Er könne sich nicht erinnern, „ wann unser Stadttheater zuletzt so voll war“, begrüßte Oberbürgermeister Jürgen Herzing am 16.März 2024 die etwa 700 Besucher im Aschaffenburger Stadttheater sowie im über Monitore zugeschalteten Bach-Saal und auf der Bühne 3 zur Verleihung des Kulturpreises der Stadt Aschaffenburg an das Karikaturisten-Duo Achim Greser und Heribert Lenz.
Als Grußwortredner war sogar Günther Jauch, langjähriger Freund der Geehrten, nach Aschaffenburg angereist, ebenso weitere etliche Weg-Begleiter von Greser & Lenz, darunter Pit Knorr und Bernd Eilert, Mitbegründer des Satiremagazins Titanic und der Neuen Frankfurter Schule.
In der schillernden Welt der Kunst gäbe es Momente, so Herzing, in denen die kreative Essenz zweier Künstler eine unwiderstehliche Symbiose einginge und etwas Wunderbares hervorbringe. „Heute versammeln wir uns, um einen solchen Moment zu feiern, und die außergewöhnlichen Talente von Greser & Lenz mit dem Aschaffenburger Kulturpreis zu würdigen“.
Greser und Lenz seien nicht nur Namen, sondern „auch Markenzeichen für eine einzigartige Kombination aus künstlerischem Geschick, Intellekt und tiefschwarzen Humor. In einer Ära, in der die Welt von komplexen Herausforderungen geprägt ist, haben sie es geschafft, durch ihre Kunst nicht nur ein Lächeln auf unsere Gesichter zu zaubern, sondern auch einen Denkanstoß uns zu geben, der weit über ihre Zeichnungen hinaus reicht. Was beide Karikaturisten so einzigartig macht, ist nicht nur ihre Kreativität, sondern auch ihre Fähigkeit, die Welt durch die Linse des Humors zu betrachten.“, unterstrich Herzing.
Greser und Lenzen hätten es in einer Zeit voller Unsicherheit und der Veränderungen geschafft, „uns zum Lachen zu bringen, und gleichzeitig tiefgreifende Fragen aufzuwerfen. Diese Verbindung auf Humor und Tiefsinnigkeit ist das Markenzeichen ihrer Kunst“, lobte der Oberbürgermeister und lud herzlich, sich hiervon selbst ein Bild zu machen in der großen Schau „Homo Sapiens Raus! Heimspiel für Greser und Lenz“ in der Kunsthalle Jesuitenkirche vom 17.3. bis 18.8.2024.
Der Titel der Ausstellung „Homo sapiens raus. Heimspiel für Greser und Lenz“ habe bereits seit langem festgestanden, aber dann kam Corona, und alles habe sich verschoben. Der Slogan beziehe sich auf das Greser&Lenz-Buch „Schlimm. Ein Vierteljahrhundert Witze für Deutschland“, dessen Cover eine der berühmtesten Karikaturen der beiden zeige: einen Urmenschen, der den Arm zum „deutschen Gruße“ recke und „Neandertal den Neandertalern: ‚Homo sapiens raus!‘“ skandiere, so Herzing, der nun als Grußwortredner herzlich Günther Jauch begrüßte.
Greser & Lenz „ungerecht, frech, satirisch und ironisch“
Was Günther Jauch an den Witzen von Greser und Lenz so fasziniere, sei die Balance aus Text und Bild, „und deswegen scheitere ich auch so oft, wenn ich eine Karikatur von Greser und Lenz beschreiben will. Vom Hören-Sagen erschließt sich die Komik nämlich sehr oft gar nicht. Es kommt darauf, ob man erst die Zeichnung anschaut, oder den Text liest, oder eben entsprechend umgekehrt“, verriet der Journalist und Fernsehmoderator über seine Rezeptionsversuche der Greser-und Lenz-Kunst. Die Greser und Lenz’schen Texte seien wie die Bilder „absolut fulminant; besonders, wenn es ans Reimen geht“, oder bei Wortwitz-Karikaturen wie diese, wo beispielsweise eine Frau auf dem Küchentisch eine Nachricht ihres Mannes findet, worauf steht „Die Autobatterie ist leer, Bin Laden!“ Darunter heißt es: „Der internationale Terrorismus ist überall!“.
Günther Jauch bekannte, dass ihn Greser und Lenz regelmäßig vor immer neue Rätsel stellten, etwa, „wer zeichne, wer texte, ob beide beides könnten, und warum man, wenn dieses so wäre, die Beiden nicht auseinanderhalten“ könne. Und was sei, „wenn ihnen was einfällt, es ihnen aber selbst nicht gefällt, aber der Redaktionsschluss droht, oder wenn die Redaktion den Witz nicht gutfindet oder, schlimmer noch, überhaupt nicht kapiert?“ so Jauch. Vor allem aber, frage er sich, was denn das Geheimnis der „Einzigartigkeit der Kunst“ von Greser und Lenz sei.
Sicher könne man jedoch sein, dass die Komik zuverlässig zündend sei, und die beiden Künstler „nichts und niemanden“ schonten. „Sie sind ungerecht, sie sind frech, sind satirisch. Sie sind ironisch. Sie seien „anarchistisch gegen jeden und alles“ so Jauch. Und wenn ihnen wirklich etwas wurscht sei, „dann ist es tatsächlich die Politische Korrektheit: Diese so vorhersehbare langweilige humorlose Zumutung, die heute für so viele an erster Stelle steht, womit man scheinbar immer zum besseren Teil der Menschheit gehört, was erfahrungsgemäß ja nicht stimmt.“ schimpfte Jauch unter tosendem Beifall über die Schwierigkeiten für Humor in woken Zeiten.
Radikale politische Korrektheit vertrage keine Zweideutigkeiten
Achim Greser habe ihm in diesem Zusammenhang kürzlich einmal sein Leid geklagt über den „unaufhaltsamen Niedergang des Zeitungswesens und die zeitgeistlichen Zumutungen und Narreteien einer woken Gesellschaft, die Witz, Satire und Ironie als Menschenrechtsverletzungen sieht, anstatt sie zu begreifen als Mittel einer dringend notwendigen Gemütsentlastung und menschenfreundlichen Herzensbildung!“ Tosender Applaus.
Aber es sei wohl so, sagte Jauch, „wie die US-Autorin Sarah Pines die Entscheidung der New York Times, überhaupt keine Karikaturen mehr zu veröffentlichen, einst kommentiert hatte: „Radikale politische Korrektheit verlangt wertfreie Worte und Bilder, die Kategorien wie Rasse, Sexualität und Religion ausspart. Sie verträgt keine Zweideutigkeiten, keine Ambivalenzen, keinen Humor, und keine ironische Spitzen.“.
Greser und Lenz, so Günther Jauch, hätten das einmal gemeinsam so formuliert: „ Wer will denn aber in so einer freudlosen spaßbefreiten Welt leben, wo ein Witz auf Kosten eines anderen unter Strafe gestellt, das Denunziantentum gefördert und nicht einmal mehr den Narren Freiheit gewährt wird“.
Oder, so Jauch, komme das Ende für die Beiden „zum Beispiel im Gewand einer Kündigung von einem Tag auf den anderen daher, wie Greser und Lenz vor wenigen Jahren nach einer gerade mal einjährigen Zusammenarbeit mit dem Spiegel erfahren mussten.“ Die Begründung des – ehemaligen – Chefredakteurs lautete, „dass man nach der Relotius -Affäre jetzt wieder – Zitat – ‚mehr auf Wahrhaftigkeit setze!‘“, so Jauch. Lautes Lachen und allgemeine Heiterkeit im Theater. „Diese Doppelmoralisten, ist ja nicht zu glauben“, rief eine Frau aus dem Publikum.
Greser und Lenz hätten daraufhin, so Jauch, in ihrem Dank für die kollegiale flotte und sehr freundliche Zusammenarbeit den Kollegen der Spiegel-Bild- und Wirtschaftsredaktion alles Gute und dem Chefredakteur augenzwinkernd „wenigstens eine mittelschwere Fischvergiftung“ gewünscht. Großes Gelächter und Beifall über so viel derben schwarzen Humor.
Greser und Lenz völlig zeitlos
Anders als der inzwischen – gekündigte – Spiegelredakteur wären Greser und Lenz immer noch da, bemerkte Günther Jauch. Für ihn gehörten die beiden Karikaturisten zu „meinem Leben, täglich in der FAZ, in ihren Büchern und bei mir zuhause.“ Er habe in den frühen 1990er Jahren bei einer Vernissage in München drei Zeichnungen von Greser und Lenz gekauft mit einem Witz über einen Blinden, ein Witz über Ostdeutsche und ein Witz über Chinesen. „Alle drei Zeichnungen sind politisch natürlich völlig unkorrekt, und wahrscheinlich heute, zumindest öffentlich, nicht mehr ausstellungs-, geschweige denn druckfähig definiert“, so Günther Jauch. Dabei seien „die Werke von Greser und Lenz, wie die beiden selbst, völlig zeitlos“, unterstrich der Laudator, der sich „ein Leben ohne die Kunst von Greser und Lenz überhaupt nicht vorstellen“ könne. Er gratulierte den beiden Preisträgern zu dem Kulturpreis der Stadt Aschaffenburg, und ermutigte das Künstlerpaar diese Auszeichnung zum Anlass zu nehmen, „um noch ein paar Jahre dranzuhängen und weiter die großartigsten Witze für Deutschland zu produzieren“,
Laudatio: Mögen die Heroen der Karikatur weiterhin von der Muse geküsst werden
Da Günther Jauch im Grunde schon alles gesagt habe, könne er, so FAZ-Kunstressortleiter Dr. Stefan Trinks in seiner Laudatio „jetzt nur noch die Bilder als Kunsthistoriker dazu liefern“. Das war natürlich die glatte Untertreibung. Gegliedert in die vier Schwerpunkte: „Gegen Gott und die Welt“, „Kunstgeschichte als Schatztruhe“, „Fauna als gefundenes Fressen für Greser und Lenz“ und „Die Geburt der karikativen Kunst (…)“, legte Stefan Trinks aus unterschiedlichen Perspektiven vielfältige und spannende Zugänge zum breit aufgestellten künstlerischen Werk von Greser und Lenz.
Für die beiden, so der Laudator, gelte strikt Erich Kästners Diktum, wonach „der angestammte Platz des Moralisten“, und man dürfe ergänzen „des Karikaturisten“, „der verlorene Posten“ sei. „Nie machen sich die beiden gemein mit den Mächtigen. Doch bekommen auch die Ohnmächtigen und Querdenkenden regelmäßig bei ihnen ihr Fett ab.“ Greser und Lenz trügen gewissermaßen „Tarnkappen und Camouflage, um sich unsichtbar an jeden internationalen Politik-Tisch und an jeden nationalen Stammtisch hinzugesellen zu können“, um, wie oft genug, in abstrus werdende Entwicklungen der dort Anwesenden hineinkriechen zu können.
Zudem sei die heilige Pflicht des lauteren Karikaturisten, „keine Ehrfurcht vor dem Heiligen zu haben“, so Stefan Trinks. So zeigten eben auch Greser und Lenz „Gottvater als mit seiner Schöpfung einen zutiefst Hadernden, und mit der modernsten Digitaltechnik, in diesem Falle einer RV-Datenbrille, rosa eingefärbten Welt, wie viele ältere Herren leicht überfordert mit diesem Satz „Irgendetwas habe ich falsch gemacht“
Wie schon einer der größten französischen Karikaturisten Honoré Daumier griffen auch Grese und Lenz hin und wieder auf historische Vorbilder zurück, etwa bei ihrem „Werk Wladimir der Schreckliche nach Repin“, welches sie Ilja Repins Historiengemälde von 1883 „Iwan der Schreckliche und sein Sohn Iwan“ genial nachempfanden (siehe FAZ-Im Kreml brennt kein Licht). In „unaufdringlicher Weise“ ließen sie „diese in ihre meisterlichen Zeit- und Gesellschaftsstudien einfließen, und schüfen dadurch letzten Endes mehr als „nur“ Karikaturen, sondern „miniaturisierte Historienbilder“, so der Laudator. „Und auch wenn sie sich gerne von größerer Kunst inspirieren lassen, schaffen Greser und Lenz durch den Übertrag vertrauter Bildformulare in einem neuen überraschenden Kontext immer etwas gänzlich Neues“, lobte Stefan Trinks die hohe Kunst der Preisträger.
In seinem dritten Punkt „Fauna als gefundenes Fressen für Greser und Lenz“ zeigte und analysierte Stefan Trinks, wie das Künstlerpaar in alter Tradition, von mittelalterlicher Heraldik und Märchenwelt inspiriert, Tieren bestimmte Wesenszüge zuordnete und „für zumeist zutiefst menschliche Geschichten anthropomorphisiere“, die „dann als vermenschlichte Stellvertreter wieder für uns herhalten“ müssten.
All diese Bilder stünden sozusagen als Vignetten über den rechtsphilosophischen Texten der 2008 gegründeten FAZ-Zeitungsserie „Staat und Recht“. Sie illustrierten diese Artikel jedoch nicht, sondern illuminierten sie. Denn Gresers und Lenz „zeichnerisch prachtvoll kolorierten Aquarelle gingen oft weit über diese Texte hinaus“ und „erschlössen vielmehr neue Denkräume“, was „sich eben auf die Denkfreiheit in Bezug auf das Geschriebene“ auswirke, so der Laudator.
Abschließend, Punkt 4, stellte Stefan Trinks eine der für ihn „hintersinnigsten Karikaturen“ vor, „Der Blick in eine Steinzeithöhle mit dem Titel ‚Frühe Pandemie‘“ sei „geradezu ein Manifest der beiden“, in der, so der Laudator, Greser und Lenz auch zugleich ein wenig „ihre eigene Situation des gelingenden Überlebens spiegeln und hinterfragen.“
Selbst in einer enger werdenden woken Welt sei für die beiden Heroen der Karikatur, die stilistisch wie künstlerisch stets untadelig austeilten, die Chance zumindest groß, „bei feinsinnig und humanistisch gesinnten Zeitgenossen auch weiterhin so begeisternd gut anzukommen, wie dies viele Leserbriefe und Gespräche mit den Betrachtern und Genießern ihrer Zeichnungen offenbarten“, war der Laudator ganz zuversichtlich, und wünschte Heribert und Achim, dass sie „immer von der Muse geküsst werden“.
Die Preisverleihung – erstmals mit Bronzetafel
Die derart Geehrten fanden im Anschluss an die Preisüberreichung durch Oberbürgermeister Jürgen Herzing, assistiert von Joachim Jauch, passende Worte des Dankes, insbesondere, dass dieser Aschaffenburger Kultur-Preis für sie, die vor 20 Jahren in Aschaffenburg eine neue Heimat gefunden hätten, sehr viel bedeute, insbesondere auch die Ehrung mit der Ausstellung „Homo sapiens raus“.
Neben einer großen Urkunde gab es zum Kulturpreis der Stadt Aschaffenburg zum ersten Mal zusätzlich eine Bronzetafel, die man ja am Haus oder auch anderswo anbringen könne.
Gedenken an Caricatura-Direktor a.D. Achim Frenz
Jedoch, so Greser und Lenz, würden sie heute Abend einen in der Runde sehr vermissen: Achim Frenz, der erst im Oktober 2023 in den „Ruhestand“ verabschiedet worden war. Er war Gründungsdirektor des Frankfurter Caricatura-Museums für komische Kunst und Mitherausgeber des Satiremagazins „Titanic“. Und er habe noch so viel vorgehabt. „Achim“, der 2021 im Caricatura-Museum Frankfurt die Jubiläumsausstellung „Schlimm. Ein Vierteljahrhundert Witze für Deutschland“ für sie ausgerichtet habe, hätte sich „schon sehr auf diesen Termin in Aschaffenburg gefreut“. Nun sei er unerwartet, plötzlich und viel zu früh von uns gegangen, so Greser und Lenz: „Wir werden dich sehr vermissen!“,
Greser und Lenz haben „den“ Tod immer wieder auch zu ihrem Thema gemacht, nahmen und nehmen ihn ganz pietätlos auf die Schippe, und helfen uns so, die Angst davor wegzulachen und vielleicht auch die Trauer bei Verlusten ein wenig besser zu verkraften.
Ein musikalischer Spaß
Passend schräg zum „anstößigen“ Werk der Preisträger umrahmte das Collegium Musicum Aschaffenburg mit Wolfgang Amadeus Mozarts „Musikalischem Spaß“ (KV 522) den Abend. Mozarts Komposition, die – gewollt – mit jedem gespielten Satz disharmonischer klingt, war im 18. Jahrhundert eine bittersüße Rache des Wunderkindes auf „unfähige Komponisten, arrogante Streicher und auf betrunkene Hornisten“.
Ausstellung: „Homo sapiens raus! Heimspiel für Greser & Lenz“
Museumsdirektor Dr. Thomas Schauerte gab im Anschluss an die Preisverleihung einen kurzen Überblick und thematischen Einstieg in die fulminante Ausstellung „Homo sapiens raus! Heimspiel für Greser & Lenz“ in der Kunsthalle Jesuitenkirche, die noch bis zum 18. August 2024 läuft und absolut sehenswert ist.
(Diether von Goddenthow/ Rhein-Main.Eurokunst)
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Kunsthalle Jesuitenkirche
Pfaffengasse 26
63739 Aschaffenburg
Öffnungszeiten
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Mittwoch bis Sonntag, Feiertage 10–18 Uhr
montags geschlossen