Als 1861 der erste Archaeopteryx auf der Langenaltheimer Haardt bei Solnhofen im Bayerischen Altmühltal gefunden und sein Wert als Indiz für die Richtigkeit Darwins Evolutionstheorie erkannt wurde, ließ der renommierte britische Naturforscher Richard Owen, damaliger Leiter des Londoner Museums und Darwin-Gegner, den Fund aufkaufen und aus religiösen Gründen verschließen. Was die Angelegenheit dabei besonders brisant macht, ist, dass Owen als Universalgelehrter einer der angesehensten Wissenschaftler seiner Zeit und renommierter Mediziner, Zoologe, vergleichender Anatom, Physiologe und Paläontologe war, genau wusste, was er tat. Er wollte nicht, dass die Vorstellung an das Walten eines Weltschöpfers erschüttert wurde durch den mit dem Urvogel-Fund erstmals möglichen wissenschaftlichen Beweis der Richtigkeit von Darwins Evolutionstheorie. Diese besagt, dass eine natürliche Auslese die treibende Kraft bei der Veränderung der Arten sei.
Erst Darwin-Befürworter Thomas Henry Huxley, Biologe, vergleichender Anatom und Begründer des Wissenschaftsmagazins „Nature“, lieferte eine wissenschaftlich exakte Beschreibung des 1. Archaeopteryx, des sogenannten Londoner Exemplars“, und machte hierdurch den Weg frei für die Evolutionstheorie.
Jetzt widmet das Senckenberg- Naturmuseum Frankfurt erstmals dem Archaeopteryx, dem einstigen Zünglein an der Waage im wohl größten Wissenschafts- und Glaubenskrieg aller Zeiten, gleich eine ganze Ausstellung. Unter dem Titel „Fliegende Saurier“ werden zahlreiche der weltweit insgesamt 13 mehr oder weniger gut erhaltenen, versteinerten Urvogel-Fossilen in vier, didaktisch gut aufeinander abgestimmten Bereichen präsentiert. Ausstellungshöhepunkt bildet Exemplar Nr. 11. Seine gut erhaltenen versteinerten Konturen leuchten Besuchern aus einer Glasvitrine der ansonsten völlig abgedunkelten Schatzkammer entgegen. Er kann dank Hilfe der Lipoid-Stiftung fünf Jahre lang im Senckenberg-Naturmuseum gezeigt werden.
Der vor zirka 150 Millionen Jahren lebende Archaeopteryx lieferte Mitte des 19. Jahrhunderts aber nicht nur ein wichtiges noch fehlendes Indiz zum Beleg der Evolutionstheorie. Der Urvogel sei vor allem auch ein Bindeglied, „eine Brücke zwischen den Reptilien und den Vögeln“, und „im Prinzip der Beweis, dass diese Bindeglieder zwischen ganz unterschiedlichen Gruppen der Reptilien und Vögel existieren“, erläuterte Direktoriumsmitglied und Vogelforscherin Prof. Dr. Katrin Böhning-Gaese zur Begrüßung bei der Eröffnung der Ausstellung am 6. Juli 2018.
Dabei dankte sie der Lipoid-Stiftung für die Ermöglichung der Ausstellung und Herrn Horst Weiser für die Spende von zwei fossilen Flugsauriern. Die Lipoid-Stiftung, bei der Eröffnung vertreten durch Dr. Herbert Rebmann, fördert unter anderem die archäologische Forschung und das allgemeine Interesse der Öffentlichkeit an deren Ergebnissen. „Wir freuen uns, dass das Senckenberg Naturmuseum in Frankfurt ein Exemplar des seltenen und weltweit bekannten Archaeopteryx nun in einer anspruchsvollen und gelungenen Form präsentiert, die viele Besucher begeistern wird“, so Rebmann.
„Wir sind natürlich jetzt stolz, dass wir das 11. Exemplar hier zeigen können, und es ist ein ganz besonderes Exemplar, weil es insbesondere bezogen auf seine Federfaltung neue Aussagen ermöglicht.“, freute sich Dr. Bernd Herkner, Leiter Abteilung Museum, Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt. Herkner dankte insbesondere auch Dr. Gerald Mayr, dem international bekannten Archaeopteryx-Spezialisten des Hauses Senckenberg, dem es mit seinem Team nach der Entdeckung des 10. Archaeopteryx 2005 gelungen war, zu zeigen, dass „der Urvogel Archaeopteryx näher mit den Raptoren verwandt ist, als mit den heutigen Vögeln, und das hat dazu geführt, dass wir diesen Titel hier haben: Gefiederte Dinosaurier. Also Vögel sind eigentlich gefiederte Dinos“. Inzwischen bestehe Common sense in der Naturwissenschaft, „dass Vögel eigentlich gefiederte Dinosaurier sind“, so Herkner.
Das sechste Unterscheidungsmerkmal, welches es noch zwischen Dinosauriern und Vögeln gab, war die von Vögeln her bekannte asymmetrische Feder. Dieses Alleinstellungsmerkmal der Vögel fiel endgültig, als man 2003 in China einen Microraptor mit solchen asymetrischen Federn fand. Mittlerweile habe man immer mehr von diesen Flugsauriern gefunden, und so sei man zu diesem Schluss gekommen, was auch hier in der Ausstellung gezeigt werden soll, erläuterte Herkner, und wies darauf hin, dass auch das ökologische Umfeld der Urvögel und Fossilien der wertvollen Fossilfundstätte Eichstätt /Solnhofen gezeigt werde.
Gleich an der ersten Wandvitrine der Ausstellung hat der Besucher die Möglichkeit, sich die gut erhaltenen Funde anzuschauen, und zwar aus mehreren Perspektiven: Der Archaeopteryx wird gezeigt als versteinertes Plattenkalk-Fossil, als rekonstruiertes dreidimensionales Skelett und – erstmals – als rekonstruiertes Präparat in schöner Federpracht, ergänzt durch eine Computer-Animation an Station 4. Hier wird dem Urvogel digitales Leben eingehaucht.
Ein Hauptanliegen sei es gewesen, so Projektleiter Philipe Havlik, den Sprung von der flunderflachen Versteinerung des Archaeopteryx zur Dreidimensionalität aufzuzeigen. Eine solche wissenschaftlich exakte Rekonstruktion war nur möglich aufgrund der einzigartigen Fundqualität der Fossilien mit exakt abgebildeten Federn und Weichteilen. Die Tiere müssten wohl, so Haylik, beim Flug über den Gewässern abgestürzt sein, und durch das feinkörnige Sediment der Solnhofener Plattenkalke sofort eng eingeschlossen und konserviert worden sein.
Station 2 der Ausstellung „Die Bayerische Karibik“ widmet sich der wichtigen Fossilfundstätte „Eichstätt Solnhofen“. Vor 150 Millionen Jahren war das heutige Altmühltal in Bayern geprägt von ausgedehnten Lagunen, deren Ränder von Korallenriffen und Inseln gesäumt waren. In den wannenförmigen Vertiefungen zwischen den Riffbauten lagerte sich feinkörniger Kalkschlamm ab, der sich über Jahrmillionen zu den heutigen Solnhofener Plattenkalken verfestigte. In diesen sind bemerkenswert gut erhaltene Fossilien konserviert – allen voran der „Urvogel“ Archaeopteryx.
Station 3 „Sind Vögel Dinosaurier?“ erläutert den Ursprung und das Vorkommen von Federn fossiler Vögel, gibt einen Überblick der weltweiten Fundstellen, veranschaulicht den ähnlichen Aufbau der mit Luft gefüllten Knochen bei Dinos und Vögeln und zieht das Fazit: „Vögel sind die einzigen noch lebenden Dinosaurier“. Ja, die Taube auf dem Dach oder im Park sei ein Dinosaurier, so Philipe Havlik. In Kinderhöhe stellen Grafiken den evolutionäre Weg vom Saurier zum Vogel dar.
Station 4, „Achaeopteryx-Tafel“, die zentrale Ausstellungswand, zeigt Abgüsse besonders interessanter Exemplare der weltweit insgesamt 13 Exemplare der bisherigen Archaeopteryx-Funde (sämtlich aus dem Altmühltal stammend). Eine besondere Attraktion ist die Computer-Animation des 11. Archaeopteryx-Exemplars. Aufgrund seiner überlieferten, asymmetrischen Federn, die zum aktiven Flug benötigt werden, konnte der Urvogel digital zum Fliegen gebracht werden.
Ausstellungs-Höhepunkt bildet die bereits oben erwähnte „Schatzkammer“, ein kleiner Hochsicherheistrakt, mit der Präsentation des Original-Fossilfundes „Nr.11“.
Die Ausstellung, die im Verlauf des voranschreitenden Umbaus des Senckenberg-Museums erweitert und dann an anderer Stelle mit weiteren weltweit bedeutenden Fossilienfundstätten wie Grube Messel und Bundenbach-Schieferfossilien präsentiert werden wird, ist gelungen, und ganz nebenbei ein wissenschaftliches Statement zur Evolutionsgeschichte.
(Diether v. Goddenthow /Rhein-Main.Eurokunst)