Auch beim diesjährigen Jahresempfang der rheinland-pfälzischen Wirtschaft am 7. Februar 2017 in der Rheingold-Halle zu Mainz gab die Publikumskulisse von mehreren tausend mittelständischen Unternehmen der 13 gastgebenden Institutionen wieder ein eindrucksvolles Bild international ausgerichteter, prosperierender Wirtschaftskultur.
Retrospektiv und prospektiv gibt es viel Positives über die – vor allen vom Export geprägte – Wirtschaftsentwicklung zu berichten. Die Auftragsbücher seien (noch) gut gefüllt. Nie ging und geht es der Region wirtschaftlich so gut wie heute, wenn auch die Lage in einzelnen Branchen unterschiedlich zu bewerten sei. Selbst die große Herausforderung der Flüchtlingsunterbringung habe in einigen Branchen für steigende Umsatzzahlen und somit für einen zusätzlichen Wachstumsschub gesorgt. Doch trotz aller Zuversicht und guten Gründe zum Feiern, gibt es auch Wermutstropfen und zahlreiche Sorgen, insbesondere im Hinblick auf die extrem lockere Geldpolitik der EZB und in Anbetracht von Brexit, Trump, Infrastrukturdefiziten, demografischem Wandel und, wie ein Gast sagte, einem Götterdämmerung ähnlichen, erstarkenden Populismus, inbesondere mit Blick auf US-Amerika.
„Das Jahr 2017 ist wieder eines, das viele Veränderungen bringen wird (…) zumindest die absehbaren Veränderungen bergen eine große Gefahr, dass es sich nicht zum Besseren entwickelt.“ warnte Hans-Jörg Friese, Präsident der Handwerkskammer Rheinhessen, bei seiner Eröffnungsrede im Namen von IHK, der Freien Berufe und seiner Kammer. Laut Ankündigung des neuen US Präsidenten, würden sich wohl die USA von vielen etablierten Verfahrensabläufen der internationalen Politik verabschieden. Und es wäre noch nicht absehbar, was“ dies für den weltweiten Klimaschutz, die internationale Zusammenarbeit und auch für die Weltwirtschaft bedeutet“, so Friese. Als weitere Sorgenknackpunkte mahnte der Handwerkspräsident intakte Verkehrswege an. Das Verkehswegenetz sei in desolatem Zustand, wobei entsprechende Investitionen nicht an der mittelständischen Bauwirtschaft vorbeifließend dürften. Deutschland brauche endlich auch ein Glasfasernetz, ansonsten verlöre die Wirtschaft – im wahrsten Wortsinne – den Anschluss an die europäischen und weltweit agierenden Spitzenländer.
Sorgen bereite der Wirtschaft auch die demografische Entwicklung. Das Erwerbspersonenpotenzial sinke, so der HWK-Präsident, während die Ausgaben der gesetzlichen Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung weiter wüchsen. Daher sei kein Spielraum für weitere Leistungsausweitungen gegeben. Es gelte stattdessen, die Sozialversicherungsbeiträge bei unter 40 Prozent zu halten und bei Reformen sich am Grundsatz der Beitragssatzstabilität zu orientieren.
Friese warnte zudem, die Europäische Währungsunion zu einer Haftungs- und Transferunion werden zu lassen und teilte einer Vergemeinschaftung der Einlagensicherung oder der Schaffung einer europäischen Arbeitslosenversicherung eine klare Absage. Denn Handlung und Haftung gehörten zusammen: Hierzu müsse ein Insolvenzmechanismus für Staaten entwickelt werden, so Friese.
Die vollständige Rede von Hans-Jörg Friese
Dr. Andrea Benecke, Vizepräsidentin der Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz, ging nach ihrem Dank, im Namen der 13 Veranstalter des Jahresempfangs sprechen zu dürfen, in ihren Grußwort auf die Bedeutung der Arbeit der rund 1800 von ihrer Kammer vertretenden approbierten Psychologischen Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten ein: „Wir werden vor allem dann gebraucht, wenn es im Leben mal nicht so rund läuft, wenn chronische Überlastung depressiv macht, wenn Menschen sich aufgrund des Verlustes ihres Arbeitsplatzes wertlos fühlen oder wenn schwere Traumata bewältigt werden müssen – um nur einige Beispiele zu nennen.“ Eine starke Gesellschaft ließe auch Menschen, die zeitweise schwach seien, nicht fallen, so Dr. Benecke weiter. In einer starken Gesellschaft müssten Menschen eine psychische Erkrankung vor ihrem Arbeitgeber nicht verheimlichen, sie könnten offen darüber mit ihren Kollegen und mit ihrem Chef sprechen. Eine starke Gesellschaft unterstütze, wo es dringend notwendig sei und ziehe sich dann wieder zurück, wenn die Hilfe nicht mehr gebraucht würde, sagte Dr. Benecke.
Besorgt äußerte sich die Vizepräsidentin jedoch über die niedrigzins bedingte schwierige Lange der berufsständischen Versorgungswerke. Diese gehörten neben der Beamtenversorgung und gesetzlichen Rentenversicherung zur ersten Säule der Altersabsicherung von Freiberuflern in einem kammerfähigen Beruf wie: Ärzte, Rechtsanwälte, Psychotherapeuten, Apotheker, Ingenieure, Architekten u. Steuerberater. Die Versorgungswerke der genannten Freiberufler-Gruppen funktionierten nach dem Kapitalbildungsprinzip: Jeden Monat würde ein einkommensabhängiger Betrag an das Versorgungswerk gezahlt. Dieses Geld werde fest angelegt und nach Eintritt in den Ruhestand samt Zinsen zurückgezahlt. Der Rechnungszins bezeichnete dabei den Ertrag, der aus dem bereits angesammelten Vermögen, aus den zukünftigen Beiträgen und den wiederangelegten Vermögenserträgen nachhaltig erwirtschaftet werden müsse, um die Alters-, Hinterbliebenen- und Berufsunfähigkeitsrenten erfüllen zu können. Der garantierte Rechnungszins lag in den letzten Jahren bei vielen Versorgungswerken zwischen 3,5 und 4 %. Doch die Auswirkungen der Finanzkrise und das Niedrigzinsumfeld stellten die Versorgungswerke vor große Herausforderungen. Immer mehr Versorgungswerke könnten ihr selbst gesetztes Zins-Ziel nicht halten. Das könne gravierende Folgen haben: Die Landesärztekammer und die Rechtsanwaltskammer für den OLG-Bezirk Koblenz wiesen deswegen mit Sorge bereits darauf hin, dass Versorgungseinrichtungen künftig nur mit höheren Risiken eine auskömmliche Rendite im Bereich des Rechnungszinses erreichen könnten, so Dr. Benecke.
Eine weitere Sorge neben den Folgen des anhaltenden Niedrigzinsniveaus für die Mitglieder der Versorgungswerk sei, dass einige Kammern um ihre Selbstverwaltung und Freiberuflichkeit fürchteten, wobei sie auf eine Urteil des Europäischen Gerichtshofes hinwies, welches ausländische Arzneimittelversender von der Preisbindung auf Medikamente befreite und für die örtlichen Apotheken existenzgefährdend sei.
Aber nicht nur im Bereich der Finanzen, Stichwort Negativzinsen, scheine die Welt Kopf Kopf zu stehen. Auch in vielen anderen Bereichen, sei das, was uns über viele Jahre verlässlich schien, nun nicht mehr so. Die Weltordnung sei aus den Fugen und viele Menschen häben Angst vor der Unsicherheit, die eine zusammenwachsende Welt mit sich bringe. „Um Angst zu reduzieren“, so Dr. Benecke, „wäre es wichtig, dass man sich zumindest auf Tatsachen und Fakten noch verlassen kann – aber auch diese sind ist nicht mehr eindeutig. Da gibt es Politiker, die postfaktisch die jeweilige Gefühlslage als Wahrheit verkaufen und andere, die flugs sogenannte alternative Fakten in die Welt setzen. Dabei gibt es dafür ein klares deutsches Wort: Lügen. Was kann noch geglaubt werden? Mein Appell an uns alle lautet: Mühen wir uns um die Wahrheit, gerade wenn sie kompliziert ist. Sagen wir sie laut und werden wir dabei nicht müde. So kann man Unsicherheit begegnen.“, empfahl die Psychologische Psychotherapeutin abschließend.
Die vollständige Rede von Dr. Andrea Benecke
Bereits zu Beginn ließ der Hauptredner des Abends Dr. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank, keinen Zweifel daran, den Anwesenden nicht ihre Zukunftsungewissheit ein wenig nehmen zu können. Im Gegenteil: Mervyn King, den früheren Gouverneur der Bank of England, zitierend, stellte Weidmann fest, dass nur wenige Menschen tapferer seien als jene, die sich die Rede eines Notenbankers anhörten. Umso mehr freue er sich, dass es in Mainz und Umgebung so viele tapfere Seelen gäbe. Starke Nerven waren denn auch beim mittelfristigen Ausblick des Bundesbankpräsidenten auf die wirtschaftlichen Entwicklungen Deutschlands gefragt. Nach Darlegung des bislang soliden Aufschwungs, der wachsenden Exporte und der hohen Exportüberschüsse usw. entwarf Weidmann angesichts des bevorstehenden harten Brexits mit noch nicht absehbaren Folgen, die unsichere Lage in den USA und der unverantwortlichen extremen Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank, ein gar nicht so rosiges Zukunfts-Szenario.
Wörtlich sagte der Bundesbanker: „Bei allem Konjunkturoptimismus sollte nämlich eines nicht vergessen werden: So rosig sind die langfristigen Wirtschaftsaussichten für Deutschland nicht, Deutschland bleibt hinter seinen Möglichkeiten zurück. Einer Langzeitvorausschätzung der OECD zufolge wächst bis zum Jahr 2060 kein bedeutendes Industrieland so langsam wie Deutschland.
Das liegt nicht zuletzt am demografischen Wandel. Der trifft Deutschland besonders hart. Bereits heute erreichen jedes Jahr 200.000 mehr Erwerbstätige das Rentenalter als Junge in den Arbeitsmarkt eintreten.
Wenn auch der starke Zustrom von Flüchtlingen den Arbeitsmarkt momentan von den Auswirkungen der Demografie abschirmt, wird sich der negative Einfluss des demographischen Wandels in Zukunft noch verstärken. Der altersbedingte Rückgang der Erwerbspersonen kann nur kompensiert werden, wenn mehr Menschen eine Beschäftigung aufnehmen und wir bei steigender Lebenserwartung auch länger arbeiten.
Doch selbst pro Kopf gerechnet wachsen die meisten OECD-Länder und Schwellenländer schneller als Deutschland. Die Politik ist also in der Verantwortung, durch die richtigen Weichenstellungen in der Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik für ein höheres, nachhaltiges Wachstum zu sorgen.
Neben dem demografischen Wandel, der Integration der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt und dem schwachen Wachstumstrend stehen wir jedoch noch vor weiteren wirtschaftspolitischen Herausforderungen. Hier denke ich insbesondere an die Digitalisierung, die ganze Branchen umwälzen wird, und die Energiewende, deren Ausgestaltung darüber bestimmt, ob Energie bezahlbar bleibt.“
Die vollständige Rede von Dr. Jens Weidmann
Nach einer kleinen musikalischen Erfrischung durch „Losin‘ Groove, der Big Band des Stefan-George-Gymnasiums Bingen, sprach der Präsident der Industrie- und Handelskammer für Rheinhessen, Engelbert Günster in seinem Schlusswort zur „Wettbewerbsfähigkeit durch Strukturreformen sichern“.
In eine ähnliche Kerbe verfehlter, lockerer Geldpolitik der EZB, die ja nicht zu mehr Kreditvergaben und Investitionen er Unternehmen, sondern nur zur Pflege der Staatshaushalte führte, stieß auch Dr. Engelbert J. Günster, Präsident der IHK für Rheinhessen, in seinem Schlusswort: Unter anderem sagte der Präsident: „Unlängst weist auch der IWF in seinem Bericht darauf hin, dass eine kurzfristige Stimulierung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage – sprich: durch billiges Geld – in Deutschland nicht nötig ist. Gefordert sei stattdessen eine Politik, die dazu beitrage, langfristig die Produktionskapazität und -effizienz durch Investitionen in Infrastruktur und in die Ausbildung der Beschäftigten sowie durch eine gerechte Steuerreform zu erhöhen. Sorge bereitet in diesem Kontext die Tatsache, dass die Steuerquote auf neue Rekordwerte klettert und damit natürlich die Belastung der Bürger erheblich steigt. Wenn in Zeiten niedriger Zinsen und sprudelnder Steuereinnahmen eine Entlastung nicht möglich ist, wann dann? Nur wenn die Politik substanzielle Strukturreformen auf den Weg bringt, kann die Wirtschaft dazu beitragen, die Phase niedriger Zinsen und Renditen zu überwinden und die Länder auf einen stabilen Wachstumspfad zurückzuführen. Dann kommt die Investitionsdynamik in Gang, so dass sich die Finanzmärkte aufgrund solider Ertragslagen und unternehmerischer Investitionen von selbst stabilisieren. Das haben auch Sie, Herr Dr. Weidmann, anschaulich erläutert. Dafür danken wir RheinlandPfälzer Ihnen und möchten Sie heute Abend mit dem Eindruck zurück in die Rhein-Main-Metropole verabschieden, dass Rheinland-Pfalz nicht nur geografisch im Herzen Europas ruht. Hier schlägt das Herz unserer Wirtschaft europäisch und global, und die Industrie, der Mittelstand und die Freien Berufe haben die Zukunft fest im Blick. Die rheinland-pfälzische Wirtschaft ist robust unterwegs, gerne sage ich das auch in Anwesenheit des Stellvertretenden Ministerpräsidenten und der Landespolitiker(inn)en. Doch wir brauchen gerade jetzt den vertrauensvollen Schulterschluss, um gemeinsam an der Stärkung unseres Landes und einer positiven Investitionsdynamik zu Medieninformation „Wettbewerbsfähigkeit durch Strukturreformen sichern“
Die vollständige Rede von Dr. J. Engelbert Günster
(Diether v. Goddenthow / Rhein-Main.Eurokunst)