Geschichten vom Wandel – „Der unbekannte Bekannte – Hans Christian Andersen“ im Struwwelpeter Museum Frankfurt

„‚Es ist eine reizende Blume‘, sagte die Frau und küßte sie auf die schönen roten und gelben Blätter, aber als sie sie gerade küßte, gab es in der Blume einen großen Knall ….“. aus dem Däumelinchen, 1835, eines zahlreicher Andersen-Märchen, welche von „Verwandlungen“ (Metamorphosen) erzählen, von dem Übergang von einem Stadium in ein Neues. Wie Jamila Döffert, Studentin der Goethe-Uni und Mitgestalterin der Andersen-Ausstellung im Struwwelpeter Museum Frankfurt demonstriert, können sich Kinder in der Ausstellung mittels bereitgestellter Verkleidungsstücke auch „verwandeln“.  © Foto Diether von Goddenthow

„Des Kaisers neuen Kleider“, „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“, „Der standhafte Zinnsoldat“ – jeder kennt diese Geschichten, nicht aber unbedingt den dänischen Autor Hans Christian Andersen. Dieser gehört zu den meistübersetzten Schriftstellern der Welt und sein kinderliterarischer und populärkultureller Einfluss ist ungebrochen, und seine Themen sind zeitlos aktuell. Anlässlich seines 220. Geburts- und 150. Todestags im Jahr 2025 zeigt die gestern eröffnete die für Kinder und Erwachsene gleichermaßen konzipierte Ausstellung Der unbekannte Bekannte – Hans Christian Andersen“ (24.08. – 30.11.2025). Sie zeigt die Vielfalt von Andersens Werk und setzt es in Dialog mit Heinrich Hoffmanns Bilderbuchästhetik.
Ein Ferienprogramm für Kinder begleitet die Ausstellungen an den Donnerstagen, 31. Juli und 14. August 2025, jeweils um 15 Uhr. Das Ferienprogramm „Märchenhaftes Scherengeklapper“ stellt Andersen auch als begabten Scherenschnittkünstler in den Mittelpunkt: Mit Papier und Schere geht es nach dem Ausstellungsrundgang selbst ans Werk. Eine Anmeldung wird erbeten unter info@struwwelpeter-museum.de.

Christian Andersen © Det Kongelige Bibliothek Koppenhagenn.

„Diese Ausstellung ergänzt unsere Dauerausstellung zu Heinrich Hoffmann um einen faszinierenden zeitgenössischen Blick auf Andersen“ – sie sei ein Projekt, das in vielerlei Hinsicht besonders ist. Sie wurde im Rahmen eines Seminars zu Hans Christian Andersen von etwa 30 Studierenden der Kinder- und Jugendliteraturforschung, der Skandinavistik sowie der Germanistik als Gemeinschaftsprojekt der Goethe-Universität und dem Struwwelpeter-Museum konzipiert, recherchiert und umgesetzt. so die Leiterin des Struwwelpeter-Museums Beate Zekorn-von Bebenburg, zugleich Co-Kuratorin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Jugendbuchforschung. Geleitet wurde das interdisziplinäre Gemeinschaftsprojekt an der Goethe-Universität von der Skandinavistin Professorin Frederike Felcht und Dr. Astrid Henning-Mohr“

Andersen: Mehr als nur Märchen

Prof. Dr. Frederike Felcht Institut für Skandinavistik und Dr. Astrid Henning-Mohr Institut für Jugendbuchforschung an der Goethe-Universität. © Foto Diether von Goddenthow

Hans Christian Andersen ist in Deutschland vor allem für seine Märchen bekannt – doch oft ist kaum noch bewusst, wer hinter diesen Geschichten steckt. Der Ausstellungstitel „Der unbekannte Bekannte“ spielt genau auf diesen Umstand an. Gleichzeitig verweist er auf die Vielschichtigkeit von Andersens Werk: Neben den weltbekannten Märchen umfasst es Gedichte, autobiografische Texte und eine Fülle künstlerisch gestalteter Bilderbücher – insbesondere die sogenannten Collage-Bücher, die Andersen für ihm nahestehende Kinder anfertigte. In Dänemark sind diese Arbeiten sehr bekannt, in Deutschland hingegen eher unbekannt – ein Grund, warum wir sie hier besonders hervorheben,
Das Kinderzimmer als Leitmotiv
„Unsere Studierenden wählten das Kinderzimmer als zentrales Motiv der Ausstellung. Es steht symbolisch für den Ort, an dem Andersens Geschichten vorgelesen wurden, aber auch als Raum, der in Andersens Märchen selbst eine Rolle spielt. Im 19. Jahrhundert war das Kinderzimmer ein neuartiger Ort – ein bürgerliches Refugium zur Erziehung, Abgrenzung und sozialen Prägung.
Andersen greift dieses Spannungsfeld auf – zum Beispiel in „Der standhafte Zinnsoldat“, einem Märchen, das sich als Leitmotiv durch die Ausstellung zieht. Gleichzeitig setzt sich Andersen kritisch mit gesellschaftlichen Zuständen auseinander – etwa in „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“, das ebenfalls einen wichtigen Ausstellungsschwerpunkt bildet. Die Studierenden entschieden sich bewusst, nicht nur das Innere, sondern auch das „Außen“ des Kinderzimmers zu thematisieren – die soziale Kälte, Armut und Ausgrenzung, denen Kinder im 19. Jahrhundert ausgesetzt waren, sagt Dr. Astrid Henning-Mohr.

Zwischen Andersen und Hoffmann
Obwohl sich Andersen und Hoffmann nie persönlich begegnet sind, ist eine Verbindung über ihre Werke eindeutig erkennbar. Andersen widmete einer dänischen Ausgabe des Struwwelpeters eine liebevoll gestaltete Eintragung für die Kinder befreundeter Familien. Umgekehrt finden sich in Hoffmanns Geschichten – wie im Fall des „bösen Friederichs“ – Anspielungen auf die Abgründigkeit, die auch Andersens Märchen durchziehen. Beide Autoren teilen ein Interesse an kindlichen Perspektiven und nutzen den literarischen Raum, um gesellschaftliche Realitäten zu spiegeln.

Mitmach-Angebote für Kinder und Familien

An der Audio-Station werden Andersens Märchen auf Deutsch und Dänisch vorgelesen, so dass auch Kinder mit Sehbeeinträchtigungen teilnehmen können. Marla Schroer demonstriert die Funktionsweise der – auch mit Brailleschrift ausgestatteten Tastaturbedienung. © Foto Diether von Goddenthow

Die Ausstellung richtet sich gleichermaßen an Kinder und Erwachsene. Für Kinder gibt es zahlreiche interaktive Elemente: eine Lese- und Hörecke, ein Glücksrad mit Märchenpreisen, ein Magnetpuzzle zur Märchenerkennung und eine Verkleidungsecke, die zum Rollenspiel und Weitererzählen anregt. Ein Begleitheft mit einfachen Texten lädt dazu ein, Andersens Geschichten kreativ zu interpretieren – ganz im Sinne des Autors selbst, der bekannte Stoffe immer wieder neu erzählte.

Ein Projekt von Studierenden – Theorie wird Praxis

Die Studentinnen Paula Fresse u Lola Eithne Hartwig erläutern das von ihnen und ihren Kommilitonen entwickelte Ausstellungs-Konzept. Ihr zentraler Ansatz der Ausstellung sei von Anfang an gewesen „Nicht von Andersen erzählen, sondern wie Andersen erzählen.“ © Foto Diether von Goddenthow

Für die Studierenden war dieses Seminar eine besondere Erfahrung. Literaturwissenschaft wurde hier praktisch, greifbar und lebendig. Unterschiedlichste Fachrichtungen – von Germanistik bis Buchwissenschaft – flossen in die Konzeption ein. Viele der Teilnehmenden brachten pädagogische oder künstlerische Erfahrungen ein.
Der Leitsatz des Seminars lautete: „Nicht von Andersen erzählen, sondern wie Andersen erzählen.“ Genau diese Haltung prägt die Ausstellung – sie ist keine biografische Nacherzählung, sondern eine Einladung, Andersens Werk neu zu entdecken.

Forschung und Aktualität
Andersens Texte bieten bis heute reichlich Anlass zur Auseinandersetzung – gerade wegen ihrer sozialen Dimension. Märchen wie „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ enthalten Kritik an Armut, Ausgrenzung und gesellschaftlicher Gleichgültigkeit, die auch heute noch erschreckend aktuell ist.
Die Ausstellung verzichtet bewusst auf eine ausschließlich biografische Lesart und stellt stattdessen das Werk und seine Relevanz in den Mittelpunkt. Die Forschung hat sich in den letzten Jahren verstärkt den handschriftlichen Manuskripten, Collage-Büchern und performativen Erzählweisen Andersens gewidmet – Aspekte, die auch in unserer Ausstellung aufgegriffen werden.

Ein starkes Miteinander von Universität und Museum
Diese Ausstellung ist Teil einer langjährigen Zusammenarbeit zwischen dem Struwwelpeter-Museum und dem Institut für Jugendbuchforschung der Goethe-Universität Frankfurt. Sie wurde gefördert durch die Georg und Franziska Speyer’sche Hochschulstiftung und viele engagierte Unterstützerinnen und Unterstützer.
Die Ausstellung zeigt eindrucksvoll, wie universitäres Wissen, kreatives Engagement und museumspraktische Arbeit zusammenfinden können – zum Nutzen aller Besucherinnen und Besucher.

(Goethe-Uni /Diether von Goddenthow/RheinMainKultur.de)

Ausstellung „Der unbekannte Bekannte – Hans Christian Andersen“
bis 30.11.2025
im Struwwelpeter Museum,
Hinter dem Lämmchen 2-4,
60311 Frankfurt am Main.