„Frankfurter Silberinschrift“: Ältestes christliches Zeugnis nördlich der Alpen gefunden – Geheimnisvolles Silberamulett stellt Wissenschaft auf den Kopf

ffm. Ein kleines, gerade einmal 3,5 Zentimeter großes Silberamulett, darin eingerollt eine dünne Silberfolie mit einer geheimnisvollen Gravur: Die „Frankfurter Silberinschrift“. Diese 18 Zeilen, da sind sich Expertinnen und Experten einig, werden die bisherige Forschung über die Ausbreitung des Christentums und die Spätzeit der römischen Herrschaft rechts des Rheins enorm bereichern. Die Inschrift konnte dank modernster Computertomographie- Technik entschlüsselt werden. Sie zeigt: Der Träger des Amuletts war eindeutig ein gläubiger Christ, was für diese Zeit absolut außergewöhnlich ist.

Der erste Christ nördlich der Alpen lebte in Frankfurt

Das Besondere ist das Alter des Fundes. Denn das Grab, in dem das Amulett gefunden wurde, wird auf den Zeitraum zwischen 230 und 270 n.Chr. datiert. Einen so frühen, authentischen Nachweis reinen Christentums nördlich der Alpen gab es bisher noch nicht. Alle Funde sind mindestens rund 50 Jahre jünger. Zwar gibt es Hinweise aus der Geschichtsschreibung auf erste christliche Gruppen in Gallien und vielleicht auch in der Provinz Obergermaniens im späten 2. Jahrhundert. Sichere Nachweise für christliches Leben in den nordalpinen Gebieten des Römischen Reiches stammen in der Regel aber erst aus dem 4. Jahrhundert n. Chr.

Bei der „Frankfurter Silberschrift“ handelt es sich um „einen archäologischen Sensationsfund von mindestens europäischer Bedeutung,  den man eher im Mittelmeerraum als in Frankfurt erwarten würde“, stuft Dr. Wolfgang David, Leitender Direktor des Archäologischen Museums Frankfurt, die wissenschaftliche Bedeutung des Fundes ein.Der Fund der fast 1800 Jahre alten christlichen Inschrift auf der Silberfolie wird aufgrund seines Alters und Inhaltes und der Lage des Fundortes im Hinterland der ehemaligen Nordgrenze des Römischen Weltreiches – und nicht etwa im Mittelmeerraum – in die Handbücher eingehen.“

Detailaufnahme von Grab 134: Unterhalb des Kinns des Toten zeigt sich die „Frankfurter Silberinschrift“ in einer schwärzlich-grauen Verfärbung: Schon hier kann man einen ersten Blick auf das fragile Blech im Inneren erhaschen, Copyright: Denkmalamt Stadt Frankfurt am Main, Foto: Michael Obst

Besonders begeistert ist Frankfurts Oberbürgermeister Mike Josef: „Die ,Frankfurter Inschrift‘ ist eine wissenschaftliche Sensation. Durch sie wird man die Geschichte des Christentums in Frankfurt und weit darüber hinaus um rund 50 bis 100 Jahre zurückdrehen müssen. Der erste christliche Fund nördlich der Alpen kommt aus unserer Stadt: Darauf können wir stolz sein, insbesondere jetzt, so kurz vor Weihnachten. Die Beteiligten haben ganze Arbeit geleistet.“

Durch die zahlreichen Baumaßnahmen in der dynamischen Stadt Frankfurt sei die Bodendenkmalpflege besonders gefordert, und nicht „immer werden dabei sensationelle Funde gemacht – aber fast immer gibt es neue und ergänzende Erkenntnisse und immer schreiben wir ein neues Kapitel der Stadtgeschichte. Dabei wird auch klar, was verloren geht, wenn es keine Denkmalpflege gibt. Funde wie die ‚Frankfurter Silberinschrift‘ sind nur durch die stetige Arbeit eines spezialisierten Teams möglich“, unterstreicht Dr. Andrea Hampel, Amtsleiterin des Denkmalamts Frankfurt am Main, die Unverzichtbarkeit der Bodendenkmalpflege zur Bewahrung des kulturellen Gedächtnisses.

Auch Frankfurts Kultur- und Wissenschaftsdezernentin Dr. Ina Hartwig ist entzückt: „Dieser außergewöhnliche Fund tangiert viele Forschungsbereiche und wird die Wissenschaft noch lange beschäftigen. Das betrifft die Archäologie genauso wie die Religionswissenschaften, die Philologie oder die Anthropologie. Ein solch bedeutsamer Fund hier bei uns in Frankfurt ist wirklich etwas Außergewöhnliches.“

Grabung und Fundort – Grab 134 ist ein Glücksfall für die Frankfurter Archäologie

Detailaufnahme von Grab 134: Copyright: Denkmalamt Stadt Frankfurt am Main, Foto: Michael Obst

Gefunden wurde die Amulettkapsel im Jahr 2018 im Nordwesten vor den Toren Frankfurts in der Frankfurter Römerstadt NIDA, der römischen Vorgängerstadt der heutigen Main-Metropole. Sie ist/war eine der größten und bedeutendsten archäologischen Fundstätten in Hessen. Das Silberamulett befand sich in einem römischen Grab des 3. Jahrhunderts im Gräberfeld „Heilmannstraße“ in Frankfurt-Praunheim.

„Grab 134 ist ein Glücksfall für die Frankfurter Archäologie und die Erforschung des Christentums im heutigen Deutschland. Der dort Mitte des 3. Jahrhunderts bestattete Tote gibt sich uns als erster nördlich der Alpen als Anhänger Jesu zu erkennen. Die ‚Frankfurter Silberinschrift‘, mit der er sein Leben unter den Schutz des Heiligen Titus gestellt hatte, nahm er mit ins Grab“, freut sich  Dr. Peter Fasold, ehem. Kustos der Provinzialrömischen Archäologie im Archäologischen Museum Frankfurt a.D.  Aber auch das Gräberfeld Heilmannstraße insgesamt erlaube, “ die Geschichte Nidas in Teilen neu zu schreiben: Das Ende der Siedlung lässt sich nun auf einen späteren Zeitpunkt sicher datieren. Die religiöse Toleranz des Römischen Reiches kommt darin zum Ausdruck, dass die Verstorbenen, unabhängig von ihren Jenseitsvorstellungen und religiösen Haltungen, dort ihre letzte Ruhe fanden.“, so Fasold.

Eine Mitarbeiterin des Denkmalamts Frankfurt legt mit einer scharf angeschliffenen Kelle vorsichtig ein Grab frei. Deutlich zu erkennen ist der römische Faltenbecher, ein Tongefäß, das dem Toten mit ins Grab gegeben wurde, Copyright: Denkmalamt Stadt Frankfurt am Main, Foto: Michael Obst

Der Dezernent für Planen und Wohnen Prof. Dr. Marcus Gwechenberger, dem das Denkmalamt unterstellt ist, sagt: „Bei der Ausgrabung wurde nicht nur ein Grab, sondern gleich ein kompletter römischer Friedhof freigelegt. Das sind Funde von unschätzbarem Wert.“ Ein Grab rückte dabei besonders in den Blickpunkt: In der Nummer 134 wurde das Skelett eines Mannes gefunden, zusammen mit Beigaben, einem Räucherkelch und einem Krug aus gebranntem Ton. Das besondere Extra lag aber unter dem Kinn des Mannes: Ein kleines Silberamulett, ein sogenanntes Phylakterium, das er wohl einst an einem Band um den Hals trug.

Ein solches Phylakterium ist ein am Körper getragener Behälter, der magischen Inhalt oder (in späterer Zeit) Reliquien birgt und den Träger beschützen soll. Im 3. Jahrhundert nach Christus, in einer Zeit, in der das Christentum noch Repressalien ausgesetzter, aber sich stetig ausbreitender Kult war, war es durchaus ein Risiko, sich als Christ zu erkennen zu geben. Einem Mann aus Frankfurt war sein Glaube jedoch offenbar so wichtig, dass er ihn mit ins Grab nahm. Inwieweit er seinen Glauben auch hatte praktizieren und bekennen können oder ob der Inhalt des Amuletts sein Geheimnis blieb, muss offenbleiben. Auf jeden Fall verdeutlicht der Text, dass NIDA in dieser Zeit keinesfalls eine periphere Grenzregion war, sondern im Vorfeld der Provinzhauptstadt Mogontiacum/Mainz an kulturellen Einflüssen aus dem ganzen Imperium Anteil hatte, zumal die Bevölkerung ohnehin aus verschiedenen Teilen des Weltreiches kam.

Konservierung, Restaurierung und digitale Entrollung

Im Archäologischen Museum Frankfurt wurde der Fund konservierungswissenschaftlich aufbereitet und restauratorisch bearbeitet. Schon während der Ausgrabung war klar: Das Silber-Amulett enthält eine dünne Silberfolie mit Inschrift. Das zeigten bereits mikroskopische Untersuchungen und Röntgenaufnahmen im Jahr 2019. Doch es sollte noch dauern, bis der Text zweifelsfrei entziffert werden konnte. Die hauchdünne Silberfolie selbst ist durch die lange Zeit im Boden zu spröde und brüchig, um sie einfach aufzurollen. Sie würde bei Versuchen, sie aufzurollen auseinanderfallen. Erst die Durchleuchtung mit einem hochmodernen Computertomographen im Leibniz-Zentrum für Archäologie in Mainz (LEIZA) brachte im Mai 2024 schließlich den Durchbruch. „Mit unserem breiten Portfolio an wissenschaftlicher Kompetenz und hochmoderner Forschungsinfrastruktur konnten wir die Inschrift lesbar machen und darüber hinaus noch Daten zur Materialbeschaffenheit beisteuern. Die wissenschaftlichen Ergebnisse zeigen ganz hervorragend, welche Erkenntnisse zur Entwicklung der Menschheit in gemeinsamer, interdisziplinärer Forschungsarbeit im Verbund Archäologien Rhein-Main und darüber hinaus möglich sind“, verdeutlicht Prof. Dr. Alexandra Busch, Generaldirektorin Leibniz-Zentrum für Archäologie Mainz.

Erst mit der Neueinrichtung des LEIZA in Mainz im Laufe des Jahres 2023 waren die technischen Voraussetzungen und das Know-how vorhanden, um einen neuen Anlauf mit der digitalen Entrollung der „Frankfurter Silberinschrift“ zu wagen. Dieser wurde im Frühjahr 2024 gestartet. Die herausragende wissenschaftliche Bedeutung des Textes bedingte stetig Nachbesserungen durch die Kollegen in Mainz, um so weit wie möglich Zweifel auszuschließen und unsichere Lesungen zu korrigieren. Prof. Markus Scholz, der wissenschaftliche Bearbeiter der Inschrift, stand dazu im engen Austausch mit den Kollegen im LEIZA. Parallel dazu galt es, vor einer Präsentation für die Öffentlichkeit den entzifferten Inhalt mit Kollegen anderer Fachrichtungen, insbesondere der Kirchengeschichte und Theologie, zu diskutieren und zu verifizieren. Alleine dieser Prozess dauerte mehrere Monate. © Foto: Diether von Goddenthow

Die Schwierigkeit bei der Entrollung der „Frankfurter Silberinschrift“

„Die Herausforderung in der Analyse bestand darin“, so Dr. Ivan Calandra, Laborleiter für bildgebende Verfahren am LEIZA, „dass das Silberblech zwar gerollt, aber nach rund 1800 Jahren natürlich auch zerknickt und gepresst war. Mittels des CTs konnten wir es in einer sehr hohen Auflösung scannen und ein 3D-Modell erstellen“. Das LEIZA wendete zudem eine für dieses Objekt spezielle Analysemethode an und setzte daraufhin einzelne Segmente des Scans virtuell Stück für Stück aneinander, sodass alle Worte sichtbar wurden. Erst durch diese digitale Entrollung konnte der gesamte Text entschlüsselt werden.

In dem gerade einmal 3,5 Zentimeter großen Silberamulett steckt das dünne, in sich eingerollte Silberblech mit geheimnisvoller Gravur. Das Silberblech wäre bei einer Entnahme und Aufrollung zerstört worden. So lag die Kunst darin per 3D-Computer-Tomographie die Innenschrift zerstörungsfrei lesbar zu machen. © Archäologisches Museum Frankfurt, Foto: Uwe Dettmar

Dr. Jörg Stelzner, Wissenschaftlicher Mitarbeiter der „IMPALA – Imaging Platform at LEIZA“ schildert wie schwierig es trotz High-Tech dennoch war, der „gepressten Frankfurter Silberinschrift-Rolle“ überhaupt auch nur eine verwertbare Sprachinformation  entlocken zu können:

Die Silberfolie mit der „Frankfurter Silberinschrift“ überstand die digitale Prozedur im LEIZA unverletzt. © Archäologisches Museum Frankfurt, Foto: Uwe Dettmar

„Das Silberblech, aus dem die Schriftrolle gefertigt wurde, ist stark korrodiert und liegt zum Teil in kleinen Fragmenten vor. Anhand der hochaufgelösten CT-Daten war es mir aber möglich, Fragmente virtuell zusammenzusetzen und die Schnittebenen so anzupassen, dass sie die Krümmung der Schriftrolle wiedergeben. Dadurch ließ sich die Schrift auf eine Ebene projizieren und lesbar machen. Besonders herausfordernd waren hierbei die Bereiche, die neben der Aufrollung Knicke und Risse aufweisen. Zudem liegen die Schichten des nur 50 Mikrometer, also 0,05 Millimeter, starken Silberblechs an einigen Stellen eng aufeinander.“

„Das Ergebnis der digitalen Entrollung ist von so hoher Qualität, dass sie eine Lesung der Inschrift ermöglicht, ohne weitere Maßnahmen an der fragilen silbernen Schriftrolle vornehmen zu müssen“, freut sich Diplom-Restauratorin Birgit Schwahn, zuständig für Konservierung und Restaurierung am Archäologischen Museum Frankfurt. Das böte „eine weitreichende Perspektive für Restauratorinnen und Restauratoren, die im Rahmen ihrer Arbeit und ihrer Entscheidungen stets Chancen gegen Risiken abzuwägen sowie eine Verantwortung für die Bewahrung unseres Kulturgutes zu tragen haben.“, so Schwahn.

Die Lesung der Inschrift

Erst sechs Jahre nach dem Fund entpuppt sich mit der Lesbarmachung der Inschrift, welche Sensation das kleine Silberröllchen in sich trägt. Bis zur „Lesbarkeit“ war es ein langwieriger Prozess: Wie bei einem Puzzle hat der Archäologe und Experte für lateinische Inschriften Prof. Dr. Markus Scholz von der Frankfurter Goethe-Universität sich an die Arbeit gemacht und schließlich die 18 Zeilen der „Frankfurter Silberinschrift“ unter Hinzuziehung weiterer Experten  entschlüsselt. „Manchmal hat es Wochen, ja Monate gedauert bis ich den nächsten Einfall hatte. Ich habe Fachleute unter anderem aus der Theologiegeschichte hinzugezogen und Stück für Stück haben wir uns gemeinsam dem Text genähert und ihn letztlich entziffert“. Durch die Bodenlagerung gingen einzelne Randpartien verloren. Die Ergänzung der betreffenden Textpassagen bleibt diskutabel.

„Die Entzifferung der Frankfurter Silberinschrift gelang durch interdisziplinäre Zusammenarbeit. Grundvoraussetzung erfolgreicher Entzifferung ist die adäquate Sichtbarkeit beziehungsweise Sichtbarmachung aller Schriftzeichen und ihre Unterscheidung von zufälligen Kratzern oder anderen Beschädigungen. Dies auf virtuellem Weg geschafft zu haben, ist angesichts der polygonalen Verformung des Blechs durch Rollen, Knittern und Risse eine herausragende Leistung der Kollegen vom LEIZA. Der Text weist die übliche Varianz bei der Lesbarkeit von Handschriften auf. Mehrere Buchstaben sehen in der lateinischen Kursivschrift ähnlich aus, sind also mehrdeutig und verwechselbar. Die richtige Lösung muss dann aus dem Vokabular und dem Sinnzusammenhang erschlossen werden. Das gilt insbesondere für die zu ergänzenden Textlücken. Hierbei erwies sich die Bibelfestigkeit der theologischen Kollegen als Schlüssel, indem sie mich auf die richtige Spur setzten.“, erläutert  Scholz den schwierigen Prozess einer korrekten Transkription.

Die „Frankfurter Silberinschrift“ übersetzt ins Deutsche

Digital entrollte Silberinschrift © LEIZA

(Im Namen?) des Heiligen Titus.
Heilig, heilig, heilig!

Im Namen Jesus Christi, Gottes Sohn!
Der Herr der Welt
widersetzt sich nach [Kräften?]
allen Anfällen(?)/Rückschlägen(?).
Der Gott(?) gewährt dem Wohlbefinden
Eintritt.

Dieses Rettungsmittel(?) schütze
den Menschen, der sich
hingibt dem Willen
des Herrn Jesus Christus, Gottes Sohn,
da sich ja vor Jesus Christus
alle Knie beugen: die Himmlischen,
die Irdischen und
die Unterirdischen, und jede Zunge
bekenne sich (zu Jesus Christus).

 

(Stand: 04.12.2024)

 

Außergewöhnlich ist, dass die Inschrift komplett auf lateinisch gehalten ist. „Das ist ungewöhnlich für diese Zeit. Normalerweise waren solche Inschriften in Amuletten auf Griechisch oder Hebräisch verfasst“, erklärt Scholz. Zudem ist der Text sehr ausgefeilt. Der Verfasser muss ein elaborierter Schreiber gewesen sein.

Ungewöhnlich ist, dass es in der Inschrift keinen Hinweis auf einen anderen Glauben neben dem Christentum gibt. Normalerweise ist bis ins 5. Jahrhundert hinein bei Edelmetallamuletten dieser Art immer eine Mischung verschiedener Glaubensrichtungen zu erwarten. Oftmals finden sich noch Elemente aus dem Judentum oder heidnische Einflüsse. Doch in diesem Amulett werden weder Jahwe, der allmächtige Gott des Judentums, noch die Erzengel Raphael, Gabriel, Michael oder Suriel erwähnt, keine Urväter Israels wie Isaak oder Jakob. Und auch keine heidnischen Elemente wie Dämonen. Das Amulett ist rein christlich.

 Wissenschaftlich theologische Bedeutung: Ältester Beleg für „Dreimalheilig“-Formel  

Die Auswertung der Bedeutung des Fundes durch Fachleute für das frühe Christentum und Theologinnen und Theologen steht erst am Anfang. Einige der im Text enthaltenen Formulierungen waren bislang erst viele Jahrzehnte später bezeugt. So findet sich am Anfang der „Frankfurter Silberinschrift“ eine Nennung des Heiligen Titus, eines Schülers und Vertrauten des Apostel Paulus. So wie die eigentlich erst aus dem 4. Jahrhundert n. Chr. in der christlichen Liturgie bekannte Anrufung „Heilig, heilig, heilig!“ (Trishagion). Der Text enthält am Ende mit „Die Knie beugen“ zudem ein fast wörtliches Zitat aus dem sog. Christushymnus des Paulus aus seinem Brief an die Philipper (hier: Phil. 2, 10-11)

„Mit dem Dreimalheilig am Anfang der ‚Frankfurter Silberinschrift‘ – noch dazu in griechischer Sprache in einem ansonsten lateinischen Text – ist der Fund insofern eine Sensation, als er zwingt, die Geschichte der christlichen Verwendung dieser biblischen Formel neuzuschreiben. Der dreifache ‚Heilig‘-Ruf verbreitet sich in der Liturgie ab dem 4. Jahrhundert überall als ein Höhepunkt der Messfeier und ist bislang erst in weiterer Folge ab dem 5. Jahrhundert auch auf Amuletten bezeugt. Der Frankfurter Fund bietet nun ein mit Abstand älteres Zeugnis, das auch die fundamentale Frage nach der Richtung des Einflusses zwischen der liturgischen Akklamation und ihrem ‚magischen‘ Gebrauch neu stellt“, erläutert Prof. Dr. Harald Buchinger, Lehrstuhl für Liturgiewissenschaft, Fakultät für Katholische Theologie, an der Universität Regensburg, die theologische Bedeutung dieser neuen Erkenntnis.

Genauso sieht es auch Prof. Dr. Wolfram Kinzig, Evangelisch-Theologisches Seminar, Abteilung für Kirchengeschichte, von der Universität Bonn: „Die ‚Frankfurter Silberinschrift‘ ist eines der ältesten Zeugnisse für die Verbreitung des Neuen Testaments im römischen Germanien, denn es zitiert Philipper 2,10-11 in lateinischer Übersetzung. Es zeigt eindrucksvoll, wie biblische Zitate zu magischen Zwecken verwendet wurden, um die Verstorbenen zu schützen. Das Amulett enthält außerdem wichtige Hinweise auf die frühe Entwicklung liturgischer Formeln aus einer Zeit, aus der uns keine vollständigen lateinischen Liturgien erhalten sind. Es ist darum von unschätzbarem Wert für die Geschichte der Bibel wie des christlichen Gottesdienstes.“

Zeit vor und  nach der „Lesung“ – Frankfurter Silberschrift weltweit bedeutendstes Zeugnis des frühen Christentums nördlich der Alpen

Für die Provinzialrömische Archäologie ist es der älteste sichere Nachweis von Christen im rechtsrheinischen Limesgebiet und darüber hinaus. Gut 200 Jahre nach dem Tod Jesu rechnete man zwar immer mit der Existenz christlicher Gemeinden nördlich der Alpen, die Quellen dazu waren aber vor dem 4. Jh. n. Chr. außerordentlich spärlich. Erzählungen über christliche Bischöfe oder Märtyrer stammten meist aus späterer Zeit und waren oft legendär. Zudem fehlt bis ins fortgeschrittene 4. Jahrhundert n. Chr. hinein eine eigenständige „christliche“ Sachkultur und Architektur – man unterscheidet sich kaum von den „heidnischen“ Nachbarn.

Dr. Carsten Wenzel, zuständig für die provinzialrömische Archäologie am Archäologisches Museum Frankfurt ist überzeugt, dass „Die Entdeckung der ‚Frankfurter Silberinschrift‘  für die Archäologie und Geschichte der Römischen Provinzen neue Denkräume eröffnet“. „Man könnte sogar sagen“, so Wenzel, es gibt eine Zeit vor und nach der Lesung. Bei der Bearbeitung des Gräberfeldes Heilmannstraße, von dem das Objekt stammt, fielen uns von Anfang eine Reihe von Besonderheiten auf: die ungewöhnliche Lage abseits der Ausfallstraßen der römischen Stadt, die absolute Dominanz von Körperbestattungen, von denen die Hälfte keine Beigaben enthielt, während die anderen Gräber teilweise ungewöhnliche und herausragende Beigaben-Ensembles enthielten. Schnell stand die Frage im Raum: Was für eine (soziale, ethnische) Gruppe ließ sich hier im 3. Jahrhundert n. Chr. bestatten? Die Frage nach einer möglichen religiös-kultischen Komponente erschien uns zunächst nicht vorstellbar – Christen in Nida? Nach geltender Forschungsmeinung schwer vorstellbar. Dazu hätte es eines absoluten Glücksfalls bedurft! Aber etwas in dieser Form hätten wir uns bei aller Phantasie nicht vorstellen können. Jetzt stellen sich Fragen neu und anders; wir werden, können und müssen bei der Bewertung des Gräberfeldes auch in eine zuvor undenkbare Richtung denken.“

Resümee:

Die „Frankfurter Silberinschrift“ ist somit eines der bedeutendsten Zeugnisse des frühen Christentums weltweit. Ihre Entdeckung eröffnet für die Archäologie, die historischen Wissenschaften und die Theologie neue Horizonte, aber auch eine Vielzahl neuer Fragestellungen.

Zusammen mit der Auswertung des gesamten Gräberfeldes „Heilmannstraße“ modifizieren diese Ergebnisse manche bislang in der Forschung gängigen Vorstellungen vom Ende des rechtsrheinischen Limesgebiets in der 2. Hälfte des 3. Jahrhunderts n. Chr. und verdeutlichen die herausragende Stellung von NIDA innerhalb des römischen Germaniens. Die Stadt NIDA war ein administratives, wirtschaftliches und religiöses Zentrum im Hinterland des Obergermanischen Limes und bis zu ihrer Aufgabe um 270/275 n. Chr. die bedeutendste römische Stadt rechts des Rheins, gekennzeichnet durch eine außergewöhnliche kulturelle und religiöse Vielfalt.

Projektbeteiligte

Das Projekt zeigt beispielhaft, die Synergien der Zusammenarbeit verschiedener Institutionen und Projektpartner:

(Doku: ffm / Diether von Goddenthow /RheinMainKultur.de)