Vom 25. September bis zum 2. Oktober 2015 begeht Wiesbaden die Woche der Freiheit. Ab 3. Oktober 2015 wird mit dem großen Bürgerfest in Frankfurt weitergefeiert.
In diesem Herbst begehen wir das 25-jährige Jubiläum der deutschen Wiedervereinigung. Auch in der Region Rhein-Main werden zahlreiche Feierlichkeiten und kulturelle Aktivitäten diesem Ereignis einen würdigen Rahmen verleihen. Die Landeshauptstadt Wiesbaden hat sich dazu entschlossen, über die Erinnerung an die freudigen Ereignisse der Umbruchjahre 1989/90 hinaus eine weitergehende Reflexion über das Wesen und die vielfältigen Vorstellungen von Freiheit anzustoßen: Die Wiesbadener Woche der Freiheit findet vom 25. September bis 2. Oktober statt.
Mit der Überwindung der Diktaturen im ehemaligen Ostblock und der deutschen Vereinigung hat sich die Idee der Freiheit in ganz Europa durchgesetzt. In anderen Teilen der Welt sind Menschen nach wie vor Unfreiheit und Unterdrückung ausgesetzt. Die Folgen werden uns in diesen Tagen und Wochen besonders schmerzlich bewusst. „Gerade in der heutigen Zeit, in der so viele Menschen auf der Suche nach Freiheit auch zu uns kommen, ist es das Anliegen der Stadt Wiesbaden, den Begriff Freiheit auf unterschiedliche Weise zu thematisieren“, beschreibt Oberbürgermeister Sven Gerich die Motivation zur Woche der Freiheit. Wichtig findet der Oberbürgermeister in diesem Zusammenhang auch die Arbeit der Abteilung Jugendarbeit des Amtes für Soziale Arbeit. Dabei versuchen Kinder in verschiedenen Projekten, den Freiheitsbegriff auf unterschiedliche Weise in die heutige Zeit zu transportieren. „Freiheit sollte nicht nur als wichtige Erinnerung an die Wiedervereinigung gefeiert werden, sondern gerade mit Kindern und Jugendlichen als Thema auch aus ihrer Perspektive betrachtet werden.“
„Was viele nicht mehr für möglich hielten, ist vor 25 Jahren doch wahr geworden“, erinnert Kulturdezernentin Rose-Lore Scholz an die deutsche Wiedervereinigung. „Nach Jahrzehnten der Teilung waren die Menschen aus West und Ost frei, sich wieder zusammen zu finden. Das war eine große Freude und ein großes Glück, für das ich noch heute dankbar bin.“ Die Zeit vor 25 Jahren war, wie selten zuvor in der Geschichte, von Umbruch und Wandel geprägt: Die Länder Mittel- und Osteuropas haben die Transformation von der Diktatur zur Demokratie bewältigt. Die Grenzen haben ihre Sperrfunktion verloren und sind für die Menschen zu Übergängen in neue Lebenschancen und Freiheiten geworden.
Diese transitorische Dimension des Umbruchs von 1989/90 greift geradezu idealtypisch das aktuelle Schwerpunktthema „Transit“ des Kulturfonds Frankfurt/RheinMain auf. Im Streben nach Freiheit haben Menschen ihre Heimat verlassen und Gesellschaften einen tiefgreifenden Wandel durchlebt. Auslöser und Ausgangspunkt für diese Transitzustände war die Sehnsucht nach Freiheit. Umgekehrt stellen die Transitbewegungen den einzelnen vor die Herausforderung, sich im Umbruch neu zu orientieren. Beispielhaft für solche Lebenswege präsentiert die Woche der Freiheit Künstler wie Dorél Dobocan oder die Autoren Sasa Stanisic und György Dalos.
Welche Faktoren sind auf dem Weg in die Freiheit prägend? Welche Bedeutung kommt dem Land, in dem ein Künstler lebt und arbeitet, noch zu – oder die Sprache, in der er sich artikuliert? Oder tritt die nationale Prägung zunehmend durch ein europäisches Bewusstsein in den Hintergrund? Wie verhält es sich in Deutschland? Dauert der transitorische Zustand, in dessen Verlauf die beiden Teile eines ehemals gespaltenen Landes wieder zusammenfinden, noch an – oder ist dieser Übergang bereits abgeschlossen? Bestimmt die Herkunft aus Ost oder West noch darüber, wie Deutsche wahrgenommen werden? Haben die Jüngeren, die die DDR nicht mehr erlebt haben, einen Begriff vom Geschenk der Vereinigung und Freiheit für das ganze Land?
Diesen und weiteren Fragestellungen geht die Wiesbadener Woche der Freiheit nach. Das Thema lässt sich nicht auf die deutsche Wiedervereinigung beschränken. Eine hinreichende Betrachtung erfordert die Einbettung und den europäischen Kontext: politisch, wirtschaftlich und kulturell. Die vorausgehenden Freiheitsbewegungen in anderen osteuropäischen Staaten, etwa Polen und Ungarn, waren Wegbereiter für den Mauerfall am 9. November 1989. In diesem Sinne ergänzen die Veranstaltungen der Wiesbadener Woche der Freiheit ganz bewusst die Schwerpunktveranstaltungen zum Jahrestag der Deutschen Einheit, die in diesem Jahr in Hessen stattfinden.
Deutschland ist nicht nur im geografischen Sinn das „Herz Europas“. Nach dem Zweiten Weltkrieg Gründungsmitglied der Europäischen Union, hat sich die Bundesrepublik von Anfang an für eine friedliche Wirtschafts- und eine politische Gemeinschaft eingesetzt, die für die Garantie menschlicher Grund- und Freiheitsrechte steht. Heute nimmt das Rhein–Main-Gebiet eine zentrale Rolle für die EU und Europa ein. Besonders die Europäische Zentralbank und der Rhein-Main-Flughafen, aber auch das US-Hauptquartier in Wiesbaden machen die Region zu einem der bedeutendsten Wirtschaftsräume Europas. „Gleichzeitig mit der Förderung von Kunst und Kultur ist es Aufgabe des Kulturfonds, die Exzellenz und das Potential der Region Rhein-Main und ihre Strahlkraft national und international weiter zu stärken. Die ‚Woche der Freiheit‘ trägt dazu in hervorragender Weise bei“, begründet Geschäftsführer Dr. Helmut Müller das Engagement des Kulturfonds Frankfurt/RheinMain.
Als hessische Landeshauptstadt prägt Wiesbaden das Rhein-Main-Gebiet. Als frühere Weltkurstadt mit historischen Beziehungen in alle Teile Europas und heutigem Standort des amerikanischen Hauptquartiers nimmt Wiesbaden eine völkerverbindende Mittlerrolle ein. Seit Jahrzehnten gibt die Stadt in zahlreichen kulturellen Beiträgen den aktuellen politischen und künstlerischen Entwicklungen in Europa Raum. Dafür stehen beispielhaft das GoEast Festival im Filmbereich, die Theaterbiennale mit Neuen Stücken aus Europa oder das European Youth Circus Festival.
Kurzüberblick über das Programm
Die ‚Wiesbadener Woche der Freiheit‘ fragt nach dem Moment, von dem die neue Freiheit vor 25 Jahren ihren Ausgang nahm. Sie fragt nach dem, was Freiheit heute im vereinten Europa bedeutet und nicht zuletzt nach der Bedeutung der Freiheit als Perspektive für die Zukunft. Das Programm ist als überschaubares interdisziplinäres Festival sorgfältig zusammen gestellt. Es thematisiert die Öffnung der Grenzen im Kontext der europäischen Geschichte aus unterschiedlichen Perspektiven.
In der zentralen Ausstellung „An der Grenze – Nahaufnahmen. Fernblicke“ nimmt das Kunsthaus das Rumänien der finsteren Ceaucescu-Jahre in den Fokus. Die bewegte Lebensgeschichte des rumänisch-deutschen Künstlers Dorél Dobocan, der seit seiner Ausreise 1978 in Mainz lebt, wird dort in Bildern und Veranstaltungen beleuchtet. Er repräsentiert eine Künstlerpersönlichkeit, der in seinen Arbeiten immer wieder das Motiv der Freiheit in allen Facetten bearbeitet.
Im Stadtmuseum zeigen einige der bekanntesten ostdeutschen Fotografen den Alltag der Menschen in der ehemaligen DDR jenseits jeglicher Polit-Propaganda. Die Ausstellung „Ostzeit“ richtet den Augenmerk weniger auf das politische Geschehen, sondern stellt Schicksale und Individuen in den Mittelpunkt.
Das Literaturhaus reflektiert das Thema „Freiheit“ vor dem Hintergrund des europäischen Ostens mit führenden Intellektuellen Deutschlands. Dazu zählt Karl Schlögel, der Essays und Reden der letzten 25 Jahre mitbringt. Ganz anders beklagt der Autor Ingo Schulze „das Verschwinden eines Westens mit menschlichem Antlitz“, während weitere Autoren sich mit Ungarn, Bosnien-Herzegovina oder deutsch-deutschen Lebensläufen befassen.
Begleitend wird in der Caligari Filmbühne der zweiteilige Film „Die Frau vom Checkpoint Charly“ laufen. Im anschließenden Filmgespräch steht Jutta Fleck zur Verfügung. Die ‚echte‘ Frau vom Checkpoint hat nach ihrer Entlassung aus der DDR-Haft vom Westen aus mehrere Jahre um die Ausreise ihrer beiden von der DDR zwangsadoptierten Töchter kämpfen müssen.
Die Wiesbadener Musikschule und die Musikschule Görlitz werden mit insgesamt 50 Schüler/innen aus beiden Schulen in öffentlichen Aufführungen Filmmusiken aus beiden deutschen Staaten aufführen und zwar ausschließlich mit Blasinstrumenten.
Das Stadtarchiv beteiligt sich mit Zeitzeugen-Gesprächen und Veranstaltungen mit prominenten „Aufbauhelfern“ der Wendezeit.
Parallel und für eine breite Öffentlichkeit fokussiert die Mauritius-Mediathek Literatur, Sachbücher und Medien zu den großen Themen Freiheit, Freiheitskämpfer, natürlich auch zu Mauerfall und Wiedervereinigung. Ein Begleitprogramm innerhalb des Lesecafés vertieft die Themen.
Weitere Beteiligte sind das Hessische Staatstheater mit einem Theaterparcours durch Wiesbaden.
Der hohen Stellenwert des Themas findet seinen Niederschlag in den beteiligten Kulturinstitutionen. Die Wiesbadener Kultur präsentiert sich bunt, vielfältig und interdisziplinär: Das Kulturamt mit seinen Einrichtungen Kunsthaus, Schaufenster Stadtmuseum, Villa Clementine, Caligari Filmbühne, Stadtarchiv, Musik- und Kunstschule, Musikakademie und MauritiusMediathek; das Amt für Soziale Arbeit mit Stadtteilzentrum Schelmengraben, Kinder- und Jugendzentrum Biebrich, Kinder- und Jugendzentrum Georg-Buch-Haus, Stadtteilzentrum Gräselberg, Stadtteilzentrum Klarenthal und Kinderzentrum Wellritzhof; die Hessische Landeszentrale für politische Bildung; die Elly-Heuss-Schule, die Stabsstelle Weltkulturerbe beim Oberbürgermeister, die Albrecht-Dürer-Schule, das Medienzentrum, die Bundesstiftung Aufarbeitung des SED-Unrechts, der Orchesterleiter Herbert Siebert, die Bonifatiuskirche, die KinderKunstGalerie, Spiegelbild – Aktives Museum Spiegelgasse, das Hessische Staatstheater und weitere Kooperationspartner. Weitere Informationen sowie Termine und Daten sind dem Programmheft zu entnehmen.