Obgleich nackte Körper allgegenwärtig sind, Pornografie frei verfügbar, und die Geschlechtervielfalt in allen Varianten hoch- und runter dekliniert wird, scheint die lustbetonte, ach‘ so aufgeklärte Moderne viele Menschen zu überfordern. Zudem haben sich Gespräche und Wahrnehmung über Sexualität sowie Rollenbilder in den letzten 100 Jahren verändert? Menschen sind mehr denn je verunsichert. Viele Fragen drängen sich auf, insbesondere vermehrt nach der Rolle von biologischen und sozialem Geschlecht sowie nach geschlechtlicher Identität. Die die soziale Geschlechtervielfalt scheint zu explodieren. Und damit verbunden sind weitere Fragen, wer beispielswiese für die sexuelle Bildung verantwortlich ist, welchen Einfluss die Medien haben.
All diesen und weiteren Fragen rund um die Themen Sex und Gender (soziales Geschlecht) geht das Museum für Kommunikation Frankfurt vom 2.Oktober 2024 bis 7. September 2025 in der großen fantasievoll und liebevoll in gestalteten Sonder-Ausstellung „Apropos Sex“ nach. Diese reicht weit über den heteronormativen Bereich hinaus.
Besucher werden auf allen möglichen Ebenen dazu eingeladen, über Themen wie Sprache und Sexualität, Aufklärung, Lust, Selbstbestimmung und Grenzziehung nachzudenken und sich auszutauschen. Zudem wird der rechtliche Rahmen beleuchtet und untersucht, wie Medien das sexuelle Leben prägen und wie Sexualität in den Medien dargestellt wird. Erstmals bietet das Museum eine Ausstellung in leichter Sprache an, um einem breiteren Publikum, auch kognitiv Eingeschränkten, den Zugang zu ermöglichen.
Die Leistung eines großen Kuratoren-Teams
Ziel der Ausstellung sei es, Menschen unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung, ihrem Alter oder Geschlecht zu ermutigen, stolz auf ihre eigene Sexualität zu sein, so das Credo des engagierten Kuratorinnen- und Kuratoren-Teams, bestehend aus: Julia Marzoner, Katja Weber, Sebastian Mall und den Co-Kuratoren Corinna Engel, Annabelle Hornung, Johanna Krompos und Helmut Gold. Dabei stehen Themen wie Selbstbestimmung und Vielfalt im Vordergrund, betont Museumsdirektor Dr. Helmut Gold und unterstreicht, dass die Inhalte wissenschaftlich fundiert seien, auch wenn einige Aspekte bis heute kontrovers diskutiert würden.
„Selten hatten wir so ein großes Team von Kuratorinnen und Kuratoren“, freut sich der Museumsdirektor. Mit dieser Ausstellung schließe sich für Gold ein Kreis: „Ich kam damals von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und habe dort unter anderem Ausstellungen zu HIV mitgestaltet.“ So wie Gold mit „Sex im Kontext von AIDS“ einst begann, verabschiedet er sich nun zum Jahresende ruhestandsbedingt mit „Apropos Sex“, nachdem er das Haus seit 1997 geleitet hat. „Sexualität ist ein intimes und emotionales Thema. Kommunikation und Verständigung, verbal wie nonverbal, sind dabei essenziell. So omnipräsent Sex in den Medien oder der Öffentlichkeit ist, so schwierig erweist sich zugleich die intime Kommunikation. Die Ausstellung will zur Verständigung und Aufklärung beitragen, den eigenen Horizont zu erweitern und die vielen Facetten des Themas zu entdecken,“ erläutert der Museumsdirektor.
Ein Rundgang durch die Ausstellung
Gleich zu Beginn erfährt das Publikum wie in einer Art Präambel, worum es dem Ausstellungsteam in „Apropos Sex“ geht: „Wir verstehen Sexualität als einen Teil der menschlichen Identität, unabhängig von sexueller Orientierung, Geschlecht, Alter und Kultur. Sexuelle und romantische Orientierungen sowie Geschlechtsidentitäten sind vielfältig und gleichwertig. Alle Menschen haben ein Recht auf sexuelle Bildung, eine selbstbestimmte Sexualität und sexuelle Gleichberechtigung. Wir verurteilen alle Formen sexualisierter Gewalt, ob verbal oder körperlich, Zwang, Ausbeutung und Missbrauch.“
Die Ausstellung gliedert sich in mehrere Bereiche, darunter „Lasst uns reden“, „Aufgeklärt“, „Grenzziehung“, „Sexualität und Ich“, „Mediale Lust“ und Ausblick in die Zukunft. Jeder dieser Bereiche bietet verschiedene Stationen, die durch Paravents voneinander abgetrennt sind. Diese Trennwände schaffen intime Räume und fungieren zugleich als Präsentationsflächen für informative Texte, Medieninhalte und interaktive Elemente.
„Lasst uns reden“
Die Ausstellung beginnt mit „Lasst uns reden“. Hier finden Besucher Anreize, um Worte für Gefühle oder Körperteile zu finden. Plüschfiguren, die in vergrößerter Form dargestellt sind, können auseinander genommen und benannt werden, um das Gespräch über Geschlechtsteile zu erleichtern. Auf einem großen Bett laden Kissen, die mit Begriffen rund um Empfindungen bedruckt sind, zum Austausch ein. Ein Fragenrad regt zur Auseinandersetzung mit Begriffen an, und an einer weiteren Station können Düfte getestet werden, um herauszufinden, welche als anziehend oder abstoßend empfunden werden.
Im Bereich „Aufgeklärt“ werden in einem nachgestellten Klassenraum die wichtigsten Meilensteine der schulischen Sexualerziehung in der BRD und der DDR seit 1945 dargestellt.
Unter anderem gibt es hier hölzerne Penismodelle und schematische Darstellungen des sogenannten Jungfernhäutchen zu sehen, was Gespräche hierüber erleichtert, etwa auch zur Frage, ob es das Jungfernhäutchen überhaupt gibt. Tablets bieten informative Texte zur geschichtlichen Entwicklung der Sexualaufklärung. Besondere Exponate, wie eine „Kindergartenbox“ mit Puppen und kindgerechten Materialien, dokumentieren die kindliche Aufklärung. Ergänzt wird dieser Bereich durch Audioaufnahmen von Menschen, die ihre eigenen Aufklärungserfahrungen schildern.
„Grenzziehung“
Der Abschnitt „Grenzziehung“ thematisiert sexualisierte Gewalt, rechtlichen Schutz und geltende Gesetze. Hier erfahren die Besucher, was strafbar ist und wer besonderen Schutz benötigt. Es wird auch gezeigt, wie sich Menschen vor Grenzverletzungen schützen können.
Im Bereich „Sexualität und Ich“ bietet die Multimediainstallation „Stimmen der Vielfalt“ Einblicke in unterschiedliche Erfahrungen mit Sexualität. Menschen, die beruflich Expertise in diesem Bereich haben, kommen ebenso zu Wort wie Privatpersonen, die offen über ihre Sexualität sprechen – wie sie sie ausleben und sich darin selbst gefunden haben. Themen wie selbstbestimmte Sexualität, Konsens, Pride sowie die Frage nach einer vermeintlich „normalen“ Sexualität werden hier ebenfalls behandelt.
Zur Veranschaulichung individueller sexueller Befriedigung werden verschiedene Sexspielzeuge präsentiert, die die Vielfalt und Möglichkeiten im Bereich der Sexualität dokumentieren. Es gibt sogar eine spezielle Ausgabe des „Kamasutra“ für Blinde mit Brailleschrift und fühlbaren Darstellungen sexueller Positionen.
Zudem können Besucher in einer Umfrage ihre Erfahrungen darüber teilen, wie sich ihre Sexualität im Laufe ihres Lebens verändert hat.
Der Bereich „Mediale Lust“ untersucht die sinnliche Wirkung von Medien auf das Erleben von Sexualität. Besucher können entdecken, wie Internet, Audioinhalte (Telefonie /Radio) und visuelle Wahrnehmung per Film/Fernsehen/Video ihre erotische Wirkungen welcher Art auch immer entfalten. Zudem wird die Geschichte der Pornografie in den Medien beleuchtet – von Büchern über VHS-Kassetten bis hin zu modernen Streaming-Plattformen. Auch aktuelle Mediendebatten, wie das Verbergen weiblicher Brustwarzen, etwa auf Insta & Co werden thematisiert.
Am Ende dieses Bereichs können Besucher an einer „piepshowählichen“ Station „Fantasien“ ein wenig voyeuristisch durch Astlöcher erotische Postkarten vergangener Jahrzehnte betrachten.
Ein Blick in die Zukunft
Die Ausstellung beschäftigt sich auch mit der Frage, wie sich der Umgang mit Sexualität in Zukunft entwickeln wird. Werden wir offener über intime Themen sprechen? Wie wird sich unser Schamempfinden verändern?
Begleitprogramm und Glossar
Die Ausstellung wird von einem umfangreichen Begleitprogramm und durch digitales Begleitmaterial ergänzt, das im sogenannten Expotizer auf der Website apropos-sex.museumsstiftung.de/ verfügbar ist. Dort finden sich Interviews, Hintergrundinformationen, Termine sowie ein Glossar, das auch in gedruckter Form zu Beginn der Ausstellung ausliegt und kostenlos mitgenommen werden kann.
„Apropos Sex“ richtet sich an Besucher ab 14 Jahren. Es bleibt jedoch den Erziehungsberechtigten jüngerer Kinder überlassen, ob und wie sie die Ausstellung gemeinsam besuchen. Um einen sensiblen Umgang mit den Themen zu gewährleisten, arbeitet das Museum eng mit verschiedenen Kooperationspartnern wie etwa Pro Familia, der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zusammen.
(Diether von Goddenthow /Rhein-Main.Eurokunst)
Museum für Kommunikation Frankfurt
Ausstellungen
Schaumainkai 53 (Museumsufer)
60596 Frankfurt am Main
Infos zum Besuch