Kunst- und Kulturminister Timon Gremmels begrüßte die Gäste zum Festakt 70 Jahre documenta am 7. Juni 2025 in der documenta halle in Kassel. Er unterstrich die Bedeutung dieser weltweit berühmten Kunstausstellung. Seine Rede begann er mit dem Zitat von Artikel 5 Absatz 3 unseres Grundgesetzes: “ Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.“ © Foto Diether von Goddenthow

Die documenta – eine der weltweit bedeutendsten Ausstellungen zeitgenössischer Kunst – blickte auf sieben Jahrzehnte zurück. Mit ihrem gestrigen Festakt am 7. Juni 2025 in der documenta-Halle und anschließender Party im Fridericianum wurde nicht nur gefeiert, sondern auch ein Ausblick auf die Zukunft gewagt.

Über 1000 Gäste feierten das documenta-Jubiläum. © Foto Diether von Goddenthow

Rund 1.100 Gäste aus Politik, Gesellschaft und Kultur folgten der Einladung – darunter viele prominente Stimmen des internationalen Kunstbetriebs. Kassels Oberbürgermeister Sven Schoeller, zugleich Aufsichtsratsvorsitzender der documenta gGmbH, betonte in seiner Rede den gesellschaftspolitischen Anspruch der Schau: „Die documenta war nie bloß Dekoration. Sie ist ein Ort des Denkens und Handelns mit den Mitteln der Kunst – ein Ort des Suchens, Streitens und der Auseinandersetzung mit der Zeit, in der wir leben.“

Oberbürgermeister Sven Schoeller. © Foto Diether von Goddenthow

Dabei würdigte Schoeller  die documenta als Seismograf gesellschaftlicher Entwicklungen, als Impulsgeber und kritisches Korrektiv. Auch die Antisemitismus-Debatten um die documenta fifteen 2022 blieben nicht unerwähnt – sie hätten einen Wendepunkt markiert, so Schoeller: „Wir haben daraus gelernt und Veränderungen angestoßen.“ Die Zukunft wolle man mit Zuversicht gestalten.

 

 

 

Neue Kuratorin, neue Perspektiven
Zentrale Hoffnungen ruhen auf Naomi Beckwith, die als Kuratorin der documenta 16 im Jahr 2027 erstmals eine Perspektive aus den USA einbringt. Beckwith, aktuell Chief Curator am Guggenheim Museum in New York, stehe für eine Haltung, die Kunst als produktiven Bestandteil gesellschaftlicher Auseinandersetzung verstehe, erklärte Schoeller.

Naomi Beckwith – Kuratorin documenta 16 (2027) © Foto Heike von Goddenthow

Ihre Arbeit vereine historische Genauigkeit mit gesellschaftlichem Weitblick – ein Ansatz, der bereits im Vorfeld Zustimmung und Vorfreude wecke.

documenta-Geschäftsführer Andreas Hoffmann blickt optimistisch in die Zukunft. „Die documenta hat am Abgrund gestanden und ist danach durch ein tiefes Tal gegangen“, sagte er mit Blick auf die Krise von 2022. Dennoch glaube er an das Format. Die documenta sei stets ein Spiegel aktueller Diskurse gewesen – geprägt von den Visionen ihrer jeweiligen künstlerischen Leitung.

Auch Hessens Kunstminister Timon Gremmels (SPD) unterstrich die Notwendigkeit einer kritischen, unbequemen Kunst: Die Freiheit der Kunst sei essenziell – aber nicht schrankenlos. „Sie endet dort, wo sie zur Bühne gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit wird.“

Moritz Wesseler, Direktor des Fridericianum, zeigte sich erfreut, „mit der künstlerischen Intervention 7000 Palmen von Cosima von Bonin einen zentralen Beitrag zum Jubiläum 70 Jahre documenta leisten zu dürfen. Besondere Freude bereitet uns dabei der interaktive Teil des Projekts: Allen kunstbegeisterten Gästen des Fridericianum stellen wir die grünen und weißen Palmen-Wimpelketten der international gefeierten documenta Teilnehmerin zur Verfügung. Damit können sie einen Ort ihrer Wahl schmücken und werden so Teil dieser außergewöhnlichen Aktion.“

Moritz Wesseler, Direktor des Fridericianum, mit Dragqueens Mary Messhausen und proddy produzentin und Buzz. © Foto Diether von Goddenthow

Talk – Freiheit, Konflikt und Verantwortung
In einer von Saskia Trebing ( Monopol – Magazin für Kunst und Leben) moderierten Podiumsdiskussion unter dem Titel „70 Jahre documenta in Kassel: Die documenta in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft“ diskutierten vier frühere und künftige Kuratoren: Carolyn Christov-Bakargiev (documenta 13), Roger M. Buergel (documenta 12), Adam Szymczyk (documenta 14) sowie Naomi Beckwith.

Podiumsdiskussion“70 Jahre documenta in Kassel: Die documenta in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft“. (v.li.): Moderatorin, Saskia Trebing (Monopol – Magazin für Kunst und Leben), Carolyn Christov-Bakargiev, Kuratorin documenta 13, Adam Szymczyk, Kurator der documenta 14, Naomi Beckwith, Kuratorin der kommenden documenta 16 und Roger M. Buergel, documenta 12 © Foto Diether von Goddenthow

Christov-Bakargiev plädierte für uneingeschränkte künstlerische Freiheit – eine starke Gesellschaft müsse diese aushalten können. Adam Szymczyk kritisierte die mediale Zuspitzung von Skandalen und rief zu mehr Zurückhaltung in der Bewertung künstlerischer Prozesse auf. Buergel wiederum bezeichnete die oft gestellte Frage, ob Kunst scheitern dürfe, als „vollkommenen Unsinn“. Beckwith betonte die Bedeutung eines Publikums, das bereit sei, sich herausfordern zu lassen: „Kulturelles Verständnis und Austausch – auch über gewohnte Grenzen hinweg – sind heute wichtiger denn je.“

Ein Palmenwimpel als Zeichen der Verbundenheit
Eingebettet ist das 70. Jubiläum der documenta in das vom Fridericianum präsentierten außergewöhnliches Projekt „7000 Palmen“ der Künstlerin Cosima von Bonin. Dabei geht es um Kreativität, Gemeinschaft und feierliche Momente, aber auch um Referenzen an die Kunst- und documenta Geschichte sowie gesellschaftliches Miteinander.

Der Auftakt des Projekts wurde am 7. Juni 2025 mit einem farbenfrohen Fest für Klein und Groß gefeiert im Fridericianum gefeiert – mit Ausstellungsrundgängen, Kreativworkshops, Kinderspielen, sommerlichen Speisen und Erfrischungen, einer Kunstperformance, einer Dragqueen-Show, einem Konzert und einer documenta Party.“ © Foto Diether von Goddenthow

Cosima von Bonin, die bereits an der documenta 12 und der Biennale von Venedig teilnahm, setzt damit ihre künstlerische Praxis fort, in der Textilien, cartoonhafte Formen und gesellschaftliche Bezüge eine zentrale Rolle spielen. Ihre „7000 Palmen“ verweisen nicht nur auf Joseph Beuys, sondern auch auf Daniel Burens Wimpel-Installation zur documenta 7 (1982).

Der Abend endete vor dem Fridericianum mit der Performance thonk piece: Reverse Psycholotree der Dragqueens Mary Messhausen und proddy produzentin, begleitet von Buzz – ein spielerisches und zugleich subversives Statement zur Vielfalt der Gegenwartskunst. Anschließend wurde mit DJ LéLé Cocoon bis in die Nacht gefeiert.
70 Jahre documenta – das bedeutet nicht nur Rückblick auf eine bewegte Geschichte voller Kunst und Kontroversen, sondern auch den Aufbruch in eine Zukunft, die nach wie vor von gesellschaftlicher Relevanz, ästhetischer Experimentierfreude und kritischem Denken getragen ist. Oder, wie Sven Schoeller es formulierte: „Wer ein Zukunftslabor für Gegenwartskunst sucht, kommt an der documenta nicht vorbei.“

Kunst, die verbindet – jenseits von Grenzen – „Cosima von Bonin – 7000 Palmen“ – noch bis zum 28. September 2025

Kassels berühmte Treppenstraße, die ebenfalls ihr 70. Jubiläum feiert, geschmückt mit Cosima von Bonins Palmen-Wimpeln. „Durch die Intervention im Stadtraum wächst in Kassel temporär ein Palmenwald. Diese räumliche Öffnung und die vielfältigen Bezüge und Themenfelder von 7000 Palmen schaffen besondere Bedingungen für ein umfangreiches Begleitprogramm, bestehend aus Workshops, Aktionen, Vorträgen, Performances und Konzerten.“, so Wessels. © Foto Diether von Goddenthow

Das von Cosima von Bonin mit dem Fridericianum in Kassel im Kontext zum 70. Geburtstag der documenta geschaffene partizipative Kunstobjekt „7000 Palmen läuft noch bis 28. September 2025. Die außergewöhnliche über ganz Kassel verbreitete Outdoor-Aktion steht ganz im Zeichen von Kreativität, Gemeinschaft und dem Dialog zwischen Kunst und Stadtgesellschaft – und ist zugleich eine vielschichtige Hommage an die Geschichte der documenta.
Im Zentrum der Arbeit stehen farbenfrohe Wimpelketten, die von Bonin eigens für dieses Jubiläum gestaltet hat. Anders als herkömmliche Festgirlanden enden die Fähnchen nicht in klassischen Dreiecken, sondern bilden die Silhouette einer Palme – ein wiederkehrendes Motiv im Werk der 1962 in Mombasa geborenen und heute in Köln lebenden Künstlerin.

Die Aktion lädt alle Einwohnerinnen und Einwohner Kassels – ob Kinder, Jugendliche oder Erwachsene – dazu ein, sich aktiv zu beteiligen und gemeinsam die Stadt zu schmücken. Besucherinnen und Besucher können sich im Foyer des Fridericianum kostenfrei ein Exemplar der Edition abholen. Darüber hinaus werden die „7000 Palmen“ mit Unterstützung von Schulen, Kulturinstitutionen und Kooperationspartnern in den öffentlichen Raum getragen. Ziel ist es, möglichst viele Menschen einzubinden und neue Begegnungen zwischen Kunst und Nachbarschaft zu ermöglichen.

Hommage an Beuys und Buren

Mit ihrer Intervention knüpft von Bonin an die lange Tradition der Kunst im öffentlichen Raum in Kassel an – eine Praxis, die durch die documenta nachhaltig geprägt wurde. Besonders Joseph Beuys’ legendäres Projekt „7000 Eichen“ aus dem Jahr 1982 – eine umfassende Pflanzaktion, bei der über fünf Jahre hinweg 7000 Bäume gesetzt und jeweils mit einer Basaltstele versehen wurden – veränderte das Stadtbild dauerhaft und gilt als wegweisendes Beispiel für die Idee der „Sozialen Plastik“.

Zugleich verweist von Bonin mit ihrer Arbeit auf die Installation „Wimpel-Text-Musik“ von Daniel Buren, die ebenfalls zur documenta 7 gezeigt wurde. Damals spannte der französische Künstler mit seinen charakteristisch gestreiften Fähnchen ein Netz über den Friedrichsplatz, begleitet von klassischer Musik. Auch diese Arbeit verstand sich als Verbindung zwischen Kunst, Raum und Gesellschaft.

Die Palme als Symbol – zwischen Pop, Politik und Alltag

Impressionen von der künstlerischen Intervention „7000 Palmen“ von Cosima von Bonin © Foto Diether von Goddenthow

Von Bonins Wimpel greifen ein Symbol auf, das in vielen Kulturen stark aufgeladen ist: die Palme. Seit der Antike steht sie für Frieden, Weisheit und Triumph – ebenso wie für Überfluss und Unsterblichkeit. In der westlichen Populärkultur ist sie zum Sinnbild für Fernweh, Urlaub und Exotik geworden. Zugleich verweist sie auf wirtschaftliche und kulturelle Identität in Regionen, in denen Palmen tatsächlich wachsen.
In von Bonins Werk steht die Palme auch für die Grenzbereiche zwischen Kunst, Mode, Clubkultur und queerer Ästhetik – immer mit einem Augenzwinkern, oft mit Verweisen auf Popikonen, Cartoons und Konsumwelt.

Kunst, die verbindet – mitten in der Stadt

Die stilisierten Palmenwimpel fügen sich nahtlos in das vielgestaltige Werk Cosima von Bonins ein, das häufig mit konturierten Umrissformen arbeitet – inspiriert etwa von Comicfiguren oder Alltagsobjekten. Textilien spielen dabei eine zentrale Rolle, sei es in Form von collagierten Bildern, Skulpturen oder überdimensionalen Kleidungsstücken.

Mit „7000 Palmen“ verlagert von Bonin ihre künstlerische Praxis bewusst in den urbanen Raum. Entlang der Wimpel entsteht ein temporärer „Palmenwald“, der die Stadt zum Ort der Beteiligung und des Austauschs macht. Ein vielfältiges Begleitprogramm mit Workshops, Performances, Vorträgen und Konzerten soll diesen Prozess begleiten. Im Mittelpunkt steht die Idee, dass Kunst nicht nur zum Betrachten da ist – sondern Menschen zusammenbringen, Denkräume öffnen und gesellschaftlichen Wandel anstoßen kann.

Fridericianum. © Foto Diether von Goddenthow

Über die Künstlerin

Cosima von Bonin zählt zu den einflussreichsten Künstlerinnen ihrer Generation. Sie war unter anderem an der documenta 12 (2007) und der Biennale von Venedig (2022) beteiligt. Ihre Arbeiten wurden international in bedeutenden Institutionen ausgestellt, darunter das Kunsthaus Bregenz, das Museum Ludwig in Köln, das MUMOK in Wien, das SculptureCenter in New York und das Mudam in Luxemburg.

(Diether von Goddenthow /RheinMainKultur.de)