
Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels hat bekannt gegeben, dass der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels in diesem Jahr an den renommierten Historiker und Essayisten Karl Schlögel verliehen wird. Mit dieser Entscheidung ehrt der Stiftungsrat einen der profiliertesten Kenner Osteuropas, dessen Werk eindrucksvoll Geschichtsschreibung und persönliche Erfahrung, wissenschaftliche Präzision und erzählerische Kraft vereint.
In der Begründung des Stiftungsrats, dessen Vorsitzende die Vorsteherin des Börsenvereins, Karin Schmidt-Friderichs, ist, heißt es:
„In seinem Werk verbindet Karl Schlögel empirische Geschichtsschreibung mit persönlichen Erfahrungen. Als Wissenschaftler und Flaneur, als Archäologe der Moderne, als Seismograph gesellschaftlicher Veränderungen hat er schon vor dem Fall des Eisernen Vorhangs Städte und Landschaften Mittel- und Osteuropas erkundet. Er hat Kyjiw und Odessa, Lwiw und Charkiw auf die Landkarten seiner Leserinnen und Leser gesetzt und St. Petersburg oder Moskau als europäische Metropolen beschrieben. Mit seiner Erzählweise, die Beobachten, Empfinden und Verstehen verbindet, korrigiert er Vorurteile und weckt Neugier. Nach der Annexion der Krim durch Russland hat Karl Schlögel seinen und unseren Blick auf die Ukraine geschärft und sich aufrichtig mit den blinden Flecken der deutschen Wahrnehmung auseinandergesetzt. Als einer der Ersten hat er vor der aggressiven Expansionspolitik Wladimir Putins und seinem autoritär-nationalistischen Machtanspruch gewarnt. Eindrücklich beschreibt er die Ukraine als Teil Europas und fordert auf, das Land um unserer gemeinsamen Zukunft willen zu verteidigen. Seine Mahnung an uns: Ohne eine freie Ukraine kann es keinen Frieden in Europa geben.“
Karl Schlögel, geboren am 7. März 1948 in Hawangen im bayerischen Allgäu, zählt zu den großen Intellektuellen der Gegenwart. Bereits als junger Mann zog es ihn in die Sowjetunion: 1966 reiste er erstmals dorthin, 1968 erlebte er den Prager Frühling hautnah. Nach dem Studium der osteuropäischen Geschichte, Philosophie, Soziologie und Slawistik an der Freien Universität Berlin promovierte er dort 1981 mit einer Arbeit über Arbeiterkonflikte in der Sowjetunion.
Schon früh widmete er sich dem Alltag in Russland und der Sowjetunion, geprägt durch längere Aufenthalte in Moskau (1982/83) und Leningrad (1987). Seine Methode, eigene Wahrnehmung mit historischer Analyse zu verknüpfen, wurde bereits in seinem frühen Werk „Moskau lesen“ (1984) sichtbar. Seither steht sein Schaffen für eine eigenständige, oft raumbezogene Geschichtsschreibung, die Kultur, Politik und Gesellschaft gleichermaßen umfasst.
Mit Büchern wie „Terror und Traum. Moskau 1937“ (2008), das die Gleichzeitigkeit von Utopie und Terror in der Stalinzeit beleuchtet, oder dem monumentalen Werk „Das sowjetische Jahrhundert. Archäologie einer untergegangenen Welt“ (2017) hat Schlögel Maßstäbe gesetzt. Seine Werke verbinden präzise historische Analyse mit literarischer Ausdruckskraft. Für „Terror und Traum“ wurde er 2009 mit dem Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung ausgezeichnet, „Das sowjetische Jahrhundert“ erhielt den Preis der Leipziger Buchmesse.
Auch auf originelle Erzählformen versteht sich Schlögel: In „Der Duft der Imperien“ (2020) erzählt er anhand zweier Parfüms – „Rotes Moskau“ und „Chanel N°5“ – eine olfaktorische Geschichte des 20. Jahrhunderts, die Ost und West gegenüberstellt. In seinem jüngsten Buch „American Matrix“ (2023) widmet er sich den komplexen Beziehungen zwischen der Sowjetunion und den USA.
Als öffentlicher Intellektueller hat sich Schlögel immer wieder in politische Debatten eingebracht – fundiert, klar und unmissverständlich. Nach der Besetzung der Krim reiste er 2014 in die Ukraine, um sich ein eigenes Bild der Lage zu machen. Seit Beginn des russischen Angriffskriegs 2022 erhebt er mit Nachdruck seine Stimme gegen die geschichtspolitische Rhetorik Wladimir Putins und für eine souveräne, freie Ukraine.
Karl Schlögel war nicht nur ein wiederholt geladener Laudator beim Friedenspreis – 2009 für Claudio Magris, 2013 für Swetlana Alexijewitsch –, sondern auch selbst Mitglied im Stiftungsrat (2011–2017). Seine jahrzehntelange Auseinandersetzung mit Osteuropa, seine warnenden Analysen zur russischen Außenpolitik und seine tiefe Kenntnis der Ukraine machen ihn zu einem würdigen Träger des Friedenspreises im Jahr 2025.
Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels wird seit 1950 verliehen und ist mit 25.000 Euro dotiert. Die feierliche Preisverleihung findet am Sonntag, 19. Oktober 2025, in der Frankfurter Paulskirche statt und wird um 11:00 Uhr live im ZDF übertragen.
Friedenspreis des Deutschen Buchhandels