
Als vor fünf Jahren die Jugendstilabteilung mit der Stiftungs-Sammlung F.W. Neess eröffnete, katapultierte das Hessische Landesmuseum Wiesbaden aufgrund von Umfang und höchster Qualität der Exponate in die internationale Liga führender „Jugendstilhäuser“. Geht es in der Neess-Sammlung zentral um Gemälde, Möbel, Porzellan, Glas, Leuchter, Vasen usw. – also um zentrale Gattungen für die Innenraumausstattung, so „ verlassen wir jetzt den Innenraum und gehen auf die Straße, beziehungsweise wir bringen die Straße ins Haus: Plakatkunst. Plakatkunst ist eine Gattung, die für die Künstlerinnen und Künstler des Jugendstils sehr wichtig war“, erklärt Museumsdirektor Dr. Andreas Henning . Wir freuen uns, nach „Wasser im Jugendstil – Heilsbringer und Todesschlund“ mit der Ausstellung „Plakatfrauen. Frauenplakate“ vom 11. Oktober 2024 bis zum 16. Februar 2025 im Museum Wiesbaden wieder eine neue Themen- Ausstellung zur Gattung des Jugendstils veranstalten zu können. „Dazu zeigen wir 70 Plakate von den 1880er Jahren bis in die frühen 1930er Jahre“, so Henning.

Bei der gestrigen Eröffnung im hoffnungslos überbesetzten Vortragsraum dankte der Museumsdirektor Sammler Maximilian Karagöz ganz herzlich, dass er mit Öffnung seiner Jugendstil-Plakatsammlung und der vorübergehenden Überlassung des größten Teils der gezeigten Exponate die Ausstellung erst ermöglicht habe. Es war eine Zufallsbegegnung zwischen Karagöz und Dr. Peter Forster, Kurator und Kustos Sammlungen 12. bis 19. Jahrhundert, sowie Professorin Dr. Petra Eisele vom Designlabor Gutenberg der Hochschule Mainz , die zu dieser gemeinsam kuratierten „Frauenplakat. Plakatfrauen“–Schau führte. Eisele ist derzeit verantwortlich für das Forschungsprojekt UN/SEEN zu Grafikerinnen in der Zeit von 1865 bis 1919 an der Hochschule Mainz.
Zur Ausstellung

Der Begriff Plakatfrauen verdeutliche, so Kurator Dr. Peter Forster, „was die Jahrhundertwende mit Vorliebe abbildete: Frauen, dargestellt in jenen Rollen, die ihnen gesellschaftlich erlaubt waren – oder die sich für den Zweck der Werbung annehmen durften“. Das heißt: Die Plakatgestalter der Hochphase der Deutschen Plakatkunst nutzten das Motiv der Frau facettenreich für die Reklame. Es ist der männliche Blick auf die Frauen. Aber es gibt auch den anderen, den weiblichen Blick auf Frauen, letztlich aber mit dem gleichen Ziel, Frauen auf Plakaten zum Zwecke der Werbung für Produkte posieren zu lassen. Das zeigt die neue Ausstellung „Plakatfrauen. Frauenplakate“ im Museum Wiesbaden. So rückt sie nicht nur Frauen, die aus männlichen Pinseln auf Plakaten gebannt in Erscheinung treten, sondern auch grafische Entwerferinnen und deren neues Selbstbewusstsein in den Fokus. Das darin sichtbar werdende neue weibliche Selbstbewusstsein zeigt sich auch darin, dass sich die Grafikerinnen, Malerinnen und Künstlerinnen von der ansonsten üblichen Erschaffung kunsthandwerklicher Unikate und von ausschließlich kleineren Werkformaten zur Freizeitgestaltung „höherer Töchter“ verabschiedeten, und stattdessen, wie vom Auftraggeber gewünscht, wie ihre männlichen Kollegen auch mit großformatigen und in hoher Auflage reproduzierbaren Plakaten an die Öffentlichkeit traten.

Raum zwei zeigt ausschließlich Grafiken, die von weiblichen Gestalterinnen geschaffen wurden. Die Ausstellung zeige, dass sich professionelle Plakatgestalterinnen schon um die Jahrhundertwende im männlich dominierten Berufsfeld durchaus behaupteten und manchen Design-Preis gegen die übergroße männliche Konkurrenz einheimsten, erläuterte Professorin Dr. Petra Eisele in ihrem auf den Ergebnissen des Forschungsprojektes UN/SEEN basierenden Eröffnungsvortrags. Bewusst stellt die Ausstellung „Plakatfrauen. Frauenplakate“ Plakate ins Zentrum der Betrachtung, die von Frauen entworfen wurden, und belegt damit, dass Frauen bereits in einer Zeit als professionelle Plakatgestalterinnen tätig waren, in der ihnen überwiegend noch andere gesellschaftliche Rollen jenseits der männlich dominierten Berufswelt zugewiesen wurden. Die Künstlerinnen der Ausstellung Änne Koken (1885-1919), Wera von Bartels (1886-1922), Rosa Bruntsch (Lebensdaten nicht bekannt), Käthe Kollwitz (1867-1945), Anna von Wahl (1861-1938), Margarethe Friedlaender (1896-1985), Dora Brandenburg-Polster (1884-1958), Clara Ehmcke (1869-1918), Frieda Weinberg-Röhl (1887-1955), Lina von Schauroth (1874-1970) und Dore Mönkemeyer-Corty (1890-1970) zählen zu den damals und heute kaum bekannten Gestalterinnen.
Jugendstiltreppenhaus erstmals öffentlich zugänglich

Die Beschäftigung mit Jugendstil sei für das Hessische Landesmuseum Wiesbaden immer auch eine Rückkehr zu seiner eigenen Geschichte, nämlich zum 1915 eröffneten Museumsgebäude von Theodor Fischer selbst. Soll heißen: Die Eröffnung der „Plakatfrauen. Frauenplakate“ war zugleich Premiere für ein der Öffentlichkeit jetzt zugänglich gemachtes frühere Diensttreppenhaus. Mit „seinen freizügig geschwungenen Linien, einem wirklich handschmeichelndem Geländer“, so Henning, sei es nach seiner Sanierung eine echte architektonische Entdeckung. Dieses Treppenhaus führte früher in die Verwaltung der historischen Altertümer, in die Bibliothek, in die Werkstätten und Restaurierung. Es wurde bei der gestrigen Ausstellungseröffnung erstmalig auf der Höhe des ersten und zweiten Stocks für den Museumsrundgang geöffnet. Mit dieser Treppe werde die Bereiche Jugendstil im Hause nun verbunden, so der Museumsdirektor.
Der große Jugendstilrundgang im Museum Wiesbaden

Den Bodenaufklebern zur Ausstellung folgend, beginnen Besucher vielleicht am besten ihre große „Jugendstil-Runde“, indem sie im Treppenhaus des Südflügels starten. Das kleine Treppenhaus führt ins erste Stockwerk zur Jugendstil-Dauerausstellung Neess und wurde bereits Anfang 2024 um eine dauerhafte Präsentation von Jugendstilplakaten erweitert. Damit beginnt die Jugendstil-Ausstellung bereits jetzt mit dem Treppenhaus. Man geht dann durch die gesamte Jugendstilabteilung ganz durch, und schließlich gelangt man zu dem neu eröffneten weitläufigen Jugendstiltreppenhaus, welches ins zweite Stockwerk führt, zuerst in den 2023 eingeweihten „Jugendstilizer“-Bereich. Und von hier aus gelangt zu den „Frauenplakaten“ im neuen Jugendstil-Kabinett.
Premiere des neuen Jugendstil-Kabinetts

„Wir öffnen heute ein ganzes Jugendstilkabinett. Es wird zukünftig die Neuerwerbungen der Sammlung Neess zeigen“, so Henning. Der Museumsdirektor dankte Danielle Neess, Witwe von Stifter Ferdinand Wolfgang Neess, ganz herzlich, dass sie die Arbeit im Sinne ihres Mannes fortsetzt und ständig die Kollektion auf sehr hohem Niveau erweitert. Neuerwerbungen werden künftig im Jugendstil-Kabinett präsentiert werden.
Premiere der neuen Schriftenreihe „Jugendstil“
Zudem konnte Museumsdirektor Henning eine weitere Premiere verkünden. Dank der großzügigen Unterstützung der Stifterwitwe „können wir heute auch eine neue Publikationsreihe starten. Sie trägt den Titel ‚Jugendstil!- Schriftenreihe Ferdinand und Daniele Neess“. Darin sollen Themen-Schwerpunkte der Sammlung Neess publiziert werden, wie etwa die Plakatkunst im Jugendstil, „die wir erforschen werden in den nächsten Jahren und Jahrzehnten“, so Henning.
Gesamtkunstwerk „Jugendstil“
Die Ausstellung „Frauenplakate. Plakatfrauen“ ist sehr empfehlenswert, insbesondere verstanden im „Gesamtpaket“ der großen Jugendstilsammlung Neess, der Jugendstilplakate im Südtreppenhaus, des neu eröffneten Jugendstil-Treppenhauses sowie vielfältiger Jugendstilelemente und Malereien im Theodor Fischer-Museumsbau als Gesamtkunstwerk.
(Diether von Goddenthow /Rhein-Main.Eurokunst)
Katalog
Zur Ausstellung ist der gleichnamige Katalog (herausgegeben von Peter Forster für das Museum Wiesbaden) beim Deutschen Kunstverlag 2024 erschienen (128 Seiten, 20 € an der Museumskasse, ISBN 978-3-422-80259-9). Der Katalog ist der Beginn der Schriftreihe Ferdinand Wolfgang und Danielle Neess, Eine kostenfreie Media-Tour in der MuWi-App begleitet die Schau.
Die Ausstellung wird gefördert durch den Flötenwettbewerb F.W. Neess und die Freunde des Museums Wiesbaden e.V.
Hr2 ist Kulturpartner der Ausstellung
Informationen zur Ausstellung „Plakatfrauen. Frauenplakate“
Museum Wiesbaden
Hessisches Landesmuseum für Kunst & Natur
Friedrich-Ebert-Allee 2
65185 Wiesbade