
Am 21. Mai 2025 eröffnete Bundespräsident a. D. Joachim Gauck den Deutschen Stiftungstag, der unter dem Thema „Mutig machen. Wie Stiftungen das Miteinander stärken“ im RheinMain CongressCenter (RMCC) in Wiesbaden stattfand.
Der Deutsche Stiftungstag wird jährlich vom Bundesverband Deutscher Stiftungen ausgerichtet und ist seit Jahrzehnten Europas größter Kongress des gemeinnützigen Sektors. Über 1.500 Teilnehmer kamen zu mehr als 80 Einzelveranstaltungen mit hochkarätiger Prominenz aus Politik, Gesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft und Gemeinwesen zusammen.
Bei ihrer Begrüßung sagte Annette Heuser, Vorstandsvorsitzende des Bundesverbands Deutscher Stiftungen: „Als wir uns vor über einem Jahr entschieden haben, das Motto „Mutig machen“ ins Zentrum unseres Stiftungstags zu stellen, konnten wir nicht ahnen, welche Bedeutung dieser kleine Begriff in diesem Jahr erlangen würde“ Deshalb freue sie sich ganz besonders, Bundespräsident a.D. Joachim Gauck als Festredner gewonnen zu haben. Denn er sei ein Mutmacher, ein unermüdlicher Verteidiger unserer Freiheit und Demokratie. Joachim Gauck habe uns – besonders denjenigen, die nicht in einem Unrechtsstaat wie der DDR leben mussten – eindrücklich vor Augen geführt, was es bedeutet, wenn grundlegende Freiheiten fehlen. Und wie wichtig es sei, für diese Freiheiten einzustehen. Er und unser Verband eint eine klare Überzeugung: Das Eintreten für eine lebendige Zivilgesellschaft und für die Arbeit von Stiftungen als Motoren gesellschaftlichen Wandels.

Wir lebten in einer Zeit tiefgreifender Umbrüche, griff Heuser die allgemeine Überzeugung im Saal auf. „Eine neue Ära beginnt – und nichts markiert diese Zeitenwende deutlicher als die erneute Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der USA. Der Westen, wie wir ihn kennen – ein Verbund freiheitlicher Demokratien – gerät ins Wanken. In unseren Demokratien herrscht hohe Betriebstemperatur: Rechtspopulistische Bewegungen erstarken, Institutionen erodieren, das Vertrauen in Politik sinkt, und Begriffe verlieren ihre Bedeutung.“
Der Tagungsort Wiesbaden – oft im Schatten der großen demokratiehistorischen Orte wie Frankfurt mit der Paulskirche und der Revolution von 1848 – war stets Rückzugsort für liberale Denker und ein Ort stiller, aber tiefgreifender politischer Reflexion. Er stünde sinnbildlich für die Werte von Demokratie, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Freiheit, Gleichheit, Individualismus, Toleranz und Aufklärung. „Diese demokratische DNA lebt weiter: in der Wiesbaden Stiftung, in der Landesstiftung „Miteinander in Hessen“, und im Museum Reinhard Ernst, einem Ort kultureller Verantwortung und Gegenwartskunst.“, unterstrich die Vorstandsvorsitzende.
„Mutig machen“ – Ausschnitte aus Joachim Gaucks Festrede
Joachim Gauck machte in seiner bedeutenden Rede unter anderem deutlich: In vielen Menschen existieren heute ambivalente Gefühle. Einerseits wissen sie sehr genau, was ihnen dieses Land ermöglicht hat: Sicherheit, Freiheit, Teilhabe. Andererseits spüren sie zugleich eine wachsende Unsicherheit, eine Entfremdung – das Gefühl, nicht mehr gemeint zu sein. Doch das ist kein Widerspruch. Es ist zutiefst menschlich, sich einem Land verbunden zu fühlen und sich gleichzeitig Sorgen zu machen.

Aus dieser Mischung von Nähe und Zweifel, von Zugehörigkeit und Sorge kann ein starker Impuls entstehen: der Wunsch, sich einzubringen, mitzuwirken und Verantwortung zu übernehmen. Wer jedoch Angst schürt, anstatt Wege aus ihr heraus aufzuzeigen, schwächt unsere Gesellschaft.
Was wir brauchen, ist Mut – ein Mut, der die Realität annimmt, wie sie ist, und der nicht zur Flucht, sondern zum Handeln bewegt. Und an die Stiftungen gerichtet: „Sie, meine Damen und Herren, können durch Ihre Arbeit in den Stiftungen genau diesen Mut stärken. Sie helfen dabei, Angst in Handlungsfähigkeit zu verwandeln und schaffen Räume, in denen Menschen erleben: Ich werde gebraucht. Ich kann mitgestalten. Ich bin nicht allein.“ Es sei auch ein Akt von Selbstverwirklichung im besten Sinne: „Wir kommen bei uns an!“. Denn wir erfahren: „man gibt, aber man empfängt auch!“ Und oft empfängt man etwas, das mit Geld nicht aufzuwiegen ist: die Erfahrung Teil von etwas Größerem zu sein!, so Gauck.
„Was Sie tun, ist nicht weniger und nicht mehr als Ermächtigung. Und ohne Ermächtigung werden die Individuen immer nur Verfügungsmasse von angemaßten Herrschern sein, nie aber eine Gesellschaft der Freien und Selbstbestimmten leben können“, so Gauck und unterstrich erneut die Wichtigkeit zivilgesellschaftlichen Engagements von Stiftungen: „Ihre Expertise, Wandel zu befördern, zu gestalten und zu begleiten, wie das Bewahrenswerte zu bewahren“. Stiftungen seien Orte des Bewahrens, „aber eben nicht nur: Sie sind auch Orte und Inspiration für Zeit des Experiments, für Lernen für Vordenken und für Wagnis“, so Gauck
Mut heißt: sich der Realität zu stellen
Freiheit ohne Mut sei nicht denkbar, so Gauck. Wer unsere offene Gesellschaft mitgestalten wolle, brauche deshalb einen inneren Kompass: Mut heißt: sich der Realität zu stellen, wie sie eben ist.“ Die bittere Realität sei aber, dass die Offene freie Gesellschaft gefährdet sei: „Wir erleben nicht nur in Deutschland und Europa einen tiefgreifenden Wandel, sondern weltweit – wir haben es eben von Annette Heuser gehört – einen Epochenbruch. Und die Auswirkungen werden immer deutlicher spürbar.“ Diese Angriffe geschehen nicht nur im Namen großer Ideologien. Sie kommen in neoimperialer, revisionistischer Gestalt – wie bei Putin – oder modern verkleidet, wie bei Trump, der aus der Freiheit heraus, die Freiheit bekämpfe, das im Namen vermeintlicher Effizienz, unter dem Banner nationaler Größe, flankiert von einem technokratischen Denken, das Demokratie als überholt erscheinen lässt. Und sie kommen mit atemberaubender Geschwindigkeit.“, so der Alt-Bundespräsident.
„Diese Entwicklungen betreffen uns – in Deutschland und Europa – direkt. Wir müssen uns in mehreren Richtungen verteidigen.“, so der Altbundespräsident, der selbst 40 Jahre unter der DDR-Diktatur lebte, und weiß, wovon er spricht. „Mehr als die Hälfte meines Lebens habe ich in einem Staat gelebt, in dem bürgerliche Freiheiten systematisch eingeschränkt waren. Die Diktatur der DDR hat über Jahrzehnte hinweg, jede Form selbstbestimmten zivilgesellschaftlichen Engagements unterbunden“,

Ein neues Bewusstsein für den Wert der Verteidigung
Statt mit Wunschdenken, der „Vorstellung nämlich, dass Frieden in Europa irgendwie selbstverständlich“ sei „und das etwa allein Handel schon ein ernsthafter Versuch sei, die Autokraten ins Umdenken zu bringen“, wären die Demokratien nicht zu retten. Ebenso wenig mit dem Schüren von Ängsten. Vielmehr müssten wir, so Gauck, in Deutschland etwas neu lernen:“ Zur Pflege des freiheitlichen Gesellschaftsrahmens gehört ein neues Bewusstsein für den Wert der Verteidigung. Wir haben – nach dem Krieg – keine kriegslüsternen Generäle mehr, sondern eine friedensgeprägte Armee. Wir haben keine Politiker, die aggressiv auftreten. Und gerade deshalb brauchen unsere Soldatinnen und Soldaten einen neuen Ort der Anerkennung. Sie brauchen mehr Vertrauen. Und unser Land braucht mehr Verteidigerinnen und Verteidiger.
Wir brauchen ein stärkeres Bewusstsein für strategische Potenz. Deutschland leidet an einem Defizit strategischen Denkens.“
Vielleicht läge hier auch ein neues Feld für Stiftungen, so der Alt-Bundespräsident, nämlich: „Die Entwicklung einer Kultur, in der militärisches Denken – eingebettet in demokratische Werte – nicht als Bedrohung, sondern als Schutz der Freiheit verstanden wird.“
Nachhaltiges Glück durch zivilgesellschaftliches Engagement
Diese unterschiedlichen Stiftungen haben ein Gemeinsames, so Gauck abschließend: Sie seien auch Orte täglichen Glücks. Stiftungen böten einen Raum, in dem Menschen sich mit ihren Überzeugungen, ihrer Kreativität und ihrem Sinn für Gerechtigkeit einbringen könnten. Das Engagement in einer Stiftung, sei es durch Zeit, Wissen oder finanzielle Mittel, wäre nicht nur ein Dienst an der Gesellschaft, sondern auch ein Akt der Selbstverwirklichung im besten Sinne: „Wir kommen bei uns an!“.- Denn wir erfahren: ‚man gibt, aber man empfängt auch!‘ Und oft empfängt man etwas, das mit Geld nicht aufzuwiegen ist: die Erfahrung, Teil von etwas Größerem zu sein!“
Es gäbe eben eine Form von nachhaltigem Glück, die Sie und unsere offene Gesellschaft von jenen autokratischen Modellen unterscheide, die heute als vermeintliche Alternativen angepriesen würden. „Wir glauben an die Kraft des Gemeinwesens, an Menschen nicht an Führungen. Wir bauen auf Eigenverantwortung der Bürgergesellschaft, nicht auf Gefolgschaft. In Zeiten des Umbruchs zeigt sich nun die Reife einer demokratischen Gesellschaft. Zieht sie sich ängstlich zurück oder wächst sie an den Zumutungen, die ihr auferlegt worden sind“, so der Alt-Bundespräsident.
Die weiteren Programm-Highlight des Stiftungstages

Zu den Programmhöhepunkten des Deutschen Stiftungstags zählten zahlreiche spannende Beiträge und Diskussionen, die sich besonders im Themenbereich Staatswesen, Demokratie und gesellschaftlicher Zusammenhalt abspielten. Den Auftakt nach der Eröffnungsfeier gestaltete die Aktivistin, Journalistin und Sozialunternehmerin Düzen Tekkal mit ihrer Keynote. Anschließend beteiligte sich Prof. Dr. Jutta Allmendinger an einer lebhaften Diskussion zum gesellschaftlichen Zusammenhalt in Krisenzeiten.
Ein weiterer Fokus lag auf der Frage, was eine wehrhafte Demokratie benötigt und wie wir mit dem Ende von Selbstverständlichkeiten umgehen können – ein Thema, das Prof. Dr. Aleida Assmann gemeinsam mit anderen Akteuren vertiefte. Im Gespräch mit Julia Jäkel und Prof. Dr. Andreas Voßkuhle wurden die Voraussetzungen für einen handlungsfähigen Staat ausgelotet sowie die überparteiliche Initiative vorgestellt, die Ende 2024 von vier Stiftungen ins Leben gerufen wurde.
Einen besonderen Akzent setzte Damian Boeselager, Mitgründer von Volt Europa, mit seiner Keynote, in der er „Lehren für die politische Kommunikation“ aus dem erfolgreichen Europa-Wahlkampf 2024 präsentierte, bei dem insbesondere junge Menschen erreicht wurden.
Auch das Thema „Trump, USA und Zivilgesellschaft“ wurde intensiv behandelt: In einem hochkarätig besetzten Panel diskutierten Expertinnen und Experten die Konsequenzen von Donald Trumps zweiter Amtszeit für die Zivilgesellschaft und die transatlantischen Beziehungen unter dem provokanten Titel „Zur Ohnmacht verdammt?“. Ergänzt wurde dies durch einen Einblick von Chefvolkswirten, die analysierten, wie die Kapitalmärkte auf Disruptionen reagieren und welche Bedeutung dies für Stiftungen hat.
Im Bereich Debattenkultur und Reichweite gab es inspirierende Beiträge: Dr. Eckart von Hirschhausen, Arzt, Wissenschaftsjournalist und Gründer der Stiftung „Gesunde Erde Gesunde Menschen“, betonte die Bedeutung von „Tue Gutes und rede darüber“. Markus Beckedahl, Mitbegründer von re:publica und netzpolitik.org, machte sich auf die Suche nach neuen digitalen Räumen als Alternativen zu Plattformen wie X.
Die Erinnerungskultur wurde in einem Gespräch zwischen dem Autor Florian Illies und Annette Heuser, Vorstandsvorsitzende des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen, ebenso thematisiert wie von Prof. Dr. Mirjam Wenzel, Direktorin des Jüdischen Museums Frankfurt. Letztere stellte die Frage, wie eine gemeinschaftsstiftende Erinnerungskultur, 80 Jahre nach Kriegsende, gelingen kann.
Weitere Highlights des Stiftungstags umfassten unter anderem Harald Schmidt, der über mentale Gesundheit sprach, sowie eine Diskussion zwischen Schriftstellerin Eva Menasse und Manos Tsangaris, Präsident der Berliner Akademie der Künste. Dabei ging es um die aktuelle Situation von Kulturschaffenden und die Notwendigkeit eines mutigen Miteinanders statt eines verzagten Einzelgängertums in Kunst und Kultur. Zudem diskutierte Köchin und Stiftungsgründerin Sarah Wiener, wie durch vielseitige Ernährung gesellschaftlicher Wandel angestoßen und Zusammenhalt gestärkt werden kann.
Schließlich widmete sich eine weitere Gesprächsrunde der Frage, wie privates Kapital, unternehmerisches Engagement und neue Allianzen gezielt für gesellschaftlichen Wandel genutzt werden können. Mit dabei waren unter anderem Rubin Ritter und Elena von Metzler, die Impulse für eine zukunftsorientierte Zusammenarbeit gaben.
(Dokumentation/ Diether von Goddenthow /RheinMainKultur.de)
Hintergrund:
Der Bundesverband Deutscher Stiftungen vertritt die Interessen der deutschen Stiftungen gegenüber Politik und Gesellschaft. Mit über 4.300 Mitgliedern ist er der größte und älteste Stiftungsverband in Europa. Jedes Jahr engagieren sich allein die 60 größten Stiftungen in Deutschland mit mehr als fünf Milliarden Euro für das Gemeinwohl. Der Bundesverband setzt sich für optimale Rahmenbedingungen für das Stiften und für das Wirken von Stiftungen ein und unterstützt seine Mitglieder sowie Stifterinnen und Stifter insbesondere durch Beratung und Vernetzung in ihrer Arbeit.
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