
Spätestens seit Marcel Duchamp 1917 mit der Präsentation eines Urinals begann, auch in Alltags- oder Naturgegenständen „Kunstwerke“ zu entdecken, wissen wir, dass alles Kunst werden kann, und dass das Denken keine Grenzen hat. Da braucht es nur noch ein Quäntchen Mut, den „Beuys“ in sich zu entdecken, und schon kann’s losgehen. Denn schließlich ist alles Kunst, was man Kunst nennt, auch, wenn Kunst manchmal eher von „Kommerz“ als von „Können“ zu kommen scheint. Je prominenter ein Name, um so weniger kommt es in der Regel auf handwerkliche Fertigkeiten. Der Name ist das „wahre Werk“. Letztlich entscheiden die Fans.
Der Promikunst-Markt ist richtig lukrativ. Einer der ersten, der seine Berühmtheit nutzte, war Udo Lindenberg mit seinen originellen Likörellen. Noch davor war es Otto Waalkes, von Hause aus studierter Kunstpädagoge und ausgebildeter Künstler, der erst durch seine Prominenz als Komiker als Künstler erfolgreich wurde, insbesondere mit seinen humorvollen, handwerklich brillanten Neuinterpretationen historischer Meisterwerke, oftmals versehen mit Ottifanten.
Auch Deutschlands bekanntester Satiriker Dieter Nuhr ist von Hause aus bildender Künstler mit abgeschlossenem Kunststudium, Schwerpunkt Malerei. Statt aber Kunstlehrer zu werden, wurde er Kabarettist. Jetzt kehrt er verstärkt zur bildenden Kunst wieder zurück,

Es wäre also es unfair, Promi-Kunst pauschal als reines Marketing abzuwerten. Dies zeigt auch einmal mehr die Ausstellung „Beyond Fame. Die Kunst der Star“ im Düsseldorfer NRW-Forum am Ehrenhof (18. August 2023 bis 24. Januar 2024). Auf 1200 qm präsentiert die Ausstellung in einem geschickt konzipierten Parcours Arbeiten internationaler und nationaler Berühmtheiten, die Einblicke hinter die Fassade der öffentlichen Personen bieten, jenseits von Rolle und Prominenz.
Auch die Ausstellungsmacher um Kurator Alain Bieber fragten sich, ob jeder Star ein Künstler sei. Denn immer mehr erfolgreiche Schauspieler, Musiker und Prominente betätigten sich auch künstlerisch „und gehen damit in die Öffentlichkeit. Warum suchen sie einen weiteren Erfolg auf der Kunstbühne? Oder dient die Kunst eher der persönlichen Selbstfindung? Die Ausstellungsmacher haben für sich die Frage durch die Auswahl der Promi-Künstler und ihrer Arbeiten recht gut beantwortet. Was hier gezeigt wird, ist Kunst, mitunter hochwertige Kunst.

So unterschiedlich die Persönlichkeiten aus Schauspiel, Sport, Politik, Musik oder Literatur sind, so verschieden sind auch ihre Wege zur Kunst. Die Wahl des künstlerischen Mediums ist oft unerwartet und überraschend, die Werke eng mit den jeweiligen Biografien verbunden. Die Ausstellung präsentiert mit Malerei, Fotografie, Video und Installation Arbeiten von Bryan Adams, Meret Becker, Tim Bendzko, Carlito (Cro), Samy Deluxe, Anna Delvey, Lea Draeger, Peter Doherty, Harald Glööckler, Grimes, Josephine Henning, Anton Hofreiter, Isis-Maria Niedecken, Edi Rama, Jean Remy, Michael Stich, Laura Tonke und Gedeon Schenkt.
Die ausgestellten Künstler*innen teilen eine jahrelange, intensive Auseinandersetzung mit der Kunst, auch wenn viele keine Akademie besucht haben, sondern als Autodidakten begannen. In der Zusammenstellung der Arbeiten zeigt sich, dass der Trend in Richtung Universalkünstler*innen geht, die schreiben, malen, singen, fotografieren und gerne gängige Formate sprengen.

Künstlerinnen wie Lea Draeger und Meret Becker sind in vielfältigen künstlerischen Feldern zuhause. Lea Draeger ist Schauspielerin, Autorin und bildende Künstlerin. Seit 2015 ist sie festes Ensemblemitglied des Maxim-Gorki-Theaters in Berlin. 2022 veröffentlichte sie ihr hoch gelobtes Romandebüt und seit 2018 arbeitet sie verstärkt als Künstlerin: Sie zeichnet Päpstinnen und Päpste, mit denen sie patriarchale Systeme und hierarchische Strukturen hinterfragt. Meret Becker kommt aus einer Künstler*innen-Familie und ist selbst Sängerin, Schauspielerin und Malerin. In ihrer Kunst setzt sie sich mit gesellschaftlichen Themen auseinander und nutzt ihre Popularität, um sich für Frauenrechte einzusetzen.

Rockstars wie Bryan Adams und Peter Doherty haben Millionen Platten verkauft und sind schon seit vielen Jahren künstlerisch tätig. Während für Adams gute Fotografien wie Zeitkapseln sind, die Erinnerungen speichern, bietet die Kunst dem skandalträchtigen Libertines-Sänger Peter Doherty neben der Lyrik eine ausdrucksstarke Möglichkeit, sein Leben zu verarbeiten. Er malt mit Blut und Kohle, kombiniert wild Zeichnung, Malerei, Bild-Text-Collagen und Skulpturen. Die Arbeiten der kanadischen Musikerin Claire Elise Boucher alias Grimes sind von Krieger*innen, Nymphen, Cyborgs und Manga-Figuren bevölkert, die sie in ihren Musikvideos auch selbst verkörpert. Die Inspiration für ihre Zeichnungen und Cover bezieht sie aus mythischen und psychedelischen Bildern, entleiht Figuren und Motive beim Jugendstil und Surrealisten und setzt oft künstliche Intelligenz ein.

Aber nicht nur in Kultur und Unterhaltung, sondern auch in vermeintlich weiter von der Kunst entfernten Bereichen wie Politik und Sport gibt es Persönlichkeiten, die neben ihren Karrieren auch als Künstler*innen tätig sind. Seine Begeisterung für Botanik kommt in den Arbeiten von Politiker Anton Hofreiter, seit 2005 Mitglied des Deutschen Bundestages und promovierter Biologe, zum Ausdruck. Sein häufigsten Motive sind Blumen und Zeichnen ist für ein Weg „um zu erkennen, wie die Dinge wirklich sind“.

Der frühere Wimbledonsieger Michael Stich interessierte sich schon in jungen Jahren für Kunst und wurde erst zu einem begeisterten Kunstsammler, bevor er begann, persönliche Erfahrungen zu verarbeiten, indem er sie auf die Leinwand bringt. „Meine Kunst ist Spiegelbild meiner Persönlichkeit und meiner Emotionen“, sagt er.
Unter dem Pseudonym Gedeon Schenkt ist eine prominente Person Teil der Ausstellung, deren Identität noch nicht bekannt gegeben wird. Den Besuchenden wird es überlassen, in den Werken nach Hinweisen zu suchen und damit auch der Frage nachzugehen, inwieweit Identität mit der öffentlichen Person und dem Kunstwerk verbunden ist.
Neben persönlichen Einblicken und überraschenden Blickwinkeln auf bekannte Persönlichkeiten hält die Ausstellung Besuchenden auch einen Spiegel vor: In der Begegnung mit den Werken stellt man unwillkürlich fest, wie stark man von den medialen Stereotypen der prominenten Menschen beeinflusst ist, wie sehr diese die eigene Rezeption lenken und wie viele eigene Wünsche und Fantasien wir auf berühmte Menschen richten.
Ein Besuch der Ausstellung lohnt und kann sehr empfohlen werden.
(Diether von Goddenthow /Rhein-Main.Eurokunst)
Weitere Informationen Beyond Fame – Die Kunst der Stars