Bruder Affe? – Prof. Julia Fischer, Uni-Mainz Stiftungsprofessorin startet Vorlesungsreihe „Der Mensch im Spiegel des Affen“

Der Mensch im Spiegel des Affen Zur Evolution von Sozialverhalten, Kommunikation und Intelligenz bei Primaten
Julia Fischer und ihre Gäste erkunden im Rahmen der Johannes Gutenberg-Stiftungsprofessur 2025 die Welt der Primaten. Dabei ergründen sie die Frage, was uns an Affen so fasziniert und was wir aus dieser Forschung über das menschliche Wesen erfahren können. Prof. Dr. Julia Fischer bei ihrer Einführungsvorlesung am 29. April 2025 im Hörsaal RW 1 am Jakob-Welder-Weg auf dem Campus der Johannes Gutenberg-Universität Mainz © Foto Diether von Goddenthow

Gestern startete die Johannes Gutenberg-Universität Mainz die Vorlesungsreihe „Der Mensch im Spiegel des Affen. Zur Evolution von Sozialverhalten, Kommunikation und Intelligenz bei Primaten“ im Rahmen der 25. Stiftungsprofessur, die vom 29. April bis zum 1. Juli 2025 stattfindet.

Zum Auftakt begrüßten Prof. Dr. Cornelis Menke, Professor für Wissenschaftsgeschichte und Philosophie sowie Direktor des Studium generale, gemeinsam mit dem Präsidenten der JGU, Prof. Dr. Georg Krausch, die diesjährige Stiftungsprofessorin, Prof. Dr. Julia Fischer.
Menke zeigte sich beeindruckt von einer Besonderheit im Verhalten unserer nächsten Verwandten: Affen begrüßen sich mitunter dutzende Male am Tag. Er selbst wolle jedoch nicht versuchen, diesem Vorbild zu folgen – und übergab mit einem Augenzwinkern das Wort an Julia Fischer.

„Warum faszinieren uns Affen?“ – Mit dieser Frage eröffnete Prof. Dr. Julia Fischer gestern ihren Vortrag „Der Mensch im Spiegel der Affen“ zur gleichnamigen Vorlesungsreihe im Rahmen der Johannes Gutenberg-Stiftungsprofessur 2025. Die Veranstaltung fand im Hörsaal RW 1 am Jakob-Welder-Weg auf dem Campus der Johannes Gutenberg-Universität Mainz statt.

Prof. Dr. Julia Fischer, Professorin für Primatenkognition an der Georg-August-Universität Göttingen und Leiterin der Abteilung Kognitive Ethnologie am Deutschen Primatenzentrum. © Foto Diether von Goddenthow

Unsere Faszination für Affen, so Fischer, rühre daher, dass sie uns unter allen Tieren am nächsten stehen. „Sie bewegen sich in einem Spannungsfeld zwischen Ähnlichkeit und Unterschiedlichkeit. Wir sehen auf der einen Seite etwas, was uns nahe ist, aber es ist doch verfremdet. Es sind eben doch keine Menschen, aber sie haben Gesichter, sie haben Hände oder wie ein kleiner Junge in dem Affenpark, in dem ich arbeite, so sagte: ‚guck mal Mama, der Afro hat Hände an den Füßen!‘“, erläuterte Fischer. Es gäbe also eine Bezugnahme, aber eben auch eine Fremdheit, die uns manchmal verstört, wenn wir versuchen, uns in Affen selbst zu erkennen, wiederzufinden..

Bereits Georg Christoph Lichtenberg – Physiker, Naturforscher, Mathematiker, Schriftsteller und der erste deutsche Professor für Experimentalphysik im Zeitalter der Aufklärung – stellte fest: „Der Mensch kommt unter allen Tierarten in der Welt dem Affen am nächsten.“ Eine Beobachtung, die im Widerspruch zur kirchlichen Vorstellung vom Menschen als Krone der Schöpfung stand. Den offenen Konflikt mit den Kirchen – vor allem der katholischen – provozierte im 19. Jahrhundert schließlich Charles Darwins Evolutionstheorie, der zufolge Mensch und Affe einen gemeinsamen Vorfahren haben. Die kirchliche Lehre, wonach der Mensch als einzigartiges Ebenbild Gottes erschaffen wurde, geriet dadurch ins Wanken. Darwins Thesen wurden lange Zeit als ketzerisch abgelehnt. Erst in den vergangenen Jahrzehnten hat die Kirche ihre Haltung geändert und erkennt die Evolutionstheorie heute als wissenschaftlich fundierte Erklärung biologischer Entwicklung an.

Affe in religiösen Kontexten

Auffällig ist zudem, wie unterschiedlich Affen in verschiedenen Kulturen betrachtet werden. Während sie im westlichen Kulturkreis meist als wild, instinktiv und animalisch gelten, erscheinen sie in vielen östlichen Traditionen als starke, loyale und weise Wesen – mit hohem kulturellem und spirituellem Status. So etwa Sun Wukong, der „König der Affen“ aus dem chinesischen Epos Die Reise in den Westen (16. Jahrhundert), oder Hanuman, der Affengott im indischen Ramayana. Auch in anderen religiösen Kontexten spielten Affen eine Rolle: In der alexandrinischen Theologie etwa wurde der Gott Thot – von den Griechen mit Hermes gleichgesetzt und als Hermes Trismegistos verehrt – als Affengestalt dargestellt. Ihm schrieb man die Einführung von Sprache und Schrift zu; er galt als Schutzgott von Bibliotheken und Archiven. Eine bemerkenswerte Zuschreibung, bedenkt man, dass Affen selbst nicht sprechen können.

Der Affe in der Kunstgechichte

Insbesondere in der Kunstgeschichte hat der Affe eine lange, vielschichtige und oft ambivalente Rolle gespielt – mal als Spiegel des Menschen, mal als Karikatur, mal als moralische Warnfigur. Schon in der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Kunst erscheint er häufig als Symbol des „verkehrten Menschen“: als Verkörperung von Triebhaftigkeit, Narzissmus oder bloßer Nachahmung – nicht selten mit satirischem Unterton. In der christlichen Ikonografie steht der Affe mitunter für Sünde, Torheit oder das Animalische im Menschen.

In der Kunst der Renaissance und des Barock avancierte er zum beliebten Motiv in den sogenannten Singeries – Szenen, in denen Affen menschliches Verhalten parodieren, etwa beim Musizieren, Bankettieren oder im höfischen Auftritt. Hinter dem Humor dieser Darstellungen verbargen sich oft tiefgründige Kommentare über gesellschaftliche Konventionen, Rollenbilder und Eitelkeit.

Im 19. und 20. Jahrhundert verschob sich der Blick: Der Affe wurde zunehmend wissenschaftlich und kulturell neu bewertet, was sich auch künstlerisch niederschlug. In der surrealistischen und expressionistischen Kunst tauchte er etwa als Symbol für das Unbewusste, das Triebhafte oder die Abgründe des Selbst auf. Künstler wie Gabriel von Max oder Francis Bacon nutzten Affenfiguren, um existentielle Fragen und psychische Zustände zu visualisieren.

Einzigartige Affenportraits von Gabriel von Max (1840–1915)

Affen als Kunstrichter – Gabriel von Max (1840–1915)-450

Legendär sind insbesondere die Affenporträts des deutsch-österreichischen Malers Gabriel von Max (1840–1915), der sich intensiv mit dem Motiv beschäftigte. Seine Werke wirken für die Zeit ungewöhnlich modern, weil sie die Tiere nicht nur als Karikaturen oder Allegorien zeigen, sondern mit einem fast mystischen Ernst inszenieren – etwa in Gemälden wie „Affen als Kunstrichter“, wo eine Gruppe von Affen konzentriert ein Gemälde betrachtet, als würde sie über ästhetischen Wert und Bedeutung entscheiden. Eine subtile, zugleich humorvolle wie tiefgründige Spiegelung des menschlichen Kunstbetriebs.

Bruder Affe in Film von King Kong bis Dschungelbuch
Auch, so Fischer, faszinieren uns Affenfiguren in zahlreichen Filmen – beispielsweise  in King Kong (erstmals 1933), einem ihrer ersten, bewusst wahrgenommenen Affenfilme,  oder in Planet der Affen (seit 1968). In diesem Klassiker der Science-Fiction, kehren sich die Rollen von Mensch und Affe um: Affen haben die Kontrolle übernommen, während Menschen ihre Stellung verloren haben. Die Filme werfen tiefgreifende Fragen auf zu Intelligenz, Moral, Machtstrukturen und Menschlichkeit – mit dem Affen als Projektionsfläche für unsere Ängste und Hoffnungen.

Auch Das Dschungelbuch (1967, Disney) zeigt eindrucksvoll die Faszination für Affenfiguren – mit King Louie, dem charismatischen Orang-Utan, der wie kein anderer die menschliche Welt begehrt und gleichzeitig parodiert. Seine berühmte Gesangsnummer „Ich wär so gern wie du“ bringt auf unterhaltsame Weise das Spannungsfeld zwischen Ähnlichkeit und Anderssein auf den Punkt.

In anderen Animationsfilmen wie Der König der Löwen (1994) mit Rafiki oder Madagascar (2005) mit einer ganzen Affencrew übernehmen Affen  prägnante Rollen – mal weise, mal wild, mal witzig.

Der kulturellen Kontext bestimmt den Blick
Unser Blick auf Affen verändere sich „natürlich mit dem kulturellen Kontext, in dem wir uns befinden – er wandelt sich über die Zeit hinweg und unterscheidet sich deutlich zwischen verschiedenen Kulturen“, erklärte die Stiftungsprofessorin in ihrem spannenden und anregenden Eröffnungsvortrag. Darin beleuchtete sie das Verhältnis von Mensch und Affe aus „multiplen Perspektiven“ – darunter Mythologie, Darstellende Kunst, Literatur, Anthropologie, Evolutionstheorie, Genetik, Verhaltensforschung, Kunstgeschichte, Literaturwissenschaft, Philosophie und Wissenschaftsgeschichte.

Fazit: Der Mensch ist ein eigenartiges Tier

Nachdem die Stiftungsprofessorin jeden der genannten Schwerpunkte vorgestellt hatte, zog sie ein  Fazit: „Wenn ich es ganz grob zusammenfassen darf: Der Mensch ist ein eigenartiges Tier. Es gibt bestimmte Aspekte unserer Emotionalität und sozialen Beziehungen, etwa dass wir unsere Kinder tragen – sogenannte Traglinge – oder unser soziales Lernen, die wir mit den Affen teilen. Aber unsere Fähigkeit zur Sprache, zur Symbolproduktion, zu (kumulativer) Kultur, Technologie, Selbsterkenntnis und Selbstreflexion – das sind Merkmale, die uns deutlich von unseren Mitgeschöpfen, den Affen, unterscheiden.“

(Diether von Goddenthow /RheinMainKultur.de)

Weitere Informationen

Die nächsten Termine der Vorlesungsreihe „Menschen im Spiegel der Affen“

6. Mai 2025
Gruppenleben
Zur Vielfalt der Gesellschaftsform bei nichtmenschlichen Primaten
Prof. Dr. Julia Fischer
In diesem zweiten Vortrag der Reihe wirft Prof. Dr. Julia Fischer einen Blick auf das Gruppenleben und die Vielfalt der Gesellschaftsform bei nichtmenschlichen Primaten. Der Vortrag beginnt am Dienstag, 6. Mai 2025, um 18:15 Uhr im Hörsaal RW1 im Haus Recht und Wirtschaft, Jakob-Welder Weg 9, auf dem Campus der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

13. Mai 2025
Beziehungen
Verwandtschaft, Kooperation und Konkurrenz unter Affen
Prof. Dr. Julia Fischer

20. Mai 2025
Kommunikation
Wie Affen kommunizieren und was uns das über den Sprachursprung verrät
Prof. Dr. Julia Fischer

27. Mai 2025
Soziale Intelligenz
Was Affen über andere wissen
Prof. Dr. Julia Fischer

3. Juni 2025
Ökologische Intelligenz
Was Affen über ihre Umwelt wissen
Prof. Dr. Julia Fischer

10. Juni 2025
Altern
Wie sich Sozialbeziehungen, Intelligenz und Motivation von Affen im Laufe der Lebensspanne verändern
Prof. Dr. Julia Fischer

17. Juni 2025
Krankheiten
Welche Krankheitserreger gefährden unsere wilden Verwandten und wo kommen sie her?
mit Gastredner: Prof. Dr. Fabian Leendertz

24. Juni 2025
Wanderungen
Die Spuren von Affen in Evolution und Geschichte
mit Gastrednerin: Dr. Gisela Kopp

1. Juli 2025
Abschlussveranstaltung
Hybris
Die Reise der Menschheit zwischen Aufbruch und Scheitern
mit Gastredner: Prof. Dr. Johannes Krause

Die Präsenzveranstaltungen finden an Dienstagabenden von 18:15 Uhr bis 20 Uhr im Haus Recht und Wirtschaft I, Hörsaal RW 1, Jakob-Welder-Weg 9, Campus der Johannes Gutenberg-Universität Mainz statt.

Aufzeichnungen: Die Präsenzveranstaltungen werden aufgezeichnet. Livestreams sind nicht vorgesehen. Die Links zu den Aufzeichnungen und Videos werden in der Regel einige Tage nach der Veranstaltung hier auf der Homepage der Stiftung veröffentlicht.

Einfahrtserlaubnis auf den Campus: Seit dem 01.02.2023 gibt es für Gäste ein Freikontingent von 30 Stunden pro Jahr für die Einfahrt mit dem PKW auf den Campus. Anhand der Kennzeichenerkennung bei Ein- und Ausfahrt wird die Verweildauer auf dem Campus automatisch ermittelt und abgerechnet. Link zu weiteren Informationen

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