
Vom 25. Oktober 2024 bis zum 19. Januar 2025 zeigt das Dommuseum Frankfurt in Kooperation mit dem Historischen Museum Frankfurt im Kreuzgang des Domes und im Sakristeum in der fulminanten Ausstellung „Raumwunder. Frankfurter Maler entdecken das Kircheninterieur“ die in Vergessenheit geratene große Kunst der KirchenInterieur-Malerei. Gezeigt werden nicht nur fantastische Gemälde, sondern auch Entstehungsprozesse vom Entwurf bis zum fertigen Gemälde: Vom Proportionalzirkel des 17. Jahrhunderts bis zum Druckabklatsch gibt die Schau einen historischen Abriss der baukulturellen Entwicklung sakraler Bauwerkskunst.
Die später auch nach Frankfurt gelangte „KirchenInterieur-Malerei“ war einst eine typische Kunstrichtung in der niederländischen Kunst des 17. Jahrhunderts. „Die niederländischen Meister der perspektivischen Raumkonstruktion, ihre Blicke in die großen Kirchen aus der vorreformatorischen Zeit, in denen nun entweder die Fülle des nachtridentinischen Katholizismus oder das nüchterne Wort herrschte, setzten die Standards“, so Bettina Schmitt im sehr empfehlenswerten Begleitkatalog „Raumwunder“ (erschienen bei Schnell und Steiner, Regensburg 2024, siehe unten). Noch im 18. Jahrhundert waren ihre Gemälde gesuchte Sammlerstücke, sorgten ihre Perspektiven für Abwechslung und Tiefe auf den dicht behängten Galeriewänden, schienen die Kompositionen der Steenwijck, Neefs, van Vliet uneinholbar.
Hieran knüpften zeitgenössische Frankfurter Künstler an, da es in Frankfurt für holländische Malerei zusehends einen Markt gab, der sich etwa aus reichen Frankfurter Bankiers- und Kaufmannsfamilien rekrutierte, die gerne ihre Söhne zur Ausbildung nach Holland, dem einstigen größten Welthandelszentrum, entsandten. Sie brachten von dort Gemälde mit, und rasch erkannten Frankfurter Maler das mächtige Marktpotential, Kircheninterieur zu malen. Sie porträtierten dabei reale Kirchen, aber vor allem entwarfen sie Fantasiekircheninnenräume.

das Kircheninterieur“ im Kreuzgang des Domes und im Sakristeum des Dommuseums Frankfurt in Kooperation mit dem Historischen Museum Frankfurt vom 25. Oktober 2024 bis zum 19. Januar 2025 © Foto Diether von Goddenthow
So erlebte das gemalte Kircheninterieur – die perspektivische Darstellung von Kircheninnenräumen – in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Frankfurt eine neue Blüte. Vorbilder sind die auf dem Kunstmarkt gesuchten Gemälde der berühmten niederländischen Meister des 17. Jahrhunderts. Diese durften in keiner Sammlung fehlen.
Zwischen 1770 und 1820 entstanden zwischen zwei- und dreihundert Phantasiekirchen und dutzende Porträts Frankfurter Kirchen: Gemälde und ausgeführte Zeichnungen, die schon bald europaweit gehandelt wurden. Anstelle der Oude Kerk in Delft oder der Kathedrale von Antwerpen werden nun der Frankfurter Dom oder die Leonhardskirche porträtiert. Es entstehen aber auch frei entworfene Kirchen in unterschiedlichen Baustilen, von der Gotik bis zum Barock, zuweilen phantastisch gemischt. Immer wieder sind die Maler fasziniert davon, wie sich die Räume durch perspektivische Konstruktion in die Tiefe erstrecken. Manchmal reich ausgestattet, manchmal äußerst karg werden sie zur Bühne für unterschiedlichstes Personal, für kleine Szenen und Begegnungen.
Die Ausstellung „Raumwunder – Frankfurter Maler entdecken des Kircheninterieur“ im Dommuseum Frankfurt widmet sich erstmals diesem einzigartigen in Vergessenheit geratenen Phänomen und präsentiert seine ganze Bandbreite anhand von zahlreichen Werken der beiden Hauptvertreter dieses Gemäldegenres, Johann Ludwig Ernst Morgenstern (1738–1819) und Christian Stöcklin (1741–1795), ihrer Vorläufer und Wegbegleiter. Zu Morgensterns Kundenkreis zählten Sammler wie der Zuckerbäcker Prehn oder der Jurist und Städel-Administrator Grambs, aber auch die Prinzessin Henriette Amalie von Anhalt-Dessau. Eine echte Entdeckung sind die ausgeführten Zeichnungen des nur dreißig Jahre als gewordenen Theatermalers und Zimmermanns Johann Vögelin (1754–1784) aus Zürich, der wenige Jahre in Frankfurt blieb, dem Frankfurter ‚Phänomen Kircheninterieur‘ aber entscheidende Impulse gab. So bekannte Morgenstern von Vögellin das perspektivische Malen erlernt zu haben, und in manchen seiner Bilder hat er Vögellins Entwürfe adaptiert.
Signaturfälschungen

Es gab auch schon Fälschungen, etwa von Signaturen, um höhere Preise zu erzählen. Wie wir auf einer Tafel der Ausstellung erfahren, galt beispielsweise Christian Stöcklins Gemälde „Interieur einer gotischen Kirche“, 1784, lange Zeit als ein Werk von Morgenstern. Bei der Restaurierung vor wenigen Jahren erwies sich die Signatur „J L E Morgenstern“ als eine spätere Übermalung, darunter fand man die ursprüngliche Signatur „Stöckling 1784“, erzählt Dr. Wolfgang Cilleßen, Kurator am Historischen Museum Frankfurt, der gemeinsam mit Dr. Almut Pollmer-Schmidt, Expertin niederländischer Malerei, kuratierte. Die Manipulation, so wird angenommen, wurde wahrscheinlich Anfang des 20. Jahrhunderts vorgenommen, da man für einen Morgenstern einfach mehr erzielen konnte. Aber genau weiß man es nicht, vielleicht erfolgte der Schwindel auch schon früher.
Zeitreise – Spaziergang durch den Dom um 1780
Erstmalig werden in dieser Ausstellung die Porträts der Frankfurter Kirchen auch auf ihren Quellenwert und somit ihre Zuverlässigkeit im Hinblick auf Raumgestalt, Ausstattung und liturgischen Gebrauch kurz vor der Säkularisation untersucht. Wie sahen St. Leonhard, die Liebfrauenkirche, der Frankfurter Dom vor 1800 aus? Was hat sich verändert im Vergleich zu heute? Den Porträts Frankfurter Kirchen ist ein eigenes Kapitel der Ausstellung im Kreuzgang des Kaiserdoms gewidmet.

das Kircheninterieur“ im Kreuzgang des Domes und im Sakristeum des Dommuseums Frankfurt in Kooperation mit dem Historischen Museum Frankfurt vom 25. Oktober 2024 bis zum 19. Januar 2025 © Foto Diether von Goddenthow
Kircheninterieur als Spiegel städtisch, bürgerlicher Utopie
Die Ausstellung stellt die im Frankfurt des 18. und frühen 19. Jahrhundert entstandenen Werke ausgewählten Gemälden aus den Niederlanden des 17. Jahrhunderts gegenüber. Sie rückt ein Phänomen und eine Bildgattung in den Fokus, die bisher wenig gewürdigt wurde, malerisch und ästhetisch aber geradezu berückend ist. Jedes einzelne Gemälde ist eine Einladung zum Augenspaziergang in die schönste Raumschöpfung der europäischen Kunst – den Kirchenraum.

das Kircheninterieur“ im Kreuzgang des Domes und im Sakristeum des Dommuseums Frankfurt in Kooperation mit dem Historischen Museum Frankfurt vom 25. Oktober 2024 bis zum 19. Januar 2025 © Foto Diether von Goddenthow
Die sorgfältig und virtuos ausgeführten Gemälde des Johann Ludwig Ernst Morgenstern messen sich mit den niederländischen Vorbildern – und doch steht das Kircheninterieur nun unter anderen Vorzeichen. In der Umbruchszeit zwischen Aufklärung und Romantik, Revolution und Restauration kann das Kircheninterieur städtische, bürgerliche Identität spiegeln oder Symbol nationaler Utopie werden. Am Ende der Ausstellung steht ein Blick in die Romantik mit ihrer Überhöhung der gotischen Kirchenruinen und Kathedralen.
Idee zur Ausstellung
Die Idee zur Ausstellung hatte Dr. Wolfgang Cilleßen, Kurator am Historischen Museum Frankfurt, der sich mit dieser Schau auch aus Frankfurt verabschiedet. Seiner jahrelangen Forschung verdanken sich spektakuläre Neuentdeckungen und Erwerbungen. Mit ihm arbeitete Dr. Almut Pollmer-Schmidt an dem Projekt, Kennerin der niederländischen Kircheninterieurs des 17. Jahrhunderts, sowie Dr. Gerhard Kölsch als Experte für die Kunst im Rhein-Main-Ge- biet im 18. Jahrhundert. Zusammen mit Anja Damaschke, Restauratorin am HMF, untersuch- ten sie sämtliche Gemälde aus Morgensterns Werkstatt, um zu verstehen, wie der Maler bei der Konstruktion seiner Architektur vorging.
Präsentiert werden folgende Künstlerinnen und Künstler
Johann Ludwig Ernst Morgenstern / Andrea Pozzo / Christian Stöcklin / Hans Vredeman de Vries / Johann Vögelin / Johann Andreas Herrlein / Hendrik van Steenwijck d. J. / Susanna van Steenwijck, geb. Gaspoel / Pieter Neefs d. J. / Hendrik Cornelisz. van Vliet / Johann Friedrich Morgenstern / Carl Morgenstern / Jean-Baptiste-Pierre Lebrun / Stephan Ernst Pichler / Chris- tian Georg Schütz d. Ä. / Johann Ulrich Kraus / Carl Philipp Fohr / Franz Hubert Müller / Moritz Retzsch / Johann Caspar Schneider / Johann Adam Ackermann / Johann Daniel Frey / Heinrich Olivier / Joseph Nikolaus Peroux (nach Philipp Veit) / Bernhard J. Dondorf / Carl Theodor Reif- fenstein / Carl Haag

Die Ausstellung „Raumwunder. Frankfurter Maler entdecken das Kircheninterieur“ ist vom 25. Oktober 2024 bis zum 19. Januar 2025 in Kooperation mit dem Historischen Museum Frankfurt im Dommuseum Frankfurt zu sehen.
Öffnungszeiten: Di, Do, Fr, 10.00–17.00 Uhr;
Mi, 10.00–19.00 Uhr; Sa und So, 11.00–17.00 Uhr. Eintritt: 7 Euro (4 Euro ermäßigt).