
Die Ausstellung „Louise Nevelson. Die Poesie des Suchens“ ist ein weiterer Höhepunkt in unserem Jubiläumsprogramm, mit dem wir unser 200-jähriges Bestehen feiern. Sie bildet zugleich den feierlichen Abschluss, und ich freue mich sehr, dass wir mit dieser Präsentation noch einmal eindrucksvoll zeigen können, wie stark unser Haus in der Kunst der Moderne und Gegenwart verankert ist“, freut sich Museumsdirektor Dr. Andreas Henning beim heutigen Pressegespräch.

Louise Nevelson, die zu den bedeutendsten Bildhauerinnen der US-amerikanischen Kunst des 20. Jahrhunderts zählt und mit ihren monumentalen und mitunter wand- und raumfüllenden Assemblagen ab Mitte der 1950er-Jahre maßgeblich die amerikanische Kunstszene prägte und als Pionierin der Installationskunst gilt, habe seit den 1950er-Jahren kontinuierlich bis zu ihrem Tod auch an Collagen gearbeitet, die sie jedoch eher selten ausgestellt habe. „Deswegen haben diese Collagen eigentlich bis heute nicht die Aufmerksamkeit bekommen, die sie verdienen“, so Dr. Henning. Zumindest ihm sei es so ergangen: Als er vor sechs Jahren diese Collagen zum ersten Mal bewusst wahrgenommen habe, sei er fasziniert gewesen und habe gedacht: „Irgendwann möchte ich damit mal eine Ausstellung machen.“
Und nun habe es – nach zweijähriger Vorbereitungsarbeit – dank des kundigen Engagements von Valerie Ucke, Kuratorin für Kunst der Moderne und Gegenwart am Museum Wiesbaden, geklappt, diese Ausstellung „Poesie des Suchens“ im Museum Wiesbaden präsentieren zu können.
Valerie Ucke sei es ähnlich wie ihrem Kollegen Dr. Henning ergangen. „Als er vor zwei Jahren den Vorschlag machte, mal Louise Nevelson zu machen, da hatte ich natürlich erstmal Bilder im Kopf – aber keinesfalls von Collagen, sondern eben Bilder von ihren monochromen, wandfüllenden, teilweise raumfüllenden skulpturalen Arbeiten“, erinnert sich die Kuratorin. „Umso überraschender war es dann für mich, ihre Collagen auch entdecken zu dürfen.“ Es sei wirklich ein Entdecken gewesen, da es, wie sie herausfand, sehr viele Collagen gebe. Es sei ein sehr großes Konvolut erhalten geblieben, wovon ein Teil des Nachlasses von Mailand aus von der Galerie Gió Marconi verwaltet werde. Der andere Teil des Nachlasses befinde sich bei der Pace Gallery (New York).
In den letzten Jahren habe es dort einige Galerieausstellungen gegeben, in denen bereits Collagen gezeigt wurden. „Aber wir im Wiesbadener Landesmuseum sind die erste Museumsausstellung, die Nevelsons einfühlsamer und materialstarker Kunst zum ersten Mal eine museale Präsentation im deutschen Raum mit besonderem Fokus auf die Collagen widmet“, ist Valerie Ucke stolz.

Neben ihren berühmten Assemblagen schuf Nevelson ein umfangreiches Werk an Collagen, die von 1953 bis kurz vor ihrem Tod 1988 entstanden. Ob wandfüllende Reliefs, freistehende Skulpturen oder kleinformatige Collagen – Nevelson verwendete für ihre Werke Fundstücke, die sie auf Streifzügen durch New York aufspürte. „Wenn eine Stadt über die Jahre entsteht, wird sie eine Collage von Zeit und Raum. […] New York City ist die größte Collage der Welt“, sagte Louise Nevelson.
Diese für sie grundlegende Arbeitsweise lässt sich aus heutiger Sicht als ein Prozess des Upcyclings beschreiben. Nevelson häufte einen immensen Fundus an objets trouvés (gefundenen Objekten) an. Aus ihnen schuf sie einzigartige Kunstwerke, denen eine „Poesie des Suchens“ innewohnt. Louise Nevelson arbeitete in der Regel nach dem Prinzip, Gefundenes – wie Möbelreste, Holzstücke von der Straße, Objekte aus ihrem Haus, aber auch Papiere oder Pappkarton – immer wieder neu zusammenzustellen, sie zu zerlegen, weiterzuverarbeiten und so zu komponieren, dass etwas Kraftvolles und zugleich Kunstvolles entstand, erläutert die Kuratorin beim Rundgang.
Bei den Collagen liegt der Fokus nicht auf dem Monochromen, sondern auf Farbe, Materialität und Textur. So zeigt die Ausstellung „Louise Nevelson. Die Poesie des Suchens“ Werke, die im ständigen Wechselspiel zwischen Fundstück und Verwandlung, Fläche und Raum sowie Nähe und Distanz entstehen. „Dabei sind die Arbeiten weit mehr als nur Collagen oder Assemblagen“, betont die Kuratorin Valerie Ucke. „Sie laden als poetische Reflexionen eines neugierigen Suchens dazu ein, neue Perspektiven und Wahrnehmungsräume zu entdecken.“
Die fünf Themenbereiche der Ausstellung

Die Ausstellung vereint – im Dialog mit ihren bekannteren, großformatigen, skulpturalen Wandreliefs und Skulpturen – insgesamt fast 70 Arbeiten von Nevelson. Sie ist in fünf Themenbereiche gegliedert:
1. „Die gesprühte Poesie“
2. „Suche nach dem Alltäglichen“
3. „Vom Suchen und Finden“
4. „Das fortwährende Entdecken“
5. „Die Suche nach Struktur und Ordnung“
Dabei habe man die Collagen nicht chronologisch sortiert, wie man das vielleicht im ersten Moment bei einer monografischen Ausstellung erwarten würde, „sondern wir haben versucht, sie nach ästhetischen und materiellen Aspekten zu ordnen und so neue Gruppen zu bilden“, wodurch eine bessere Zugänglichkeit entstehe, weil Zusammenhänge leichter erkannt werden könnten. Die Kategorisierung sei gut gelungen, weil sie einen gelungenen Dialog mit dem Ensemble ermögliche und zulasse, vereinzelt auch Großformate sowie die klassischen monochromen Werke in die Ausstellung einzustreuen.
Biographisches

Louise Nevelson wurde nicht als Louise Nevelson geboren, sondern als Lea Berliawsky in der Nähe von Kiew. Schon als Kleinkind emigrierte sie mit ihrer Familie in die USA, nach Rockland, Maine. Als sie später ihren Mann Charles Nevelson heiratete, zog es sie vom beschaulichen kleinen Rockland in die große Metropole New York City, wo sie auch bis zum Ende ihres Lebens bleiben sollte.
Sie war natürlich viel auf Reisen, blieb aber stets eng mit New York City verbunden, erläutert Valerie Ucke.
Zunächst, so die Kuratorin weiter, wandte Nevelson sich den performativen Künsten zu – sie nahm Gesangs-, Schauspiel- und Tanzunterricht – und begann anschließend auch zu malen. Sie bekam einen Sohn, Mike Nevelson, erkannte jedoch bald, dass das Leben als Ehefrau und Mutter nicht ihren eigenen Vorstellungen entsprach.
1930 trennte sie sich von ihrem Mann, gab den Sohn in die Obhut ihrer Familie und ging für ein Jahr nach München, um bei Hans Hofmann an dessen Kunstschule zu studieren. Von dort aus unternahm sie Reisen durch Europa – nach Italien, Wien (wo sie zeitweise als Statistin arbeitete) und natürlich nach Paris. Besonders Paris prägte sie nachhaltig: Die kubistische Kunst war für sie eine zentrale Inspirationsquelle, wie sie immer wieder betonte.
Zurück in New York City studierte sie an der Art Students League, experimentierte mit Malerei und Zeichnung, fertigte Drucke an und begann zunächst kleine Terrakotta-Arbeiten, die sie jedoch bald wieder zerstörte, da sie ihren Vorstellungen nicht entsprachen.
Anfang der 1940er Jahre begann sie, mit Fundstücken und gefundenen Objekten zu arbeiten. In den 1950er Jahren – sie war inzwischen selbst in ihren Fünfzigern – stellten sich schließlich die großen Erfolge ein: bedeutende Ausstellungen und die ersten Environments, also raumfüllende Installationen. Sie war eine der Ersten, die das schufen, was wir heute unter einem „Environment“ verstehen.
Ebenfalls in den 1950er Jahren begann sie mit ihren Collagen, an denen sie bis zu ihrem Tod im Jahr 1988 kontinuierlich weiterarbeitete.

Louise Nevelson war eine außergewöhnlich schillernde Persönlichkeit in der New Yorker Kunstszene, besonders in den 1960er- und 1970er-Jahren. Sie inszenierte sich selbst, lebte die Idee der Collage nicht nur in ihrer Kunst, sondern auch in ihrer Mode und in ihrem Wohnumfeld. Der Gedanke der Collage durchzog ihr ganzes Leben.
Sie sagte einmal: „The way I think is collage!“
Insofern verdeutlicht das, glaube ich, sehr gut, warum die Collage, die wir Ihnen heute zeigen – und die wir in dieser Ausstellung präsentieren – ein ganz wesentlicher Teil ihres Œuvres ist. Während der Schwerpunkt der Wiesbadener Ausstellung auf Nevelsons „Collagen“ liegt, plant das Centre Pompidou-Metz, im Frühjahr 2026 eine Louise-Nevelson-Ausstellung mit dem Schwerpunkt Environments.
Aspekte zur Vermittlung
Museumsdirektor Dr. Andreas Henning unterstreicht drei wichtige Aspekte zur Vermittlung:
Im Bereich Kunstvermittlung und Bildung habe das Museum neue Vermittlungsmaterialien entwickelt – etwa Karten zu zentralen Begriffen der Kunst in leichter Sprache, die in dieser und zukünftigen Ausstellungen eingesetzt werden können. Sie sollen helfen, Kunst in einer klaren, zugänglichen Sprache zu erklären und ein breiteres Publikum anzusprechen.
Ein weiterer Aspekt sei die digitale Innovation. So habe die museumseigene Digital Unit für diese Ausstellung einen interaktiven Bildschirm entwickelt, der Besucherinnen und Besuchern ermöglicht, in Leben und Werk Louise Nevelsons einzutauchen. Dort findet man zusätzliche Hintergrundinformationen und kann ihre Kunst auf intuitive Weise erleben.
Zudem gibt es eine Kooperation mit der Hochschule RheinMain: Studierende des Fachbereichs Modedesign unter der Leitung von Professorin Ilona Kötter haben sich über zwei Semester hinweg mit Nevelsons Arbeiten, ihrer Collagetechnik und dem Prinzip des Upcyclings beschäftigt. Das Ergebnis ist eine digitale Modenschau, die hier im Museum zur Finissage präsentiert wird
Katalog zur Ausstellung
Zur Ausstellung erscheint der gleichnamige Katalog (herausgegeben von Valerie Ucke für das Museum Wiesbaden) beim Hirmer Verlag, 160 Seiten, 34 € an der Museumskasse, ISBN 978-3-7774-4647-9). Eine kostenfreie Media-Tour in der MuWi-App sowie eine digitale Anwendung im Ausstellungsraum begleiten die Schau.
Hessisches Landesmuseum
für Kunst und Natur
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