Mehr Tempo – Langsamkeit darf nicht Demokratie gefährden – Wiesbadener Sommerabend der Wirtschaft

Sommerabend der Wirtschaft Wiesbaden am 2.08.2025 Schloss Biebrich. © Foto Diether von Goddenthow

Vor herrlicher Biebricher Schlosskulisse feierten am 2. August 2025 rund 700 Gäste aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Medien in Wiesbaden den Sommerabend der Wirtschaft. Gastgeber waren die Industrie- und Handelskammer (IHK), die Handwerkskammer (HWK) Wiesbaden sowie die VRM (Verlagsgruppe Rhein Main), zu der auch der Wiesbadener Kurier gehört. Ehrengast war der Hessische Wirtschaftsminister Kaweh Mansoori (SPD) mit klarer Botschaft: Mehr Tempo – Langsamkeit dürfe nicht die Demokratie gefährden!

Moderatorenteam Frank Kaminski und Kurier-Chefredakteur Christian Matz. © Foto Diether von Goddenthow

Vor dem Hintergrund eines Biebricher Verkehrsexperiments, das an drei Wochenenden Autos (außer Anliegern und Lieferanten) keine Zufahrt zum Schloss gewährt, begrüßten die Moderatoren des Abends, Frank Kaminski und Kurier-Chefredakteur Christian Matz, augenzwinkernd mit einem zur Frage umformulierten neuen Motto: „Wie schaffen wir eine Großveranstaltung hier am Schloss – trotz Sperrung der Zufahrtsstraßen?“, um flugs festzustellen: „Sie sind alle da – erste Prüfung bestanden! Es läuft!“

Jedoch sei aus dem Rathaus wohl hörbares Aufatmen zu vernehmen: „Endlich sind mal nicht die Baustellen schuld, sondern der Ortsbeirat.“ Allgemeine Heiterkeit – dem setzten sie noch eins drauf: Falls das Experiment scheitere, gebe es immerhin einen Plan B: „Per Schiff kommt man auch ganz gut nach Biebrich.“ Besser konnte die Stimmung nun nicht mehr werden.

Gespräche mit den Gastgebern

Im Gespräch: die Gastgeber des Sommerabends der Wirtschaft (v. l.): VRM-Geschäftsführer Joachim Liebler, HWK-Präsident Stefan Füll und IHK-Präsident Jörg Brömer signalisieren mit Emojis ihre Einschätzung der Stimmung in der Wirtschaft. © Foto Diether von Goddenthow

Allerdings war nicht Comedy angesagt, sondern Netzwerken und ein Austausch über die – nicht so rosige – Lage der heimischen Wirtschaft. Zur Einstimmung gab’s den traditionellen Talk mit den Gastgebern: IHK-Präsident Jörg Brömer, HWK-Präsident Stefan Füll und VRM-Geschäftsführer Joachim Liebler. Die erste Frage an alle drei lautete, wie sie die aktuelle Stimmung in ihren Branchen einschätzen und die jüngsten Entwicklungen bewerten. Passend dazu konnten sie ihre Antwort nicht nur in Worten, sondern auch optisch mit einem von drei Emojis – heiter, neutral oder skeptisch – zum Ausdruck bringen.

Wirtschaft durchwachsen – zarte Anzeichen eines Aufschwungs

IHK-Präsident Brömer © Foto DvG

IHK-Präsident Brömer sagte, dass das Geschäftsklima im IHK-Bezirk Wiesbaden leider durchweg durchwachsen sei. Die globalen Unsicherheiten machten sich eben auch in Wiesbaden bemerkbar, insbesondere in der exportorientierten Industrie gebe es Probleme. Sorgenkind bleibe weiterhin der Einzelhandel. Aber: „Wir sehen zarte Anzeichen eines Aufschwungs und hoffen, dass die Dynamik in den nächsten Monaten zunimmt. Deswegen ein gelbes Emoji in Richtung grün (skeptisch).“
Von der Politik wünsche er sich vor allem „Verlässlichkeit, Vernunft und Vertrauen. Verlässlichkeit bei Gesetzen, Energiepolitik und Infrastruktur. Vernunft beim Umgang mit Mitteln, realistische Gestaltung von Transformationen wie der Energiewende – und Vertrauen in die Wirtschaft. Unternehmen leisten viel und übernehmen Verantwortung – nicht alles muss reguliert werden“, so Brömer.

 

Bürokratie darf nicht Generationenwechsel bremsen

HWK-Präsident Füll © Foto DvG

HWK-Präsident Füll konnte sich seinem Kollegen Brömer nur anschließen: „Es kann eigentlich nur besser werden!“. Besonders beschäftige das Thema Entbürokratisierung das Handwerk sehr. Die überborende Bürokratie „lähmt viele Unternehmen. Besonders vor dem Hintergrund des anstehenden Generationswechsels in den Betrieben ist das problematisch: Viele junge Menschen schrecken davor zurück, einen Betrieb zu übernehmen, weil sie befürchten, mehr Zeit mit Bürokratie als mit ihrer eigentlichen Arbeit zu verbringen – der Arbeit, für die sie brennen. Hier müssen wir dringend ansetzen.“, warnte Füll. Genauso wichtig sei es, dass die Mittel für Bildungspolitik und Bildungszentren nicht gekürzt werden. „In den kommenden Jahren müssen wir gerade in diesem Bereich investieren, denn viele Berufe stehen vor tiefgreifenden Veränderungen.“ Um die bevorstehende Transformation zu bewältigen brauche „das Handwerk eine starke Bildungsbasis – und wir sind dankbar, wenn der Staat uns hierbei unterstützt.“, sagte Füll.

Faire Rahmenbedingungen

VRM-Geschäftsführer Liebler © Foto DvG

VRM-Geschäftsführer Liebler hatte gleich alle drei Emojis hochgehalten, was der Komplexität der Lage im Medienbereich geschuldet sei: Denn für „gut aufgestellte Verlagsgruppen wie die VRM gilt: Uns geht’s gut. Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht, eine klare Strategie entwickelt – ‚raus aus Print, rein ins Digitale‘ – und uns personell solide aufgestellt. Wir sind breit diversifiziert und müssen vor Printrückgängen keine Angst mehr haben.“
Aber innerhalb der Branche sehe es anders aus – vor allem kleinere und mittlere Verlage gerieten zunehmend unter Druck. „Es fehlen Investitionsspielräume und qualifizierte Fachkräfte. Ich rechne mit einem starken Konzentrationsprozess: Kleine Verlage werden von großen übernommen oder müssen sich eng anlehnen.“ Das sorge zudem für berechtigte Sorgen um Meinungsvielfalt und Lokaljournalismus. Ein Beispiel: „Ein Verlagshaus in der Nähe hat im Frühjahr Insolvenz angemeldet – ohne Käufer. Da werden jetzt die letzten wertvollen Teile herausgerissen. Deshalb mein Fazit: Die Stimmung ist sehr heterogen – gäbe es zwölf Emojis, hätte ich zwölf Geschichten“, so Liebler, der sich von der Politik faire Rahmenbedingungen wünsche.
Während beispielsweise in Europa Facebook, WhatsApp und Instagram kaufen durfte und angeblich keine monopolistische Strukturbildung gesehen wurde, werde das völlig anders beurteilt, wenn VRM einen kleinen Verlag übernehmen wolle. „Da geht es um 26 überschneidende Adressen, und es könnte ja sein, dass man diesen 26 Adressen die Wahl nimmt, sich zwischen der Zeitung A oder B entscheiden zu müssen“, ärgert sich Liebler darüber, dass diese Übernahme das Kartellrecht noch untersage.

 Die Priorität muss auf Tempo gesetzt werden – Langsamkeit dürfte nicht Demokratie gefährden

Hessische Wirtschaftsminister Kaweh Mansoori mit klarer Botschaft: Mehr Tempo – Langsamkeit dürfe nicht die Demokratie gefährden! © Foto Diether von Goddenthow

Anschließend begrüßten Kaminski und Matz den Ehrengast des Abends, den Hessischen Minister für Wirtschaft, Energie, Verkehr und den ländlichen Raum, der mit klaren Botschaften „Bürokratieabbau“ und „aufs Tempo drücken“ gekommen war.
Auf die Frage, welche Signale er den drei Unternehmern geben könne, ging Wirtschaftsminister Kaweh Mansoori zunächst auf das Thema Bürokratie ein. Es reiche nicht aus, in Wahlkämpfen immer wieder den Abbau von Bürokratie zu versprechen. „Jetzt ist es an der Zeit, das auch tatsächlich zu tun.“

Es ist höchste Zeit, die Prioritäten neu festzulegen

Als Beispiel, wie das gelingen könne, nannte er die vor fünf Tagen im Odenwald erfolgte Sprengung der Zeller Brücke. „Von der Planung bis zur Sprengung vergehen normalerweise drei Jahre – ich habe das in drei Monaten gemacht!“ Nicht nicht alles von dem, was wir hier gemacht haben, so der Wirtschaftsminister, ließe natürlich sich eins zu eins auf andere Baustellen übertragen. Im Fall der Zeller Brückensprengung habe man „teilweise in doppelter Besetzung“ gearbeitet und er hab „die erfahrensten Leute von Hessen Mobil auf dieses Projekt angesetzt“ „Üblicherweise beginnt man im Baufeld erst einmal damit, die Tiere zu zählen – also eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen. Das haben wir hier nicht gemacht, wir haben eine Ausnahmegenehmigung erteilt“, so Mansoori. „Normalerweise führen Sie für so eine Brücke ein Planfeststellungsverfahren durch. Das haben wir hier nicht gemacht. Und ich finde, es ist jetzt an der Zeit, die Prioritäten neu festzulegen: Angesichts des Sanierungsstaus, über den wir in Deutschland sprechen, muss die Priorität auf Tempo gesetzt werden.“, so der Wirtschaftsminister, und stellte fest: „Genau das erfüllen wir hier gerade – wir lassen Pragmatismus walten. Und dieses Tempo spüren die Menschen im Odenwald jetzt. Das will ich auch in ganz Hessen.“

Ob das „das neue ‚Odenwaldtempo“ sei, fragte Moderator Kaminski. Mansoori bekräftigte: „Ja, es ist höchste Zeit, die Prioritäten neu festzulegen. Angesichts des Sanierungsstaus, über den wir in Deutschland sprechen, muss die Priorität auf Tempo gesetzt werden.“

Impression des Sommerabends der Wirtschaft am 2.08.2025 im Biebricher Schlosspark. © Foto Diether von Goddenthow

Langsamkeit darf nicht zur Gefahr für die Demokratie werden
„Die Dinge dauern in Deutschland viel zu lang“, so der Hessische Wirtschaftsminister, der als Beispiel das seit 60 Jahren andauernde Nachdenken über den Frankfurter Riederwaldtunnel nannte. „60 Jahre! Diese Dinge müssen zu Lebzeiten fertig werden, weil die Leute irgendwann anfangen, sich die Frage zu stellen, ob nicht möglicherweise der demokratische Rechtsstaat ein Teil des Problems ist. Ich halte das für brandgefährlich. Deswegen müssen wir es unter den Voraussetzungen des demokratischen Rechtsstaats hinbekommen, schneller zu werden.“ Mansoori erinnerte daran, dass er bereits als Bundestagsabgeordneter an zahlreichen Beschleunigungsverfahren mitgewirkt habe.
Weitere Themen, die er immer wieder auch bei seinen Unternehmensbesuchen höre, seien „überbordende Bürokratie, zu hohe Energiekosten, fehlende Arbeits- und Fachkräfte und neuerdings immer häufiger auch der erschwerte Zugang zu investiven Mitteln, um die Modernisierung des eigenen Betriebs voranzubringen. Alles vier Themen, an denen ich auch als Wirtschaftsminister arbeite.“

Netzwerken

„Pure Deluxe“ sorgte beim Sommerabend der Wirtschaft am 2.8.2025 im Biebricher Schlosspark für die musikalischen Umrahmung. © Foto Diether von Goddenthow

Der anschließende Abend, musikalisch angenehm umrahmt von „Pure Deluxe“, gehörte dem Netzwerken vor der traumhaften Kulisse des Biebricher Schlosses und einem ansprechenden Buffet. Ein kulinarisches Highlight war die „Wiesbadener Handkäsbratwurst“. Und allen Regenwetterprognosen zum Trotz mussten die zu Beginn ausgegebenen Regencapes nicht angelegt werden – es blieb trocken und relativ mild, so wie man es eben von einem Sommerabend erwartet.

(Diether von Goddenthow/RheinMainKultur.de)