
Vom 6. März bis 31. August 2025 treten insgesamt 18 Arbeiten der renommierten Künstlerin Isa Genzken (*1948) in einen spannenden Dialog mit antiken ägyptischen, griechischen und römischen Skulpturen sowie mit Meisterwerken aus dem Mittelalter und der Neuzeit. Damit verbindet das Liebieghaus Frankfurt mit seiner 5.000 Jahre umfassenden Skulpturensammlung Vergangenheit und Gegenwart auf einzigartige Weise. Genzken ergänzt dabei einzelne Skulpturen mit Versatzstücken unserer Gegenwart – etwa mit einer Sonnenbrille, Kopfhörern oder einem Schleier. Auch Installationen aus Sperrmüll-Requisiten (sogenannte Relikte materieller Kultur) gehören dazu, ebenso wie ausrangierte, von ihr neu bekleidete Schaufensterpuppen, die sie in zentrale Blickachsen der Ausstellungsräume rückt.
Genzken greift, heißt es, dabei die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Vielfarbigkeitsforschung antiker Statuen (Statuenpolychromie) in ihren Arbeiten auf und überführt sie in ihre eigene Formsprache. Was auch immer Betrachter in Genzkens Formensprache erkennen mögen – ein Rundgang lohnt sich nicht nur wegen des ungewöhnlichen Kontrastes und der belebenden Wirkung, sondern vor allem, um die Schönheit der Skulpturen und das unglaubliche Können ihrer Erschaffer neu zu entdecken und auf ganz andere Weise wertzuschätzen.
Isa Genzken zählt seit den 1980er-Jahren zu den einflussreichsten Künstlerpersönlichkeiten der internationalen Kunstszene. Ihr facettenreiches Werk umfasst Skulptur, Collage, Malerei, Film und Fotografie. Charakteristisch für ihre Kunst ist die Verbindung persönlicher Erlebnisse mit kunsthistorischen, architektonischen und gesellschaftlichen Bezügen.
Im Liebieghaus werden unter anderem ihre Neuinterpretationen der Nofretete-Abgüsse sowie Werke aus dem Jahr 2016 gezeigt, für die sie Seiten aus dem Katalog der Ausstellung BUNTE GÖTTER (2010) zu Collagen verarbeitet hat. Ergänzt wird die Präsentation durch bedeutende Skulpturen aus ihrem Gesamtwerk, darunter Fenster (1990) und Weltempfänger ‚Berlin‘ (1991), sowie den Film Die kleine Bushaltestelle (Gerüstbau) (2012). Die Ausstellung erstreckt sich über alle Bereiche der Dauerausstellung – vom Garten des Liebieghauses über die Antikensammlung bis hin zu den Räumen des Mittelalters und der Neuzeit.
Isa Genzken meets Liebieghaus ist nach Jeff Koons. The Sculptor (2012) und William Kentridge. O Sentimental Machine (2018) die dritte Intervention zeitgenössischer Kunst in der Liebieghaus Skulpturensammlung.
Rundgang durch die Ausstellung

Im Skulpturengarten des Liebieghauses begegnet der Besucher der Pink Rose (2016/2023), eine über acht Meter hohe farbige Skulptur aus Stahl und Aluminium, die Isa Genzken erstmals in den 1990er- Jahren als ortsspezifische Auftragsarbeit realisierte und die in anderen Versionen unter anderem dauerhaft in New York und Tokio steht. Während die Rose als Symbol der Schönheit und als Geschenk oft mit einem positiven, emotionalen Wert besetzt ist, strahlt Genzkens monumentale Arbeit eine fast bedrohliche Präsenz aus. Ihre imposante Größe lässt die Umgebung und die dauerhaft im Garten ausgestellten Skulpturen schrumpfen, Proportionen werden so verschoben – ein für das Medium Skulptur zentraler Aspekt.
Im ersten Raum der Sammlungspräsentation treffen Kunstwerke des Alten Ägypten auf zwei Skulpturen (beide 2018) aus einer umfangreichen Serie Genzkens, in der sie die berühmte Büste der ägyptischen Königin Nofretete aus dem 14. Jh. v. Chr. adaptiert. In der Gegenüberstellung der beiden Gipsabgüsse – einer weiß belassen, der andere farbig gefasst – und ihrer Verortung inmitten der antiken Plastiken wird das Thema Statuenpolychromie aufgegriffen. Eine Skulptur ohne Farbfassung galt sowohl im alten Ägypten als auch im alten Europa als unfertig und unansehnlich. Beide Büsten tragen Sonnenbrillen – eine kontrastreiche Kombination von Skulptur und Alltagsgegenstand, wie sie Genzkens Werk seit den 2000er-Jahren auszeichnet.

Auch die im darauffolgenden Raum ausgestellte Variation des Xantener Knaben (Untitled, 2015), dessen Original sich wie die Büste der Nofretete im Neuen Museum Berlin befindet, wird von Isa Genzken mit einem modernen Accessoire versehen und mit nur minimalen Veränderungen in eine alltägliche Gestalt verwandelt. Dem eingefärbten und teilweise mit Kupferfarbe übergossenen Gipsabdruck der antiken römischen Bronzefigur, die ursprünglich ein Tablett in den ausgestreckten Armen hielt, setzt sie Kopfhörer auf, die mit einem tragbaren CD-Player verbunden sind. Auf ein Podest verzichtet Genzken bewusst, um die Figur auf Augenhöhe mit dem Besucher zu bringen und sie so als unmittelbares Gegenüber erfahrbar zu machen. Eine verblüffende Illusion von Lebendigkeit erzeugen auch die farbig gefassten Bronzen der Griechen und Römer: Bei den im gleichen Raum ausgestellten Rekonstruktionen
der Riace-Krieger etwa, die im Rahmen des „Liebieghaus Polychromy Research Project“ entstanden sind, wurde der Eindruck sonnengebräunter Haut durch zahlreiche Schichten mit rotem Pigment verdünnten Asphaltlacks erzielt. Ihre extreme Lebensnähe entsteht durch detaillierte Steineinlagen in den Augen, kupferne Brustwarzen und Lippen sowie silberne Zähne. Wissenschaftliche Untersuchungen ergaben, dass Krieger A den Erechtheus, Sohn der Göttin Athena, und Krieger B den Thrakerkönig Eumolpos, Sohn Poseidons, darstellen. Ähnliche Forschungen an den Quirinalsbronzen identifizierten diese Figuren wiederum als Amykos und Polydeukes, Helden der Argonautensage, die in einem legendären Boxkampf aufeinandertrafen. Die Rekonstruktion von Amykos ist neben weiteren wie die der Phrasikleia und der sogenannten Kleinen Herkulanerin ebenso im zweiten Raum des Museums zu sehen.
Die neun Schaufensterpuppen, die inmitten des großen Antikensaals des Liebieghauses mit seinen römischen und griechischen Statuen in einem Kreis stehen, sind Teil einer weiteren zentralen Werkreihe in Genzkens Schaffen, mit der sie seit 2012 Schaufensterpuppen in eingefrorenen Momenten menschlicher Interaktion inszeniert. Ihre Schauspieler (2016) stellen sowohl das Alter Ego der Künstlerin als auch urbane Typen dar, deren Kleidung und Accessoires auf die Exzesse des Kapitalismus anspielen. Die Puppen tragen Kleidung, die die Künstlerin zum Teil aus ihrer eigenen Garderobe entnommen hat, und sind mit alltäglichen, für den Zusammenhang jedoch ungewöhnlichen Gegenständen versehen. Es ist eine einzigartige Assemblage-Technik, die Genzken in den 2000er-Jahren entwickelte und mit der sie aus Puppen, Plastikspielzeug, günstigen Konsumartikeln, Dekorationsgegenständen sowie mit dem Einsatz von Sprühfarbe farbintensive und psychedelisch wirkende Skulpturen und Wandarbeiten schafft. In einer Serie von vier Assemblagen zur Statuenpolychromie, von denen drei (jeweils 2016) ebenfalls im Antikensaal zu sehen sind, rückt Genzken die Überwindung des alten Dogmas von der Erhabenheit der weißen Skulptur in den Fokus. Mit unterschiedlichen Klebebändern fügt sie diverse Dokumente zusammen: Seiten aus Publikationen, darunter eine zur antiken griechischen Skulptur mit Abbildungen zahlreicher farbloser Figuren, Seiten aus dem Katalog zur Ausstellung „BUNTE GÖTTER“, damals im Berliner Pergamonmuseum, ein Bericht zu ihrer Ausstellung „Mach dich hübsch!“, die 2016 unter anderem im Berliner Martin-Gropius-Bau zu sehen war, sowie ein Text zu den kulturellen Aktivitäten der Stadt Bremen im Jahr 2006 mit dem Titel „Verantwortung übernehmen heißt auch Farbe bekennen“.
Weitere Assemblagen hat Isa Genzken mit Elementen der Innenverkleidung von Passagierflugzeugen realisiert. Im Liebieghaus wird die Arbeit Flugzeugfenster (Medusa) (2011) der farbigen Rekonstruktion eines großen Reliefs des Haupts der Medusa gegenübergestellt. 2024 bekamen Wissenschaftler des Liebieghauses die Gelegenheit, die gut erhaltene Farbigkeit einer griechischen, spätklassischen Grabanlage, dem „Ipogeo die Cristallini“ in Neapel, zu untersuchen. Daraus ist die Projektschau „Medusas Farben“ entstanden, in deren Zentrum die Rekonstruktion eines Gorgoneions stand. Isa Genzken bringt das Motiv des Gemäldes der Medusa von Caravaggio in den Flugzeugfenstern an: Im linken der beiden Fenster überblendet sie den Medusen-Kopf mit dem Gesicht der Mona Lisa von Leonardo da Vinci, im Fenster daneben mit einem fotografischen Selbstporträt der Künstlerin.
Die in der Rotunde gezeigte Arbeit Kai (2000) bildet mit ihrer Eleganz einen formalen Kontrast zu den Assemblagen und erinnert zum einen an die strenge, zeichnerische Präzision im Werk von Almir Mavignier, bei dem Isa Genzken von 1969 bis 1971 an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg studierte, zum anderen an das Interesse der Künstlerin an der Hochhausarchitektur von Chicago und New York. Die über drei Meter hohe, schlanke Stele aus Holz und Metall ist Teil einer Serie von Porträts befreundeter Künstler, in der sie sich auch mit der Aura des Superstars auseinandersetzt, und dem Kölner Maler, Videokünstler und Musiker Kai Althoff (*1966) gewidmet. Gemeinsam haben sie den Film Die kleine Bushaltestelle (Gerüstbau) (2012, 71:19 Min.) produziert, der am Ende der Ausstellung im Barock-Raum des Liebieghauses zu sehen ist. In dem mit einer einfachen Digitalkamera gedrehten Episodenfilm, der sich zwischen Slapstick und Improvisationstheater bewegt, spielen die beiden verschiedene Rollen und Paarkonstellationen und thematisieren in ihren Dialogen Liebe und Sex, Wetter, Krankheit, Geld und die Kunst.

In der Dauerausstellung des Liebieghauses sind auch Skulpturen von Isa Genzken zu sehen, in denen sie unter anderem das Thema Architektur aufgreift. Sie begreift Architektur als Skulptur und experimentiert mit deren Formen, um Veränderungen in Städten und ihren sozialen sowie politischen Strukturen zu thematisieren. So erweckt Untitled (2015), eine mit Mosaik-Spiegelfolie beklebte Holzstele, den Eindruck einer Hochhausfassade. Genzken hat sie wie eine Puppe in einen japanischen Seidenkimono gehüllt und konterkariert damit das monumentale, Ehrfurcht einflößende Erscheinungsbild von Hochhäusern. Die Schiffsschraube, die auf der Stele liegt, ist die Trophäe des Yanghyun Awards, den die Künstlerin im Jahr 2009 erhalten hat. In der skulpturalen Assemblage Untitled (4 Türme, 3 Stelen) (2015), die in der historischen Villa Liebieg zu sehen ist, kombiniert Isa Genzken unter anderem eine Vase aus geblasenem und gefärbtem Glas, einen Beipackzettel von Ibuprofen und verschiedene Fotos – darunter eines, das sie und den Maler Gerhard Richter zeigt, mit dem sie von 1982 bis 1993 verheiratet war – mit einer Replik einer sitzenden Madonna mit Kind. Das Original, um 1515 von Hans Leinberger (1480–1531) geschaffen, gehört wie die Nofretete und der Xantener Knabe zu den Beständen der Staatlichen Museen zu Berlin.
Die Türme und Säulen von Genzkens Skulptur lassen in ihrer Gruppierung an Straßenzüge und Häuserschluchten denken, verschiedene Darstellungen auf einer der Säulen zeigen Wolkenkratzer und die Türme sind auch hier mit der für Genzken typischen, an Häuserfassaden erinnernden Mosaik-Spiegelfolie beklebt. Die Arbeit verdeutlicht ihre Leidenschaft für Architektur und Großstädte, insbesondere New York, das sie einmal als ihr „Studio“ bezeichnete.
In der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre begann Genzken, Skulpturen aus Beton, Stahl und später aus Epoxidharz zu schaffen, darunter die Serie der Fenster. Das im Liebieghaus gezeigte Fenster (1990) befindet sich in der Sammlung des Städel Museums. Durch die Verbindung von Beton und Stahl, zwei der wichtigsten Baustoffe der modernen Architektur, erinnert es in seiner Schlichtheit an Rohbauten, die auf Isa Genzken eine große Anziehungskraft ausüben – für sie ist die Rationalität der Ingenieure wahrhaftiger als die mit vermeintlich edlen Materialien verkleideten Fassaden. Über ein Jahrzehnt arbeitete die Künstlerin in ihrem Berliner Atelier an den Fenstern und anderen Objekten aus Beton wie den Weltempfängern, von denen der Weltempfänger ‚Berlin‘ (1991) im Renaissancesaal der Skulpturensammlung zu sehen ist und stumm mit den anderen Exemplaren der Werkreihe rund um den Globus zu kommunizieren scheint.
Biographisches
Isa Genzken wurde 1948 in Bad Oldesloe geboren und lebt seit 1996 in Berlin. Sie studierte Malerei, Kunstgeschichte, Philosophie, Fotografie und Grafik, unter anderem von 1973 bis 1977 an der Kunstakademie Düsseldorf. Genzken erhielt zahlreiche internationale Auszeichnungen, wie den Wolfgang-Hahn-Preis (2002), den Goslarer Kaiserring (2017) und den Nasher Prize (2019), und gestaltete den Deutschen Pavillon auf der Biennale in Venedig (2007). Umfangreiche Retrospektiven wurden ihrem Werk im Museum of Modern Art in New York (2013) und zuletzt in der Neuen Nationalgalerie in Berlin (2023) gewidmet. Ihre Arbeiten befinden sich in zahlreichen internationalen Sammlungen, darunter das Hirshhorn Museum and Sculpture Garden, Washington, DC, das Museum Boijmans Van Beuningen, Rotterdam, das Museum of Contemporary Art, Chicago, das Museum of Modern Art, New York, das Museum Ludwig, Köln, das Städel Museum, Frankfurt am Main, die Städtische Galerie im Lenbachhaus, München, und das Stedelijk Museum, Amsterdam.
Ort: Liebieghaus Skulpturensammlung, Schaumainkai 71, 60596 Frankfurt am Main
Öffnungszeiten: Di, Mi 12.00–18.00 Uhr, Do 10.00–21.00 Uhr, Fr–So 10.00–18.00 Uhr, montags geschlossen
Information: www.liebieghaus.de
Besucherservice und Führungen: info@liebieghaus.de, buchungen@liebieghaus.de, Telefon: +49(0)69-605098-200, Fax: +49(0)69-605098-112
Eintritt: Di–Fr 10 Euro, ermäßigt 8 Euro; Sa–So 12 Euro, ermäßigt 10 Euro; freier Eintritt für Kinder
unter 12 Jahren. Tickets sind auch im Online-Shop unter shop.liebieghaus.de erhältlich. Die Ausstellung kann mit dem Ticket der Ausstellung „Rembrandts Amsterdam. Goldene Zeiten?“ im Städel Museum vom 6. bis 23. März bei Vorlage an der Kasse der Liebieghaus Skulpturensammlung kostenfrei besucht werden. Bitte beachten: Das Angebot ist nur am selben Tag des Besuchs im Städel Museum gültig.