Text & Spirit Erleuchtungsgrafik Mittelalterliche Handschriften zwischen Alltagspraxis, Luxus und Glaube – 13. März – 22. Juni 2025

„Text & Spirit Erleuchtungsgrafik. Mittelalterliche Handschriften zwischen Alltagspraxis, Luxus und Glaube“ vom 13. März – 22. Juni 2025. © Museum Angewandte Kunst Foto: Guenzel Rademacher

Vom 13. März – 22. Juni 2025 präsentiert das Museum Angewandte Kunst erstmals in der Ausstellung Text & Spirit seinen vollständigen Bestand spätmittelalterlicher illuminierter Handschriften. Gezeigt werden kunstvoll gestaltete Bücher und Fragmente, deren exquisite Buchmalerei und dekorative Gestaltung – darunter in Gold, Lapislazuli und Purpur – faszinieren. „Doch welche Bedeutung haben diese historischen Stundenbücher für uns heute?“, fragt die Ausstellung.

Text & Spirit beleuchtet die Parallelen zwischen vergangenen und gegenwärtigen Medien und zieht eine Verbindung zwischen den mittelalterlichen Stundenbüchern und den heutigen Smartphones. Beide dienen nicht nur als Kommunikationsmittel, sondern auch als Statussymbole, deren Funktion sich bis hin zu modischen und performativen Accessoires erstreckt. Besonders bemerkenswert ist die Art und Weise, wie beide Medien den Menschen aus seiner unmittelbaren Umgebung herauslösen und ihm einen geistigen Rückzugsort bieten. Die Ausstellung positioniert die Stundenbücher neu – im Kontext des digitalen und vernetzten 21. Jahrhunderts.

Digitalisierungsprojekt der Stadt Frankfurt am Main

Ausstellungsansicht: „Text & Spirit Erleuchtungsgrafik. Mittelalterliche Handschriften zwischen Alltagspraxis, Luxus und Glaube“ vom 13. März – 22. Juni 2025. © Museum Angewandte Kunst Foto: Guenzel Rademacher

Text & Spirit ist Teil eines Digitalisierungsprojekts des Dezernats für Kultur und Wissenschaft der Stadt Frankfurt am Main. Das Museum Angewandte Kunst hat für dieses Vorhaben herausragende Werke aus seiner Sammlung ausgewählt, die aufgrund ihrer Fragilität und ihres hohen kunsthistorischen Werts bislang nur selten oder gar nicht öffentlich zugänglich waren. Dabei handelt es sich um christliche Gebetsbücher des Spätmittelalters – darunter Psalter, Breviere und Stundenbücher – die als illuminierte Handschriften kostbar ausgestattet wurden.

Diese Werke gelangten über die Privatsammlungen der Brüder Michael (1830–1892) und Albert Linel (1833–1916) sowie Wilhelm Peter Metzler (1818–1904) in das Museum. Ihre kunstvollen Textgestaltungen auf Pergament sind beeindruckende Zeugnisse mittelalterlicher Buchkultur und christlicher Frömmigkeit.

Im Zuge des Digitalisierungsprojekts wurden diese wertvollen Handschriften vollständig gescannt und werden künftig über die digitale Museumsplattform Sammlung digital öffentlich zugänglich sein. In der Ausstellung Text & Spirit können sie in ihrer ganzen Pracht bewundert werden – als einzigartige Symbiose aus Schrift, Malerei und kostbaren Materialien wie Pergament und Gold.

Zudem lädt die Ausstellung dazu ein, sich mit weiterführenden Fragen zu Alltagsritualen, Wertesystemen, Mode, Kunst, Restaurierung und Religion auseinanderzusetzen. Sie eröffnet neue Perspektiven auf die mittelalterlichen Buchwerke und ihre Relevanz in der heutigen Zeit.

Für eine weiterführende Auseinandersetzung mit dem Thema ist die Ausstellung entlang der Digitalisate konzipiert und wird durch begleitende Videointerviews sowie ein vertiefendes Literaturangebot ergänzt. Sie bietet den Anlass, diesen bedeutenden Museumsbestand einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen – sowohl zur Erkundung als auch für wissenschaftliche Forschung.

Erleuchtungsgrafik – Die Bedeutung der Stundenbücher im Mittelalter

Ausstellungsansicht: „Text & Spirit Erleuchtungsgrafik. Mittelalterliche Handschriften zwischen Alltagspraxis, Luxus und Glaube“ vom 13. März – 22. Juni 2025. © Museum Angewandte Kunst Foto: Guenzel Rademacher

Bei illuminierten Handschriften steht weniger das einzelne Bild im Vordergrund als vielmehr die Bildlichkeit des gesamten Buches. In ihrer Nutzung bilden Schrift, Initialen, Miniaturen und Ornamentik eine harmonische Einheit. Diese Elemente folgen einer medienstrategischen Logik des Übergangs, deren Ziel es ist, das Irdische mit dem Göttlichen zu verbinden. Durch diesen transzendierenden Prozess, der einer stufenweisen Erhebung gleicht, ermöglicht das Buch eine geistige Annäherung an das Jenseits.

Daher dienen die Bilder in Stundenbüchern nicht der bloßen Illustration des Textes oder einer narrativen Ergänzung. Vielmehr stehen die textlichen und bildlichen Ausdrucksformen in einem dialogischen Verhältnis zueinander – nach dem Prinzip eines Frage-und-Antwort-Spiels, das Begegnungen zwischen Vorbild und Gegenbild inszeniert.

Diese Tradition unterstreicht, dass Bücher im Mittelalter weniger der reinen Informationsvermittlung dienten, sondern als spirituelle Begleiter fungierten. Sie strukturierten den Tages-, Wochen- und Jahresverlauf und prägten das gesamte Leben ihrer Besitzer. Da das Christentum als Buchreligion maßgeblich durch das geschriebene Wort vermittelt wird, wurde die Heilsbotschaft in Gebetstexten nicht nur gelesen, sondern durch Grafik und Malerei buchstäblich zum Leuchten gebracht – mit dem Ziel, den Gläubigen zu erleuchten.

Die Nutzung illuminierter Gebetbücher war dabei ein ganzheitlicher, performativer Akt: Das Sehen wurde zum Lesen, das Lesen zum Sprechen, das Sprechen zum Singen, und der Gesang entwickelte sich zu einem über das Diesseits hinausreichenden Form- und Farbenspiel. In dieser Hinsicht entfalten sich die illuminierten Handschriften als Medien mit einer einzigartigen ästhetischen und spirituellen Qualität.

Der Begriff Erleuchtungsgrafik beschreibt das Spannungsfeld zwischen Malerei und Grafik sowie zwischen freier und angewandter Kunst. Die Ornamente und stilisierten grafischen Elemente der Handschriften sind keine bloßen Verzierungen, sondern essenzielle Bestandteile der Buchgestaltung und ihrer medialen Wirkung. Ihr gemeinsames Ziel ist es, das Irdische spirituell zu übersteigen. Entscheidend für die Rezeption illuminierter Handschriften ist daher die Frage, welche sinnlich-spirituelle Rolle die einzelnen Gestaltungselemente innerhalb des Gebets einnehmen.

Neupositionierung Heute

Was aber kann man heute mit diesen Büchern anfangen? Welche damals entwickelten Lebensstrategien wirken bis in die Jetztzeit nach – auch jenseits christlicher Glaubenspraxis?
Welche Anregungen lassen sich aus diesem Sammlungsbestand für die gegenwärtige digital-interaktive und zunehmend emotionalisierte Medialität gewinnen? Und inwiefern ergeben sich Schnittstellen zwischen den damaligen Stundenbüchern zu den heutigen Smartphones?

Stundenbücher als modisch-performative Accessoires

„Text & Spirit Erleuchtungsgrafik. Mittelalterliche Handschriften zwischen Alltagspraxis, Luxus und Glaube“ vom 13. März – 22. Juni 2025. © Museum Angewandte Kunst Foto: Guenzel Rademacher

Das Digitalisierungsprojekt und die Ausstellung Text & Spirit betrachten das Buch als ein ganzheitliches Medium, das visuelle, haptische und akustische Ausdrucksformen im Kontext christlicher Gebetspraxis vereint. Stundenbücher spielten eine zentrale Rolle bei der Strukturierung des täglichen Lebens, indem sie feste Abläufe für das Gebet und die Anrufung Gottes vorgaben. Im spätmittelalterlichen, zunehmend säkularen Umfeld entwickelten sie sich über ihren religiösen Zweck hinaus zum beliebtesten Buchtyp außerhalb der Klöster.

Illuminierte Gebetsbücher wurden zu begehrten Prestigeobjekten, die im städtischen Raum nicht nur die persönliche Frömmigkeit, sondern auch den sozialen Status ihrer Besitzer:innen widerspiegelten. In diesem Wechselspiel von Sehen und Gesehenwerden avancierten sie zu modisch-performativen Accessoires. Ihre kompakte Form und ihr Schutzumschlag inspirierten später exklusive Handtaschendesigns – ein Einfluss, der sich in den Kreationen von Jil Sander oder Kostas Murkudis widerspiegelt. Bereits im Mittelalter trug man sie als intimes Accessoire in Beutelform am Gürtel – eine Tradition, die sich in der Modegeschichte fortsetzte.

Auch die gestalterischen Prinzipien der Stundenbücher finden bis heute in Mode- und Lifestyle-Magazinen Anwendung. Dies zeigt sich insbesondere in deren zyklischer Erscheinungsweise, die mit der Saisonalität von Mode korrespondiert, sowie in der Verknüpfung von Lesenden mit überzeitlichen, kosmischen Dimensionen – etwa durch Horoskope. Zudem spiegeln sich die typografischen und gestalterischen Elemente illuminierter Handschriften in modernen Magazinen wider: Kalligrafische Initialen, kunstvolle Satzspiegel und das oft disproportionale Verhältnis von Text und Bild sind zentrale Merkmale beider Medien. Entscheidend ist dabei weniger das Lesen der Texte als deren visuelle Wirkung in der wechselseitigen Inszenierung von Schrift und Bild. Ziel ist es, Leser:innen in andere Sphären zu versetzen und ein immersives Erlebnis zu schaffen.

Stundenbuch und Smartphone – Medien der Kontemplation
Die Parallele zwischen Stundenbüchern und Smartphones eröffnet ein neues Verständnis für die Funktion beider Medien im historischen Vergleich. Beide dienen nicht nur als ständige Begleiter, sondern strukturieren den Tagesablauf und fungieren als Ausdruck von Status und Identität. Sowohl Stundenbücher als auch Smartphones sind an der Schnittstelle zwischen Kommunikation, Text und Bild angesiedelt und ermöglichen Übergangsstrategien zwischen verschiedenen Wirklichkeitsebenen.

Bemerkenswert ist insbesondere ihre gemeinsame Eigenschaft, den Nutzer oder die Nutzerin aus der unmittelbaren Gegenwart herauszulösen und eine gedankliche Einkapselung zu ermöglichen. Dies ist die Voraussetzung für eine mentale Verbindung mit einer anderen Sphäre – sei es im spirituellen Dialog mit dem Göttlichen oder in der digitalen Interaktion mit entfernten Personen. In beiden Fällen eröffnet das Medium einen Zugang zu einer erweiterten, nicht unmittelbar erfahrbaren Realität.

Wird mit dem Stundenbuch in der Hand Gott angerufen, so ermöglichen Smartphones heute den Austausch mit der ganzen Welt. Beide Medien eröffnen Räume der Imagination – wenn auch auf unterschiedliche Weise.

Darüber hinaus zeichnen sich sowohl Stundenbücher als auch Smartphones durch ihre Vielseitigkeit aus. Ihre Multifunktionalität beruht auf der Fähigkeit, komplexe Bedeutungsräume verschiedener Bezugssysteme zu vereinen, diese sowohl emotional als auch intuitiv erfahrbar zu machen und daraus eine umfassende, sinnstiftende Lebensgestaltung zu schöpfen.

Ein weiteres verbindendes Element ist ihre körperliche Nähe: Beide Medien lassen sich durch dekorative Ketten als modisch-performative Accessoires tragen – sei es das mittelalterliche Stundenbuch am Gürtel oder das Smartphone an einer Schmuckkette. Diese enge Verbindung zum Körper trägt dazu bei, ihre Bedeutung als persönliche Begleiter im Alltag zu intensivieren.

Die Frage nach dem Wert der Kodizes
Ein zentrales Thema der Ausstellung ist die Kostbarkeit der Kodizes, die als die teuersten Gegenstände ihrer Zeit gelten. Wie entsteht der Wert von Dingen, für die Menschen bereit sind zu bezahlen, und wie viel sind sie bereit, von ihrem Leben zu investieren? Diese Frage nach dem Wert wird durch die Ausstellung thematisiert – unter anderem mit Hilfe eines LED-Laufschriftbandes, das die zehn teuersten Gegenstände der Welt zeigt.

Der Concept Store Maria, der anlässlich der Ausstellung im Museum vertreten ist, bietet sonntags von 14 bis 17 Uhr sowie zu besonderen Museumsanlässen eine Gelegenheit, sich praktisch mit der Frage des Wertes auseinanderzusetzen.

Ausstellungsintegrierte Videointerviews 
Im Rahmen des Digitalisierungsprojekts und der Sammlung illuminierter Handschriften des Museums Angewandte Kunst führte Eva Linhart Interviews mit zwölf Fachleuten aus den Bereichen Kunst, Kult, Mode und Bankwesen. Die resultierenden Videos bieten verschiedene Perspektiven auf die Gebetbücher als Medien und Lebensbegleiter.

Die Interviews sind im Ausstellungsraum auf der Empore sowie auf dem YouTube-Kanal des Museums Angewandte Kunst verfügbar.

Interviews zur Ausstellung mit:
Dr. Stefan Soltek, Experte für Kunst und Buch
Ata Macias, DJ und kreativer Impulsgeber
Gerhard Wiesheu, Vorstandssprecher Bankhaus Metzler
Dipl. Rest. Barbara Hassel, Buchrestauratorin
Dr. Beatrice Alai, Expertin für die Geschichte der italienischen Buchmalerei
Dorothea Strauss, Kunsthistorikerin, Kuratorin und Transformationsexpertin
Prof. Dr. Jochen Sander, Städel Museum
Jochem Hendricks, Künstler
Prof. Dr. Kristin Böse, Professorin für mittelalterliche Kunst
Dr. Johanna Scheel, Mediävistin und freie Kunsthistorikerin
Dr. Peter Gorzolla, Mediävist
Pfarrer Andreas Hoffmann, Sankt Petersgemeinde in Frankfurt am Main, Seelsorger und Künstler

Ort
Museum Angewandte Kunst Schaumainkai 17
60594 Frankfurt am Main

Information
T +49 69 212 31286
F +49 69 212 30703
info.angewandte-kunst@stadt-frankfurt.de www.museumangewandtekunst.de

Öffnungszeiten
Mo geschlossen, Di, Do–So 10–18 Uhr, Mi 10–20 Uhr

Eintritt
12 Euro, ermäßigt 6 Euro
Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren sowie Studierende der Goethe-Universität Frankfurt, der Städelschule und der HfG Offenbach frei