„Dankbarkeit für Frieden und Freiheit in der Demokratie“ – Podiumsdiskussion „Gefühlte Demokratie“ im Hessischen Landtag

Mit Schülerinnen und Schülern und Gästen aus Politik, Wissenschaft Kultur diskutierten (v.l.): Prof. Christoph Cornelißen (Frankfurt), Ariane Binder (SWR), Professorin Isabel Borucki (Marburg), Landtagspräsidentin Astrid Wallmann, Prof. Eckart Conze (Marburg), Daniel Rücker (Georg August Zinn-Schule Reichelsheim) und Anouk Stern (Gutenbergschule Wiesbaden). © Foto: Diether von Goddenthow

Sie fühle „viel Dankbarkeit für die Freiheit und den Frieden, die ich insbesondere hierzulande auch als Frau habe“, sagte Anouk Stern von der Gutenbergschule Wiesbaden bei der Podiumsdiskussion „Gefühlte Demokratie“ am 21.01.2025 im Hessischen Landtag mit Prof. Dr. Christoph Cornelißen (Goethe-Universität, Frankfurt) Daniel Rücker (Georg-Zinn-Schule, Reichelsheim) sowie Professorin Dr. Isabelle Borucki (Philipps-Universität, Marburg). Eingeladen hatte Landtagspräsidentin Astrid Wallmann zur Präsentation des gleichnamigen Buches „Gefühlte Demokratie“, welches sie gemeinsam mit Historiker Prof. Dr. Eckart Conze (Philipps-Universität Marburg) unter Beteiligung namhafter Beiträger herausgegeben hat.

Anouk Stern dankbar für Freiheit und den Frieden durch Demokratie. © Foto: Diether von Goddenthow

Der Ausgangspunkt für diesen Sammelband war ein mehrtägiges Symposium, das im Jahr 2022 im Hessischen Landtag unter Beteiligung namhafter Historikerinnen und Historiker stattfand.
Konzipiert und durchgeführt wurde die Tagung von der Kommission des Hessischen Landtags für die Erforschung der politischen und parlamentarischen Geschichte in Hessen.
Aus den Beiträgen dieses Symposiums entstand ein Sammelband, der im vergangenen Jahr veröffentlicht wurde. Dadurch wurden die Themen und Inhalte auch einem breiteren Publikum zugänglich gemacht und waren Gegenstand der Buchpräsentation im Landtag.

 

In ihrer Begrüßung der Diskutanten und Gäste – darunter drei Schulklassen von der Georg-Zinn-Schule (Reichelsheim), der Gutenberg-Schule (Wiesbaden) und der Martin-Niemöller-Schule (Wiesbaden) – wies die Landtagspräsidentin darauf hin, dass „die Erforschung von Emotionen eher ein Thema ist, das klassischerweise in der Psychologie verortet wird“. Doch seit einiger Zeit stehe der Aspekt der „Gefühle“ auch im Fokus der Geschichts- und Geisteswissenschaften. „Denn Gefühle machen Politik, sie machen Geschichte und sind Antriebskräfte von politischen Prozessen und Bewegungen, wie sich anhand zahlreicher historischer Beispiele belegen lässt“, so Wallmann. Man brauche ja nur an „die Wut im Kontext von Revolutionen, den Hass im Kontext von Kriegen oder auch an die Neugier im Kontext von großen Entdeckungen denken“, fügte sie hinzu. „Gefühle spielen eine große Rolle im Hinblick auf die Politik.“

Landtagspräsidentin Astrid Wallmann. © Foto: Diether von Goddenthow

Die Beschäftigung mit der Geschichte der Weimarer Republik, wie sie unter anderem bei der Tagung im Juni 2022 im Hessischen Landtag stattfand, habe nicht nur „formale Gründe“, da „wir uns exakt 100 Jahre später in den 20er Jahren des 21. Jahrhunderts befinden“, so die Landtagspräsidentin, sondern insbesondere inhaltliche Gründe, da in der öffentlichen Debatte „regelmäßig Vergleiche zwischen der Weimarer Zeit und der Gegenwart gezogen“ würden. „Ähnliche Phänomene und Entwicklungen lassen sich beobachten, was insbesondere auch für den Bereich der Emotionen in der Demokratie zutrifft. Deswegen liegt es nahe und erscheint lohnenswert, den Gegenstand aus vergleichender Perspektive zu untersuchen.“
Allerdings sei es ihr sehr wichtig zu betonen, dass „der historische Vergleich als Analyseinstrument dient und nicht dazu, Parallelen zwischen der Weimarer Zeit und der heutigen Situation zu ziehen“. Vielmehr wolle man den Blick auf die politische Rolle von Emotionen in der eigenen Zeit schärfen und dadurch auch Lösungsansätze entwickeln, so Wallmann.

Mitherausgeber Professor Dr. Eckart Conze betonte in seiner Einführung, dass Emotionen wichtig und stark seien, „weil sie auf die Demokratie einwirken und sie verändern.“ Das zeige auch das Beispiel der Weimarer Republik. So „entwickelte sich die Demokratie in Deutschland nach 1918 unter dem Druck geradezu übermächtiger Gefühlswelten, und wir sind auch heute gut beraten, die Bedeutung der ‚gefühlten Demokratie‘ nicht zu unterschätzen.“, so Conze, der mit einer ganzen Reihe zentraler Fragestellungen schließlich ins Thema einleitete: Wozu führe es, wenn Politik mit Wut, Angst und Verunsicherung gemacht werde, fragte Conze in seiner thematischen Einführung.

. Dr. Eckart Conze (Philipps-Universität Marburg) © Foto: Diether von Goddenthow

„Welche Folgen hat das für unsere Demokratie? Kann eine solche Politik dazu beitragen, Probleme zu lösen und Krisen zu bewältigen? Oder gefährdet sie vielmehr das Vertrauen, das eine Demokratie benötigt, um über die Grenzen einzelner Parteien hinaus Zustimmung zu finden? Verliert eine Demokratie durch eine Politik der Emotionen, durch eine Politik mit Gefühlen, womöglich jene Stabilität und den Grundkonsens, der für ihr Überleben unverzichtbar ist?“, so der Historiker.

Lebe eine Demokratie nicht doch auch von Gefühlen, von emotionaler Zuwendung? „Braucht Demokratie, um – einen wichtigen Aspekt zu nennen – braucht demokratische Politik Vertrauen? Und das nicht nur im Hinblick auf die politischen und die demokratischen Institutionen, ganz abstrakt und allgemein, sondern auch im Hinblick auf Politikerinnen und Politiker? Wenn Menschen Politiker nicht oder nicht mehr vertrauen, was bedeutet das für die Demokratie? Wie wichtig ist es für eine Demokratie, ob die Menschen glauben, dass sie politisch verantwortlich in den Parlamenten in den Regierungen vertreten werden, dass diese Verantwortlichen in der Lage sind, mit den Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft umzugehen, aber auch mit den Ängsten und Sorgen der Menschen?

Gibt es diesen demokratischen Grundkonsens überhaupt noch in unserer Gesellschaft? Und sollte dieser Grundkonsens auch eine emotionale Basis haben? Brauchen wir ein gemeinsames demokratisches Gemeinschaftsgefühl, um unsere Demokratie zu stärken?“, so Conze.

Die Weimarer Republik sei auch daran gescheitert, „dass immer mehr Menschen am Ende der Demokratie und ihren Vertretern nicht mehr zutrauten, die Krisen jener Zeit zu bewältigen und die drängenden Probleme der Gesellschaft sowie die Sorgen der Menschen zu lösen.“, so der Marburger Historiker.

„Die Feinde der Demokratie nutzten genau dieses Misstrauen aus. Sie wurden nicht müde, den demokratischen Politikern Versagen vorzuwerfen und zu behaupten, dass diese das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger nicht verdient hätten. So wurden Gefühle gezielt instrumentalisiert und zum Mittel der politischen Auseinandersetzung gemacht.“, so Conze, der schließlich einen kleinen Blick auch auf die positiven Gefühle richtet, etwa mit der abschließenden Frage: „Brauchen wir so etwas wie ein demokratisches Gemeinschaftsgefühl?“.

Unbedingt benötige demokratische Politik Vertrauen und ein Gemeinschaftsgefühl. Das war ein Fazit in der anschließenden Podiums-Diskussion, moderiert von SWR-Redakteurin Ariane Binder. Denn vielen Menschen ist ja gar nicht oder kaum bewusst, wie privilegiert sie hier in Deutschland, in Mitteleuropa, mit all den (noch) in unserer Demokratie selbstverständlichen Freiheiten und persönlich individuellen Perspektiven leben.

„Die Geschichte der Demokratie ist auch die Geschichte von Emotionen. Lehren aus der Geschichte zu ziehen, ist Teil unserer politischen Kultur. Das immer wieder neue Vermitteln einer demokratischen Haltung gehört zu den nie abgeschlossenen Aufgaben unserer Gesellschaft“, so Astrid Wallmann (r.), hier beim Dank an die Diskutanten. © Foto: Diether von Goddenthow

Aber „Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit. Die Angriffe auf die Demokratie, die in den vergangenen Jahren nicht nur qualitativ, sondern auch quantitativ zugenommen haben, beschwören die Weimarer Vergangenheit herauf und erfüllen Demokraten mit großer Sorge“, so die Landtagspräsidentin

(Diether von Goddenthow /Rhein-Main.Eurokunst)

Zum Buch „Gefühlte Demokratie“: Der Band basiert auf einem Symposium im Hessischen Landtag im Jahr 2022. In 14 Beiträgen untersuchen Historiker und Politikwissenschaftler aus verschiedenen Blickwinkeln die Erfahrungen und Gefühle, die mit unterschiedlichen Entwicklungen während der Weimarer Republik verbunden sind. Neben den Konfliktfeldern und den Erwartungen an eine Demokratie geht es auch darum, wie Hass und Hetze zerstörerisch auf Demokratien wirken können, sowie die öffentliche Auseinandersetzung mit Attentaten. Biographische Beispiele von Politikerinnen im Hessischen Landtag und Alltagserfahrungen aus Offenbach sind ebenfalls unter den Beiträgen zu finden.

Erschienen ist das 336 Seiten umfassende Werk „Gefühlte Demokratie – Die Weimarer Erfahrung im 20. und 21. Jahrhundert“ im Campus Verlag, 40 Euro.