Die Ausstellung „Faszination Vielfalt“ im Wolfgang-Steubing-Saal, 2. OG, des Senckenberg-Museums läuft bis zum 5. August 2018.
„Das ist ein kleines Mammut. Es gehört zu den ältesten Kunstwerken der Menschheit und ist zirka 35.000 Jahre alt“, ist Senckenberg-Generaldirektor Prof. Dr. Dr. h.c. Volker Mosbrugger ganz fasziniert von seinem Lieblingsobjekt. Es ist eines unter den 1.138 biologischen und geologischen Objekten, die es seit gestern in der Sonderausstellung „Faszination Vielfalt“ hinter einer Glasfront mit Wunderkammer-Flair zu entdecken gilt.
Vom großen Tiger, stattlichem Okapi-Bullen und großem Mammutzahn, über präparierte Vögel, Schädelknochen und Walgebiss bis hin zu Seeigel, faszinierenden Fossilien, gepressten Sandnelken, Mineralien, Ammoniten und in Formalin eingelegten Krabben präsentiert die 15 Meter lange und 4 Meter hohe Wandvitrine dicht an dicht eine Spitzenauswahl aus 40 Millionen Sammlungsobjekten der 200jährigen Forschungsgeschichte der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung und ihrer bundesweiten Dependancen. Das erklärte Ziel, nämlich Besuchern auf einen Blick zu zeigen, „was Senckenberg eigentlich ist und macht!“, ist mit der beindruckenden, ästhetisch gelungen Wandpräsentation hervorragend gelungen: Gezeigt wird die Vielfalt der Natur, so wie Wissenschaftler die Dinge in der Natur vorfinden, und wie sehr dass alles– so verschieden es zunächst auch erscheinen mag – miteinander verbunden ist. „Es war uns ein Anliegen, im Jubiläumsjahr eine Ausstellung zu zeigen, die unsere Besucher mit der Schönheit und der Vielfalt der Natur fasziniert. Zugleich illustrieren wir damit die zentrale Herausforderung der Naturforschung, nicht nur die einzelnen Objekte zu verstehen, sondern Zusammenhänge zu erkennen und die Vielfalt in ihrer Bedeutung für den Menschen zu begreifen“, erklärt Senckenberg-Generaldirektor Prof. Dr. Dr. h.c. Volker Mosbrugger. „Unser Forschungsziel ist es, die Natur in ihrer ganzen Komplexität zu erfassen, um sie zu erhalten und nachhaltig zu nutzen. Die wissenschaftlichen Sammlungen bilden dabei die elementare Grundlage unserer Forschung.“
In dieser Wand seien im Prinzip alle Forschungs-Komponenten von Senckenberg aus der unbelebten und aus der belebten Natur, der so genannten Geobiodiversitätsforschung, zusammengetragen, erläutert Prof. Dr. Katrin Böhning-Gaese, Direktorin des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums. „Wir haben jahrelang nach Möglichkeiten gesucht, um dieses Thema noch anders zu vermitteln als wissenschaftlich „trocken“ über Publikationen oder Veröffentlichungen über einzelne Forschungsergebnisse.
Wir wollten auch die andere Gehirnhälfte anregen, nämlich einen persönlichen Zugang zur Natur, den emotionalen Zugang, den ästhetischen Zugang ermöglichen, auch für Wissenschaftler, so Böhning-Gaese. So habe sie die Wand-Vitrine jetzt auch in eine Wissenschafts-Tagung integriert unter dem Motto „Humboldt“, das für analytischen Zugang zur Natur stünde: Denn die Wand-Vitrine „bietet im Prinzip jedem Einzelnen von uns den persönlichen Zugang zur Natur“, so Böhning-Gaese.
Die Biologin und leidenschaftliche Vogelkundlerin erzählt begeistert, wie ein Kollege, als er die Wand sah, sofort auf die Steine zugeschossen sei, und ihr voller Begeisterung über seine damit zusammenhängenden Forschungsobjekte erzählt habe. Sie wiederum sei auf die biologischen Objekte, vor allem auf „ihre“ Vögel zugesteuert, und habe ihm dann geschildert, „welche Rolle Vögel in meiner Forschung spielen. Das heißt: das hat erstmal uns Wissenschaftler zusammengebracht. Wir haben uns gegenseitig etwas über die Forschungsergebnisse erzählt“, so Vogelkundlerin Böhning-Gaese. Sie glaubt, dass diese zusätzliche emotionale Art des Herangehens Wissenschaftlern durchaus auch neue Perspektiven eröffne und „uns“ bei der Integration verschiedener Disziplinen helfe. Denn „die“ Biologen verstünden „die“ Geologen nicht wirklich und umgekehrt, was aber über die an der Wand-Vitrine emotional ausgelösten und sich gegenseitig mitgeteilten „Geschichten“ überbrückt werden könne. „Wir haben festgestellt, dass die Wand uns zusammenbringt!“.
Jedes der 1138 Objekte erzähle Geschichten, so Böhning-Gaese. Nach ihrem Lieblingsobjekt befragt, zeigt sie auf „ihren“ Doppelhornvogel und gerät gleich ins Erzählen: Der ist nicht nur schön. Er sei ein regelrechter „Samenausbreiter“, ein toller Vogel, er lebe in Südostasien. „Die Vögel fressen Früchte, verschlucken die Samen und fliegen dann durch die Landschaft und lassen die Samen irgendwo wieder fallen. Doppelhornvögel sind absolut essentielle Gärtner des Waldes: Sie tragen den Samen von einem Wald zum anderen“, verteilten ihn quer durch die Landschaft bis in einem Umkreis von 10 Kilometern, und spielten so für die Funktion des Ökosystems eine wichtige Rolle, erläutert die Vogelkundlerin und demonstriert zugleich an sich selbst, was mit „emotionalem Zugang“ gemeint ist.
Die Wand-Vitrine bringe die Leute auch sonst zusammen, so Böhning-Gaese. Jeder erkenne ein oder mehrere Objekte in der Wand wieder, staune oder rede automatisch darüber. „Die Objekte bestechen zunächst einmal durch ihren enormen Schauwert“, beschreibt Dr. Thorolf Müller, Ausstellungs-Kurator, die Ausstellung. Um die insgesamt beinahe acht Tonnen schwere Wandvitrine mit dieser exzellenten, exemplarisch für die verschiedenen Forschungs- und Sammlungsbereiche stehenden Exponate bestücken zu können, musste Müller eng mit den Kuratoren der Senckenberg-Sammlungen an elf Standorten zusammengearbeitet. Jedes Institut hat Objekte zur Ausstellung beigetragen – vom springenden Tiger aus Dresden, über die Gottesanbeterin aus Müncheberg, Manganknollen aus Wilhelmshaven, einen Faustkeil aus Tübingen bis hin zur Strandgras-Nelke aus Görlitz. „Wir haben uns entschieden, sie weder systematisch zu sortieren noch Beschriftungen einzusetzen. Stattdessen haben wir eine zweite, digitale Ebene eingerichtet, die es dem Betrachter ermöglicht, tiefer in die Thematik einzusteigen und mehr über die einzelnen Objekte, ihre Vernetzungen untereinander und über die Forschung dahinter zu erfahren“, erklärt Müller das Konzept der Ausstellung.
Entwickelt wurden die beiden digitalen Recherche-Stationen sowie eine große digitale Spielplattform von der Firma MESO Digital Interiors. Deren Geschäftsführer Sebastian Oschatz erläutert, wie Besucher über zwei Tisch-Monitore, auf denen alle Objekte der Wand-Vitrine nochmal im Schattenriss abgebildet sind, per „Touchscreen“ gezielt ansteuern und Hintergrundinformationen und Zusammenhänge abfragen können. Die Ergebnisse der Abfrage werden jeweils separat auf einem zweiten Bildschirm gezeigt. Hierfür wurden sämtliche ausgestellten Objekte durchfotografiert. Die Spielstation bietet eine Art Forscher-Quizspiel, womit Gruppen aus Familien, Kinder- und Jugendlichen sich mit Hilfe einer digitalen Landkarte bestimmte Forschungsaufträge erteilen und somit spielerisch ihr Wissen über die Exponate der Wand-Vitrine ausprobieren und erweitern können.
(Diether v. Goddenthow /Rhein-Main.Eurokunst)
„Faszination Vielfalt“ kann nur in Verbindung mit der Dauerausstellung besichtigt werden. Kombitickets: 10 Euro für Erwachsene, 5 Euro für Kinder und Jugendliche (6 – 15 Jahre) sowie 25 Euro für Familien (2 Erwachsene und bis zu 3 Kinder).
Senckenberg
Forschungsinstitut und Naturmuseum
Senckenberganlage 25
60325 Frankfurt