Wiesbadener exground filmfest 38 macht ab 14. November 2025 Mut zur Utopie

© exground filmfest

Beinahe hätte die 38. Ausgabe des exground filmfests (14.–23. November 2025) kurz vor der Eröffnung  abgesagt werden müssen: Wegen Bauverzögerungen in der Caligari Filmbühne stand das Festival auf der Kippe. Doch in letzter Minute sprangen Kinobetreiber Marc Ewert und das Wiesbadener Museum mit Ersatzspielstätten ein.
Gespielt wird nun im Atelier im Apollo Kinocenter (Moritzstraße 6) sowie im Kino des Museums Wiesbaden (Friedrich-Ebert-Allee 2). Auch das Festivalzentrum ist umgezogen und befindet sich in diesem Jahr im ehemaligen Achat-Hotel in der Mauritiusstraße 7 in Wiesbaden.

Trotz der kurzfristigen Änderungen präsentiert die nun gerettete 38. Ausgabe des Festivals erneut ein beeindruckend vielfältiges Film- und Rahmenprogramm. Gezeigt werden lange und kurze Werke aus den Bereichen Spielfilm, Dokumentarfilm, Animation und Experimentalfilm. Ergänzt wird das Filmangebot durch Diskussionen, Vorträge, Ausstellungen, eine Lesung sowie die exground youth days.

Themenschwerpunkt: Mut zur Utopie

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Neu in diesem Jahr ist der Publikumspreis im Themenschwerpunkt „Mut zur Utopie“, gestiftet von der Wiesbadener Mobilität. Nach dem letztjährigen Fokus „Flucht und Vertreibung“ richtet sich der Blick 2025 bewusst nach vorn – hin zu Visionen, Möglichkeiten und hoffnungsvollen Zukunftsentwürfen.

In der Sektion „Mut zur Utopie“ steht eine frei gestaltete Kooperation mit der World Design Capital Frankfurt RheinMain 2026 im Mittelpunkt. Thematisiert werden Fragen nach solidarischem Handeln, neuen Perspektiven und der Kraft gemeinschaftlicher Zukunftsbilder. Der Fokus liegt auf bestärkenden Geschichten, die aus den realen Herausforderungen unserer Zeit erwachsen.

In einer Auswahl von Kurz- und Langfilmen aus aller Welt verbinden Spiel-, Dokumentar- und Experimentalfilme aktuelle gesellschaftliche Themen mit dem Erbe des vergangenen Festivals: Gewalt und Krieg als Ursachen von Flucht und Vertreibung werden zum Ausgangspunkt, um Hoffnungsschimmer und neue Denkansätze sichtbar zu machen.

Die gezeigten Filme suchen nach Zukunftspotenzialen in der Vergangenheit, reisen ins Weltall oder entwerfen neue, irdische Modelle des gemeinschaftlichen Zusammenlebens. Die Sektion „Mut zur Utopie“ lädt ein zur Reflexion, Inspiration und kritischen Visualisierung kommender Möglichkeiten.

Auch in diesem Jahr schafft exground wieder einen Raum für Austausch und Diskussion, in dem die Filme als Impuls dienen, über eine bessere Zukunft nachzudenken. Sie laden dazu ein, gemeinsam zu reflektieren, wie wir als Gesellschaft die Herausforderungen der Gegenwart bewältigen und die Grundsteine für eine gerechtere, lebenswertere Zukunft legen können.

Ein Programm-Überblick – Highlights aus dem Fokusprogramm

© exground filmfest

Am 14. November wird um 19.00 Uhr das exground filmfest mit einer Perle des Fokusprogramms eröffnet. Im Beisein des Hessischen Ministers für Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur, Timon Gremmels, wird MEMORY OF PRINCESS MUMBI (CH/KE/SA 2025) im Atelier des Apollo Kinocenters präsentiert. Damien Hausers Film wandert jenseits von Genre und Konvention. Mit intensivem Blick auf den gegenwärtigen Umgang mit KI-Technologie entwirft dieser Film eine afrofuturistische Zukunftsvision rund um das tragische Leben der Schauspielerin Mumbi.

Dass utopische Visionen auch vollkommen anders gedacht werden können, beweist der Film ANCESTRAL VISIONS OF THE FUTURE (FR/LS/DE/QA/SA 2025), der für den Europäischen Filmpreis nominiert ist. Lemohang Mosese erschafft mit diesem Werk ein assoziatives, bildgewaltiges Kaleidoskop aus dokumentarischen Szenen und poetischen Arrangements. Der Regisseur reflektiert über die eigene Kindheit in Lesotho, die gesellschaftlichen Erfahrungen von Herrschaft und Gewalt sowie die eigenen intimen Gefühle von Entfremdung in Berlin, wo der Künstler derzeit lebt. Von der Lebensphilosophie Ubuntu getragen, verbindet diese persönliche Reise Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft in einer poetischen Liebeserklärung an das Kino.

Auch das Drama KAKTUSFRÜCHTE (IN/CA/GB 2025) spielt mit dem Spannungsfeld zwischen Herkunft, Tradition und den eigenen Gefühlen. Durch den Tod seines Vaters ist Anand verpflichtet, an einer zehntägigen Bestattungszeremonie teilzunehmen, die seinem alltäglichen Leben nicht ferner sein könnte. Er flüchtet sich in die heimlich aufblühende Liebe zu seinem Nachbarn Balya, die sie beide als homosexuelle Männer in Konflikt mit den Traditionen ihrer Familien bringt. Auf der Grundlage eigener Erfahrungen schildert Rohan Parashuram Kanawade in seinem ruhigen Regiedebüt einen von Liebe und Akzeptanz getragenen Umgang mit queeren Lebensweisen.

Der Kampf um Akzeptanz ist ebenfalls ein zentrales Element von Ivette Löckers Dokumentation UNSERE ZEIT WIRD KOMMEN (AT 2025). Sie begleitet das Paar Siaka und Victoria bei ihrem Versuch, sich eine Zukunft zwischen Österreich und Gambia aufzubauen. Vor der Kamera reflektieren beide über kulturelle und charakterliche Unterschiede und das Ringen mit den Umständen. Denn der eigenen Utopie stehen immer wieder Hürden im Weg, seien es bürokratische, rassistische oder posttraumatische. Einfühlsam dokumentiert dieses Werk den Kampf um Anerkennung und den Willen, persönlich und gesellschaftlich zu wachsen.

ANCESTRAL VISIONS OF THE FUTURE ©Agat-Films-Mokoari-Street-Media

Für Auflockerung im Programm sorgt LAZY GIRLS (FR 2024) von Karim Dridi – ein wahres Punk-Rock-Roadmovie. Nachdem die Polizei ihre letzte Bleibe zerlegt hat, rasen Nina und Djoul dem Sonnenuntergang entgegen. Auf dem Weg nach Irgendwo stellen sich die beiden immer wieder die grundlegenden Fragen: Wie geht es weiter? Wem können wir vertrauen? Und vor allem: Wie passt die Liebe in so ein Leben? Eine Geschichte von zügelloser Freiheit und Freundschaft auf den Straßen Frankreichs.

Nur wenige Kilometer entfernt, in West-Frankreich, entstand der Dokumentarfilm RED FOREST (FR 2025). Die Regisseurin Laurie Lasalle begleitet eine Kommune, die zum Erhalt der Biodiversität den Bau eines Flughafens erfolgreich verhindern konnte. Dies ist jedoch keinesfalls das Ende der Geschichte: Selbst nachdem 2018 das Bauvorhaben von der Regierung aufgegeben wurde, ist die Staatsgewalt allgegenwärtig und droht das solidarische Miteinander in dieser Region zu zerschlagen. In Zeiten ökologischer Dystopien schenkt dieser Film dem entschlossenen Widerstandswillen der Aktivisten und Aktivistinnen seine klare Sympathie.

Auch Constanze Ruhms Essayfilm IT IS AT THIS POINT THAT THE NEED TO WRITE HISTORY ARISES (AT/ PT 2024) ist vom Geist des Widerstands erfüllt. Zusammen mit einigen Mitstreiterinnen begibt sich die Regisseurin auf die Suche nach einer alternativen Geschichtsschreibung. Mit eindrucksvollen Bildern wandert ihr Film durch die Zeit und bringt in sinnlichen Reenactments das Wirken von protofeministischen Gruppen im Laufe der Geschichte wieder zum Vorschein. Ein Film, der gleichermaßen dazu anregt, die Vergangenheit zu erforschen und bestehende Geschichtsschreibung zu hinterfragen.

Zurück in die Gegenwart reißt uns Brandon Kramers zutiefst persönliche Dokumentation HOLDING LIAT (USA 2025). Dieses Werk dokumentiert das Schicksal einer Familie innerhalb des Israel-Palästina-Konflikts. Liat und ihr Ehemann Aviv gelten seit dem 7. Oktober 2023 als vermisst und werden als Geiseln der Hamas vermutet. Der Film bezeugt den Umgang von Liats Verwandtschaft in in den damaligen Zeite von politischer Spannung und Ungewissheit. Ihr Vater Yehuda und ihr Sohn Netta reisen bis nach Washington, um sich für Empathie und Versöhnung beider Seiten einzusetzen. Ein ergreifender und doch universeller Dokumentarfilm, der besonders mit Hinblick auf die Entwicklung des Konflikts brandaktuell bleibt.

Ein persönliches Schicksal bestimmt auch die Handlung des nächsten Films. Im Figurendrama SORRY, BABY (US 2025) offenbart der Besuch von Agnes bester Freundin Ihre eigene traumatische Vergangenheit. Die nichtbinäre US-Blogger:in Eva Victor spielt die Hauptrolle im eigenen Regiedebüt mit emotionaler Tiefe und Humor. Ein Film über das utopische Potenzial von Freundschaft, über einen emanzipatorischen Umgang mit sexualisierter Gewalt, über Wege des Heilens und Formen des Einstehens: füreinander und für sich selbst.

Eine abschließende Empfehlung geht an das Drama SUÇUARANA (BR 2024) des Regie-Duos Clarissa Campolina und Sérgio Borges. In diesem Film begibt sich Dora, zusammen mit einem streunenden Hund, auf die Suche nach dem mythischen Ort Suçuarana. Sie lebt im ständigen Aufbruch, doch als sie Zeuge eines Übergriffs wird und im Anschluss auf eine Gruppe von Arbeitern stößt, zieht sie das erste Mal in Betracht, zu bleiben. Gemeinsam leben sie nach solidarischen Prinzipien. Im Kleinen scheint ein utopischer Gegenentwurf zur kapitalistischen Ausbeutungslogik möglich, doch Dora zieht es wieder auf die Straße. Obgleich es ein Ort oder eine Gemeinschaft ist, selbst die Utopie wandelt sich stets.
Ausstellungen, Lesung und Diskussion

Ausstellungen, Lesung und Diskussion

© exground filmfest

Wie in den Jahren zuvor bietet das exground filmfest ein umfangreiches Rahmenprogramm zum Themenschwerpunkt an. Vom 15. November, ab 18.00 Uhr, bis zum 23. November wird eine preisgekrönte Foto-Ausstellung im Murnau-Filmtheater präsentiert. In ihrer Bilderreihe „Underneath the Calm Streets of Iran“ porträtiert die Fotojournalistin Forough Alaei den Widerstand gegen vorherrschende gesellschaftliche Zwänge im Iran. In satten Farben fängt sie in ihren Fotografien das Schaffen von Frauen ein, die mit Ihrer Arbeit, sei es als Motorradfahrerin oder als Mechanikerin, die patriarchalen Normen des Irans aufbrechen und zum gesellschaftlichen Wandel beitragen. Der Eintritt zur Ausstellung ist frei!

Auch die Kooperation mit dem Nassauischen Kunstverein Wiesbaden (nkv) wird in diesem Jahr fortgesetzt. So präsentiert exground filmfest im Rahmenprogramm Werke der georgischen Videokünstlerin Tekla Aslanishvili unter dem Titel SCENES FROM TRIAL AND ERROR, die vom 17. Oktober 2025 bis zum 11. Januar 2026 im nkv zu sehen sind. Die von der Videonale.18 besonders hervorgehobene Ausstellung dokumentiert die Zustände innerhalb der gescheiterten Stadt der Zukunft, Anaklia. Das unter anderem wegen Geldwäschevorwürfen geplatzte Bauvorhaben der georgischen Stadt Anaklia wird von Tekla Aslanishvili in ambivalenter Weise aufgearbeitet. In dokumentarischem Modus lässt sie verschiedene Stimmen innerhalb des Projekts zu Wort kommen und offenbart, weshalb die Bau-Utopie am Schwarzen Meer zerfiel, bevor sie überhaupt realisiert werden konnte.

Neben Filmen und Fotos ist auch Literatur ein langjähriger Begleiter des exground filmfest. Im Literaturhaus Villa Clementine findet am Freitag, 21. November, um 19.30 Uhr Sascha Rehs Lesung aus dessen Roman „Biotopia“ statt. Das Gespräch wird von Dr. Viola Bolduan moderiert – und vom Förderverein Wiesbadener Literaturhaus Villa Clementine e.V. in Kooperation mit exground filmfest organisiert. Der vielfach ausgezeichnete Autor erforscht in seinem Science-Fiction-Roman die Zustände in der gemeinschaftsorientierten Vertikalfarm Biotopia. Hinter der Fassade des ökologischen Paradieses scheint sich jedoch weitaus mehr zu verbergen als zunächst angenommen. In einem spannungsgeladenen dystopischen Szenario denkt Sascha Reh Entwicklungen unserer Gegenwart und die Auswirkungen der technologischen Fremdsteuerung auf den einzelnen Menschen konsequent zu Ende.

Zur Reflexion der gesammelten Eindrücke bietet sich das PANEL ZUM THEMENSCHWERPUNKT MUT ZUR UTOPIE an, das am Samstag, 22. November, um 15 Uhr im Murnau-Filmtheater stattfindet. Welche utopischen Potenziale stecken in filmischen Erzählungen? Wie wird über sie gesprochen? Mit welchen ästhetischen Mitteln lassen sich Zukunftsentwürfe und bereits real gelebte Utopien darstellen? Warum haben dystopische Szenarien derartige Hochkonjunktur, und wo verstecken sich vielleicht die positiven Entwürfe in anderen Ausdrucksformen? Darüber sprechen Amos Borchert, Kurator des Themenschwerpunkts „Mut zur Utopie“, und der Kunstwissenschaftler und Kunsttheoretiker Sebastian Mühl („Utopien der Gegenwartskunst“, 2020) mit einigen Filmschaffenden aus der Sektion.
Der Eintritt zum Panel ist frei!

 

Programm  und Tickets

Das vollständige Programm des Festivals ist ab 29. Oktober 2025 unter www.exground.com. sowie unter Focus-Programm zu finden. Tickets für den Besuch im Kino gibt es ebenfalls ab 29. Oktober 2025 über die Homepage www.exground.com, bei der Tourist Information am Marktplatz 1 oder während des Festivals vor Ort.