Ein altneolitischer Kumpf, 6. Jahrtausend vor Chr., empfängt die Besucher der einzigartigen Keramik-Ausstellung „Vom Gefäß zur freien Form – Keramik im 20. Jahrhundert“, die vom 14.08.2021 bis 23.01.2022 im Landesmuseum Mainz gezeigt wird.
Das kleine gebrannte Ton-Gefäß mit bauchiger Form und Rundboden aus den Anfängen der Jungsteinzeit bringt einmal mehr in Erinnerung, dass Ton – der Urstoff der Kunst – einer der ältesten Werkstoffe der Menschheit überhaupt ist. So wundert es nicht, dass in vielen Mythen gar die ersten Menschen von einem Gott aus Lehm geformt werden.
Obgleich keramische Objekte fragil und empfindlich sind, gehören sie dennoch oft zu den besten Zeugnissen längst vergangener Kulturen. Ton-Objekte und ihre Scherben können bei der Einordnung in Kulturstufen oder Zuordnung in Epochen dienen. Das gilt aber nur für Objekte oder auf ihnen angebrachten Verzierungen, die, wie z.B. die Bandkeramik, mit dem Ende einer bestimmten kulturellen Epoche wieder verschwinden oder in andere Formen übergehen. Übergänge sind oftmals fließend, wobei sich bewährte Grundformen, nach C.G. Jung bestimmte Archetypen, zeitlos und länderübergreifend bis heute praktisch erhalten haben.
Dies können Besucher jetzt im Mainzer Landesmuseum anhand der exemplarisch gekonnt nebeneinander arrangierten Keramik-Exponaten aus sieben Jahrtausenden besonders gut nachvollziehen. „Die modernen Gefäße werden älteren gegenübergestellt und ermöglichen einen neuen Blickwinkel, etwa, dass Formen, aber auch Herstellungsweisen sich mitunter gar nicht so groß unterscheiden von alten traditionellen Herstellungsweisen“, erläutert Dr. Birgit Heide, Direktorin des Landesmuseum beim Presserundgang. Selbst der Jugendstil, der sonst mit lästigen Traditionen breche, wähle die Silhouette der antiken Amphore oder der chinesischen Balustervase noch einmal zur Grundlage seiner künstlerischen Gefäße. Glasuren und Dekore hingegen seien, Experimentierfelder der Moderne, so Dr. Ingrid Vetter, Leiterin der SammlungHinder/Reimers aus Schloss Villa Ludwigshöhe, und Kuratorin der Ausstellung.
Allerdings, so Dr. Vetter, habe es Mitte des 20. Jahrhunderts einen radikalen Schnitt, einen erklärten Bruch mit der Tradition gegeben. Nicht mehr das Töpferhandwerk und schon gar nicht das luxuriöse Porzellan der Manufakturen des 18. Jahrhunderts inspirierten junge Keramikkünstler. Sondern sie entdecken den Ton als Medium für den künstlerischen Ausdruck.
Alte handwerkliche Techniken werden hinterfragt, neue erprobt, verworfen oder perfektioniert. Vasen werden zu Objekten und lösen sich schließlich von jedem Funktionszwang.
Während der Hochphase der abstrakten Kunst in den 1960er Jahren erreicht diese „Studiokeramik“ (im Unterschied zur Manufakturware, aber auch zum traditionellen Töpferbetrieb) die Sammlerkreise, die auf Kunstmessen, der documenta, oder der Biennale von Venedig zu finden sind.
Dabei spiele in Deutschland Jakob Wilhelm Hinder (1901–1976) eine wichtige Rolle: Er machte junge Keramiker mit der internationalen Avantgarde bekannt und ermutigte sie, ihren eigenen Weg zu gehen“, so die Kuratorin. Ein besonderes Exponat sei auch Heinz H. Englers Vorläufer-Prototyp für die späteren „Bauscher-Kannen“. Der Designer entwarf ein erstes Stapelsystem für Tassen, Teller und Kannen für die Hotelgastronomie. Damit revolutionierte er den Markt für gastronomisches Geschirr. Das System B1100, so die Bezeichnung, wurde 1959 zum meistgekauften Geschirrsystem der Welt.
„Mit der Ausstellung gehen wir aber bis in unser Produktionsjahr 2021 hinein“, so Gernot Frankhäuser, Ko-Kurator und Museologe im Landesmuseum Mainz. Seiner Anregung ist es zu verdanken, dass Besucher in der Ausstellung auch Keramik-Exponate aus dem 3D-Drucker bestaunen können.
Seit Jahren werde experimentiert mit verschiedenen Materialien, auch mit Keramik, weil Keramik insbesondere im medizinischen Bereich, etwa für Prothesenherstellung, ein ganz wichtiger Werkstoff sei, so Frankhäuser. „Wir zeigen drei Projekte, die im 3D-Drucker mit Majolika-Ton hergestellt worden sind. Der Erfinder, beziehungsweise der Perfektionierer dieser Technik ist Fabian Schmid aus Welzheim (Schwabenland). Er hat 2018 die Vervollständigung dieser 3D-Keramikdruck-Technik als Abschlussarbeit in der Hochschule Karlsruhe zusammen mit der Staatlichen Majolika Manufaktur Karlsruhe entwickelt. Inzwischen ist das einer der Verkaufsschlager der Majolika-Manufaktur. „Vielleicht ist das auch nur ein Trend jetzt mal. Aber es ist wirklich eine Weiterentwicklung des Manufakturwesens“, so Gernot Frankhäuser.
(Diether v. Goddenthow)
Weitere Infos zur Sonderausstellung:
Vom Gefäß zur freien Form – Keramik im 20. Jahrhundert
14. August 2021 – 23. Januar 2022
Landesmuseum Mainz
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