Der Countertenor Andreas Scholl und die israelische Pianistin Tamar Halperin aus Kiedrich wurden gestern Abend im Rahmen einer sehr berührenden Feier mit Geburtstagstorte, Stofftier und Familienunterstützung im Kurhaus Wiesbaden von Ministerpräsident Volker Bouffier mit dem Hessischen Kulturpreis 2016 ausgezeichnet. Mit 45.000 Euro ist die Auszeichnung der höchstdotierte Kulturpreis der Bundesrepublik Deutschland. Er wird in diesem Jahr zum 34. Mal durch die Hessische Landesregierung vergeben.
Volker Bouffier, sichtlich besorgt über die aktuelle Entwicklung in der Türkei „auf einem Weg in die Diktatur“, unterstrich, welche besondere Rolle der Kultur, der Musik, „wie Sie beide sie seit Jahren auf den Bühnen der Welt machen“, als Brückenbau zwischen Nationen, Weltanschauungen und Religionen zukomme. Es gebe kaum etwas, das Menschen unterschiedlicher Sprachen und Kulturkreise so zusammenführen könne wie Musik, sogar Epochen übergreifend, wie sich am Beispiel der Barockmusik zeige. Obwohl drei- bis vierhundert Jahre seit ihrem Entstehen vergangen seien, berühre und fasziniere diese Musik Menschen heute genauso wie einst, so Bouffier. Andreas Scholl und Tamar Halperin seien durch ihr großes internationales Ansehen herausragende und charmante Botschafter für Hessen und trügen „zum guten Ruf unseres Landes bei“, sagte der Laudator.
Mit einer reizvollen Kostprobe ihres Könnens dankte das international renommierte Kiedricher Künstlerpaar durch eine musikalische Gegenüberstellung von Johannes Brahms „In stiller Nacht“, zunächst in einer Vertonung des Weltmusikers Idan Reichel, und – unterbrochen durch das Lied „King Henry“ (English Folksong) – in der Originalfassung.
Michael Herrmann, Intendant des Rheingau Musik-Festivals und Kuratoriumsmitglied des Hessischen Kulturpreises, würdigte in seinem anschließendem Epilog „Ansichten und Einblicke eines Intendanten“ das Künstlerpaar als kulturelle Grenzüberschreiter und Brückenbauer, wovon auch das Rheingau Musik Festival immer wieder profitiere. Dass seine Beziehung zu dem Kiedricher Künstlerehepaar, das 2015 auch den Rheingau-Musikpreis erhalten hatte, keine bloße „Arbeitsverbindung“ darstelle, zeigte sich einmal mehr, als Herrmann – nur für Insider verständlich – das Stofftier „Lady Schnatterly“ den Eltern Tamar Halperin und Andreas Scholl für Töchterchen Alma (2015 geboren) vom Rednerpult aus zuwarf.
Es folgten weitere Stücke aus dem hochkarätigen Repertoire, darunter Tamar Halperins Komposition über J.S. Bach „Baustelle“ und Sasha Argovs Lied „Shier Erez“. Den verbalen Part der Pianistin mussten dabei deren aus Israel angereiste Familie übernehmen, da ein Grippe-Infekt der Pianistin und Cembalistin die Stimme geraubt hatte.
Trotz Stimmausfall lies es sich Tamar Halperin nicht nehmen, nach den bewegenden Dankesworten ihres Mannes, doch noch ein paar Wortes des Dankes zu finden für den Preis, die Unterstützung ihrer Familie und ihr große Glück, diese Musik machen zu dürfen. Andreas Scholl hatte aus dem Stehgreif heraus bewegende Worte gefunden über seine Erfahrung, wie Musik positiv und erfüllend auf Menschen wirke. Musik habe auf Menschen eine beglückende Wirkung. Sie erhelle unsere Seelen und fördere positive Emotionen.
Würden Menschen beispielsweise missgelaunt und gestresst zu einem Konzert hinfahren, kämen sie nachher freudig und mit einem Strahlen in den Augen wieder heraus. Durch Musik würden sie mit positiver Energie aufgeladen. Diese positive Energie strahlten sie auf andere ab. Musiker, wie er und seine Frau, seien damit beauftragt, mit Musik diese positive Energien zu erzeugen und in die Welt zu tragen, weil sie ansteckend seien und dazu beitrügen, dass Menschen miteinander glücklich seien. Als musikalischer Botschafter seines Heimatlandes sehe er den Preis daher vor allem auch als „Ansporn“, weiterhin aktiv in die Gesellschaft hineinzuwirken.
In diesem Geiste gibt das Künstler-Paar am 13. November in der Wiesbadener Lutherkirche ein Benefizkonzert zugunsten des Bärenherz-Kinderhospizes.
Diether v. Goddenthow (Rhein-Main.Eurokunst)
Zu den Preisträgern:
Andreas Scholl wurde 1967 in Eltville geboren. Mit sieben Jahren wurde er Mitglied bei den Kiedricher Chorbuben. Nachdem seine außergewöhnliche Musikalität entdeckt worden war, nahm er eine Ausbildung an der Schola Cantorum Basiliensis in der Schweiz auf. Heute ist er dort selbst als Dozent tätig. „Andreas Scholl ist ein herausragender Sänger, der sein Publikum mit seiner außergewöhnlichen Interpretationskunst und seiner klaren Stimme bezaubert. Als Countertenor hat er international Karriere gemacht und singt in großen und bedeutenden Konzertsälen“, würdigte der Ministerpräsident den Künstler.
Tamar Halperin wurde 1976 in Israel geboren. Sie erhielt ihre Ausbildung an der Universität von Tel Aviv, der Schola Cantorum Basiliensis in Basel und der Juilliard School in New York. Dort promovierte sie 2009 über Johann Sebastian Bach. Ihr Repertoire umfasst Musik aus fünf Jahrhunderten. „Tamar Halperin sucht immer wieder Wege, die Konventionen des klassischen Konzerts aufzubrechen. Dadurch hat sie einen eigenen Weg gefunden, den Menschen die Musik näherzubringen. Tamar Halperin wollte als Jugendliche eigentlich lieber Tennisprofi werden, hat sich dann aber – zu unserer aller Glück – auf die Musik konzentriert.
Der Hessische Kulturpreis und sein Kuratorium
Der Kulturpreis wurde in Anerkennung besonderer Leistungen in Kunst, Wissenschaft und Kulturvermittlung das erste Mal 1982 verliehen. Dazu gehören neben der Literatur auch bildende Künste, Musik, Film, Wissenschaft und Architektur. Der oder die Preisträgerinnen und Preisträger werden von einem Kuratorium ausgewählt. Im Kuratorium, dessen Vorsitz der Hessische Ministerpräsident innehat, sind neben dem Hessischen Minister für Wissenschaft und Kunst, Boris Rhein, folgende Persönlichkeiten vertreten:
- Jürgen Engel, Architekt, Frankfurt am Main
- Susanne Gaensheimer, Kuratorin und Direktorin des Museums für Moderne Kunst in Frankfurt
- Michael Herrmann, Intendant Rheingau Musik-Festival
- Bernd Leifeld, ehemaliger Geschäftsführer der documenta und Museum Fridericianum Veranstaltungs-GmbH
- Michael Quast, Schauspieler, Kabarettist, Regisseur
- Hans Sarkowicz, Leiter Ressort hr2 Kultur und Bildung
- Dr. Gerhard Stadelmaier, ehemaliger Redakteur und Theaterkritiker im Feuilleton der FAZ
- Prof. Birgitta Wolff, Präsidentin der Goethe-Universität Frankfurt am Main
Eine Liste der bisherigen Kulturpreisträgerinnen und -träger finden Sie hier: hessischer-kulturpreis-preistraeger