
Der Hessische Innenminister Prof. Dr. Roman Poseck hat anlässlich des 12. Hessischen Gedenktages für die Opfer von Flucht, Vertreibung und Deportation dazu aufgerufen, die Erinnerung an die Vergangenheit lebendig zu halten. Im festlich geschmückten Schloss Biebrich kamen dazu zahlreiche Gäste aus Politik, Gesellschaft und Vertriebenenverbänden zusammen, die von Siegbert Ortmann, BdV-Vorsitzender des Landesverbands Hessen e. V. im Bund der Vertriebenen, begrüßt wurden.
Der Hessische Gedenktag erinnert seit 2014 an das Leid von Millionen Menschen, die durch Krieg, Gewaltherrschaft und Vertreibung im 20. Jahrhundert ihre Heimat verloren haben. Zugleich wird der große Beitrag gewürdigt, den Vertriebene, Flüchtlinge und später Aussiedler beim Wiederaufbau und bei der Entwicklung Hessens geleistet haben. Traditionell richtet der hessische Landesverband des Bundes der Vertriebenen (BdV) zu diesem Anlass auch seinen zentralen „Tag der Heimat“ aus, der in diesem Jahr unter dem Leitwort „80 Jahre: Erinnern – Bewahren – Gestalten“ veranstaltet wird.
Als Festredner konnte der BdV Rafat Bartek, Vorstandsvorsitzender des Verbandes der deutschen sozial-kulturellen Gesellschaften in Polen (VdG), gewinnen. Der 1977 in Oppeln geborene Pädagoge gilt als einer der profiliertesten Vertreter der deutschen Minderheit. Bartek ist ein Brückenbauer zwischen Deutschland und Polen. Er setzt sich für die Förderung der deutschen Sprache, die Stärkung unabhängiger Minderheitenmedien und für den Schutz von Minderheitenrechten ein. Maßgeblich begleitete er die Gründung des Dokumentations- und Ausstellungszentrums der Deutschen in Polen in Oppeln, das 2022 eröffnet wurde.

Erinnern bedeute, das Leid der Opfer niemals zu vergessen
Poseck dankte Bartek für die weite Anreise aus Oppeln nach Wiesbaden und betonte, wie sehr er sich auf dessen Worte freue. Besonders hob er dessen Einsatz für Frieden und Menschenwürde hervor – ein Engagement, das gerade in diesen Zeiten von unschätzbarem Wert sei.
Sein Dank galt außerdem dem Bund der Vertriebenen und allen Mitstreiterinnen und Mitstreitern für ihren jahrzehntelangen ehrenamtlichen Einsatz. Dieses Engagement leiste einen entscheidenden Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt, indem es Menschen zusammenführe, kulturelle Veranstaltungen und Brauchtum pflege sowie historische Erinnerungsarbeit leiste.
Poseck erinnerte an den 8. Mai als Zäsur und Tag der Befreiung, der das Ende eines schrecklichen Krieges markierte und den Aufbau von Demokratie, Rechtsstaat und Frieden in Deutschland ermöglichte. Zugleich wies er auf die Ambivalenz dieses Datums hin: Für viele Menschen begann mit dem Kriegsende erst das Leid von Flucht, Vertreibung und einem schweren Neuanfang.
Persönlich berichtete der Minister von seiner Patentante, die 1935 im schlesischen Schweidnitz geboren wurde und im August im Alter von 90 Jahren verstarb. Mit ihr habe er den letzten engen Familienangehörigen verloren, mit dem er über die alte Heimat und das Schicksal von Flucht und Vertreibung sprechen konnte. Diese Erfahrung verdeutliche, wie wichtig es sei, dass jüngere Generationen die Erinnerung wachhalten.
Erinnern bedeute, das Leid der Opfer niemals zu vergessen und zugleich die enorme Integrations- und Aufbauleistung der Heimatvertriebenen zu würdigen. Gerade in Hessen, wo jede dritte Familie eine Fluchtgeschichte habe, sei deren Beitrag für die Entwicklung des Landes unschätzbar. Ebenso gelte es, die mitgebrachte Kultur – ob Musik, Tanz, Kulinarik oder Bräuche – zu bewahren und an die Jugend weiterzugeben. Beispiele wie die Siebenbürger Sachsen in Dinkelsbühl oder Tanzwettbewerbe in Wetzlar zeigten, dass diese Traditionen lebendig bleiben.

Doch Erinnern heiße auch, den Blick auf Gegenwart und Zukunft zu richten. Poseck hob den Beitrag der Heimatvertriebenen zur europäischen Aussöhnung hervor. Durch grenzüberschreitenden Austausch und Jugendarbeit hätten sie über Jahrzehnte Brücken gebaut und damit ein Fundament für ein geeintes, friedliches Europa gelegt – eine Leistung, die angesichts aktueller Krisen von großer Bedeutung sei.
Politischer Schwerpunkt: Förderung der Verbände und Landsmannschaften
Abschließend versicherte der Staatsminister, dass die hessische Landesregierung diese Arbeit auch künftig nach Kräften unterstützen werde. Die Bedeutung der Heimatvertriebenen zeige sich etwa darin, dass Hessen seit über 25 Jahren einen eigenen Landesbeauftragten für diese Belange hat und auch der Landtag einen eigenen Ausschuss eingerichtet hat. Trotz angespannter Haushaltslage bleibe die Förderung der Verbände und Landsmannschaften ein politischer Schwerpunkt. „Ihre Arbeit ist für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft unverzichtbar“, so Poseck, „und wir werden auch künftig verlässlich an Ihrer Seite stehen.“
Flucht und Vertreibung sind keine Kapitel der Vergangenheit
Poseck überbrachte herzliche Grüße des Ministerpräsidenten Boris Rhein, der mahnte, dass Konflikte wie der russische Angriffskrieg auf die Ukraine uns schmerzhaft bewusst machten, „dass Flucht und Vertreibung keine Kapitel der Vergangenheit sind, sondern bittere Gegenwart. Sie zeigen, wie zerbrechlich Frieden und Sicherheit sind und wie wichtig es ist, unsere Freiheit zu schützen. Auch in Hessen tragen viele Familien die Erinnerungen an Verlust und Neuanfang in sich. Dass wir seit zwölf Jahren den Gedenktag für die Opfer von Flucht, Vertreibung und Deportation begehen, ist Ausdruck unseres Respekts vor ihren Lebensgeschichten. Dieser Gedenktag mahnt uns, Verantwortung zu übernehmen: um zu erinnern, unser demokratisches Zusammenleben zu stärken und den Frieden in Europa zu bewahren. Gerade deshalb liegen uns in Hessen die Belange der Heimatvertriebenen und Spätaussiedler besonders am Herzen“, sagte der Ministerpräsident.
Erinnerungs- und Bildungsarbeit, damit solches Leid nie wieder geschehe

In seiner Festrede gab Rafat Bartek, Vorstandsvorsitzender des Verbandes der deutschen sozial-kulturellen Gesellschaften in Polen (VdG), einen historischen Abriss über das Schicksal der im Nachkriegspolen „verbliebenen“ deutschen Minderheit. 80 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg sei es wichtiger denn je, an die schrecklichen Ereignisse jener Zeit zu erinnern. Denn Vergessen führt zu neuen Konflikten – das zeigen aktuelle Kriege im Nahen Osten und in der Ukraine, so Bartek.
„Nach 1945 bewiesen die Menschen, dass Versöhnung und Frieden möglich sind. Ein entscheidendes Fundament legte die Charta der deutschen Heimatvertriebenen (1950): Verzicht auf Rache, Einsatz für ein geeintes Europa und Mitarbeit am Wiederaufbau.“
Als Vertreter der deutschen Minderheit in Polen erinnere er sich „an die vielen Opfer von Krieg und Nachkriegsgewalt: Vertreibungen, Deportationen, Zwangsarbeit, Verlust von Sprache, Kultur und Identität. Orte wie die Lager Lamsdorf, Potulitz und Zgoda oder die Versenkung der Schiffe ‚Wilhelm Gustloff‘, ‚Steuben‘ und ‚Goya‘ mahnen uns, dass solches Leid nie wieder geschehen darf“, betonte der VdG-Vorsitzende.
„Auch nach dem Krieg litten Deutsche in Polen unter Verboten, Zwangs-Polonisierung und Diskriminierung – ein Thema, das bis in die Gegenwart reicht, wie die zeitweise Kürzung des Deutschunterrichts für Minderheitenkinder zeigte.“, bedauerte Bartek.
Umso wichtiger bliebe die Erinnerungs- und Bildungsarbeit. „Gedenktage wie der Volkstrauertag und das neue Dokumentations- und Ausstellungszentrum der Deutschen in Polen sind Zeichen, dass diese Geschichte nicht vergessen wird.
Nur wenn wir die Flamme der Erinnerung weitergeben, können wir ein Europa der Wahrheit, Versöhnung und des Friedens bewahren.“, sagte Bartek abschließend.
Erinnerung als Mahnung und gesellschaftlicher Auftrag

Auch der Landesbeauftragte für Heimatvertriebene und Spätaussiedler, Andreas Hofmeister, betonte in seinem Schlusswort die Bedeutung des Erinnerns: „Das Erinnern an die Opfer von Flucht, Vertreibung und Deportation sowie an das Schicksal und die Leistungen der deutschen Heimatvertriebenen und (Spät-)Aussiedler hat in Hessen einen festen Platz. Mit dem Hessischen Gedenktag erinnern wir an das Leid der Betroffenen, gedenken der Opfer und würdigen die Leistungen der deutschen Heimatvertriebenen und (Spät-)Aussiedler für die Geschichte unseres Landes. Der Hessische Gedenktag ist jedoch Verpflichtung und Mahnung zugleich – es geht darum, auch heute wachsam zu sein gegenüber Unrecht, Ausgrenzung und jeder Form der Entwurzelung. Denn das Wissen darum, was war, ist bedeutend für die Bewältigung heutiger und zukünftiger Bedrohungen für unsere Demokratie und das friedliche Miteinander.“
Für die feierliche musikalische Umrahmung sorgte ein Ensemble der Jungen Musik Hessen. Mit fein aufeinander abgestimmten Klängen und einer Auswahl an klassischen wie auch feierlich inspirierten Stücken schuf das Ensemble eine Atmosphäre, die die festliche Bedeutung des Anlasses unterstrich und die Gäste auf besondere Weise berührte.

Im Anschluss an den Festakt lud die Landesregierung zu einem Empfang ein, bei dem die Anwesenden miteinander ins Gespräch kamen und die Möglichkeit hatten, Gedanken und Erinnerungen auszutauschen. Mit dem Gedenktag wurde einmal mehr deutlich, wie wichtig die Pflege der Erinnerungskultur für das Land Hessen ist – als Mahnung und zugleich als Brücke für Verständigung, Frieden und Zusammenhalt in Europa.
(HMdI, BdV, Diether v. Goddenthow – RheinMainKultur.de)