„Johannes Grützke – Der Menschenmaler“ in Aschaffenburger Kunsthalle Jesuitenkirche zeigt liebevoll-brutal die Absurdität menschlichen Wesens

„Johannes Grützke – Der Menschenmaler“. in der Kunsthalle Jusuitenkirche Aschaffenburg, vom 20.09.2025 bis 22.02.2026 © Foto Diether von Goddenthow

Die Aschaffenburger Kunsthalle Jesuitenkirche präsentiert vom 20.09.2025 bis 22.02.2026 den Meister des subversiven Humors „Johannes Grützke – Der Menschenmaler“. Der in Berlin geborene Schüler von Oskar Kokoschka gilt als einer der eigenwilligsten Vertreter der figurativen Malerei in der deutschen Nachkriegskunst. Grützke hielt an der figurativen Malerei fest, als der Zeitgeist abstrakte Konzepte favorisierte, und gründete die „Schule der Neuen Prächtigkeit“, um das Gegenständliche ironisch zu erneuern.

„Kunst ist nicht modern, sondern immer!“
Der langjährige FAZ-Kulturredakteur, Grützke-Kenner und Kunstmäzen Eduard Beaucamp, der seine „Tüpke-Sammlung“ in diesen Tagen dem Städel Museum in Frankfurt vermacht hat, schreibt hierzu im dünnen Begleitkatalog, Seite 11, unter anderem: „Zuallererst ist Grützke ein brillanter Maler, der sich nie um das Barometer des ästhetischen Zeitgeists und des Kunstbetriebs gekümmert hat. Er sucht den Wettbewerb nur unter seinesgleichen, mithin unter den Virtuosen und Manieristen der Kunstgeschichte.“ Grützke, so Beaucamp auf Seite 14 weiter, „praktiziert Kunst der Ambivalenzen, Widersprüche und Paradoxien. Lustvoll versteigt er sich zur provozierenden Behauptung: ‚Moderne Kunst‘ sei Selbstbetrug, ihre Theorie ein Wahnprodukt. 1992 platzt es förmlich aus ihm heraus: ‚Ich bin jetzt so weit, dass ich es laut sage: moderne Kunst ist Blödsinn. Ich habe damit nichts zu tun, ich bin kein moderner Künstler, ich bin Künstler! Kunst ist nicht modern, sondern immer!‘“

Impressionen der Ausstellung. „Johannes Grützke – Der Menschenmaler“. in der Kunsthalle Jusuitenkirche Aschaffenburg, vom 20.09.2025 bis 22.02.2026 – Was ist Spiegelung, was ist Original? © Foto Diether von Goddenthow

Grützkes Menschen wirken hilflos lächerlich, aber sie behalten ihre Würde
Johannes Grützke (1937–2017) seziert in seinem Werk malerisch genial mit dem scharfen Pinsel des wissenden Spötters das gesellschaftliche Gefüge. Grützke hält Menschen ungeschminkt den Spiegel vor. Er zeigt seine Figuren – ob in oder ohne Klamotten – stets nackt. Präsentiert werden rund 50 – zumeist großformatige – grandios bis zur Absurdität überzeichnete „Menschenbilder“. Grützke entlarvt „seine“ Menschenmodelle in ihrer Widersprüchlichkeit, zeigt sie zugleich in ihrer hilflosen Lächerlichkeit und dennoch in Würde, stets jedoch als zutiefst sozial hochkomplexe, paradoxe Wesen.

Ausstellungs-Genese
Die Idee zur Ausstellung gehe auf eine Anregung Anja Lipperts (Museum Aschaffenburg) zurück, die den Kontakt zu einer privaten Grützke-Sammlung in Marburg hergestellt habe, erläutert Dr. Thomas Schauerte, Direktor der Museen der Stadt Aschaffenburg, zur Ausstellungsgenese bei einem Presserundgang. Beim Anblick dieser außergewöhnlich reichhaltigen Sammlung sei sofort klar gewesen, dass man diese Werke in Aschaffenburg präsentieren müsse. Zudem eigneten sich die großzügigen Räume der Jesuitenkirche hervorragend für derartige Großformate. Grützkes zeitlose, humorvolle und zugleich berührende Kunst verdiene große Aufmerksamkeit. Zugleich verwies Schauerte auf die Verbindung von Grützkes Werk zu Frankfurt, wo mit dem monumentalen Gemälde Zug der Abgeordneten eines der – mittlerweile umstrittenen – Hauptwerke des Künstlers dauerhaft im Foyer-Bereich der Paulskirche zu sehen ist.

Anfang November 2025, so Honeck, Leiter des Christian-Schad-Museums und der Kunsthalle Jesuitenkirche, werde Sebastian Baden, Leiter der Schirn Kunsthalle Frankfurt, über das Gemälde Zug der Abgeordneten in Aschaffenburg einen Vortrag halten.

Das grandiose Spiegelkabinett

Impressionen der Ausstellung. „Johannes Grützke – Der Menschenmaler“. in der Kunsthalle Jusuitenkirche Aschaffenburg, vom 20.09.2025 bis 22.02.2026 – Publikums-Szenen im Inneren des Spiegelkabinetts © Foto Diether von Goddenthow

Grützke, so Honeck, war Sohn eines Spiegelfabrikanten und hatte sich mit über siebzig Spiegeln in seinem Atelier umgeben und sich immer wieder selbst betrachtet sowie sich und die Gegenstände um ihn herum selbst befragt. So entstand bei der Entwicklung der Ausstellung die Idee, riesige Spiegelflächen in die Ausstellung zu integrieren. Denn was sei naheliegender, als Besuchern der Ausstellung zu ermöglichen, sich ein wenig wie Johannes Grützke zu fühlen, sich selbst und auch die Kunst durch Spiegel aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu erleben? Dadurch entstünden überraschende, sich verändernde Raumeindrücke, die den Dialog zwischen Betrachter und Werk intensivierten. Man könne sich selbst im Dialog mit Grützkes Kunst begegnen – in der Betrachtung und zugleich als Teil des Geschehens, erklärt der Kurator. „Je nachdem, wie man sich um diesen Fokus hier bewegt, verändert sich auch der komplette Raum. Plötzlich haben Sie dann Johannes Grützke verschmolzen mit seiner Partnerin Bénédicte Savoy (die in zahlreichen seiner Bilder sein Modell war). Solche unterschiedlichen Momente passieren dann in der Rezeption durch den Spiegel“, so Honeck.

Ausstellungsrundgang – Vier Schwerpunkte der Ausstellung

„Johannes Grützke – Der Menschenmaler“. in der Kunsthalle Jusuitenkirche Aschaffenburg, vom 20.09.2025 bis 22.02.2026 © Foto Diether von Goddenthow

Besucher können an jeder beliebigen Stelle in der Ausstellung starten, vielleicht am Spiegelkabinett, dabei erleben, wie es sich anfühlt, wenn Werke im Original und gleichzeitig auch gespiegelt und bewegt verzerrt rüberkommen. Es gibt vier thematische Ausstellungs-Schwerpunkte:: 1) „Das Menschenbild“: Der Mensch in seiner physischen Präsenz, als Selbst- und Fremdbild, als Figur des Lebens.2) „Humor und Ironie“: Humor und Ironie sind hier Mittel der Distanzierung und Reflexion. 3) „Gesellschaftskritik“: Macht, Konventionen und ideologische Systeme werden hinterfragt. 4) Grützkes „Auseinandersetzung mit Mythos, Religion und Geschichte“: Hier gelingt es Grützke, archetypische Szenen in die Gegenwart zu projizieren und damit das Bedeutungsgeflecht kultureller Narrative aufzubrechen.

Erste Überblicksausstellung in der Region

„Johannes Grützke – Der Menschenmaler“. in der Kunsthalle Jusuitenkirche Aschaffenburg, vom 20.09.2025 bis 22.02.2026 © Foto Diether von Goddenthow

Die Ausstellung „Johannes Grützke – Der Menschenmaler“ bietet erstmals in der Rhein-Main-Region einen Überblick über das vielschichtige Œuvre dieses eigenwilligen Künstlers, dessen Werke durch malerische Wucht, intellektuelle Schärfe und subversiven Humor bestechen. „Die räumliche Nähe zum Christian-Schad-Museum eröffnet einen interessanten Dialog zweier Künstlergenerationen“, so Honeck. „Während Schad das Individuum mit analytischer Präzision im Stil der Neuen Sachlichkeit porträtiert, zeigt Grützke den Menschen in Bewegung, überzeichnet, inszeniert und kritisch hinterfragt ihn. Trotz der Unterschiede verbindet beide ein kompromissloses Interesse am Menschenbild.“
Die Ausstellung, eine Einladung zur Auseinandersetzung mit dem Menschenbild in der Kunst und mit der eigenen Rolle in der Welt, ist unbedingt empfehlenswert.

(Diether von Goddenthow  _ RheinMainKultur.de)

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