern Art zu ihrer politischen Überzeugung befragte. Eine ähnliche Publikumsbefragung wird während der Ausstellung in der Schirn durchgeführt. In der Arbeit „Photoelektrisches, vom Betrachter kontrolliertes Koordinatensystem“ (1968) aktivieren die Bewegungen der Besucherinnen im Raum über Sensoren und Projektoren 28 Glühbirnen.
Haacke setzt sich in vielen Werken für eine antifaschistische, pluralistische Haltung ein und beschäftigt sich auch mit medialer Repräsentation. So überträgt „News“ (1969) den Live-Ticker einer Nachrichtenagentur in den Ausstellungsraum. In der Schirn werden dabei aktuelle Nachrichten von lokalen Medien wie der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Frankfurter Rundschau und Hessenschau.de eingebunden. „Photo Opportunity (After the Storm / Walker Evans)“ (1992) untersucht die Unterschiede in der Bildberichterstattung.
Ein weiterer Höhepunkt ist Haackes machtkritische Arbeit für die documenta 7: Die Installation „Ölgemälde, Hommage à Marcel Broodthaers“ (1982) zeigt ein von Haacke selbst gemaltes Porträt des damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan gegenüber einer Fotografie einer Großdemonstration gegen seine Politik und die Stationierung von Atomwaffen.
Geschichtspolitik und nachhaltige Installationen
Haackes langjährige Auseinandersetzung mit Geschichtspolitiken und dem Nachwirken des Nationalsozialismus nimmt in der Ausstellung ebenfalls eine zentrale Rolle ein. 1993 bespielte er den deutschen Pavillon auf der Biennale in Venedig. Sein Beitrag „GERMANIA“, für den er zusammen mit Nam June Paik mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet wurde, verwandelte den 1939 von den Nationalsozialisten umgestalteten Raum in ein Trümmerfeld aus zersplitterten Marmorplatten.
Eine weitere Schlüsselarbeit ist die dauerhafte Installation „DER BEVÖLKERUNG“ (2000) im Reichstagsgebäude in Berlin. Diese viel diskutierte Arbeit stellt der Inschrift „DEM DEUTSCHEN VOLKE“ im Giebel des Gebäudes ein leuchtendes Bodenrelief mit dem Schriftzug „DER BEVÖLKERUNG“ gegenüber. Die Abgeordneten des Bundestags waren eingeladen, Erde aus ihren Wahlkreisen beizusteuern, aus der eine lebende Vegetation wuchs, die den Schriftzug heute umrahmt.
Haackes Plakatprojekt „Wir (Alle) sind das Volk“ (2017), das für die documenta 14 entstand, reagiert auf migrationsfeindliche Tendenzen. Der bekannte Slogan wird in zwölf verschiedenen Sprachen wiederholt, die die Vielfalt der großen Migrant*innengruppen im jeweiligen Land widerspiegeln.
Biografie und Ehrungen
Hans Haacke (*1936 in Köln) lebt seit 1965 in New York. Nach seinem Studium an der Staatlichen Werkakademie in Kassel (1956–1960) und Aufenthalten in Paris, Philadelphia und New York war er 35 Jahre lang Professor an der Cooper Union School of Art. Gastprofessuren führten ihn unter anderem nach Hamburg, Essen und Berkeley. Er wurde mit Ehrendoktortiteln von Institutionen wie der Bauhaus-Universität Weimar und dem Oberlin College ausgezeichnet.
Haacke erhielt zahlreiche Preise, darunter den Goldenen Löwen der Venedig-Biennale (1993), den Deutschen Kritikerpreis (1990), den Kaiserring der Stadt Goslar sowie den Peter-Weiss-Preis der Stadt Bochum.
Ausstellung in der Schirn Kunsthalle Frankfurt
Ort: Schirn Kunsthalle Frankfurt, Römerberg, 60311 Frankfurt am Main
Dauer: 8. November 2024 – 9. Februar 2025
Informationen: schirn.de
E-Mail: welcome@schirn.de