„BECKMANN“ im Städel Museum Frankfurt vom 3. 02 2025 – 15. 03 2026

Ausschnitt aus: Max BeckmannDer Mord, 1933. Vom frühen Doppelskizzenblatt eines gewaltsam ums Leben gekommenen Mannes über die schonungslosen Darstellungen im Gemälde Die Nacht bis hin zu diesem 1933 entstandenen Aquarell – das Motiv des Mordes begleitet Beckmanns Werk als wiederkehrendes, bedrückendes Thema. © Foto: Diether v Goddenthow

Das Städel Museum Frankfurt zeigt vom 3. Dezember 2025 bis zum 15. März 2026 in der Ausstellungshalle der Graphischen Sammlung rund 80 Arbeiten von Max Beckmann. Max Beckmanns Werk entstand in einer Zeit tiefgreifender Krisen und Umbrüche – Erfahrungen, die er in eine bis heute einzigartige Bildsprache verwandelte.

Den unmittelbarsten Zugang zu seinem künstlerischen Denken eröffnen seine Zeichnungen. Wie ein visuelles Tagebuch dokumentieren sie Entwicklung, Beobachtung und Bildfindung und bilden zugleich einen eigenständigen, intimen Kosmos innerhalb seines Œuvres. Max Beckmanns Werk entsteht im Spannungsfeld einer Epoche voller Erschütterungen und Umbrüche. Kriege, politische Radikalisierung, Exil und Neuanfang prägen die Biografie eines Künstlers, der diese Erfahrungen in eine bis heute faszinierende, unverwechselbare Bildsprache übersetzt hat. Die Zeichnung bildet dabei den intimsten Kern seines Œuvres: Wie ein fortlaufendes Tagebuch dokumentiert sie seine künstlerische Entwicklung und dient ihm zugleich als Instrument der Beobachtung und Erkenntnis, als Werkzeug der Bildfindung und nicht selten der Bild-Erfindung.

Nun rückt das Städel Museum diesen Werkkomplex in den Mittelpunkt und zeigt rund 80 Zeichnungen aus allen Schaffensphasen – eine Bandbreite, die von bislang wenig bekannten Blättern bis zu zentralen Hauptwerken reicht. Sie eröffnen einen unmittelbaren, konzentrierten Zugang zu Beckmann (1884–1950), einem der bedeutendsten Künstler der Moderne.

Ausstellungsimpression „Beckmann“ vom 3. Dezember 2025 bis zum 15. März 2026 im Städel Museum Frankfurt. © Foto: Diether v Goddenthow

Dass die Schau in Frankfurt gezeigt wird, ist kaum zufällig. Das Städel Museum verfügt über einen der wichtigsten Beckmann-Bestände weltweit und widmet sich seit über hundert Jahren der Erforschung, Sammlung und Präsentation seines Werkes. 2021 wurde dieser Bestand durch bedeutende Dauerleihgaben aus der Sammlung von Karin und Rüdiger Volhard erweitert. Zusammen mit der Publikation des dreibändigen Werkverzeichnisses der schwarz-weißen Zeichnungen im Hirmer Verlag, herausgegeben von Hedda Finke und Stephan von Wiese, bildet dies den Anlass für die nun präsentierte Retrospektive.

„Max Beckmann, das Städel Museum und die Stadt Frankfurt am Main sind seit über einem Jahrhundert eng miteinander verbunden“, erklärt Philipp Demandt, Direktor des Städel Museums. Er betont, dass das Haus trotz der Verluste während der NS-Zeit heute einen Beckmann-Bestand von internationalem Rang besitzt. „Mit der aktuellen Ausstellung rücken wir nach über vierzig Jahren erstmals wieder gezielt Beckmanns Zeichnungen in den Mittelpunkt. Sie eröffnen einen eigenen, faszinierenden Kosmos seines Schaffens und machen seine künstlerische Entwicklung unmittelbar erfahrbar – nicht zuletzt dank der herausragenden Zusammenarbeit mit Hedda Finke und Stephan von Wiese.“

Die Kuratoren Regina Freyberger, Hedda Finke und Stephan von Wiese beschreiben die Rolle der Zeichnungen präzise: „Die Zeichnungen sind ein Schlüssel zu Beckmanns Werk. Zeichnend entwickelte er seine unverwechselbare Bildsprache, hielt Gesehenes und Erlebtes fest, formte seine persönliche Weltanschauung und verwandelte flüchtige Eindrücke in vielschichtige, bedeutungsgeladene Kompositionen.“ Mehr als 1.900 schwarz-weiße, nicht in Skizzenbüchern gebundene Arbeiten entstanden im Laufe seines Lebens. Die Ausstellung zeige daraus eine konzentrierte und repräsentative Auswahl, ergänzt um farbige Arbeiten, Druckgrafiken und Gemälde, die den Zeichner Beckmann mit großer Intensität fassbar machten.

Ein Rundgang durch sechs Kapitel des Schaffens

Ausstellungsimpression „Beckmann“ vom 3. Dezember 2025 bis zum 15. März 2026 im Städel Museum Frankfurt. © Foto: Diether v Goddenthow

Die Schau gliedert sich in sechs thematische Kapitel – von den frühen Jahren in Berlin bis zu Beckmanns letzten Lebensjahren in den USA. Ein ergänzendes Kabinett zeigt zudem ausgewählte druckgrafische Arbeiten.

Anfänge in Berlin
Beckmanns künstlerische Eigenständigkeit formt sich früh. 1906 erzielt er erste Erfolge in der Berliner Secession. Seine akademische Ausbildung spiegelt sich in Werken, die dem deutschen Impressionismus nahestehen – etwa im Selbstporträt von 1912 oder der Abendlichen Straßenszene (1913?). Inhaltlich sucht er das Monumentale: Historiengemälde wie die Elefantenschlacht (1908) greifen auf biblische oder mythologische Stoffe zurück.

Max Beckmann Elefantenschlacht (1908) © Foto: Diether v Goddenthow

In der Elefantenschlacht hat Beckmann mit schnellen Feder- und Pinselstrichen hier die Anlage für ein nicht ausgeführtes Historiengemälde festgehalten, erläutert der Erklärtext. Im Zentrum steht ein berittener Elefant, umgeben von einer tumultartigen Schlachtszene. Möglich ist, dass Beckmann sich an einem Motiv zu Hannibal versuchte, jenem karthagischen Heerführer, der im Zweiten Punischen Krieg mit Elefanten die Alpen überschritt. Doch im Kern ginge es ihm weniger um die historische Episode, als um das Thema der Menschenmenge im existenziellen Kampf – ein Sujet, das er in den Jahren bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs immer wieder in unterschiedlichen Varianten durchspielte, so der Infotext.

Mit dem Aufkommen des Expressionismus wendet Beckmann sich persönlicheren Erlebnissen zu. Die Skizzen zu Die Nacht (1912), die eine Gewalttat dokumentieren, gelten hier als Wendepunkt.

Der Künstler im Krieg
Zu Beginn des Ersten Weltkriegs meldet sich Beckmann freiwillig zum Sanitätsdienst – ein Schritt, der seine Kunst grundlegend verändert. Während frühe Darstellungen noch komplex komponiert sind, werden die Zeichnungen in Flandern zunehmend reduziert. Soldatenalltag, Verletzte und Zerstörung hält Beckmann in schnellen, kantigen Linien fest. Werke wie Verwundeter Soldat mit Kopfverband (1915) zeigen die physische Fragilität des Menschen, während Aufgebahrter Toter (1915) eine eindringliche Spannung aus Perspektive und Reduktion erzeugt.

Eine besondere Entdeckung stellt die nun erstmals präsentierte große Entwurfszeichnung zu Auferstehung (1915) dar, dem einzigen Ölbild, das Beckmanns Kriegserlebnisse unmittelbar aufgreift und das er niemals vollendete. In der großen Entwurfszeichnung Auferstehung von 1915/16 hält er die geplante Komposition in prägnanten, knappen Umrissen fest. Aus eigenen Kriegserfahrungen ebenso wie aus bedrückenden, albtraumhaften Vorstellungen gespeist, steigen die Toten in einer zersplitterten Landschaft aus ihren Gräbern empor.

„Operationsbasis“ Frankfurt am Main
1915 gelangt Beckmann nach Frankfurt, wo er bei seinem Studienfreund Ugi Battenberg und dessen Frau Fridel Zuflucht findet – festgehalten in der intimen Zeichnung Das Schäferstündchen (1915). Als Beckmann 1915 von Straßburg nach Frankfurt kam, so der Erklärtext, fand er bei seinem Studienfreund aus Weimarer Tagen, Ugi Battenberg, und dessen Frau Fridel Aufnahme. In ihrem Haus in der Schweizer Straße 3 boten sie ihm nicht nur Zuflucht, sondern überließen ihm auch das dortige Atelier. Die frühesten in Frankfurt entstandenen Zeichnungen zeugen von einem Rückzug ins Private. Auch das von Beckmann selbst Das Schäferstündchen betitelte Blatt widmet sich einer intimen Szene unter Freunden: Es zeigt das Ehepaar Battenberg auf der Couch, Ugi mit dem Kopf im Schoß seiner Frau – entspannt und eingeschlafen.

Hier entwickelt er eine neue Bildsprache: flächenhafte Formen, verzerrte Perspektiven und ein betont „Groteskes“, sichtbar etwa in Drei Zuschauer vor einer Bühne (1917).

Mayen Beckmann, Enkelin von Max Beckmann vor Becksmanns berühmten Werk „Selbstbildnis mit Sektglas“ (1919) © Foto: Diether v Goddenthow

Die Lithografien des berühmten Zyklus Die Hölle (1919) spiegeln eine kritische Haltung gegenüber einer aus den Fugen geratenen Gesellschaft. Die enge Verzahnung von Zeichnung, Druckgrafik und Malerei belegt das Selbstbildnis mit Sektglas (1919), eines der 2020 erworbenen Hauptwerke der Städel-Sammlung, das inzwischen – neben dem Wilhelm Tischbeins Goethe-in-der-Campagna-Bild – wohl eines der bekanntesten Ölgemälde der Sammlung ist. Auch dieses Beckmann-Werk ist ein Porträt, das die Doppelbödigkeit der Weimarer Republik eindringlich sichtbar macht.Auf den ersten Blick wirkt die Szene ausgelassen, fast heiter, doch kippt die Stimmung unvermittelt ins Abgründige. Während die übrigen Figuren im Hintergrund weiterfeiern, sitzt der Künstler isoliert am Rand, das Sektglas erhoben, die teure Zigarre in einer unnatürlich verdrehten, fast leichenhaft erstarrten Hand. Sein eingefallenes Gesicht ist zu einem schiefen Lächeln verzogen, das jede Lebendigkeit verloren hat.

Die Wirklichkeit erscheint Beckmann hier als bizarr verzerrtes Welttheater – eine Einsicht, die er mit jenen Ausdrucksmitteln ins Bild übersetzt, die er zuvor in Zeichnung und Druckgrafik entwickelt hatte. Der Raum ist instabil und klaustrophobisch verschachtelt, die Formen radikal reduziert, Gestik und Mimik grotesk überzeichnet.

Zu den Höhepunkten dieser Phase zählen auch Spiegel auf einer Staffelei (1926), Junge mit Hummer (1926), Quappi mit Kerze (1928) sowie die große Landschaftszeichnung Rimini (1927), die einst zur bedeutenden Beckmann-Sammlung des Städel gehörte.

Zäsur Nationalsozialismus
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten verliert Beckmann 1933 seine Lehrtätigkeit; seine Werke werden als „entartet“ diffamiert. Er zieht sich zurück und schafft im selben Jahr eine Reihe sehr unterschiedlicher Aquarelle. Der Mord (1933), Geschwister (1933/37) und Schlangenkönig und Hummerfrau (1933) spiegeln eine zunehmende Mythisierung und komplexe Symbolik.

Exil in Amsterdam
1937 flieht Beckmann nach Amsterdam – ein Exil, das fast ein Jahrzehnt dauern soll. Existenzielle Ängste und materielle Unsicherheit prägen diese Zeit. Für den Frankfurter Mäzen Georg Hartmann entstehen die Zeichnungen zu Goethes Faust. Der Tragödie zweiter Teil, die zu den Hauptwerken dieser Phase zählen. In 143 Federzeichnungen setzt Beckmann sich mit Fragen wie dem Verhältnis der Geschlechter oder den Folgen des Krieges auseinander.
Daneben entstehen stark komponierte Arbeiten wie Haltestelle (1945) sowie die surreal anmutende Champagnerfantasie (Vergrößerungsglas) (1945).

Neuanfang in den USA

Max Beckmann Backstage – Hinter der Bühne 1950 Foto: © Diether v Goddenthow

1947/48 gelingt Beckmann in den USA ein neuer Anfang. Unbeeindruckt von der wachsenden Abstraktion der amerikanischen Kunst bleibt er der Figuration treu und ringt weiterhin um eine lesbare Weltdeutung. Selbstbildnis mit Fisch (1949) und Rodeo (1949) gehören zu den eindrucksvollsten Arbeiten dieser Jahre, geprägt von seiner Auseinandersetzung mit der neuen Umgebung.

Die Ausstellung endet mit Backstage (Hinter der Bühne) (1950), einem der letzten unvollendeten Gemälde des Künstlers, sowie seiner letzten Zeichnung, dem Bildnis Georg Swarzenski (1950) – ein persönlicher wie kunsthistorischer Schlussakkord, denn Swarzenski hatte ab 1918 jene bedeutende Beckmann-Sammlung im Städel aufgebaut, auf der bis heute die kontinuierliche Erforschung seines Werkes fußt.

Mit dieser retrospektiven Schau gelingt es dem Städel Museum, die Zeichnungen Max Beckmanns als eigenständige, zentrale Werkgruppe sichtbar zu machen. Sie zeigen einen Künstler, der zeichnend die Welt analysiert, ordnet und verdichtet – und dabei eine Bildsprache schafft, die bis heute nichts von ihrer Kraft verloren hat.

(Diether von Goddenthow – RheinMainKultur.de)

 

 

Städel Museum
Schaumainkai 63
60596 Frankfurt am Main