Helen Frankenthalers wegweisende Kunst im Dialog mit zeitgenössischer abstrakter Malerei – ab 26.10.2025 im Museum Reinhard Ernst (mre) Wiesbaden

Kuratorin Lea Schäfer, die Künstlerinnen Ina Gerken, Jenny Brosinski und der Künstler Adrian Schiess sowie der Gründungsdirektor Dr. Oliver Kornhoff (Museum Reinhard Ernst) präsentieren bei einem Presserundgang die neue Ausstellung Helen Frankenthaler moves Jenny Brosinski, Ina Gerken, Adrian Schiess (26.10.2025 bis 22.2.2026). © Foto Diether von Goddenthow

Nach der mit 75.000 Besuchern höchst erfolgreichen Ausstellung Helen Frankenthaler: Move and Make lädt das Museum Reinhard Ernst vom 26.10.2025 bis 22.2.2026 mit der Ausstellung Helen Frankenthaler moves Jenny Brosinski, Ina Gerken, Adrian Schiess dazu ein, die wegweisende Kunst der US-Amerikanerin im Dialog mit der abstrakten Malerei der Gegenwart zu erleben.

Die drei Künstler – Jenny Brosinski, Ina Gerken und Adrian Schiess – haben dazu teilweise bisher noch nicht gezeigte Arbeiten aus der Sammlung Reinhard Ernst ausgewählt, mit eigenen – neuen und vorhandenen – Werken kombiniert und in einer gemeinsamen Hängung mit ihrem eigenen Schaffen in Szene gesetzt.

Was so einfach klingt, so Dr. Oliver Kornhoff, Direktor des Museums Reinhard Ernst, „ist ein bemerkenswerter Move. Ein mutiger Move der drei Künstler, sich auf ein solches Unterfangen einzulassen, ein souveräner Move, sich auf Augenhöhe mit Frankenthaler zu begeben, und auch ein vertrauensvoller Move von uns, ihnen unsere Sammlung und eine unserer wichtigsten Sammlungskünstlerinnen anzuvertrauen. Und es ist ein ungewöhnlicher kuratorischer Move.“

Impression: In Raum 1 startet die neue Ausstellung Helen Frankenthaler moves Jenny Brosinski, Ina Gerken, Adrian Schiess mit Positionen des Schweizer Künstlers Adrian Schiess. © Foto Diether von Goddenthow

Denn dieses außergewöhnliche Ausstellungserlebnis gewährt erneut einen Einblick in die weltweit größte private Sammlung von Helen Frankenthaler und eröffnet zugleich vielfältige Begegnungen mit zeitgenössischen abstrakten Malern aus der Schweiz und aus Deutschland.
„Als Leitmotiv“, so der Gründungsdirektor Dr. Kornhoff, „steht uns auch dieses Mal Helen Frankenthaler selbst zur Seite. Sie hat gesagt:„In meiner Kunst habe ich mich bewegt und konnte wachsen. Hoffentlich können andere auf ähnliche Weise berührt werden.“
Dieses „Moved“, dieses „Berührt-Werden“, zeige sich in zweierlei Hinsicht, so Kornhoff. Es gelte zum einen für das Publikums – und in der Rückschau auf die erste Frankenthaler-Ausstellung im mre sei man sehr erfreut darüber, „sagen zu können, dass sich viele, viele Menschen haben berühren lassen. Mehr als 75.000 Gäste haben unsere Ausstellung gesehen. Und dieser Teil ist Teil einer noch erfreulicheren Zahl: Seit der Eröffnung des Museums bis Ende September 2025 konnten wir sage und schreibe 200.000 Besucherinnen und Besucher für das MRE – für moderne und abstrakte Kunst – begeistern.“, freut sich der Gründungsdirektor.

Frankenthalers Hoffnung, andere zu berühren, galt neben dem Publikum insbesondere auch anderen Kunstschaffenden. Helen Frankenthaler habe sehr gerne die jungen Menschen ihrer Zeit unterrichtet, und sie hatte die Hoffnung, dass etwas von ihr bleibt – dass auch nachfolgende Generationen von Künstlerinnen und Künstlern inspiriert werden.
„Dieser Wunsch, diese zutiefst menschliche Sehnsucht war der Ausgangspunkt unserer Überlegungen und der Kern unserer Ausstellung. Sie erinnern sich vielleicht auch noch an ein anderes Zitat von Helen Frankenthaler aus der letzten Ausstellung:
‚Du gibst niemals etwas aus der Vergangenheit auf, niemals.‘Damit greift Frankenthaler auf ihre eigene, leise Art und Weise den Topos vor allem der historischen Avantgarde auf – den Sie alle kennen: Vor mir gab’s nichts, es gibt nur jetzt, und nach mir kommt sowieso nichts.
Bei Helen Frankenthaler war das anders: Sie zeigte sich stattdessen sehr bewusst als Teil eines größeren künstlerischen und auch zeitlichen Verlaufs.“

Impression Raum 1,  © Foto Diether von Goddenthow

Das mre-Team habe sich gefragt, welche Künstlerinnen und Künstler das heute ebenso zulassen, und wer heute die Herkulesaufgabe bewältigte, „selbst herausragende abstrakte Kunst zu schaffen und sich gleichzeitig bewusst zu sein, dass auch das eigene künstlerische Tun nicht im luftleeren Raum entsteht?“ Das erfüllen die Künstler Jenny Brosinski, Ina Gerken und Adrian Schiess. Sie erzählen eine Geschichte, „die zwar bei Frankenthaler beginnt, aber von den drei Künstlern eigenständig erweitert und souverän fortgeschrieben wird.“

Ausstellungsrundgang
Jeder der drei Künstler bespielt einen eigenen Raum – beginnend im Erdgeschoss mit Adrian Schiess, gefolgt von Jenny Brosinski im ersten Obergeschoss und Ina Gerken im vierten Raum. Dazwischen liegt Raum 3, das sogenannte „Kathedralchen“ mit einer Deckenhöhe von 14 Metern. Er bildet den zentralen Ausstellungsbereich dieser Präsentation, in dem sich alle vier Positionen begegnen.

Adrian Schiess
Anfang der 1980er-Jahre sah der Schweizer Maler Adrian Schiess auf einer Reise nach New York erstmals Werke von Helen Frankenthaler – ein Schlüsselerlebnis: „Was mich fasziniert hat, ist diese Entgrenzung des Bildes, die Befreiung der Farbe und das Fließende, das sich mehr oder weniger stark vom Beginn bis zum Schluss durch das Werk hindurchzieht“, sagte er in einem Gespräch mit Kuratorin Lea Schäfer.

Adrian Schiess im Gespräch mit Kuratorin Lea Schäfer. © Foto Diether von Goddenthow

Für Adrian Schiess ist Malerei kein abgeschlossenes Objekt, sondern etwas Räumliches, Gegenwärtiges – sie fordert den Betrachter auf, einzutreten. „Ich möchte eine Malerei, die nichts ausschließt – oder vielmehr: eine Malerei, die alles mit einbezieht. […] Das ist es, was ich unter Malerei verstehe“, sagte er.

In den 1980er-Jahren entwickelte Schiess eine Serie großformatiger, am Boden liegender Leichtbauplatten, deren spiegelnde Farbflächen aus einer Aluminiumdeckschicht bestehen. Anfangs bemalte er sie selbst – Schicht um Schicht mit Industrielack, mit gestischen Spuren, durchscheinenden Lasuren und feinen Farbübergängen. 1990 entschied er sich für einen radikalen Schritt: Er ließ die Platten von professionellen Lackierern spritzen und mit Effektlack versehen. Auf diese Weise verzichtete er vollständig auf seine malerische Handschrift. Das Ergebnis sind makellos glatte, glänzende Oberflächen, die auf Licht, Raum und Bewegung reagieren. Sie changieren, spiegeln, irritieren – und verweigern jede feste Perspektive. Licht und Raum schreiben sich als Momentaufnahme in die Platten ein. Diese flüchtigen Bilder lassen sich nicht festhalten.

Als präziser Regisseur dieses sich ständig verändernden Kunsterlebnisses hat Adrian Schiess für die Ausstellung im Museum Reinhard Ernst die Platten als Installation konzipiert und zu ausgewählten Werken von Helen Frankenthaler in Beziehung gesetzt. So entsteht ein offener, fließender Dialog zwischen Raum und Bild.

Jenny Brosinski
Jenny Brosinski, die mit dreizehn Arbeiten in der Ausstellung vertreten ist, verbindet mit Helen Frankenthaler weit mehr als nur das Medium Malerei: Mut und Risikobereitschaft erweisen sich als treibende Kraft im Schaffen beider Künstler. Wagnisse einzugehen, sich überraschen zu lassen, zu experimentieren und die Malerei immer weiter voranzutreiben – mit diesen Worten beschrieb Frankenthaler ihre Arbeitsweise. Brosinski teilt diesen Ansatz, indem sie vermeintliche malerische Unfälle erkennt, mit diesen Elementen bewusst weiterarbeitet und daraus unvorhergesehene Kompositionen entwickelt. Das Werk Frankenthalers lernte sie während ihres Kunststudiums kennen.

Jenny Brosinski vor dem Ausschnitt von „As time goes by 2025“ © Foto Diether von Goddenthow

„Risikobereitschaft und Mut spielen in meinem Arbeitsprozess eine große Rolle. Ich muss bereit sein, Fehler zu machen. Ich muss Unfälle erkennen und sie auch beseitigen können. Dadurch komme ich erst zu neuen und eigenen Ergebnissen […]. Meine und Frankenthalers Arbeiten korrespondieren in der Offenheit der Komposition oder im Material und in den Negativformen. Ich habe bewusst Arbeiten aus den 1960er-Jahren gewählt, in denen sie sich aktiv mit der freien und unbemalten Fläche der Leinwand auseinandersetzt“, sagte Jenny Brosinski im Gespräch mit Kuratorin Lea Schäfer.

Wie Frankenthaler arbeitet auch Brosinski auf ungrundierter Leinwand – ein rohes Material, das die Entstehung des Bildes nicht nur gnadenlos offenlegt, sondern auch dauerhaft speichert. Jeder Pinselstrich, jeder Farbtropfen bleibt sichtbar. Korrekturen werden als produktiver Zufall verstanden. Die scheinbar beiläufige Ästhetik entsteht aus der Bereitschaft, Kontrolle abzugeben und sich vom Material leiten zu lassen.

Brosinski lässt in ihren Schaffensprozess häufig kindlich anmutende Zeichnungen einfließen. Das Spielerische und Leichte in einer Arbeit zu bewahren, ist ihr besonders wichtig. Deshalb beginnt sie jedes Werk auf dem Boden. Im weiteren Verlauf richtet sie das Bild auf, um konkrete Entscheidungen zu treffen und auf die spielerische Grundlage zu reagieren. Brosinski möchte in ihren Werken die größtmögliche Offenheit bewahren und sie von allem Überflüssigen befreien.

Ina Gerken
Spontanität und Intuition spielen bei der Entstehung eines Bildes von Ina Gerken eine zentrale Rolle. Der Prozess ist für sie selbst voller Überraschungsmomente.

Ina Gerken, hier vor einem ihrer Werke, erläutert ihre Herangehensweisen. © Foto Diether von Goddenthow

In ihren Arbeiten treffen expressiv-malerische Gesten und Wischungen auf den freien Lauf wässriger Farbe. Um das bewusste Eingreifen in den Malprozess gering zu halten, arbeitet Gerken zügig und wechselt häufig die Position. Die Werke entstehen teils an der Wand, teils auf dem Boden – ein Arbeitsprinzip, zu dem sie durch Frankenthaler inspiriert wurde.

„Mich hat vor allem die große Einfachheit, die Leichtigkeit und gleichzeitige Prägnanz in ihrer Arbeit sehr fasziniert. Inspiriert davon habe ich selbst angefangen, auf dem Boden zu malen. Besonders beeindruckt hat mich die Widerstandslosigkeit der Farbe, wie sie sich fast von selbst auf der Leinwand ausbreitet. Es fühlte sich an wie ein Loslassen – mehr Beobachten als Gestalten, mehr Vermittlerin zwischen Farbe und Leinwand zu sein, statt kontrollierend einzugreifen. Durch die Beschäftigung mit Helen Frankenthaler habe ich erfahren, wie befreiend es sein kann, Kontrolle abzugeben und sich ganz im Bild zu verlieren“, sagte Ina Gerken.

Ina Gerken studierte an der Kunsthochschule Mainz und war Meisterschülerin bei Katharina Grosse an der Kunstakademie Düsseldorf. Zahlreiche Auslandsaufenthalte führten sie unter anderem an die Skowhegan School of Painting and Sculpture in Maine (USA). Sie erhielt zudem den renommierten Pollock-Krasner Foundation Grant. In der Ausstellung ist sie mit acht Werken vertreten.

Zentrum „Kathedralchen“ – Raum 3

Im „Kathedralchen“, Raum 3, dem 14 Meter hohen skulpturalen Saal des Wiesbadener Museums Reinhard Ernst, treffen alle vier Positionen der neuen Ausstellung Helen Frankenthaler moves Jenny Brosinski, Ina Gerken, Adrian Schiess zusammen. Sie wird eröffnet am Sonntag, dem 26. Oktober 2025, mit einem großem Programm. © Foto Diether von Goddenthow

Im „Kathedralchen“, Raum 3, dem skulpturalen Saal des Museums Reinhard Ernst, treffen alle vier Positionen aufeinander. Im Zusammenspiel entfaltet sich entlang der Wände und auf dem Boden ein intensiver Austausch über zwei künstlerische Gegensätze: Auf der einen Seite steht der subjektive Ausdruck – die Handschrift, mit der sich der Künstler bewusst ins Werk einschreibt. Auf der anderen Seite zeigt sich der Versuch, die Autorschaft aufzulösen und die Kontrolle an Material, Zufall oder Bildprozess abzugeben.

Ergänzt wird die Ausstellung Frankenthaler moves durch einen weiteren Raum im zweiten Obergeschoss, in dem die US-amerikanische Malerin im Zwiegespräch mit den Kunstwerken ihrer Wegbegleiter zu entdecken ist.

Mit dieser Hommage an Helen Frankenthaler positioniert sich das Museum Reinhard Ernst als weltweit bedeutendster privater Ort für die Werke dieser außergewöhnlichen Malerin. Ihr Schaffen ist hier zugleich monografisch, im Dialog mit ihren Zeitgenossen und mit aktuellen künstlerischen Positionen der Gegenwart zu erleben.

Die Ausstellung Helen Frankenthaler moves Jenny Brosinski, Ina Gerken, Adrian Schiess ist vom 26. Oktober 2025 bis 22. Februar 2026 im Museum Reinhard Ernst in Wiesbaden zu sehen.

(mre /Diether von Goddenthow – RheinMainKultur.de)

 

Durchblick mre. © Foto Diether von Goddenthow

Tickets für die Ausstellungseröffnung am
26.10.2025 erhalten Sie hier.

Kunstvolle Bewegung
Zur Einstimmung in die Ausstellung Helen Frankenthaler moves Jenny Brosinski, Ina Gerken und Adrian Schiess führt die Seilspringexpertin Mira Waterkotte in die Kunstfertigkeit des Rope Skipping. Wer sich bewegen will, kann mitmachen in den Workshops mit Mira Waterkotte um 12:15 Uhr, 14:30 Uhr und 15:45 Uhr.

Wertvolle Vermittlung
Vom Abstrakten Expressionismus zu Dirty Minimalism, von makellos glänzenden Oberflächen zu waghalsigen Farbschüttungen − Kuratorin Lea Schäfer und Museumsdirektor Dr. Oliver Kornhoff führen durch die neue Ausstellung und geben Einblicke in die Werke von Jenny Brosinski, Ina Gerken und Adrian Schiess. Für alle Fans der Alpenrepublik gibt Catherine Dallmer eine Führung auf Schwiizerdütsch.

Exklusive Buchpremiere

Larissa Kikol © Vlada Shcholkina

Die Kunstkritikerin Larissa Kikol präsentiert ihr gerade erschienenes Buch Neue Abstrakte Malerei im Gespräch mit Lea Schäfer. Die abstrakte Malerei hat sich neu erfunden: befreit von politischen und ideologischen Lasten, steht sie heute für pure künstlerische Autonomie. Vom abstrakten Expressionismus der Nachkriegszeit bis zur zeitgenössischen Leichtigkeit – Larissa Kikol beleuchtet in Essays und Gesprächen mit Künstler:innen, wie diese Kunstform ihre ursprünglichen Narrative hinter sich ließ und einen „großen Reset“ vollzog. Von wegweisenden Innovationen von Künstler:innen wie Katharina Grosse oder Albert Oehlen über radikal subjektivistische Ansätze von Cecily Brown oder André Butzer bis zu den jüngsten Strömungen wie Dirty Minimalism (Jenny Brosinski) und Post-Vandalismus bietet das Buch Einblicke in eine Malerei, die Emotion, Farbe und Form ins Zentrum rückt. Ein inspirierender Blick auf die Renaissance der abstrakten Kunst im 21. Jahrhundert und ein unverzichtbares neues Standardwerk für alle Kunstinteressierten.

Larissa Kikol (1986*) ist freie Kunstkritikerin und Kunstwissenschaftlerin. Sie schreibt unter anderem für Kunstforum International, Monopol Online, Die Zeit, art das Kunstmagazin, Die Kunstzeitung, mare die Zeitschrift der Meere, Spiegel Online oder Halle 4 – das Onlinemagazin der Deichtorhallen Hamburg. Außerdem schreibt sie in Künstlerkatalogen, Museumspublikationen und für Galerieausstellungen.

Das Programm im Überblick

Am Museumseingang:
Rope Skipping mit der Seilspringexpertin Mira Waterkotte und Workshops um 11 Uhr, 12:15 Uhr, 14:30 Uhr und 15:45 Uhr

Führungen (Treffpunkt vor dem Maki-Forum im Foyer)
12:30 Uhr Kuratorinnenführung mit Lea Schäfer
14:00 Uhr Führung auf Schwiizerdütsch mit Catherine Dallmer
14:45 Uhr Führung mit Dr. Oliver Kornhoff

Buchpräsentation und Signierstunde
16:00 Uhr Buchpräsentation Neue Abstrakte Malerei (Maki-Forum)

Während des ganzen Tages:
Unsere Kunstvermittler:innen in den Ausstellungsräumen

in-situ-Workshop zu Helen Frankenthaler im 1. Obergeschoss

Museum Reinhard Ernst (mre)