Akademische Jahresfeier: Leibniz-Medaille für Malu Dreyer und Verleihung von vier weiteren Akademiepreisen

(v.li.): Prof. Dr. Sabine Föllinger, Professorin für Klassische Philologie/Gräzistik an der Philipps-Universität Marburg, Prof. Dr. habil. Andreas Dreizler, Leiter des Fachgebiets Reaktive Strömungen und Messtechnik an der TU Darmstadt; Prof. Dr. Andrea Rapp, Präsidentin der Akademie der Wissenschaften und Literatur Mainz; Festrednerin Dr. Ursula Krechel, Büchner-Preisträgerin, Ass.-Prof. Dr. Katja Weidner, für Mittel- und Spätlateinische Philologie, Wien, Malu Dreyer, rheinlandpfälzische Ministerpräsidentin a.D., PD Dr. Anna Isabell Wörsdörfer, Professur für Romanische Philologie mit Schwerpunkt spanische Literaturwissenschaft, Münster; Dr. Clara Wenz, Postdoc (Akad. Rätin auf Zeit), Abteilung für Ethnomusikologie, Institut für Musikforschung, Julius-Maximilians-Universität Würzburg; sowie Dr. Maximilian Walter Lenk, Privatdozent, Universität Tübingen. © Foto Diether von Goddenthow

Am Abend des 7. November 2026 verlieh die Akademie der Wissenschaften und der Literatur | Mainz im Rahmen ihrer Jahresfeier im Plenarsaal der Akademie die Leibniz-Medaille an Ministerpräsidentin a. D. Malu Dreyer sowie vier weitere Akademiepreise an herausragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Für das Land Rheinland-Pfalz sprach Clemens Hoch, rheinland-pfälzischer Minister für Wissenschaft und Gesundheit, ein Grußwort.
Die Präsidentin der Akademie, Prof. Dr. Andrea Rapp, die durch den Abend führte und die Ehrungen vornahm, ließ zunächst das ereignisreiche Akademiejahr Revue passieren.

Festvortrag ›Eine Skizze zu keinem Familienroman“ von Dr. Ursula Krechel

Festvortrag „Eine Skizze zu keinem Familienroman“ von Dr. . Ursula Krechel, Büchner-Preisträgerin. © Foto Diether von Goddenthow

In ihrem Festvortrag „Eine Skizze zu keinem Familienroman“ zeichnete die vielfach ausgezeichnete Georg-Büchner-Preisträgerin Dr. Ursula Krechel im Kontext von Exil, Flucht und dem Schicksal der Frankfurter jüdischen Kaufhausfamilie Wronker ein eindringliches – und zugleich warnendes – Bild der Zerstörung großbürgerlicher Existenzen aus rassistischem Wahn seit den 1930er-Jahren.

Krechel skizzierte die hochkomplexe und zugleich spannende Geschichte um Hermann Wronker mit späteren Fluchtstationen in Paris, Ägypten und New York. Sie erinnerte an die Folgen willkürlicher Enteignungsprozesse und der „Arisierung“, an Emigration, Deportation und Ermordung von Hermann und Ida Wronker.

Dr. . Ursula Krechel, © Foto Diether von Goddenthow

Hermann Wronker und seine Ehefrau Ida flohen 1939 aus Deutschland nach Frankreich – mit Blick auf eine geplante Emigration über Kairo, wo sich bereits ihre Kinder befanden, so die Büchner-Preisträgerin. Diese Flucht konnte jedoch letztlich nicht verwirklicht werden: Obwohl Fahrkarten vorhanden waren, durften sie die besetzte Zone Frankreichs nicht mehr verlassen. Im September 1942 wurden Hermann und Ida Wronker über das Lager Drancy nach Auschwitz deportiert.

Im weiteren Zusammenhang verwies sie auch auf die familiären Verbindungen: Dr. Hermann Engel, ein in Berlin tätiger Orthopäde, war mit Alice Wronker (geb. 1898), einer Tochter des Kaufhausgründers, verheiratet. Nach der Emigration führte Alice Engel, geb. Wronker, ihr Leben im Exil weiter, unter anderem in New York. Diese biografischen Spuren – dokumentiert in Archivalien wie dem Leo-Baeck-Archiv und in zeitgenössischen Bildsammlungen – verdeutlichen die weitreichenden Verwerfungen, die die nationalsozialistische Verfolgung selbst innerhalb einzelner Familien hinterließ.

Zugleich stellte Krechel die persönliche Perspektive der Tagebuchautorin Lili Cassel-Wronker in den Mittelpunkt und machte deren Erfahrungen im Exil als Teil der kollektiven Erinnerungskultur sichtbar. Lili Cassel-Wronkers „London Diary“ ist dieser Tage im Verlag Das Kulturelle Gedächtnis neu aufgelegt worden.

Auszeichnung von Malu Dreyer mit der Leibniz-Medaille
Für ihre langjährige Unterstützung der Mainzer Akademie wurde Malu Dreyer, rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin a.D., mit der Leibniz-Medaille ausgezeichnet. Es ist die höchste Auszeichnung, die die Akademie zu vergeben hat. Malu Dreyer zeigte trotz ihrer mannigfaltigen Verpflichtungen als Ministerpräsidentin ein hohes Engagement für die Akademie, beteiligte sich aktiv an einer Reihe von Akademieveranstaltungen und erhöhte damit maßgeblich die Sichtbarkeit der Institution.

Prof. Dr. Andrea Rapp überreicht Malu Dreyer die Urkunde zur Leibniz-Medaille. © Foto Diether von Goddenthow

Es sei ihr eine große Freude und Ehre, bedankte sich Malu Dreyer ganz herzlich für die hohe Auszeichnung. Für sie sei die Akademie immer ein Ort des Dialoges gewesen sei, weswegen sie immer gern herkommen sei, sagte die Ministerpräsidentin a.D. Sie habe die Akademie immer als Verkörperung der Wissenschaftsfreiheit empfunden – als Ort des Forschens, des Dialogs und des Miteinander-in-Kontakt-Tretens, an dem herausragende wissenschaftliche Arbeiten entstehen. Umso erschreckender sei es, dass wir heute weltweit darum ringen müssen, diese Freiheit zu bewahren, so Dreyer.

„Ich bin ein Zuversichts-Mensch“, betonte sie, „das wissen Sie aus all den Jahren, in denen Sie mit mir zu tun hatten.“ Diese Zuversicht nähre sie auch aus einer aktuellen Studie im Auftrag von ARD, ZDF und Deutschlandradio: Dort landet die Wissenschaft auf Platz zwei, wenn Bürgerinnen und Bürger gefragt werden, welchen Institutionen sie am ehesten zutrauen, zum gesellschaftlichen Zusammenhalt beizutragen. „Das ist eine große Anerkennung, die ich Ihnen allen ans Herz lege.“

Gleichzeitig warnte Dreyer davor, sich zu sicher zu fühlen. Entwicklungen in Europa und den USA zeigten, wie schnell wissenschaftliche und mediale Unabhängigkeit unter Druck geraten könne. Wer das Drehbuch der globalen Rechten und Libertären kenne, wisse: Es folgt immer denselben Mustern – die Unabhängigkeit der Industrie wird infrage gestellt, freie Medien werden eingeschränkt, Journalistinnen und Journalisten verfolgt, Opposition und Wissenschaft bekämpft.

Gerade deshalb, so betonte sie, sei es entscheidend, auch den kritischen wissenschaftlichen Nachwuchs zu fördern und die Freiheit der Lehre zu verteidigen. „Wir dürfen uns nicht in Sicherheit wiegen. Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, uns der Verantwortung bewusst zu sein. Niemand wird das für uns richten – das können und müssen wir nur gemeinsam tun.“, so Dreyer abschließend.

Ein weiterer Höhepunkt: Verleihung der Akademiepreise

Kurt-Ringger-Preis

PD Dr. Anna Isabell Wörsdörfer. © Foto Diether von Goddenthow

Sie sei eine „Illusionsforscherin“, sagte die mit dem Kurt-Ringger-Preis ausgezeichnete Romanistin PD Dr. Anna Isabell Wörsdörfer. In ihrer Forschung zur Illusion stehe stets die Frage im Raum, was authentisch und was Fiktion beziehungsweise „Fake“ sei.

Mit ihrer Habilitationsschrift „Magie-Theater im 17. Jahrhundert. Frühneuzeitliche Illusionierungs- und Inszenierungsstrategien in Spanien und Frankreich“ legte die Preisträgerin eine bahnbrechende Studie zu den fundamentalen Transformationen des Illusionsbegriffs und der damit verbundenen Aufführungspraktiken im Barockdrama dies- und jenseits der Pyrenäen vor. Ihre Arbeit leistet zudem einen wichtigen Beitrag zur historischen Grundlagenforschung im Genre des Dramas.
Hintergrund: Der nach seinem Stifter, dem Romanisten Kurt Ringger, benannte Preis wird seit 2008 jährlich für exzellente Dissertationen oder Habilitationsschriften aus den romanistischen Sprach-, Literatur- oder Kulturwissenschaften verliehen.

Joachim-Vogel-Gedächtnismedaille

Prof. Dr. Andrea Rapp überreicht wie allen Preisträgern Dr. Maximilian Walter Lenk die Urkunde. © Foto Diether von Goddenthow

Ausgezeichnet wurde Dr. Maximilian Walter Lenk für sein eigenständiges wissenschaftliches Profil und seine exzellente Habilitationsschrift, in der er sich mit dem Thema der objektiven Strafbarkeitsbedingungen befasst. Neben diesem preiswürdigen Werk hat Dr. Lenk bereits eine große Zahl an Veröffentlichungen im Bereich des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts vorgelegt, die ihn als kenntnisreichen, vielseitigen und analytischen Rechtswissenschaftler ausweisen.
Hintergrund: Zum Andenken an den Strafrechtler Prof. Dr. Joachim Vogel (1963–2013), einen der führenden und engagiertesten Vertreter seines Fachs und Mitglied der Akademie, hat dessen Familie die mit einem Preisgeld verbundene Medaille gestiftet. Mit ihr werden alle zwei Jahre Nachwuchswissenschaftler:innen auf dem Gebiet des Strafrechts oder Strafprozessrechts ausgezeichnet.

 

 

Preis der Peregrinus-Stiftung

Ass.-Prof. Dr. Katja Weidner. © Foto Diether von Goddenthow

Bereits die Erstlingswerke von Ass.-Prof. Dr. Katja Weidner zeichnen sich durch Interdisziplinarität, methodische Vielfalt sowie eine gelungene Verbindung von material- und theorieorientierter Forschung aus, die der Wissenschaft neue Perspektiven eröffnet. In ihrer Dissertation untersucht sie mit philologischer Präzision Jenseitserzählungen aus dem 12. Jahrhundert. Sie zeigt, dass diese Erzählungen Zustände zwischen immanenter Räumlichkeit und Jenseitsräumlichkeit darstellen, die sie als „Zwischenräume“ bezeichnet. Besonders hervorzuheben sind auch Katja Weidners weiterführende Beiträge zur interdisziplinären Forschung und ihre Fähigkeit, Fachwissen einem breiteren Publikum zugänglich zu machen.
Hintergrund: Der Preis der Peregrinus-Stiftung wird für herausragende in- oder ausländische Publikationen verliehen, die in besonderer Weise der Verantwortung des Menschen für sich selbst und die Allgemeinheit Rechnung tragen. Ausgezeichnet werden außerdem Forschungen zur griechisch-orientalischen Altertumskunde, die einen Bezug zur Kultur der Gegenwart und zur Tradition von Humanismus und Humanität herstellen.

 

Sibylle-Kalkhof-Rose-Akademiepreis für Geisteswissenschaften

Dr. Clara Wenz © Foto Diether von Goddenthow

Dr. Clara Wenz wird für ihre herausragenden Forschungen zur Rolle von Musik in Kontexten von Flucht, Exil und gesellschaftlichem Wandel geehrt. In ihrer Dissertation untersucht sie das musikalische Weiterleben der Stadt Aleppo während des Krieges und zeigt, wie Musik zum Medium von Erinnerung und kultureller Kontinuität werden kann. Auch ihre Studien zur arabisch-jüdischen Musikgeschichte sowie ihr aktuelles Habilitationsprojekt zur Beziehung von Musik und Tierwelt im arabischen Kulturraum zeugen von interdisziplinärer Weite und methodischer Originalität.
Hintergrund: Der Sibylle-Kalkhof-Rose-Akademiepreis für Geisteswissenschaften wird im Wechsel mit dem Walter-Kalkhof-Rose-Gedächtnispreis für Naturwissenschaften vergeben. Ausgezeichnet werden Preisträger:innen, die jünger als 40 Jahre alt sind und sich durch exzellente wissenschaftliche Veröffentlichungen ausgewiesen haben.

 

Antrittsreden neuer Mitglieder
Im Rahmen der Jahresfeier hielten zwei der drei neuen Akademiemitglieder ihre Antrittsreden:
Prof. Dr. habil. Andreas Dreizler, Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse, Leiter des Fachgebiets Reaktive Strömungen und Messtechnik an der TU Darmstadt, vielfach ausgezeichneter Physiker, u. a. 2014 Träger des Leibniz-Preises der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
Prof. Dr. Sabine Föllinger, Mitglied der Geistes- und sozialwissenschaftlichen Klasse, Professorin für Klassische Philologie/Gräzistik an der Philipps-Universität Marburg, 2019–2022 Vorsitzende der Gesellschaft für Antike Philosophie.

Musikalischer Rahmen: Manuel Seng (Klavier)

(AdW /Diether von Goddenthow – RheinMainKultur.de)