Des Menschen Waldsehnsucht, seine Liebe und wachsende Sorge um die Natur sind keine Erfindungen heutiger Ökobewegungen, sondern haben ihre geistigen Wurzeln in der Epoche der Romantik um 1800. Wie sich seither unser Verhältnis zur Natur weiterentwickelt hat und wie die zahlreichen Facetten des einst neuen Naturverständnisses damals und heute miteinander zusammenhängen, zeigt vom 16. März bis 11. August 2024 erstmals umfassend die Ausstellung: „Wälder. Von der Romantik in die Zukunft“.
Diese große Drei-Wälder-Schau ist ein Gemeinschaftsprojekt vom Deutschen Romantik-Museum, Senckenberg Museum und Museum Sinclair-Haus. Aus unterschiedlichen Perspektiven nähern sich die Ausstellungsmacherinnen Anne Bohnenkamp-Renken, Brigitte Franzen, Kathrin Meyer und Nicola Lepp (Kuratorische Gesamtleitung) kompetent und fantasievoll diesem komplexen wie emotional aufgeladenen Thema. Ein Begleitprogramm mit Naturexkursionen, Wanderungen, Vorträgen sowie Vorort-Aktionen, lädt dazu ein Natur neu zu erfahren.
Deutsches Romantik-Museum
Entsprechend des Ursprungs heutiger Natur- und Klimaschutz- Bewegungen beginnt die Sonderausstellung „Wälder. Von der Romantik in die Zukunft“ vom 16. März bis 11. August 2024 logischerweise im Deutschen Romantik-Museum. Mit einem Fokus auf die Kultur- und Wissensgeschichte der Wälder von der Romantik bis zur Gegenwart werden hier die ersten sechs Kapitel erzählt, wie: „Natur als Subjekt Wald als Du“, „Der ganze Wald“, „Waldumbau“, „Waldumbau (tierlich)“, „Der Wald von Nahem“ sowie „Rechte des Waldes“.
Die Entdeckung der Natur als Subjekt – Wald als Du
Den Ursprung des Paradigmenwechsels im 18. Jahrhundert, die Natur jetzt auch verstärkt in ihren Wechselwirkungen als Verflechtungsgeschichte zu begreifen, wird in der eher unscheinbar wirkenden Prolog-Vitrine der Ausstellung aufgegriffen, unter anderem mit einem Original-Exemplar der Naturphilosophie von Friedrich Schelling: „Ideen zu einer Philosophie der Natur“, die 1797 erscheint. Schelling formuliert diesen sehr wichtigen Gedanken, dass die Natur nicht als ein Objekt zu denken ist, welches dem Menschen gegenübersteht, sondern dass die Natur ein Subjekt ist, in das der Mensch sozusagen eingelassen ist. Als einer bedeutenden Denker seiner Zeit Schelling als einer der ersten die Natur als eigenständig fühlendes Wesen. Das war revolutionär und ein Affront gegen die – den Primat der Vernunft hochhaltenden – Aufklärung eines Immanuel Kant. „Also wir haben einen fundamentalen Perspektivenwechsel, der auch das aufklärerische Naturverhältnis auf eine besondere Weise konterkariert“, erklärt Kuratorin Nicola Lepp. Die Schelling‘sche Naturphilosophie inspiriert romantische Schriftsteller, Denker, Naturforscher in der Zeit in besonderer Weise, dass nämlich nur in dieser gegenseitigen Bezogenheit dieser unterschiedlichen Erkenntniskräfte Welt und Natur erkannt werden könne.
Zwei weitere, erst auf den zweiten Blick spektakuläre Exponate zeigen, wie sehr der romantische Ansatz, Natur anders zu denken, von Schriftstellern und Künstlern im Übergang ins 19. Jahrhundert aufgesogen wurde. Wir finden hier neben Schellings Werk eine kleine Skizze der Romantik-Schriftstellerin Caroline von Günderode. Sie hatte sich um 1800, angelehnt an Schellings Naturphilosophie, mit der Frage befasst, welche geistigen und welche Erkenntnisvermögen wir eigentlich brauchen, um unsere Welt zu erkennen. Und da spielen eben solche – im heutigen Zeitgeist ganz selbstverständlich gebrauchten – Begriffe wie Intuition, Instinkt, Sensibilität bereits schon eine wichtige Rolle, so die Kuratorin. Die in Günderodes Schema dargestellte Dreiecksfigur verkörpere eine romantische Abkehr von den klassischen Dualismen; Objekt und Subjekt, Natur und Kultur. Günderode fügte als Drittes die „Synthese“ hinzu. Und „etwas Ähnliches“, so Nicola Lepp, „machte dann etwa knapp 20 Jahre später Johann Wolfgang von Goethe, der diese hier kleinen Papptetraeder entwirft als Sinnbild für die vier Kräfte des menschlichen Vorstellungsvermögens: Phantasie, Sinnlichkeit, Vernunft und Verstand“. Diese stehen heute noch im Weimarer Goethemuseum auf seinem Schreibtisch. Während Kant sagt, es gäbe die Vernunft, den Verstand und die Sinnlichkeit, „besteht Goethe darauf, dass die Phantasie als Vierte zu diesen menschlichen Vermögen, diesen Erkenntniskräften hinzugezählt werden muss“ so Nicola Lepp,
„Wälderwissen“
Im sich anschließenden Kapitel Wälderwissen stoßen Besucher nicht wie vielleicht vermutet auf Joseph von Eichendorff, den Schriftsteller der Romantik schlechthin, sondern auf den Naturforscher und Forschungsreisenden Alexander von Humboldt. Von Humboldt ist der erste moderne westliche Denker, der die Natur als einen lebenden Organismus betrachtet hat, indem er aufzeigt, dass Menschen, Tiere, Pflanzen, aber auch das Klima und Böden aufeinander bezogen sind, erklärt die Kuratorin. „Humboldt, den wir heute als Vordenker der Ökologie denken können, zeichnet den Wald als ein natürliches Gefüge, was aber eingelassen ist in klimatische Bedingungen, biologische Bedingungen, in Bodenkultur usw“. Zu sehen ist von Humboldts wunderbare Ölzeichnung von 1806 mit dem „Chimborazos “ in den Anden. Er gilt damals als höchster Berg der Welt galt. Diesen setzt Humboldt in ein Verhältnis zu Bergen und Natur auf der ganzen Welt, und man findet auf dem Bild sehr klein, mit der bereit liegenden Lupe, „den Brocken im Harz, den er zu den Anden in Beziehung gesetzt wird“, so Nicola Lepp.
Goethe malt anhand von Humboldt’s Beschreibung dessen Chimborazo-Bild nach. Er nennt es jedoch „Die Höhen und Tiefen der alten und neuen Welt“. Die neue Welt rechts, ist die Humboldt’sche Andenwelt, links davon sozusagen die westliche Welt. Während Humboldt als Naturforscher die empirische Ebene noch sehr stark hervorhebe, „tritt das bei Goethe zurück, und Goethe geht stärker auf die Anschauung“. Dieses Spannungsfeld zwischen Empirie und Anschauung sei etwas, „was das romantische Waldverhältnis auch sehr stark prägt“, erläutert Nicola Lepp.
Der ganze Wald
In den Wäldern, die die romantischen Künstlerinnen und Künstler in Wissenschaft, Literatur, Malerei und Musik entwerfen, sind Menschen erst dann zuhause, wenn sie in sie eintauchen und sich ihnen anverwandeln. Eine solche intime Zwiesprache mit der Natur ereignet sich vorzugsweise in der „Waldeinsamkeit“: ein Wort, das der Schriftsteller Ludwig Tieck 1797 für seine Erzählung Der blonde Eckbert erfunden hat. Der Wald wird nun zu einem – wenn auch als zutiefst zwiespältig empfundenen – Sehnsuchtsraum. Die poetischen Wälder der Romantik sind nicht mehr die von Menschen gemiedenen Schreckensorte. Es sind auch nicht die von intensiver menschlicher (Ver-)Nutzung gezeichneten realen Wälder. Vielmehr ent- steht der Wald als ein Spür- und Gefühls- raum, in dem sich Verbindungen zwischen Menschen und der lebendigen Mitwelt ent- werfen und erproben lassen. Dabei verschwinden die Grenzen zwischen den verschiedenen Künsten und den Wissenschaften: Das neue Wald- und Naturbild umfasst das Denken ebenso wie das Fühlen und die Einbildungskraft.
Waldumbau
Um 1800 erreicht eine andere Beschäftigung mit dem Wald ihren Höhepunkt. Parallel zu den Suchbewegungen der Künste etabliert sich um 1800 die klassische Forstwissenschaft an staatlichen Fachschulen und Universitäten als eine eigenständige Disziplin und ordnet die Wälder neu. Wie deren poetische Gestaltung war auch diese neue Wissenschaft eine Reaktion auf den schlechten Zustand, in dem sich die Wälder in ganz Europa befanden. Eine exzessive Nutzung vor allem als Brennstoff für den Bergbau, als Viehweide und als Bauholz hatte ihnen stark zugesetzt und sie teilweise zum Verschwinden gebracht. Die bewaldete Fläche liegt in Deutschland um 1800 weit unter dem heutigen Niveau von etwa einem Drittel. Die junge Wissenschaft macht aus der Frage des Waldes eine Rechenaufgabe. Unsere heutigen Wälder sind in vielerlei Hinsicht ein Produkt dieser auf den Ertrag ausgerichteten. Holzwirtschaft – ein Ergebnis menschlichen Tuns. Die Fläche an Primärwald, also an von menschlicher Einflussnahme unberührtem Wald, liegt in Deutschland bei lediglich 0,1 Prozent der Waldfläche.
Waldumbau (tierlich)
Einer der gefürchtetsten Bewohner des Waldes ist heute der Buchdrucker, ein in Europa verbreiteter Borkenkäfer. Schon die Forstleute um 1800 hatten mit ihm ein Problem. Denn die abgestorbenen Bäume, die die Käfer hinterlassen, unterlaufen die nachhaltigen Planungen des Waldbaus und machen die Holzernte unberechenbar. Sie stören unsere Erwartung, im Wald uns selbst zu begegnen. Wälder haben schön und für uns dazu sein. Diese Einstellung hat die Romantik in unseren Köpfen verankert. Doch ob Käfer Schädlinge sind, ist eine Frage der Perspektive. Forstinsekten sind zunächst einmal Teil der Lebensgemeinschaft in den Wäldern gemäßigter Zonen. Nicht Wälder, sondern Bäume bringen sie zum Absterben. Wir können sie auch als Lehrmeister verstehen, die uns bei der dringend angezeigten Umbauarbeit der Wälder unterstützen. Die Lebensgemeinschaften, die sich auf den von ihnen bearbeiteten Flächen ansiedeln – sei es durch forstwirtschaftliche Praktiken oder durch natürliche Verjüngung – sind jedenfalls deutlich widerstandsfähiger und artenreicher als die Wälder, die sie heimsuchen.
Der Wald von Nahem
In den Mikrokosmen der Wälder, in Baumrinden, am Waldboden oder in der Erde, werden die lebendigen Austauschprozesse in der Natur besonders augenfällig. An der Grenze zwischen über- und unterirdischer Welt zeigen sich die steten Wachstums- und Zerfallsvorgänge, die jeden Wald und jedes Leben ausmachen. Vom Großen zum Kleinsten sind alle, die dort versammelt sind, unablässig im Umbau und Austausch. Die Vorstellung der Natur als eines lebendigen Gesamtorganismus, der sich im dauerhaften Wandel befindet, ist schon älter. Emphatisch gestaltet wird sie aber erst gegen Ende des 18, Jahrhunderts, als sich abzeichnet, dass sich die Fülle neuer Entdeckungen nicht mehr in der Statik mechanistischer Weltbilder abbilden lässt. Dabei setzt die Suche nach den Wechselwirkungen in der Natur ein Interesse am Konkreten voraus – am je einzelnen Standort mit seinen spezifischen Bedingungen. Dieses Interesse bildet die Voraussetzung für ein Denken, das wir heute als ökosystemisch bezeichnen.
Rechte des Waldes
Dass Menschen Rechte an Wäldern beanspruchen – das Recht der Jagd, der Weide, der Holzernte oder der Erholung – ist nicht neu. Doch kann umgekehrt auch ein Wald selbst Rechte haben? „Lebendiger Wald“ nennen Angehörige des Kichwa-Volkes in Sarayaku ihren Lebensraum im Amazonas-Regenwald. Für sie ist der Mensch Teil dieses von physischen und spirituellen Wesenheiten bevölkerten Kosmos. Die Lebensrechte jener komplexen, belebten Natur – „Pachamama“ genannt – wurden 2008 in die ecuadorianische Verfassung aufgenommen. Weltweit folgen immer mehr Gesetzesinitiativen diesem Beispiel. Schon in der Romantik wurde kritisiert, dass die Elemente der Natur in unserem Rechts- und Wirtschaftssystem als bloße Objekte gelten. Die Argumente, die heute für einen Bruch mit dieser abendländischen Tradition vorgetragen werden, sind vielfältig und beziehen sich auf ethische, rechtsphilosophische, biologische und anthropologische Hintergründe. Haben sie das Zeug, den Gang der Geschichte zu verändern?
Deutsches Romantik-Museum
Großer Hirschgraben 21
60311 Frankfurt am Main
Telefon: +49 (0)69 138 80-0
E-Mail: info@freies-deutsches-hochstift.de
Museum Sinclair-Haus – Als der Wald wunderbar wurde
Das Museum Sinclair-Haus, Bad Homburg, setzt sich schwerpunktmäßig künstlerisch mit der „Wälder-Thematik“ auseinander. Besucher erwarten hier insgesamt drei Kapitel der Ausstellung „Wälder. Von der Romantik in die Zukunft“ (16. März bis 11. August 2024). Im Erdgeschoss: „In die Wälder“ und in der oberen Etage „Erdlebenbilder“ und „Waldangst – Waldlust“. Sie sollen den Blick für neue Sichtweisen auf Natur in den Künsten der Romantik und der Gegenwart öffnen helfen
In die Wälder! – Der Wald wird wunderbar
Bei „In die Wälder“ geht es um den Blick, „wie wir uns quasi Wäldern sinnlich nähern, vor allen Dingen eben in den Künsten, einfach aus dem Grund, dass auch in der Romantik die Künste quasi der Raum sind, wo diese neuen Naturbilder, diese neuen Naturverständnisse experimentell durchgespielt werden können.“, erklärt Museums-Direktorin Kathrin Meyer beim Presserundgang. Wie schon Anne Bohnenkamp-Renken bei ihrer Begrüßung gesagt habe, füge die Romantik „diesem Instrumentellen, dem zweckhaften Blick oder dem wissenshungrigen Blick der Aufklärung, die Stimmung dazu. Man könnte auch sagen, der Wald wird wunderbar“ in der Romantik“, erklärt Kathrin Meyer die Perspektive der Betrachtung auf die künstlerischen Positionen u. a. von: Yann Arthus-Bertrand, Julius von Bismarck, Carl Blechen, August Cappelen, Ellie Davies, Heinrich Dreber, Jasper Goodall, Wilhelm Klein, Carl Friedrich Lessing, Agnes Meyer-Brandis, Beth Moon, Loredana Nemes, Mariele Neudecker, Katina Vasileva Peeva, Friedrich Preller, Sophie Reuter, Abel Rodríguez, Johann Wilhelm Schirmer, Rasa Smite & Raitis Smits, Thomas Struth, Thomas Wrede, Zheng Bo sowie weitere Fotografien und historische Drucke.
Der „Wald wird wunderbar in der Romantik“ von einem Ort, der vielleicht früher auch noch mit Schrecken besetzt war und mit zweckhaften Verwendungs- und zergliedernden Wissenschafts-Blick wahrgenommen wurde, „ zu einem Ort, der auch faszinierend ist, an dem wir das Wunderbare finden, in dem wir Dinge finden, die wir sonst auch nirgendwo finden können. Und dieses Wunderbare trägt auch, glaube ich, bis heute unseren Blick auf den Wald sehr stark“, erläutert die Kuratorin. Der Wald als kultureller Ort sei beispielsweise assoziiert mit Mythen, Erzählungen oder Sagen oder werde in Filmen bis hin zu Tatortfolgen auf eine ganz bestimmte Weise aufgeladen. Das alles nähmen wir – wie durch eine Brille betrachtet, die wir nicht absetzen könnten – mit, wenn wir in den realen Wald gingen, so Kathrin Meyer. Im realen Wald fänden wir eben dort dann auch „ein Ökosystem vor, was in seinem eigenen Recht existiert. Und diese Blickverschiebung, diese Dopplung, einerseits den Wald als ein kulturelles Gebilde zu sehen, andererseits ihn als Naturraum in seinem eigenen Recht zu begreifen“, sei, wozu viele zeitgenössische Künstler bis heute versuchten Position zu beziehen, „was in der Romantik eben ein wichtiger Schritt war, zu sagen, die Natur ist adressierbar, ist ein Gegenüber, ist ein Subjekt, schaut auch zurück“, erläutert die Kuratorin.
Empfangen werden die Besucher von Mariele Neudeckers „Wald-Aquarium“ „And the world changed colur: breathing yellow“, wozu ein idealer Wald Vorlage war. Neudecker setze hier unseren kulturell geprägten Blick von Wald in Szene mit diesem Tank, der mit Wasser gefüllt ist. Dieser Wald ist eine Illusion. Und obgleich Neudecker die Mittel ihrer Herstellung auch komplett mit ausstellt, also den Wassertank nicht versteckt, erzeugt sie dennoch ganz starke Sehnsuchtsbilder, oder lässt es vielleicht auch wie so ein Traumbild wirken, Bilder vom Wald, die wir vielleicht suchen, wenn wir in den Wald gehen, obwohl wir eigentlich wissen, dass wir uns in einem Frost befinden, erläutert die Kuratorin ihre Perspektive.
Visavis an der Wand finden wir einen geschickt platzierten Text der Romantik-Schriftstellerin Bettina von Arnim aus dem Briefroman „Günderode“: „Ach wenn ich mich so umseh, wie sich alle Zweige gegen mich strecken und reden mit mir, das heißt küssen meine Seele und alles spricht. Alles was ich anseh, hängt sich mit Lippen an meine Seelenlippen und dann die Farbe, die Gestalt, der Duft, alles will sich geltend machen (…)“, es ist wunderbarer Text, der auch die Legend von Neudecker moderner Waldposition sein könnte.
Baumdüfte aufnehmen, um mit Bäumen zu kommunizieren
Ein besonderes Highlight befindet sich mit der Arbeit „One Tree ID“ von Agnes Meyer- Brandis im folgenden Raum. Es handelt sich dabei um eine Art Duftstation der Bäume. Die Künstler haben ihr interaktives Wälder-Kunstwerk auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse erstellt, nämlich dass Pflanzen „Volatile Organic Compounds“ (VOCs) emittieren und damit kommunizieren. „One Tree ID“ verdichtet die Duft-Identität eines bestimmten Baumes zu einem komplexen Parfüm, mit dem sich Besucher etwas betupfen können, um als Mensch draußen vor dem Museum mit Linde oder Zeder möglicherweise an der Pflanzenkommunikation teilhaben zu können.
Viele weitere Waldzugänge
Weitere spannende Positionen laden im ersten Kapitel „In die Wälder!“ Besucher zu neuen Sichtweisen und Beziehungen zu Wäldern ein, und „den“ Wald vielleicht in neuem Licht zu begegnen.
Erdlebenbilder
Im nächsten Kapitel Waldbilder liegt ein Schwerpunkt in der Gegenüberstellung von historischen und modernen Positionen. In der Romantik bilden Künstler das Gesehene so ab, wie sie das Gesehene empfunden haben. Sie bilden Wälder nicht naturgetreu ab, sondern imaginieren sie im Schaffensprozess im Zusammenspiel von Beobachtung, Gefühl und Wissen neu. Der Dresdner Arzt und Maler Carl Gustav Carus prägt 1835 den Begriff „Erdlebenbilder“, um die romantische Malerei von der traditionellen Landschaftsmalerei abzusetzen. Ein Erdlebenbild umfasst mehr als das Auge sehen kann: die Empfindungen der Künstler:innen, ihr naturkundliches Wissen und ihre Interpretation der Naturräume, die sie in Bilder übersetzen. Das „Erdleben“ setzt Carus analog zum „Menschenleben“. Wir verstehen „Erdlebenbilder“ von damals und heute in dieser Ausstellung als Zeugnisse von Momenten, in denen beide zusammentreffen. Diese Bilder formulieren immer auch ein Verhältnis zu Wäldern, eine Sichtweise der Natur oder eine Frage.
Natur und Mensch sind miteinander verknüpft und aufeinander bezogen – das ist längst wissenschaftlich bewiesen, aber im urbanen Alltag kaum zu spüren. Dieses Kapitel zeigt Kunstwerke, die Verflechtungen zwischen Menschen und Wäldern erkunden und diese damit auf vielfältige Weise wahrnehmbar machen. Was sind Wälder für den Menschen – und was ist der Mensch für die Wälder?
Waldangst – Waldlust
Im Wald der Romantik regiert nicht allein das Wunderbare, sondern auch die Angst, sich selbst, den Verstand oder das Leben zu verlieren. In den Märchen und Erzählungen spiegelt sich das spannungsreiche Verhältnis des Menschen zur umgebenden lebendigen Welt. Auch heute setzen Erzählungen und Bilder die Wälder als „Landschaften der Angst“ in Szene. Denn er bleibt in seiner Andersartigkeit undurchdringlich und unverfügbar – zumindest als Idee, denn real ist inzwischen jeder Wald für den Menschen potenziell nutzbar oder zerstörbar.
In der Gegenwart erhält die Angst durch die Klima- und Biodiversitätskrisen noch eine andere Dimension: die vor dem Verlust des Waldes. „Solastalgie“ bezeichnet das Gefühl, das wir beim Verlust vertrauter Naturräume empfinden. Das Kapitel lotet beide Seiten aus: den Wald als Schauplatz der Auseinandersetzung mit Angst vor der Natur sowie die existenzielle Angst, eine Seelenlandschaft unwiederbringlich zu verlieren.
Museum Sinclair-Haus,
Löwengasse 15, Eingang Dorotheenstraße
61348 Bad Homburg v.d. Höhe
T +49 (0) 6172 5950 500
Mo-Fr, 9-14 Uhr
museum@kunst-und-natur.de
Senckenberg Naturmuseum
Im Senckenberg Naturmuseum können die Besucher ihre Tour durch die 13 Kapitel der Ausstellung „Wälder. Von der Romantik in die Zukunft“ vom 16. März bis 11. August 2024 fortsetzen, angefange mit den Abschnitten „Wälderwissen“, „Das ,Wir‘ und die Wälder“, „Leben und Sterben der Wälder“ sowie „Wälder modellieren“. Eine Art „Wanderkarte“ durchs Museum hilft dabei, die in die Dauerausstellungen eingebetteten Sonderbereiche zu entdecken. Im Senckenberg-Museum kann man dabei zudem frühe, mehrere Millionen Jahre alte Baumversteinerungen sehen sowie Wald-Lebewesen weit entfernter Erdzeitalter wie die Dinosaurier oder die Urpferde und Primaten aus der Grube Messel, oder auch heutige Waldbewohner von den heimischen Vögeln bis hin zu den Gorillas der Regenwälder des Kongobeckens.
Ein wesentlichen Schwerpunkt legt das Senckenberg Naturmuseum auf die Wissens-Vermittlung und den OutTeach-Bereich. So gibt es parallel zu den innerhäuslichen Ausstellungskapiteln ein vielfältiges Vermittlungs- und Bildungsprogramm, „was wir eben auch in Zusammenarbeit mit den Vermittlungsabteilungen der drei Häuser gemacht haben“, erläutert Senckenberg-Direktorin und Co-Kuratorin Dr. Brigitte Franzen.
Man werde nicht nur in den Häusern sein, sondern raus gehen in die Natur, in die Wälder, in den Stadtraum. „Zum einen tun wir das zum Beispiel in klassischen Formaten wie Wanderungen, Exkursionen usw. Wir werden sozusagen auch in Goethes Fußspuren laufen, und den Stadtwald uns angucken. Wir werden dem Froschgesang bei Sonnenuntergang im Taunus lauschen, und wir werden aber auch einfach in die Stadt gehen“, schwärmt Co-Kuratorin Katarina Haage, die für die Vermittlung zuständig ist.
Die „Waldseele“ kommt per Lastenrad in die Stadtteile
Begleitet wird das Senckenberg-Team bei ihren Städte-Exkursionen „von dieser wunderschönen grünen Waldseele“, zeigt Katrin Haage auf eine Art riesiges grünes „Waldmonster“, dass extra für die Presse zur Veranschaulichung vor Museum aufgeblasen wurde. Dabei handelt es sich um ein Kunstobjekt, das das Team „‘Raumlabor‘ für uns geschaffen hat“. Dieses grüne Fantasie-Geschöpft hat drei Tentakel. Über die könne man tatsächlich auch mit der Waldseele interagieren. „Es kommen vielleicht mal Töne raus, man kann vielleicht mal anfassen, man kann auch etwas erriechen. Man kann also seine Sinne benutzen, um sozusagen mit ihr Kontakt aufzunehmen. Und wir nutzen sie aber eben auch um mit den Menschen in Kontakt zu kommen“, so Katarina Haage. Dieses Waldmobil solle natürlich Aufmerksamkeit auf sich ziehen, neugierig machen. Man wolle, so die Co-Kuratorin, mit dem „Waldmobil“ quasi unangekündigt in Stadtteilen erscheinen, und man hoffe hierdurch vor allen Dingen die Menschen anzutreffen, „die jetzt gar nicht unbedingt mit uns rechnen, die gar nicht unbedingt sich an dem Tag, in dem Moment mit dem Thema Wälder beschäftigen wollten“.
Stationen der Wälder-Ausstellung
Der Weg durch die in die Dauerausstellung eingebetteten Stationen im Naturmuseum führt unter anderem zu einer indigenen Universität des Waldwissens im Amazonasgebiet, einem Protestcamp zum Waldsterben bis hin zu einem Kameraflug von den Wurzeln in die Wipfel eines virtuellen Urwalds. Erstaunliche wissenschaftliche Ergebnisse aus der Senckenberg-Forschung und zahlreiche Präparate von Waldbewohnern werden spannungsreich ergänzt durch Positionen des dänischen Künstlers Jakob Kudsk Steensen und der Schweizer Künstlerin Ursula Biemann, die in eine eindrucksvolle Bilderwelt ihrer eigenen Erforschung der Wälder einladen.
Die Dresden Frankfurt Dance Company unter Leitung des Choreographen Ioannis Mandafounis setzt das Thema tänzerisch-performativ um. Die Performance lädt an zehn Mittwochabenden Besuchende dazu ein, sich gemeinsam auf eine Reise durch den Wald zu machen und sich darin zu verlaufen. Eindrückliches dokumentarisches Material zum Joseph Beuys Projekt „7000 Eichen – Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“ – das als erstes ökologisches Kunstwerk der Welt gilt und schon damals einen aktivistischen Ansatz hatte – sowie Plakate, historische Unterlagen und gesellschaftliche Zeitzeugnisse zum Lebenskreislauf von Wäldern eröffnen weitere Perspektiven. Wie ein zukünftiger Wald in 50 bis 100 Jahren aussehen könnte, veranschaulichen wissenschaftliche Modellierungen von Senckenberg-Forschenden.
Wälderwissen
Schon in der Romantik wurde erkannt, dass ungebremste Abholzung zur Verarmung der Wälder führt. Unser Verständnis des Naturraums Wald ist heute von der Notwendigkeit geprägt, ihn nachhaltig zu nutzen und zu schützen. Im 19. Jahrhundert erweitert sich durch Forst- und Naturwissenschaft das Wälderwissen weltweit rasant und wird berechenbar. Gleichzeitig wird das indigene Wissen der Waldbewohner zurückgedrängt. Man beginnt dennoch, es als Ressource auszubeuten. In der westlichen Welt verliert der Wald das Geheimnisvolle und Bedrohliche und wird zum Erholungsraum. Gleichzeitig sind die Wälder Lebensräume für tausende von Lebewesen, z. B. für Vögel. Die positiven Wirkungen gesunder Wälder und Naturphänomenen wie Gerüchen, Windrauschen, Wassergeplätscher und Vogelstimmen auf Puls und Blutdruck, Atmung und Hormonhaushalt sind heute wissenschaftlich und weltweit nachgewiesen. Wirtschaftliche Verhältnisse, wissenschaftliche Erkenntnisse, kulturelle, gesellschaftliche sowie politische Einflüsse prägen das spezifische „Wälderwissen“.
Das „Wir“ und die Wälder
Frankfurt hat die größten innerstädtischen Waldgebiete Deutschlands. Ihr Zustand macht nach Dürrejahren und Trockenheit in der Wachstumsperiode nicht nur den Förstern Sorge. Der Schutz der Stadtbäume und die Proteste bei der Rodung von Waldflächen beschäftigt die Stadtgesellschaft. Am Dienstag nach Pfingsten feiern wir den „Wäldchestag“. Seine Wurzeln gehen zurück ins 14. Jahrhundert. Auch Spuren von „Urwäldern“ existieren noch: z. B. die „Reliktwälder“, Biegwald und Teufelsbruch. Sie sind wichtige Untersuchungsfelder für stadtökologische Forschung. Seit 1985 beobachtet die Senckenberg Forschungsgruppe Biotopkartierung die städtischen Ökosysteme; ab 2000 auch den Stadtwald. Sein Zustand hat sich dramatisch verschlechtert.
Die Identifikation mit den Wäldern hat in Deutschland Tradition, von der „deutschen Eiche“, dem brünftigen Hirschen bis zum Volkslied reichen die Symbole. Im Nationalsozialismus instrumentalisierte man den Wald als Ausdruck einer rassistischen und antisemitischen Naturkultur. Das hat auch die Waldforschung der Zeit beeinflusst.
Leben und Sterben der Wälder
Wälder sind lebende Systeme. Sie unterliegen natürlichen und menschengemachten und technischen Prozessen von Werden und Vergehen. In den 1980er Jahren wurde das Waldsterben mit dem „Sauren Regen“ erstmals offensichtlich. Wälder sind heute weltweit bedroht und damit auch die Artenvielfalt. Kreisläufe bestimmen die Komplexität des Lebens und Sterbens. Abgestorbene Bäume heißen Totholz und wimmeln von Leben. Insekten, Pilze und Flechten ernähren sich vom zerfallenden Holz und nutzen es als Lebensraum. Am Ende bleibt fruchtbare Erde, die den Grund für neue Bäume und die Lebensgemeinschaft Wald bildet. Weil neu aufwachsende Pflanzen, insbesondere Bäume, CO2 binden, ist es entscheidend, diese Ökosystemleistungen global zu schützen. Auch die Geowissenschaften beziehen sich auf ehemalige Wälder. Die Rekonstruktion des Lebens und das Verständnis von Evolution gewinnt mit Fossilien wichtige Informationen. Gleichzeitig sind heutige Kohlelagerstätten, mithilfe geologischer Forschung entdeckt, Überreste von Wäldern vor Jahrmillionen.
Wälder modellieren
Die systematische naturwissenschaftliche Beschreibung und Erfassung der Arten beginnt Mitte des 18. Jahrhunderts mit Carl von Linné. Die sich parallel ausbildende Forstwirtschaft systematisiert das Wissen über Wälder im 19. Jahrhundert. In der Romantik wandelt sich der wirtschaftlich genutzte Wald zum Sehnsuchtsort. So wird er zur ideellen und idealisierten Gegenwelt der weltweiten Ausbeutung der Wälder. Musik, Malerei, Philosophie und Literatur bilden die oft als „magisch“ empfundenen Natur- und Selbsterfahrungen in Wäldern ab. Dabei spielten sowohl die Wälder der Umgebung als auch weit entfernte Wälder in kolonisierten Gebieten als Referenz eine Rolle. Forscher:innen sammeln und untersuchen Daten aus Wäldern global und lokal im Hinblick auf Wechselwirkungen zwischen Biodiversität, Ökosystemfunktion und Klima. Ziele sind das Verständnis grundlegender Prozesse, die Bewertung von Ökosystemleistungen und die Entwicklung von Szenarien und Maßnahmen für zukünftige nachhaltige Anpassungen in der Klimakrise.
Senckenberg Naturmuseum Frankfurt
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(Dokumentation: Diether von Goddenthow /Rhein-Main.Eurokunst)