Frankfurt am Main, 22. Oktober 2021. Es ist eines der bedeutendsten Vermächtnisse der letzten Jahrzehnte: Die Frankfurter Fotografin und Mäzenin Ulrike Crespo hinterlässt dem Städel Museum über 90 herausragende Gemälde und Arbeiten auf Papier der Klassischen Moderne und der internationalen Nachkriegskunst, darunter Werke von Wassily Kandinsky, Franz Marc, Otto Dix, Max Ernst, Fernand Léger, Jean Dubuffet, Cy Twombly und anderen. Ein Spitzenstück des Vermächtnisses ist Oskar Schlemmers Aquarell zu seinem weltberühmten Gemälde Bauhaustreppe (New York, Museum of Modern Art).
Das Städel Museum würdigt diese beeindruckende Geste Ulrike Crespos mit einer Sonderausstellung. Unter dem Titel „Zeichen der Freundschaft. Ulrike Crespo beschenkt das Städel Museum“ treten vom 24. November 2021 bis zum 6. März 2022 ausgewählte Arbeiten aus dem Vermächtnis in einen Dialog mit Werken aus der Sammlung des Städel Museums. Es werden insgesamt 72 Arbeiten gezeigt, darunter 44 aus dem Vermächtnis von Ulrike Crespo. Die geschenkten Werkgruppen und Einzelpositionen korrespondieren in der Ausstellung immer wieder mit Arbeiten aus dem Bestand des Städel Museums: Sie beziehen sich aufeinander, bereichern sich gegenseitig und schließen auch Lücken, die beispielsweise 1937 durch die Beschlagnahme von Kunstwerken im Rahmen der Aktion „Entartete Kunst“ durch die Nationalsozialisten entstanden sind.
„Mit ihrem Vermächtnis reiht sich Ulrike Crespo ein in beste Frankfurter Bürgertradition, verdankt sich doch schon die Gründung des Städel Museums solch einer mäzenatischen Tat. Dabei ergänzen die Meisterwerke aus dem Nachlass von Ulrike Crespo die Bestände des Städel Museums auf das Schönste. Mit unserer Sonderausstellung möchten wir der Stifterin gedenken und ihr großartiges für Frankfurt feiern. Das Städel Museum ist Ulrike Crespo zu größtem Dank verpflichtet“, so Städel Direktor Philipp Demandt.
„Ulli Crespo war eines sehr wichtig: Die Kunst sollte der ganzen Gesellschaft zugänglich sein. Sie wollte es noch mehr Menschen ermöglichen, ihre Persönlichkeit durch die sinnlich-ästhetische Erfahrung von Kunst und Kultur zu entfalten – und gründete auch dafür ihre Stiftung, die Crespo Foundation. Ihr Vermächtnis an das Städel Museum folgt dieser Logik. Wir sind sehr glücklich, nun diese Ausstellung zu Ehren der Werke und Werte von Ulli Crespo zu erleben“, so Christiane Riedel, Vorständin, Crespo Foundation.
Die Fotografin, Psychotherapeutin und Philanthropin Ulrike Crespo (1950–2019) gründete 2001 die Crespo Foundation in Frankfurt, die mit zahlreichen Projekten gesellschaftlich Benachteiligte fördert und dabei einen Schwerpunkt auf Bildung und Kreativität legt. Zugleich unterstützte sie Künstlerinnen und Künstler sowie Kunstinstitutionen und baute eine Sammlung zeitgenössischer Kunst auf. Bildende Kunst war ihr ein existenzielles Anliegen – und hatte Familientradition. Ursprünglich waren die dem Städel Museum vermachten Werke Teil der weit umfangreicheren Sammlung von Karl Ströher (1890–1977), Ulrike Crespos Großvater. Geprägt von der eigenen Vorliebe für Arbeiten auf Papier – Karl Ströher war selbst begeisterter Zeichner –, aber auch durch den Austausch mit befreundeten Künstlern wie Willi Baumeister, mit Kunsthistorikern wie Will Grohmann und mit Galeristen erwarb Ströher nach dem Zweiten Weltkrieg Werke der Klassischen Moderne und der unmittelbaren Zeitgenossenschaft, vom Expressionismus bis zur US-amerikanischen Pop-Art.
Rundgang durch die Ausstellung
Die Schau in der Ausstellungshalle der Graphischen Sammlung ist nach Werkgruppen weitestgehend chronologisch in sieben Kapitel gegliedert und beginnt mit den vielleicht wichtigsten Neuzugängen für das Städel Museum, mit Werken der einstigen Bauhauslehrer Oskar Schlemmer, Paul Klee, Lyonel Feininger und László Moholy-Nagy. Da alle Lehrkräfte dieser 1919 gegründeten, interdisziplinären Kunstschule angehalten waren, ihre eigene ästhetische Vision deutlich zu vermitteln, bündelte das Bauhaus viele formal eigenständige und für die Moderne wichtige Positionen. Auch wenn nicht alle in diesem Kapitel versammelten Werke unmittelbar am Bauhaus entstanden, zeigen sie doch dessen charakteristische Suche nach einer neuen Formensprache. Landschaft und Figur werden mal zeichenhaft reduziert, mal kubistisch zerlegt oder geometrisch konstruiert. Zeichnungen von Schlemmer und Moholy-Nagy waren in der Graphischen Sammlung des Städel Museums dabei bisher gar nicht oder nur als Leihgaben vertreten. Schlemmers Aquarell zur längst ikonischen Bauhaustreppe (1931) sowie seine beiden malerisch experimentellen Figurengruppen in Öl auf Ölpapier von 1942 schließen mit Moholy-Nagys geometrisch-abstrakter Komposition Graue Überschneidungen (1930) diese Lücke nun auf höchstem Niveau.
Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatten Adolf Hölzel sowie die Künstler des „Blauen Reiter“ Wege in die Abstraktion eingeschlagen. Hölzel, der sich um 1905 von einer rein gegenständlichen Malerei löste, prägte als Lehrer in Stuttgart und wichtiger Theoretiker nicht nur Oskar Schlemmer, Johannes Itten oder Ida Kerkovius, die später am Bauhaus wirkten, sondern beispielsweise auch Willi Baumeister. Etwa zur selben Zeit fand in München die Künstlervereinigung „Blauer Reiter“ zu neuen formalen Möglichkeiten. Für Kandinsky, der später gleichfalls am Bauhaus lehrte, entstand wahre Kunst losgelöst von der äußeren Welt aus innerer Notwendigkeit. Sein Schaffen ist dank Ulrike Crespo am Städel Museum mit der frühen Landschaft in Öl, Kallmünz – Hellgrüne Berge (1903), und (seit 2016) einer Improvisation (1911/12) in Aquarell erfahrbar, der Zeichner Franz Marc mit einer einfühlsamen Pferdestudie in Bleistift aus einem Skizzenbuch von 1910/11.
Neben Hölzel in Stuttgart und dem „Blauen Reiter“ in München bildete sich um 1905 mit der Künstlergemeinschaft „Brücke“ in Dresden ein weiteres Zentrum der Moderne. „Unmittelbar und unverfälscht“ wollten Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel, aber auch Emil Nolde schaffen. Die vermachten Werke dieser Künstler sowie des ihnen nahestehenden Christian Rohlfs fügen sich dabei nahtlos in die reichen Expressionismus-Bestände des Städel Museums und damit in die einstige Sammlung Carl Hagemanns (1867–1940) ein. Mit dem Kopf Ernas von 1912 verfügt das Städel nun über den einzigen bekannten Abzug dieses Holzschnitts von Ernst Ludwig Kirchner. Einen neuen Aspekt bringt das farbenprächtige, expressive Aquarell anonymer Großstadtmenschen von Otto Dix, das im schöpferischen Ausdruck an Nolde anschließt und doch ein ganz anderes koloristisches Temperament wie auch Menschenbild verrät.
Neben diesen größeren Werkgruppen zur Klassischen Moderne gelangten mit dem Vermächtnis auch für sich stehende, bedeutende Einzelwerke ins Städel Museum. Sie stammen von Gustav Klimt und Paula Modersohn-Becker, von Fernand Léger und Max Ernst, von Ben Nicholson und Alberto Giacometti und fächern über ein halbes Jahrhundert internationaler Schaffensvielfalt auf. Ein Höhepunkt ist Max Ernsts surrealistisches Gemälde Grätenwald von 1927: Es kombiniert ‚klassische‘ Malerei mit experimentellen Verfahren; Zufall und freie Assoziation werden Teil der Bildfindung.
Ähnlich experimentell arbeitete Jean Dubuffet, dem das folgende Kapitel gewidmet ist. Dubuffet sah in der Unmittelbarkeit und Unverstelltheit der Kunst von Kindern und psychisch Beeinträchtigten eine größere Glaubwürdigkeit als in der Formensprache ausgebildeter Künstler. Ihn interessierte scheinbar formlose Materie, das Erdige, Schrundige. Sand, Gips und andere ungewöhnliche Materialien verwendete er als Malgrund, in den er ritzte oder auf den er spachtelte. Eindrucksvoll ist dies gerade in den beiden vermachten Werken nachvollziehbar, einem Gemälde und einem Relief aus Papiermaché, die mit grafischen Arbeiten aus dem eigenen Bestand in Dialog treten.
An Dubuffet schließt die Werkgruppe um Willi Baumeister an, einen der wichtigsten Protagonisten der deutschen Nachkriegsmoderne. Werke von ihm, aber auch von Julius Bissier und Fritz Winter bilden in der Schenkung eine wichtige Gruppe. Sie werden ergänzt um US-amerikanische Kunst. Karl Ströher, der zunächst Werke von Sam Francis und Cy Twombly erwarb, kaufte 1968 die Pop-Art-Sammlung des New Yorker Versicherungsmaklers Leon Kraushar, die wesentlich den internationalen Ruf seiner Sammlung bestimmte. Im Städel Museum, das etwa zur selben Zeit US-amerikanische Kunst auf Papier zu erwerben begann, vertiefen die geschenkten Werke diesen seitdem kontinuierlich ausgebauten Sammlungsschwerpunkt. Die Ausstellung macht so nicht nur die Vielfalt der internationalen Kunst von 1905 bis 1965, sondern auch das Sammeln als lebendigen Prozess erfahrbar.
Alle Werke, die Ulrike Crespo für das Städel Museum bestimmte, sind mit Beginn der Ausstellung in einem Album in der Digitalen Sammlung zu entdecken. Nicht ausgestellte Werke auf Papier können sich die Besucherinnen und Besucher im Studiensaal der Graphischen Sammlung vorlegen lassen.
In der Ausstellung und auf dem Städel YouTube-Kanal ist ein filmisches Porträt über Ulrike Crespo zu sehen. Es spürt dem Wirken der Fotografin, Psychotherapeutin und Philanthropin nach. Wichtige Wegbegleiter, Freunde und die Familie Ulrike Crespos geben Einblicke in ein Leben, das in vielfacher Hinsicht von Kunst bestimmt war.
Infos zur Ausstellung
Ausstellungsdauer: 24. November 2021 bis 6. März 2022
Ort: Städel Museum, Schaumainkai 63, 60596 Frankfurt am Main
Information: www.staedelmuseum.de
Besucherservice: +49(0)69-605098-200, info@staedelmuseum.de
Öffnungszeiten: Di, Mi, Fr, Sa, So + Feiertage 10.00–18.00 Uhr, Do 10.00–21.00 Uhr
Sonderöffnungszeiten: Aktuelle Informationen zu besonderen Öffnungszeiten etwa an Weihnachten und Neujahr unter www.staedelmuseum.de Studiensaal der Graphischen Sammlung: Mi, Fr 14.00–17.00 Uhr, Do 14.00–19.00 Uhr, nach Voranmeldung unter graphischesammlung@staedelmuseum.de
Eintritt: Preise während der Sonderausstellung „Nennt mich Rembrandt!“ (bis 30.1.2022): Tickets online buchbar unter shop.staedelmuseum.de. Di–Fr 16 Euro, ermäßigt 14 Euro; Sa, So + Feiertage 18 Euro, ermäßigt 16 Euro; freier Eintritt für Kinder unter 12 Jahren