
Es herrschte wieder einmal reges Gedränge am 23. Januar beim traditionellen Jahresempfang 2025 der IHK Frankfurt am Main, dem heimlichen „Wirtschaftsgipfel für Hessen“, wie Hessens Ministerpräsident Boris Rhein bemerkte. Immerhin werden in der IHK-Region Frankfurt mit Deutschlands Finanzmetropole rund 50 Prozent des hessischen Umsatzes erwirtschaftet.

Der IHK-Jahresempfang sei die Plattform, um miteinander ins Gespräch zu kommen und zu netzwerken, unterstrich IHK-Präsident Ulrich Caspar bei seiner Begrüßung der gut 1500 geladenen Gäste aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur, darunter wieder viele prominente Ehrengäste.Caspar rief dazu auf, trotz der unveränderten Herausforderungen das neue Jahr mit Zuversicht anzugehen. „Wir erleben als Wirtschaft große Herausforderungen: Es gibt großen Veränderungsbedarf. Unternehmen müssen mit hohen Energiepreisen und einer zu hohen Steuerbelastung umgehen, sind jeden Tag mit Überregulierung sowie Arbeitskräftemangel konfrontiert. Wir wären nicht Unternehmerinnen und Unternehmer, wenn wir die aktuell schwierige Lage einfach akzeptieren würden. Lassen Sie uns vielmehr mit Mut und Zuversicht das neue Jahr angehen und aktiv die Zukunft mitgestalten.“
Ministerpräsident Boris Rhein: „Made in Germany“ wieder an die Spitze bringen
Feindliche Übernahme der Commerzbank unerwünscht
Hessens Ministerpräsident Boris Rhein kritisierte – wie Oberbürgermeister Mike Josef – die Pläne der italienischen Bank Unicredit, die Commerzbank übernehmen zu wollen, scharf. „Feindliche Übernahmen sind hier nicht willkommen.“ Deutschlands zweitgrößte Privatbank müsse ihre Selbstständigkeit und ihren Hauptsitz in der Mainmetropole behalten. Für die deutsche Wirtschaft sei es von großer Bedeutung, dass die Commerzbank unabhängig bleibe, betonte Rhein. „Es ist eine berechtigte Sorge, dass Entscheidungen, die deutsche Unternehmen betreffen, nicht mehr in Deutschland getroffen werden.“ Gerade in der aktuellen wirtschaftlichen Krise sei der deutsche Mittelstand „mehr denn je auf Stabilität und Verlässlichkeit angewiesen“.
Alle drei Minuten eine Insolvenz

„Für diese Krise“, so Rhein,“ seien vier zentrale Punkte“ mitverantwortlich, nämlich: Erstens: zu hohe Energiepreise für Unternehmen. Zweitens: eine Überregulierung, die in viel zu viel Bürokratie münde. Drittens: eine zu hohe Steuerbelastung der Unternehmen. Und viertens: der Fachkräftemangel.“
Die Politik müsse aufhören abzuwarten; sie müsse „Wettbewerb, Technologieoffenheit und Vielfalt“ zulassen, so Rhein. Politik müsse „die Bereitschaft haben, insbesondere denen zuzuhören, die per se dafür sorgen, dass Wohlstand erarbeitet wird: Das sind die Unternehmerinnen und Unternehmer unseres Landes“, so der Hessische Ministerpräsident, der sich regelrecht in Rage redete. Während andere Industrienationen wüchsen, schrumpfe Deutschland. Seit zwei Jahren befinde sich das Land in der Rezession: „Alle drei Minuten meldet ein Betrieb in unserem Land Insolvenz an. Man muss sich das vorstellen“, empörte sich Rhein, der sich noch gut daran erinnerte, wie andere „durchs Land getingelt sind und von der Deindustrialisierung geschwärmt“ hätten. „Herzlich willkommen. Wir sind mittendrin!“, zog Rhein Bilanz dieser verfehlten Wirtschaftspolitik.
Wenn Firmen insolvent gingen, so Rhein, „hörten sie ja nicht nur einfach auf zu produzieren, sie hören auch auf, Arbeitsplätze zu schaffen, sie hören auf, Steuern zu bezahlen“, was den hessischen Landeshaushalt belaste, was sich neben Gewerbesteuerausfällen „auch auf die Kommunen niederschlägt, die natürlich darunter leiden. Sie hören auf, Aufträge zu erteilen, und sie hören natürlich auch auf, der Politik zu vertrauen. Der Vertrauensverlust sei das Schlimmste, mit allen damit verbundenen Folgen auch für unsere Demokratie“, so Rhein.
„Made in Germany“ wieder an die Spitze bringen
Die Bundesrepublik Deutschland sei „aktuell Schlusslicht beim Wachstum und Spitze bei den Belastungen“. Das müsse man „jetzt wieder umdrehen mit einem klaren Plan für unser Land“, so Rhein. Neben Steuersenkungen und der Abschaffung des Rest-Solis „müssen wir ‚Made in Germany‘ wieder an die Spitze bringen in Europa und in der Welt, und zwar mit Anreizen für Forschung und Entwicklung, mit weniger Bürokratie für die Unternehmen. Das nationale Lieferkettengesetz muss weg, Genehmigungsverfahren müssen beschleunigt werden. Die Stromsteuer und die Netzentgelte müssen gesenkt werden. ‚Made in Germany‘ muss wieder stehen für Premium, nicht für Probleme. Das ist die große Aufgabe, vor der wir jetzt stehen“, sagte der Ministerpräsident unter großem Beifall.
Unternehmen sind keine Kriminellen sondern Konjunkturträger
Und er fügte hinzu: „Wir brauchen einen übergreifenden Kulturwandel. Wir brauchen mehr Vertrauen und weniger Kontrolle. Berichtspflichten reduzieren, Pauschalen und Bagatellgrenzen anheben, aus Regelkontrollen werden anlassspezifische Kontrollen und Stichproben, aus Vorlagepflichten werden Vorhaltepflichten usw. Wir müssen ‚mehr in Zielen und weniger in der Detailregulierung denken‘. Denn“, so Rhein, „Unternehmen sind doch keine Kriminellen, die wir ständig kontrollieren müssen. Sondern sie sind die Konjunkturträger, und genauso müssen wir sie doch behandeln.“
Mike Josef: Unsere wirtschaftliche Stärke macht das soziale Frankfurt

Dass zumindest in der Metropolregion FrankfurtRheinMain die Lage in einigen Branchen nicht ganz so schlimm ist wie die allgemeine Stimmung, zeigte Oberbürgermeister Mike Josef anhand einiger positiver Beispiele: „Frankfurt ist das wirtschaftliche Herz Deutschlands, eine internationale Drehscheibe für Finanzen, Handel und Innovation. Ich danke der IHK und allen Unternehmerinnen und Unternehmern, die mit ihrem stetigen Engagement dazu beitragen, dass unsere Stadt in diesen gesellschaftlich schwierigen Zeiten gut dasteht.“
Josef betonte: „In Frankfurt gibt es viele positive Entwicklungen: Die Chemie- und Pharma-Branche zog bedeutende Investitionen an. Im Industriepark im Frankfurter Westen wird mehr als eine Milliarde Euro in eine neue Insulinproduktionsanlage investiert. Eine Ansiedlung im regionalen Produktionsverbund wird kommerziell grünes Lithium produzieren, den Grundstoff der Elektrifizierung. Die Messe Frankfurt steuert auf einen neuen Rekord zu. Am Flughafen wird ein neues Cargo-Center gebaut. Dort wie auch anderswo werden Arbeitsplätze gesichert oder neu geschaffen. Unsere wirtschaftliche Stärke macht das soziale Frankfurt – von dem viele profitieren – möglich. Wir werden uns auf diesen Erfolgen auch nicht ausruhen.“
Gräßles Abschieds-Wunschliste der klaren Worte an die Politik

Festredner des Abends war IHK-Hauptgeschäftsführer Matthias Gräßle, der zum großen Bedauern aller Anwesenden zum 31. März 2025 in den „Ruhestand“ verabschiedet wird. Mit seiner, immer wieder durch großen Beifall unterbrochenen Rede „20 Jahre IHK. 20 Wünsche für die Zukunft“ las er – humorvoll verpackt – der Politik noch einmal die Leviten.
„Die Politik sollte die IHK auch wieder viel stärker als Partner begreifen. Ohne die Wirtschaft sind Zukunft und Innovation nicht zu machen. Hier gibt es großen Handlungsbedarf“, begann Gräßle. Schließlich sei die „IHK seit 1808 Motor des wirtschaftspolitischen Willensbildungsprozesses, Symbol für die Stärke der Metropolregion FrankfurtRheinMain, die Erfolgsgeschichte der Sozialen Marktwirtschaft und den internationalen Finanzplatz“. Deswegen „sollten wir insgesamt mehr IHK wagen und uns gemeinsam für die Zukunft engagieren.“
Ausländische Studenten mit Abschluss im Land behalten
Gegenwärtig habe er „den Eindruck, dass wir ungebremst und in vollem Bewusstsein an die Wand fahren“, warnte Gräßle im Hinblick auf den massenhaften Eintritt der geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhestand. Es sei dringend nötig, die Einwanderung ausländischer Fachkräfte zu erleichtern, um Betrieben die Lösung ihrer Nachwuchssorgen zu ermöglichen. „Die Bearbeitungsrückstände in den meisten Ausländerämtern sind peinlich“, und „Ämtern einen neuen Namen zu geben, rettet da auch nicht viel“ – spielte Gräßle auf die neulich in Frankfurt erfolgte Umbenennung von „Ausländerbehörde“ in „Immigrations Office“ an. Gräßle fragte, weswegen die 400.000 Menschen aus dem Ausland, die in Deutschland studierten, „nach ihrem Abschluss nicht einfach zwei Jahre bleiben, einen Arbeitsplatz suchen und in der Zeit die Bürokratie erledigen können?“
So sieht es auch der Hessens Ministerpräsident: Es sei doch „Quatsch“, so Rhein, dass ausländische Studenten nach ihrem Abschluss ausreisen müssten, um danach wieder Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen zu erhalten. Daher plane die hessische Landesregierung eine Bundesratsinitiative, damit zukünftig gelte: „Mit Abschluss gibt es auch die Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung in die Hand!“

Politik muss bei Bürokratieabbau endlich liefern
Statt nur Lippenbekenntnisse zum Bürokratieabbau abzugeben, müsse die Politik dieses Mal wirklich liefern, mahnte Gräßle an. Denn es verginge „keine Rede in der Wirtschaft, in der nicht der Bürokratieabbau angemahnt werde, und keine Rede in der Politik, in der Bürokratieabbau versprochen werde“, ohne dass anschließend etwas passiere.
Stellenbesetzung nach Kompetenz und nicht nach Geschlecht und Versorgungsgedanken
Was Stellenbesetzungen betrifft, wünschte sich der IHK-Geschäftsführer, „dass die Posten und Pöstchen nach Kompetenz und Qualität vergeben werden, nicht nach Geschlecht, Religion, geografischer und innerparteilicher Flügelherkunft oder gar nach der Frage, wer noch unterzubringen ist.“
Koalitionsverträge flexibel handhaben
Auch wünsche er sich, dass Koalitionsverträge von Parteien „nicht statisch gesehen werden“, „sondern der Vernunft ein Einfallstor offen halten, zumindest überprüfen zu dürfen, ob das noch sinnvoll ist, was man vielleicht noch unter ganz anderen Rahmenbedingungen vereinbart hat.“
Vertrauen in politisches Handeln herstellen
Gräßle wünschte sich vor allem mehr Vertrauen: „Sorgen Sie ganz schnell nach der Wahl dafür, dass es wieder Vertrauen in das politische Handeln gibt. Sorgen Sie für Berechenbarkeit und Verlässlichkeit. Reden Sie nicht nur, sondern setzen Sie auch um! Hauen Sie nicht irgendwelche Versprechungen raus, die nicht zu halten sind!“
Die IAA nach Frankfurt zurückholen!
Ein weiterer Punkt auf Gräßles Wunschliste war: „die Rückkehr der Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA) nach Frankfurt. Nicht, weil ich so ein großer Autofan bin, aber weil hier noch eine zum Teil selbst verschuldete Niederlage gegen München zu korrigieren ist.“
Amtseid ernst nehmen
Dann zitierte Gräßle den „Amtseid“, nach dem die Politikerinnen und Politiker schwören, „dass sie ihre Kraft dem Wohle des Deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das GG und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, ihre Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werden.“ Und forderte sie auf: „Tun Sie’s bitte!“
Zudem könne er „sich nicht verkneifen, Herr Ministerpräsident, zu erwähnen“, dass „es ihn irritiert, auf manchen Wahlplakaten Köpfe der Personen zu sehen, die gerade krachend gescheitert sind.“
Gräßle, geschätzt und mitunter wohl auch gefürchtet für seine klaren Worte, habe „der Politik natürlich nicht immer die Arbeit erleichtert“, „aber Ihre Aufgabe ist es ja auch nicht, uns das Leben leichter zu machen“, hatte Ministerpräsident Rhein eingangs in seiner kleinen Laudatio auf die stets vertrauensvolle und konstruktive Zusammenarbeit mit Gräßle augenzwinkernd erwähnt. An diesem Abend hatte der zum „Klartext“-Sprecher“ Geehrte seinem „Titel“ alle Ehre gemacht.
Mit Clemens Christmann, bisher stellvertretender Geschäftsführer der Vereinigung hessischer Unternehmerverbände (VhU), habe die IHK einen geeigneten Nachfolger für Gräßle gefunden, ist sich Rhein sicher.
Minutenlanger Applaus für den scheidenden IHK-Hauptgeschäftsführer. Anschließend Eröffnung des Get-together.
(Diether von Goddenthow /Rhein-Main.Eurokunst)
Weitere Infos: IHK Frankfurt am Main