Jubiläumsheft „Identität“ zum 30. des Philosophenmagazins „der blaue reiter“

© der blaue reiter Verlag für Philosophie Siegfried Reusch e. K.

Die aktuelle Ausgabe des Philosophiemagazins „der blaue reiter“ (Heft 55, Frühjahr 2025) widmet sich dem hochaktuellen und vielschichtigen Thema „Identität“ – und das anlässlich des 30-jährigen Bestehens der Zeitschrift. In dieser Jubiläumsausgabe versammelt sich eine beeindruckende Bandbreite an philosophischen, gesellschaftskritischen und ästhetischen Perspektiven, die den Begriff Identität auf ebenso tiefgründige wie zugängliche Weise reflektieren.

Schon das visuelle Konzept, gestaltet von der international renommierten Künstlerin Viviane Sassen, unterstreicht den Anspruch, Philosophie nicht nur intellektuell, sondern auch sinnlich erlebbar zu machen. In einem großzügigen Format von 22 × 32 cm entfalten sich nicht nur die Texte, sondern auch starke visuelle Impulse, die dem Thema Identität eine zusätzliche künstlerische Ebene verleihen. Der gewohnte Stil des Magazins – klar, pointiert, verständlich – bleibt dabei erhalten.

Inhaltlich zeichnet sich das Heft durch eine bemerkenswerte thematische Breite aus. Renommierte Philosoph:innen wie Peter Sloterdijk, Heike Baranzke und Michael Quante steuern Beiträge bei, die Identität aus historischer, normativer und existenzieller Perspektive betrachten. Dabei wird schnell deutlich: Identität ist kein statisches Konstrukt, sondern ein prozesshaftes Zusammenspiel von Selbstbild, Rollen, gesellschaftlichen Zuschreibungen und biografischer Entwicklung. Es geht um das, was wir sind, was wir zu sein glauben – und was andere von uns erwarten.

Besonders hervorzuheben ist der Beitrag von Chantal Louis mit dem Titel „Sex oder Gender oder was?“. Hier wird das Spannungsverhältnis zwischen biologischem Geschlecht und sozialer Geschlechterrolle differenziert beleuchtet. In einer Zeit, in der Debatten über Geschlechtsidentitäten zunehmend emotional geführt werden, liefert dieser Text einen klugen, sachlich fundierten Beitrag, der zur Versachlichung und Vertiefung der Diskussion beiträgt. Ohne ins akademisch Abgehobene zu verfallen, gelingt es der Autorin, philosophische Fragen mit gesellschaftlicher Realität zu verknüpfen.

Ein weiterer starker Text stammt von Jörg Zirfas, der sich mit „der maskierten Identität“ beschäftigt. Angelehnt an die philosophische Anthropologie von Helmuth Plessner wird hier die These entfaltet, dass Identität wesentlich durch Rollen geprägt ist – wir sind Schauspieler unserer selbst, ständig in Selbst- und Fremdinszenierungen verstrickt. Besonders spannend ist dabei, wie der Text aufzeigt, dass es nicht bloß darum geht, authentisch zu sein, sondern vielmehr darum, mit der Unabschließbarkeit des Selbst souverän umzugehen.

Die Stärke dieser Ausgabe liegt genau in dieser Multiperspektivität: Die Texte greifen tief in philosophische Traditionen hinein und holen zugleich gesellschaftlich brisante Fragen in den Mittelpunkt. Sie verbinden klassische Reflexion mit gegenwartsnaher Analyse – von Genderdebatten über mediale Selbstdarstellung bis hin zu kultureller und politischer Identität. Gleichzeitig bleibt das Heft in seiner Gestaltung klar strukturiert und einladend, wodurch es sich auch für Leser:innen eignet, die keine akademische Philosophieausbildung mitbringen.

Natürlich könnte man einwenden, dass die große thematische Vielfalt gelegentlich zulasten einer vertieften Auseinandersetzung mit einzelnen Aspekten geht. Doch gerade diese Offenheit – das Denken in Fragmenten, Stimmen und Perspektiven – spiegelt die Komplexität des Identitätsbegriffs auf produktive Weise wider.

Insgesamt ist die Jubiläumsausgabe von „der blaue reiter“ ein ebenso ästhetisches wie intellektuelles Leseerlebnis. Sie bietet substanzielle Denkanstöße zur Frage, wer wir sind – individuell, gesellschaftlich, kulturell – und warum diese Frage heute brisanter ist denn je. Für alle, die sich für Philosophie in ihrer lebendigen, gegenwartsbezogenen Form interessieren, ist dieses Heft eine unbedingte Empfehlung.

(Diether von Goddenthow /RheinMainKultur.de)

Verlag der blaue reiter – Journal für Philosophie
Identität Ausgabe 55; ISBN: 978-3-933722-95-9; Preis: 17,90 € (D), 18,40 € (A)