Michael Reckhard, Daniela Dröscher, Maike Wetzel mit Sohn, Hubert Spiegel und Manuel Lösel. Foto: Diether v. Goddenthow © atelier-goddenthow
Michael Reckhard, Daniela Dröscher, Maike Wetzel mit Sohn, Hubert Spiegel und Manuel Lösel. Foto: Diether v. Goddenthow © atelier-goddenthow

Im Rahmen einer Feierstunde im Frankfurter Künstlerhaus Mousonturm erhielten die Berliner Autorinnen Maike Wetzel und Daniela Dröscher den Robert-Gernhardt-Preis 2017 für ihre noch nicht vollendeten literarischen Projekte. Der Preis, vom Land Hessen und der Wirtschafts- und Infrastrukturbank des Landes mit 24.000 Euro dotiert, erinnert an den genialen Autor, Zeichner und Maler Robert Gernhardt, der 2006 verstarb und am 13. Dezember 2017 seinen 80. Geburtstag hätte.
Daniela Dröscher erhielt den Robert Gernhardt Preis für ihr Romanprojekt „Alle, die mich kennen“, Daniela Wetzel für „Elly“. Beide Autorinnen behandeln in ihren Roman-Vorhaben ähnliche Problematiken von Identitätsfindung heranwachsender Mädchen aus ganz unterschiedlichen und spannenden Blickwinkeln.

Björn Jager. Foto: Diether v. Goddenthow
Björn Jager. Foto: Diether v. Goddenthow

Björn Jager, Leiter des Hessischen Literaturforums, unterstrich bei der Begrüßung der Gäste, dass Maike Wetzel bereits 1995 zu den Preisträgern gehörte, die das „Junge Literaturforum Hessen-Thüringen“, angesiedelt im Mousonturm, seit 1984 fördert und auszeichnet. Mittlerweile seien zwei Erzählbände und fünf Kurzfilme von ihr veröffentlicht. Auch Daniela Dröscher habe bereits zwei Romane und acht Theaterstücke veröffentlicht, und sei wie Maike Wetzel mehrfach mit Auszeichnungen geehrt worden.

 

Dr. Manuel Lösel.  Foto: Diether v. Goddenthow
Dr. Manuel Lösel. Foto: Diether v. Goddenthow

Dr. Manuel Lösel, Staatssekretär im Hessischen Kultusministerium, nannte den seit 2009 zum 9. Mal nach dem großen Dichter und Zeichner und Gründer der Neuen Frankfurter Schule benannten Robert-Gernhardt-Preis eine Erfolgsgeschichte. Innerhalb von zwei Jahren publizierten die bisherigen Preisträger ihre Werke, inzwischen sieben Prosa- und vier Lyrikwerke, eins davon 2015 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet. Der Gernhardt-Preis sei nur mit Hilfe der Wirtschaft- und Infrastrukturbank Hessen möglich und der erste eigene Literaturpreis des Landes Hessen überhaupt, wenngleich das Land die Literaturpreise wie den Georg-Büchner-Preis, den Rheingau-Literatur-Preis, den Übersetzerpreis der Deutschen Akademie für Deutsche Sprache und Dichtung oder den Hermann-Kesten-Preis fördere.

Der Robert-Gernhardt-Preis ist ein ungewöhnlicher Preis, da er noch nicht vollendete literarische Projekte auszeichnet. In diesem Jahr hätten sich 91 Autorinnen und Autoren um den Preis beworben, so viele wie noch nie, berichtete der Staatssekretär. Er dankte den Juroren, der Autorin Eva Demski, dem Literarturkritiker Christoph Schröder und dem Literaturwissenschaftler Professor Karl-Heinz Götze, für ihre „ausdauernde Arbeit und ihr großes Engagement“: 91 anonymisierte Exposés mit jeweils einer sechsseitigen Textprobe galt es unter „verschiedenen literarischen Kriterien zu beurteilen und zu filtern“, verbunden mit der stets wiederkehrenden Frage, „ob aus den vorliegenden Auszügen ein Ganzes, und ein gutes Werk werden kann, was man auch gerne bis zum Ende lesen möchte“, so Lösel.

 

Dr. Michael Reckhard. Foto: Diether v. Goddenthow
Dr. Michael Reckhard. Foto: Diether v. Goddenthow

„Am 13. Dezember wäre Robert Gernhardt 80 Jahre alt geworden“, erinnerte Dr. Michael Reckhard, Mitglied der Geschäftsleitung der Wirtschafts- und Infrastrukturbank Hessen, was ein guter Anlass sei, wie er fände, an eine seiner schönsten Reim-Ideen zu erinnern, etwa die mit „Finden Sie mal einen Satz mit ….!“ oder mit Gernhardts „Gretchenfrage“:
„Der Arzt erklärt dem Fisch die Lage,
es war wohl eine Gretchenfrage!“.

Auch die Jury habe in diesem Jahr so etwas wie eine Gretchenfrage zu beantworten gehabt, aus 91 Einsendungen die beiden Preisträger zu ermitteln: „Sie alle wären es wert gewesen, offiziell gewürdigt zu werden“, so Reckhard, denn in jedem Manuskript stecke das, was Literatur ausmache: „Die Leidenschaft für eine Geschichte, das Ringen für die treffenden Worte, das vielleicht nicht, wie so oft erhofft, mit einem prämierten Werk endet, sondern – aus was für Gründen auch immer – im stillen Kämmerlein des Verfassers oder der Verfasserin verbleibt, unentdeckt und unvollendet“ kennt Reckhard die Unkalkulierbarkeit von Romanprojekten. Und so gelte auch für die beiden Preisträgerinnen, so Reckhard augenzwinkernd, was Gernhardt einst treffend reimte:

Ein Gedicht ist rasch gemacht,
schnell auch reimt ein Lied sich,
aber so ein Zeitroman, lieber Freund,
der zieht sich!“

Gerade in bewegten Zeiten sei es so wichtig, die ganze Vielfalt unserer Kultur, wie  insbesondere auch Literatur und Kunst repräsentieren, sichtbar zu machen, und literarische Erkenntnis-Quellen einem großen Publikum zugänglich zu machen, was „wir uns zu unserer Aufgabe gemacht haben“, so Reckhard. Das passe ganz wunderbar zu Frankfurt und seiner ganzen großartigen intellektuellen Traditionen von Theodor W. Adorno und Max Horkheimer, die Robert Gernhardt mit der Neuen Frankfurter Schule auf seine Weise fortgesetzt habe. „Wir arbeiten weiter daran, für den Erhalt des weltoffenen Frankfurts zu kämpfen“, so Reckhard.

Auszüge aus der Laudatio von FAZ-Feuilleton-Redakteur Hubert Spiegel

Hubert Spiegel, FAZ Feuilleton. Foto: Diether v. Goddenthow
Hubert Spiegel, FAZ Feuilleton. Foto: Diether v. Goddenthow

Die Laudatio hielt Hubert Spiegel, FAZ Feuilleton. Er warf unter Bezug auf seinen Vorredner die Frage auf, was mit den Figuren passiere, wenn beim Schreiben etwas dazwischen käme. Die Figuren machten, was sie wollten, deshalb blieben manche Bücher ungeschrieben, so Spiegel augenzwinkernd. Der Laudator  attestierte beiden Preisträgerinnen, dass es zu ihrer Stärke gehöre, gute erste Sätze zu formulieren, bevor er den Bogen spannte über „Robert Musils ‚Der Mann ohne Eigenschaften'“ (Musil  litt zeitlebens an dem zähen Prozess des Schreibens, als“habe er Teer im Füller“) zu den  gleichfalls die Identitätsfrage thematisierenden Romanprojekten der Preisträgerinnen.

Maike Wetzels Figur „Elly“, schon seit 1996 in früheren Erzählungen der Autorin aufgetaucht , sei im eingereichten Romanprojekt „Elly“ im Alter von 11 Jahren auf dem Weg zum Training spurlos verschwunden. „Die Polizei ermittelt, aber weder Ellys Fahrrad noch ihre Leiche werden gefunden. Die Familie gibt die Hoffnung jedoch nicht auf: Elly lebt, etwas anderes darf noch nicht einmal gedacht werden. So lautet die Familiendoktrin. Und tatsächlich, nach einem Jahr taucht Elly unvermittelt wieder auf. Die Eltern sind erlöst und glücklich, doch Ines, Ellys ältere Schwester, ist skeptisch. Ihr kommen Zweifel: Ist das wirklich Elly, die da so überraschend zurückgekommen ist? Oder handelt es sich um eine andere Person, eine fremde, die in Ellys Haut geschlüpft ist? Aber warum sollte jemand so etwas tun? Elly Buchs, beschreibt Maike Wetzel, ist ein Buch über die dunklen Seiten der Sehnsucht. Mehr muss man eigentlich gar nicht hören, um sicher zu sein: Diesen Roman möchte man lesen., mehr muss man eigentlich gar nicht hören, um sicher zu sein: Diesen Roman möchte man lesen!“, resümiert Hubert Spiegel sichtlich angetan von Maike Wetzels Romanprojekt „Elly“.

In Daniela Dröschers Romanprojekt „Alle, die mich kennen“ ist „Hauptfigur die 17-jährige Lissa, die kurz vor dem Abitur steht, und nun das Problem hat, dass sie nicht weiß, wie sie verhindern soll, dass ihre Mutter auf dem Abschlussball erscheint. Das will sie nämlich nicht. Warum nicht? Lissas Mutter wiegt 200 Kilo und hat, wie es heißt, ein Walross-Hintern. Lissa schämt sich für ihre Mutter, und sie schämt sich dafür, dass sie sich schämt. Hilfe in dieser Situation ist in ihrer Familie nicht zu erwarten, nicht vom Vater, und auch nicht von ihrer kleinen Schwester Lilly, die an Magersucht leidet. Lissa ist beliebt, aber einsam. Sie fängt etwas mit dem Falschen an. Die Schwierigkeiten in der Familie eskalieren, und sie stößt zufällig auf Olig und Elsa. Elsa ist um die 40, attraktiv, unabhängig und eigensinnig. Ich zitiere: ‚Sieht schick aus, und ist ein wenig gefährlich!‘ Elsa, so heißt es im Exposé zum Roman, vertritt die Ansicht, dass Lissa lernen muss, sich gegen die Blicke der anderen immun zu machen, dass man den Körper von Lissas Mutter auch ganz anderes betrachten kann. Dass es der liebende Blick ist, der über die Qualität der Dinge entscheidet. Elsa wird für Lissa zum Vorbild, zu Jemanden, der mir die Augen öffnet, und mich zu anderen Perspektiven hinreißt. „Alle, die mich kennen“, so schreibt Daniela Dröscher, ist die Geschichte einer weiblichen Initiation. Und das Buch erzählt von der Sehnsucht eines jungen Mädchens nach weiblichen Vorbildern. Es erzählt von der Not, die daraus erwächst, sich als junge Frau gegen falsche, oftmals übermächtige Selbst- und Fremdbilder behaupten zu müssen“, skizziert Hubert Spiegel einen Kerngedanken in Daniela Dröschers Romanvorhaben, welches die Geschichte einer weiblichen Initiation sein könnte und die bislang – unterschätzte – große Sehnsucht nach weiblichen Vorbildern in unserer Gesellschaft thematisiert. Diese Sehnsucht müsse gewaltig sein. Deswegen: „Daniela Dröschers Roman, ‚Alle, die mich kennen‘, kommt jedenfalls zur rechten Zeit.“, so der Laudator.

Manuel Lösel und Michael Reckhard überreichten die Urkunden des mit jeweils 12. 000 Euro dotierten Preises, woraufhin sich Daniela Dröscher mit einer kleinen „Philosophie über Dank!“ bedankte, und Maike Wetzel in einer Analogie zu Alfred Kokoschka und Alma Mahler freudig konstatierte: „Wunsch und Wirklichkeit verbinden sich heute für mich!“.

Anne Siebrasse und Regina Reiter - Duo Saxophilie . Foto: Diether v. Goddenthow
Anne Siebrasse und Regina Reiter – Duo Saxophilie . Foto: Diether v. Goddenthow

Musikalisch wurde die feierliche Preisverleihung erstklassig jazzig umrahmt vom Duo Saxophilie – Anne Siebrasse und Regina Reiter.

(Diether v. Goddenthow /Rhein-Main.Eurokunst)

Infos zum Robert Gernhardt Preis