Die Kunsthalle Aschaffenburg zeigt vom 5.8.2023 bis 14.01.2023 in der Sonderausstellung „Die Sammlung Fritz P. Mayer. Leidenschaftlich figurativ“ Highlights aus einer der bedeutendsten Kollektionen der Leipziger Schule und figuraler Kunst Ostdeutschlands. Die in Teilen im Leipziger Wohn- und Atelierhaus Werner Tübkes öffentlich zugängliche Sammlung des Frankfurter Textilmaschinenbau-Industriellen und Kunstmäzens Fritz P. Mayer ist einzigartig. Kuratorisch betreut wird die Sammlung von der gleichfalls im Leipziger Tübke-Haus beherbergten Galerie Schwind.
Es war wohl eine Begegnung mit dem sogenannten Vater der „Leipziger Schule“, Wolfgang Mattheuer, im Jahr 1994, die Mayer zum leidenschaftlichen Sammler dieses Genre avancieren lies. Ab zirka 2000 kamen auch Werke Werner Tübkes und Bernhard Heisigs und zahlreicher anderer bekannter Vertreter der ostdeutschen Nachkriegsmoderne hinzu. Inzwischen ist die Sammlung Fritz P. Mayers auf über 200 hochkarätige Werke angewachsen. Fritz P. Mayers Sammlung ist eine wahre Fundgrube mit Arbeiten von Johannes Grützke, Wolfgang Mattheuer, Werner Tübke, Bernhard Heisig, Willi Sitte, Michael Triegel, Arno Rink, Ulrich Hachulla, Erich Kissing, Wolfgang Peuker u.a., darunter zahlreiche Schlüsselwerke der ostdeutschen Nachkriegsmoderne, wie Mattheuers „Seltsamer Zwischenfall“ von 1984/91, Tübkes „Tod im Gebirge“ von 1982 oder Heisigs „Der Maler und sein Thema“ von 1977/79
Die Rolle des Sammlers und Heimstatt der Sammlung mit öffentlicher Zugänglichkeit:
Es ist nach wie vor ein Phänomen der deutsch-deutschen Geschichte der Nachkriegszeit, dass nur durch „die Leidenschaft, das Engagement und die Kennerschaft zahlreicher privater Sammler“ die Bedeutung und Qualität der in Ostdeutschland auch nach dem zweiten Weltkrieg weitergeführten figurativen Kunst erkannt wurde. Der auf westdeutscher Seite über viele Jahrzehnte nahezu alleinige „Streiter“, insbesondere für die „Leipziger Schule“, der Frankfurter Feuilletonist Eduard Beaucamp, spitzt seine These noch zu, wenn er im Sammlungskatalog schreibt: „Man hat es aparterweise durchweg mit kapitalistischen Unternehmern zu tun, also mit ehemaligen „Klassenfeinden“, die mit Sicherheit keiner DDR-Nostalgie verdächtig sind. Die Liste dieser bürgerlichen Sammler eröffnet als großer Pionier der Aachener Schokoladenfabrikant Peter Ludwig, von Hause aus ein erfahrener, promovierter Kunsthistoriker, der seit den siebziger Jahren das ostdeutsche Terrain sondierte und eine veritable Museumssammlung vor allem Leipziger Malerei zusammentrug […]. Es folgten Bernhard Sprengel (Hannover), Henri Nannen (Emden), Hartwig Piepenbrock (Berlin), Siegfried Seitz (Reutlingen) und viele andere mehr“ (Sammlungskatalog S. 8). Jüngstes Beispiel ist der SAP-Gründer Hasso Plattner, der der ostdeutschen Kunst mit dem Minsk Kunsthaus (im September 2022 eröffnet) eine eigene Plattform gegeben hat, in der sie regelmäßig in neue Kontexte gesetzt wird.
Ähnlich wie Peter Ludwig vor ihm, wirbt Fritz P. Mayer für seinen Samm-lungsschwerpunkt durch Schenkungen und Dauerleihgaben einzelner Werke in vielen namhaften Museen, dazu gehören das Frankfurter Städelmuseum, die Berliner Nationalgalerie, das Haus der Geschichte in Bonn, das Museum am Dom in Würzburg, die Kunstsammlungen Chemnitz, das Museum der Bildenden Kunst in Leipzig sowie das sich im holländischen Zwolle befindliche Museum de Fundatie.
Eine erste museale Bilanz zog der Sammler im Jahr 2007 im Rahmen einer Sammlungspräsentation im Frankfurter Museum Giersch. 2023, im Jahr des 75. Geburtstages des Sammlers, nun erweitert sich der Blick mit den vielen, zwischenzeitlich hinzugekommenen Neuerwerbungen im Rahmen des ge-meinsamen Ausstellungsprojekts der Kunsthalle Jesuitenkirche mit dem Angermuseum in Erfurt, wohin die Ausstellung – in leicht modifizierter Form in Folge Anfang 2024 gehen wird.
In der aktuellen Sonderausstellung präsentiert die Kunsthalle Jusuitenkirche bedeutende Werke folgender Künstler:
Fritz Cremer (*1906 in Arnsberg; † 1993 in Berlin)
Wieland Förster (*1930 in Dresden)
Hubertus Giebe (*1953 in Dohna)
Johannes Grützke (*1937 in Berlin; † 2017 ebenda)
Waldemar Grzimek (*1918 in Rastenburg, Ostpreußen; † 1984 in West-Berlin)
Ulrich Hachulla (*1943 in Heydebreck, Oberschlesien)
Bernhard Heisig (* 1925 in Breslau, Niederschlesien; † 2011 in Strodehne, Brandenburg)
Karl Hofer (* 1878 in Karlsruhe; † 1955 in Berlin)
Gero Künzel (* 1962 in Erfurt)
Wolfgang Mattheuer (* 1927 in Reichenbach im Vogtland; † 2004 in Leipzig)
Wolfgang Peuker (* 1945 in Ústí nad Labem, Tschechoslowakei; † 2001 in Groß Glienicke, Landkreis Potsdam-Mittelmark)
Arno Rink (*1940 in Schlotheim; † 2017 in Leipzig)
Johannes Rochhausen (* 1981 in Leipzig)
Willi Sitte (* 1921 in Kratzau, Tschechoslowakei; † 2013 in Halle (Saale))
Volker Stelzmann (* 1940 in Dresden)
Werner Stötzer (* 1931 in Sonneberg; † 2010 in Altlangsow)
Michael Triegel (* 1968 in Erfurt)
Pfaffengasse 26
63739 Aschaffenburg
Der Zugang erfolgt über den Arkadenhof.
Öffnungszeiten
Dienstag 10-20 Uhr
Mittwoch bis Sonntag, Feiertage* 10-18 Uhr
Montag geschlossen
* außer 24., 25. und 31. Dezember / 1. Januar / Faschingsdienstag
Barrierefreier Zugang
Hintergrund zur „Leipziger Schule“
In den 1960er Jahren hatte sich in Leipzig mit den drei an der Hochschule für Grafik und Buchkunst lehrenden Protagonisten eine Kunstrichtung ausgebildet, die trotz der stilistischen Heterogenität einen gemeinsamen Nenner hatte: die Beschäftigung mit dem Figürlichen. Bis zum heutigen Tag hat diese Entwicklung Einfluss auf das Kunstgeschehen in der sächsischen Stadt und prägte den Begriff der „Leipziger Schule“.
Auch Willi Sitte wird, wie Mattheuer, Tübke und Heisig, trotz seiner Lehrtätigkeit an der Kunstschule der Burg Giebichenstein in Halle, zu den Gründungsvätern gezählt. Auch Sitte verband mit seinen Malerkollegen aus Leipzig die Prämisse der Vermittlung anspruchsvoller Maltechnik sowie die Auseinandersetzung mit der Kunstgeschichte. Fritz P. Mayer hat in seiner Sammlung einen besonderen Fokus auf Werke von Sitte – ähnlich wie bei Mattheuer und Tübke– gelegt. Für seine Auswahl war und ist dem Kunstsammler allein die künstlerische Qualität maßgeblich – ebenso wie ihn formale Bezüge innerhalb der Sammlung interessieren, so im Falle von Sittes „Rufende Frauen“ (1957), die auch in Aschaffenburg dem „Rufer“ (1938) von Karl Hofer benachbart präsentiert werden. Aufgrund Sittes Bekenntnisses zum Kommunismus und seiner Parteikarriere in der SED gilt er Vielen bis heute als umstrittenster Vertreter des offiziellen Kunst- und Kultursystems der DDR.
Mit zunehmender Beschäftigung Fritz P. Mayers mit der Leipziger Kunstszene entstand sehr früh, bereits 1999, seine Faszination für die vielschichtigen, sich in ihrer malerischen Qualität an Werken der Renaissance messen lassenden Malerei des sehr viel jüngeren Michael Triegel. Zur Enkelgeneration der Gründungsväter der Leipziger Schule zählend – er studierte bei Arno Rink –, ist er mit überdurchschnittlich vielen Werken in der Sammlung vertreten und so wurde auch eines seiner Werke als Leitmotiv der Ausstellung gewählt, „Narziss“ aus dem Jahre 2000, das den sehr viel weiter gedachten Ausstellungstitel auch auf bildlicher Ebene, enger gefasst, inhaltlich widerspiegelt.
Während Michael Triegel zur dritten Generation der Leipziger Schule zählt, sind auch fast alle großen Namen der zweiten Generation in der Sammlung Mayer vertreten: Volker Stelzmann, Arno Rink, Ulrich Hachulla, Hubertus Giebe, Wolfgang Peuker, Günter Thiele und Erich Kissing. Zur jüngsten, sozusagen vierten Generation zählen bereits die Maler Markus Matthias Krüger und Johannes Rochhausen, die beide ebenfalls mit wichtigen Werken in der Sammlung präsent sind.
„Aus dem Dunstkreis“ der Leipziger fallend, aber ebenfalls zum Herzstück der Sammlung gehörend, ist die Bildwelt des Westberliners Johannes Grützke, der ebenfalls mit überdurchschnittlich vielen Werken Teil der Sammlung ist und dessen Werke die Apsis der Kunsthalle aufgrund ihrer hohen Suggestionskraft bespielen werden. „Vor den Türen“ Aschaffenburgs, in der Wandelhalle der Frankfurter Paulskirche, ist ein riesiges Wandgemälde „Der Zug der Volksvertreter“ (1987-1990; 3 x 32 m) von Grützke an prominentem Ort und auf Dauer zu sehen.
Wie Grützke löst auch die Bildwelt Karl Hofers, der ebenfalls mit einigen Werken in der Sammlung Mayer vertreten ist, „die Leipziger Wagenburg-Abschottung“ auf und „lockert die Demarkationslinien der geteilten deutschen Kunst“ (Eduard Beaucamp im Sammlungskatalog „Leipziger Schule – Kritischer Realismus – Sammlung Fritz P. Mayer, S. 9). Auch die bildhauerischen Positionen sind – bis auf die Bronzen Mattheuers – nicht mit Leipzig in Verbindung zu bringen. Die Figuration ist aber auch bei ihnen das bindende Element und lässt sie in einen gelungenen Dialog mit der Malerei treten.
Pfaffengasse 26
63739 Aschaffenburg
Der Zugang erfolgt über den Arkadenhof.
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