Das Frankfurter Senckenberg-Museum Frankfurt zeigt die Sonderausstellung „Form folgt Fuß. Georg Hermann von Meyer (1815 – 1892 und die Schuhreform.
Vielleicht sind Sie auch der Meinung, dass Menschen früher gesünder zu Fuß waren und deformierte Füße vornehmlich ein Problem der Neuzeit sind, nämlich ein Preis für modischen Schuh-Schnickschnack, insbesondere beim Damenschuh? Weit gefehlt: Denn, dass wir passende Schuhe, nämlich links und rechts unterschiedlich geschnittene Treter tragen, ist keineswegs selbstverständlich. Es ist erst gut 150 Jahre her, seitdem der Frankfurter Anatomieprofessor Georg Hermann von Meyer (1816 – 1892) mit der Entdeckung, dass das Fußknocheninnere der äußeren Form des Schuhwerks folgt, die Befreiung der Füße aus falschem Schuhwerk propagierte. „Erstmals im 1870/71er Krieg“, so Nike U.Breyer, Kuratorin der gestern im Senckenberg-Museum Frankfurt eröffneten wunderbaren Ausstellung ‚Form folgt Fuß‘, „setzten sich die Meyer’schen Erkenntnisse fußgerechter Schuhe auf breiter Basis durch. Denn erstmals stattete Preußen seine Soldaten mit anatomisch passendem Schuhwerk aus, wodurch die Schuhreform eingeläutet wurde. In früherer Zeit waren Truppen mitunter allein wegen kaputter Füße aufgrund falschen Schuhwerks kampfunfähig.“ Seither wurden Schuhe nicht mehr über einen sondern über zwei Leisten geschlagen: je einen Leisten für den linken und den rechten Fuß.
Die unter Federführung Dr. Bernd Herkners, Leiter der Abteilung Museum im Senckenberg-Museum konzipierte Ausstellung zeigt erstmals lückenlos die ganze Bandbreite der Entdeckung der Zug- und Druckspannung innerhalb der Fußarchitektur und der historischen Schuhentwicklung von der Steinzeit bis heute zeigt. Die Präsentation der Exponate und die Texte veranschaulichen eindrucksvoll und didaktisch gekonnt die zentrale gesundheitliche wie identitätsstiftende Bedeutung fußgerechten Schuhwerks für unser ganzes Auftreten und Wohlbefinden.
Ideal sei ein maßgefertigter Schuh, der sich der individuellen Anatomie des Fußes anpasse, schwärmt Kuratorin Breyer, die sich, seit sie Maßschuhe trägt, nur noch halb so schwer fühle. Der richtige Schuh ist ein Teil unseres aufrechten Gangs, hat großen Einfluss auf unsere Haltung, Skelette-Muskulatur und nicht zuletzt auf unser Selbstbewusstsein.
Öffnungszeiten
Montag, Dienstag, Donnerstag, Freitag 9:00 – 17:00 Uhr
Mittwoch 9:00 – 20:00 Uhr
Samstag, Sonntag und Feiertage 9:00 – 18:00 Uhr
Adresse
Senckenberg
Forschungsinstitut und Naturmuseum
Senckenberganlage 25
60325 Frankfurt
Deutschland
Telefon: +49 (0)69 / 75 42-0
Telefax: +49 (0)69 / 74 62 38
Schuhrevolution zum fußgerechten Schuh:
Der aufrechte Gang und die ersten Schuhe
Die evolutionäre Entstehung des menschlichen Fußes war die Voraussetzung für den dauerhaft aufrechten Gang und ein entscheidender Entwicklungsschritt auf dem Weg zur Entstehung des Menschen. Der älteste versteinerte menschliche Fußabdruck
als Zeichen des aufrechten Gangs ist 3,6 Millionen Jahre alt, und wurde in Laetoli (Tansania) gefunden. Die älteste Fußbekleidung, eine Sandale auf Rindenbast, ist zirka 10 000 Jahre alt, der älteste geschlossene Schuh ist jener von Ötzi und wird auf ein Alter von zirka 5.500 Jahren geschätzt.
Schuhe in der Antike
Während die Griechen und Römer der Republikzeit zehenfreie Fußbekleidung trugen, kamen in der spätrömischen Kaiserzeit auch geschlossene Schuhe in Gebrauch. Diese Formen wichen von der Naturform des Fußes ab. Vereinzelte Texte und Bilder aus dieser Zeit geben auch erste Zeugnisse von Fußdeformationen, etwa einem „springenden Großzeh“.
Der Schuh im Mittelalter und Rokoko
Im Mittelalter beschränkte sich Schuhkritik auf unerlaubten Prunk und angemaßten Status. Die Schuhe dieser Zeit waren aus weichen Ledern wendegenäht. Ein rechter und ein linker Schuh zeigten eine vage Fußanpassung.
Um 1500 veränderte sich die Schuhmode. Die neuen Kuhmaulschuhe hatten jetzt feste Sohlen und waren nun breit und symmetrisch geformt. Und erst in dieser Zeit, im 16, Jahrhundert wurde der Absatz erfunden.
350 Jahre lang schlugen die Schuhmacher die Schuhe seit der Zeit der Renaissance über einen Leisten, auch als die Formen wieder spitzer wurden. Im 18. Jahrhundert regte sich bei Ärzten dagegen erster Widerstand, der jedoch kaum Beachtung fand.
Das Rokoko stand im Zeichen einer virtuosen Kultur der Künstlichkeit. Auch bei den Schuhen ignorierte man den natürlichen Körper. Dabei fand der Fuß in den zierlichen Pumps immer weniger Platz. Das schmerzhafte Resultat: Die Zehen wehrten sich mit Leichdornen (Hühneraugen) und Deformationen. Doch man wusste, „wer schön sein will, muss leiden“.
Die ersten „Fußpfleger“
Als die Probleme mit deformierten, gedrückten und entzündeten Füßen aufgrund dieser nicht fußgerechten Schuhe zunahmen, boten Chiropodisten (franz.: chirurgiens pédicure) ihre Dienste an. Trotz chirurgischer Expertise beschränkten sie sich aber auf Symptombekämpfung. Die Dienste dieser ersten Fußpfleger waren so gefragt, dass sie mitunter zu wohlhabenden Bürgern aufstiegen.
Anders reagierten einige aufgeklärte Ärzte. Sie verlangten nachdrücklich, Schuhe sollten auf „zwey Leisten“ hergestellt werden, um den Füßen den nötigen Raum zu geben. Doch ihre Ermahnungen blieben wirkungslos.
Anatomie und Mechanik rücken in den Fokus der Wissenschaften
Anatomen und Ärzte begannen schon seit dem 16. Jahrhundert den menschlichen Körper zu erforschen. Das zeigen zahlreiche damals gefertigte anatomische Modelle und Präparate. Zum tieferen Verständnis der Wechselbeziehung von Fuß und Schuh reichte dies jedoch nicht. Nicht nur Kenntnisse der Anatomie, sondern auch der Physik und Mechanik waren hier vonnöten. Der Frankfurter Anatom Georg Hermann von Meyer (1815–1892), dessen Geburtstag sich 2015 zum 200. Mal jährt, verband diese Wissenschaftsdisziplinen schließlich erfolgreich. In seiner Programmschrift „Die richtige Gestalt der Schuhe“ von 1858 analysierte er die schädlichen Kräfte in symmetrischen Schuhen und zeigte, wie man eine richtige Sohle konstruiert.
Er löste eine breite Rezeption und Diskussion seiner Ideen aus, die schon Zeitgenossen als Schuhreform bezeichneten.
Die Fußbekleidung ist des Fußes wegen da – Rezeption und Umsetzung der Schuhreform
Offiziere, Ärzte und fortschrittliche Schuhmacher waren die ersten Anhänger Georg Hermann von Meyers. Nach jahrelangen systematischen Erprobungen führten die Schweiz und Preußen die neuen „rationellen“ Stiefel, die nach der Anatomie konstruiert waren, um 1880 auch verbindlich für Ihre Armeen ein. In ähnlicher Weise dürften auch die übrigen Armeen Europas, Englands und Nordamerikas die alten symmetrischen Stiefel abgeschafft haben.
Ärzte verbanden ein Eintreten für die „rationellen“ Schuhe oft mit einem Engagement für Hygiene. Während die Schuhmacher zwiespältig reagierten. Die einen lehnten von Meyer vehement ab. Die anderen erkannten die Chancen der neuen Ideen und versuchten, diese handwerklich bestmöglich umzusetzen. Auch in bürgerlichen Kreisen, die sich Bestrebungen zu einer Reform des „Lebens“ öffneten (Vegetarismus, Naturheilkunde, neue Spiritualität etc.), fielen die Ideen einer Schuhreform auf fruchtbaren Boden. Neben Kneipp’schem „Tautreten“ und Sandalen fanden auch Reformschuhe Zuspruch. Diese wurden mit der Natur und nicht mit Wissenschaft begründet, hatten aber weitgehend dieselbe Form wie „rationelle“ Schuhe. In breiten Kreisen der Gesellschaft wurden die asymmetrischen Schuhformen dagegen abgelehnt. Sie verstießen gegen tief verankerte optische Prägungen. Man begnügte sich daher mit leichter Paarigkeit (Unterscheidung nach rechts und links). Die Formen blieben schlank, hatten jedoch nun einen langen Vorfuß.
Bei Militär-, Arbeits-, Sport- und Kinderschuhen setzten sich „rationelle“ Formen mit deutlicher „Meyerischer Linie“ dagegen nachhaltig durch – bis heute.
Öffnungszeiten
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Mittwoch 9:00 – 20:00 Uhr
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Adresse
Sonderausstellung „Form folgt Fuß
Senckenberg
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Senckenberganlage 25
60325 Frankfurt
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