Der eigene Antrieb. Feine Fahrräder 7. Juni – 14. September 2025 im Museum Angewandte Kunst

Der eigene Antrieb. Feine Fahrräder 7. Juni – 14. September 2025. Mit der Erfindung des Fahrrads entsteht das effizienteste mit Muskelkraft zu bewegende Gefährt. Mit ihm erweitert der Mensch mit zunehmender Beschleunigung seinen Aktionsradius, mit ihm beginnt zugleich der individualisierte Verkehr. © Foto Diether von Goddenthow

Das Museum Angewandt Kunst in Frankfurt am Main hat in Zusammenarbeit mit dem bedeutendsten deutschen Fahrradmuseum, dem Fahrradmuseum Bad Brückenau, die einzigartige Ausstellung „Der eigene Antrieb. Feine Fahrräder“ zur Geschichte und Design-Entwicklung des Fahrrads zusammengestellt: Vom 12. Juni bis zum 14. September 2025 widmet sich die relativ chronologisch aufgebaute Überblicks Fahrrad-Schau den Höhepunkten des Fahrraddesigns aus drei Jahrhunderten: von Karl Drais‘ Laufmaschine, über Hoch-, Nieder- und Falträder bis hin zu den Alltags- und Sporträdern von heute bis hin zum Fahrrad aus dem 3D-Drucker. 

Alles begann mit der Laufmaschine

Nachbau von Karl Drais Laufmaschine 1817 © Foto Diether von Goddenthow

Begonnen hatte alles im Jahr 1817 als der deutsche Tüftler Karl Drais ein völlig neuartiges Fortbewegungsmittel erfand: die Laufmaschine, auch bekannt als Draisine oder Laufrad. Sie war das erste zweirädrige, lenkbare Fahrzeug, das ohne tierische oder mechanische Antriebskraft funktionierte. Angetrieben wurde sie allein durch die Muskelkraft des Fahrers, der sich im Sitzen mit den Füßen am Boden abstieß und so in Bewegung setzte. Das Entscheidende bestand in Karl Drais Erfindung der Lenkung. Denn ohne Lenkung, so Ivan Sojc, Direktor des Deutschen Fahrradmuseums, Bad Brückenau, bei der Presseführung im Museum Angewandte Kunst in Frankfurt, wäre die Laufmaschine unbrauchbar gewesen. Mit zwei starren Rädern wäre man unweigerlich nach zehn Metern vom geraden Weg abgekommen, und hätte anhalten, und dasLaufrad wieder neu ausrichten müssen. Die Erfindung der Lenkung sei das Wesentliche Element, damit die Laufmaschine funktionierte. Mit einer lenkbaren einfachen Lenkstange war es lenkbar.

Karl Drais entwickelte die Laufmaschine als Reaktion auf die schwierigen Lebensumstände seiner Zeit. Nach dem Ausbruch des Vulkans Tambora im Jahr 1815 kam es weltweit zu Klimaveränderungen, Ernteausfällen und Hungersnöten. Auch Pferde, damals das wichtigste Transportmittel, wurden knapp und teuer. Drais wollte deshalb ein kostengünstiges, zuverlässiges und unabhängiges Verkehrsmittel schaffen.
Die Laufmaschine bestand aus einem Holzrahmen mit zwei hintereinander angeordneten Rädern, einem gepolsterten Sattel und einer beweglichen Lenkstange am Vorderrad. Durch das Abstoßen mit den Füßen konnte sich der Fahrer mit einer Geschwindigkeit von bis zu 15 km/h fortbewegen. Es war aber sehr anstrengend und wenig komfortabel. Damit war man auf guten Straßen deutlich schneller unterwegs als zu Fuß.
Anfangs fand die Laufmaschine vor allem bei wohlhabenden Bürgern und Technikbegeisterten Interesse. In manchen Städten wurden sogar Verleihstationen eingerichtet. Doch schon bald geriet sie in die Kritik: Fußgänger fühlten sich gestört, und vielerorts wurde das Fahren auf Gehwegen verboten. Dadurch verlor die Laufmaschine an Popularität und wurde vorübergehend vergessen.

Tretkurbel-Rad Weiterentwicklung

Tretkurbelrad Übergangsmodell zum Hochrad 1869 – 70 von Eugen Meyer © Foto Diether von Goddenthow

Im Jahr 1869 entwickelte der deutsche Mechaniker Eugen Meyer das Prinzip weiter: Er konstruierte ein Tretkurbelrad, bei dem das Vorderrad durch Pedale und eine Tretkurbel direkt angetrieben wurde. Statt sich mit den Füßen abstoßen zu müssen, konnte der Fahrer nun gleichmäßig in die Pedale treten. Dies ermöglichte eine höhere Geschwindigkeit und eine effizientere Fortbewegung über längere Strecken.
Neben dem verbesserten Antrieb bestand die Weiterentwicklung auch in der Bauweise. Meyers Rad war teilweise aus Metall gefertigt, was es stabiler und langlebiger machte als die hölzerne Laufmaschine von Drais. Zudem verwendete Meyer ein größeres Vorderrad, um mit einer Pedalumdrehung mehr Strecke zurückzulegen – ein Konzept, das später im Hochrad weitergeführt wurde.
Insgesamt war Eugen Meyers Tretkurbelrad ein entscheidender Fortschritt: Es machte aus der einfachen Laufmaschine ein wirklich nutzbares Verkehrsmittel. Damit war ein weiterer wichtiger Schritt in der Entwicklung des modernen Fahrrads getan.

Vom Tretkurbelrad zum Sicherheitshochrad

Sicherheitshochrad 1886 von Leonard B. Gaylor. © Foto Diether von Goddenthow

Nach dem Tretkurbelrad von Eugen Meyer im Jahr 1869 wurde das Hochrad weiter verbessert, um es sicherer und bequemer zu machen. Ein großer Fortschritt gelang dem Engländer Leonard B. Gaylor 1886 mit der Weiterentwicklung des Hochrades zum sogenannten Sicherheitshochrad. Dieses neue Modell war eine entscheidende Weiterentwicklung, da es viele Probleme des vorher beliebten Hochrads löste. Wesentlich war, so Ivan Sojc, dass nun die Fahrer praktisch nicht mehr nach vorne, sondern „nur“ noch nach hinten stürzen konnten. „Durch das kleine lenkbare Rad vorn und das große Rad hinten werden Stürze kopfüber verhindert“, erklärt Sojc.

 

 

 

 

 

 

Ivan Sojc, Direktor des Deutschen Fahrradmuseums Bad Brückenau erläutert das Sicherheitsniederrad 1880 von Josef Erlach, Österreich. © Foto Diether von Goddenthow

Sicherheitsniederrad – das „Urfahrrad von heute“
Etwa zur gleichen Zeit, ein wenig frueher im Jahr 1880, entwickelte der Österreicher Josef Erlach im Gegensatz zum Sicherheitshochrad das Sicherheitsniederrad. Allein, dass der Fahrer nicht mehr aus solcher Höhe wie beim Hochrad stürzen konnte, war schon ein großer Fortschritt. Während der Fahrer beim Hochrad sehr hoch, direkt über dem großen Vorderrad saß, was das Gleichgewicht schwierig machte und bei Stürzen zu schweren Verletzungen führen konnte, hatte Josef Erlachs „Rad“ zwei annähernd gleich große Rädern, einen tiefen Rahmen und einen niedrigen Sitz, wodurch der Schwerpunkt des Fahrers tiefer lag. Das machte das Auf- und Absteigen einfacher und das Fahren insgesamt stabiler. Besonders wichtig war auch der Antrieb über eine Kette auf das Hinterrad, was eine gleichmäßige und kraftsparende Fortbewegung ermöglichte.

Erlachs Konstruktion war ihrer Zeit voraus. Sie machte das Fahrrad nicht nur für sportliche Männer interessant, sondern auch für Frauen, ältere Menschen und ungeübte Fahrer. Obwohl Josef Erlachs Sicherheitsniederrad nicht so berühmt wurde wie spätere Modelle, war es ein wichtiger Meilenstein in der Fahrradgeschichte. Es bereitete den Weg für das moderne Fahrrad, wie wir es heute kennen – sicher, bequem und für jeden nutzbar. Insofern könnte man Erlach Fahrrad als sogenanntes „Ur-Fahrrad“ bezeichnen. Damit wurde das Fahrrad nach und nach zu einem alltagstauglichen Verkehrsmittel für breite Bevölkerungsschichten.

Entscheidend war der Muskelantrieb des weltweit meist genutzten Verkehrsmittel

Der eigene Antrieb. Feine Fahrräder 7 Juni – 14 September 2025 im Museum Angewandte Kunst.© Foto Diether von Goddenthow

Die Erfindung des Fahrrads, eines Fortbewegungsmittels, das allein mit Muskelkraft betrieben wird, war eine technische Meisterleistung, die sich über Jahrzehnte entwickelt hat. Es ist das effizienteste mit Muskelkraft zu bewegende Gefährt. Mit dem Fahrrad erweiterte der Mensch mit zunehmender Beschleunigung seinen Aktionsradius, mit ihm begann zugleich der individualisierte Verkehr.

Im Laufe seiner über drei Jahrhunderte währenden Entwicklungsgeschichte avanciert das Fahrrad zu dem weltweit meist genutzten Verkehrsmittel. Gesellschaftliche und soziale sowie politische und ökonomische Verhältnisse prägten die Bedeutung dieses Fortbewegungsmittels und mit ihm verbundene Zukunftsvisionen. Das Fahrrad war schon immer mehr als ein Mittel zur Fortbewegung. So steht es auch für Sport, Gesundheit, Lifestyle und jenem Zusammenspiel von Gestaltung und ausgeklügelter Funktionstechnik, durch das es zu einem nahezu kultisch aufgeladenen Designobjekt wird.

Hochrad zum Ausprobieren in der Ausstellung, hier mit Angela Pfotenhauer als „Modell“. © Foto Diether von Goddenthow

Dass dabei das Design von Fahrrädern mit der Geschichte technischer Innovationen und Herstellungsverfahren eng verbunden ist, zeigt sich am Antrieb, der Federung und den Laufrädern, aber besonders auch am Rahmen und dessen Materialien. Design und Technologie verschmelzen zunehmend und immer wieder werden dabei die Grenzen des Machbaren ausgelotet.

 

Die Ausstellung verschafft einen wunderbaren Überblick über die technische Entwicklungsstufen sowie den soziokulturellen Kontext. Dabei reicht Spektrum der Ausstellung reicht vom handwerklichen Rahmenbau über die industrielle Serienproduktion bis hin zum Fahrrad aus dem 3D-Drucker. Mit den einst in Frankfurt ansässigen Adlerwerken, dem 1889 sich in Offenbach gegründeten Arbeiter-Radfahrerbund „Solidarität” und dem Offenbacher Fahrradhaus „Frischauf”, das 1922 mit der Eigenproduktion günstiger Fahrräder begann, werden lokale Unternehmen und Institutionen in den Blick genommen, die eine zentrale Rolle in der Entwicklung und Verbreitung von Fahrrädern im Deutschen Kaiserreich und der Weimarer Republik einnahmen.

 

 

(Diether von Goddenthow /RheinMainKultur.de)

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