
In der Reihe „Geschichte Jetzt!“ des Historischen Museums Frankfurt findet am Donnerstag, 30. Oktober, um 18.30 Uhr eine neue Buchpräsentation statt: „Sisyphos im Maschinenraum?“
Das Werk „Sisyphos im Maschinenraum? Eine Geschichte der Fehlbarkeit von Mensch und Technologie“
Die Autorin Martina Heßler, Historikerin und Professorin für Technikgeschichte an der TU Darmstadt, wählt mit Sisyphos eine Gestalt aus der antiken Mythologie. Er steht für Vergeblichkeit und das Nicht-Gelingen, denn er beginnt jeden Tag aufs Neue das aussichtslose Werk, einen schweren Felsen den Berg hinaufzuwälzen – nur um zu sehen, wie dieser kurz vor dem Ziel wieder hinabrollt.
Der moderne Mensch, so Heßler, gleiche immer mehr einem neuen Sisyphos. In seinem selbst geschaffenen Maschinenraum ist er unentwegt damit beschäftigt, Fehler zu beheben und Defekte zu korrigieren. Heute ist es die Künstliche Intelligenz, die verspricht, die Welt zu einem besseren Ort zu machen und menschliche Grenzen zu überwinden. Doch Heßler warnt vor dieser alten, inzwischen unzeitgemäßen Illusion: Der fehlerhafte Faktor Mensch lässt sich niemals vollständig beseitigen.
In ihrem Buch geht Heßler der zentralen Frage nach: Wie konnte es dazu kommen, dass der Mensch, laut Kant „aus krummem Holz geschnitzt“, in eine Konkurrenz geriet, der er nicht gewachsen ist? Ihr Befund: Er hat es selbst so gewollt. Mit dem Beginn der mechanischen Moderne, der ersten Ära des Fortschritts, unterwarf er sich einem Rhythmus, der seither sein Schicksal bestimmt. Aus Prometheus, dem Dieb des Feuers, wurde Sisyphos – ein unermüdlicher Bastler im Maschinenpark.
Heßler deckt zunächst einen „Technikchauvinismus“ auf, der überzeugt ist von der Fehlbarkeit des Menschen und der vermeintlichen Perfektion der Technik. Doch diese Haltung führt lediglich zu einer immer neuen Produktion technischer Fehlbarkeiten. Die Kritikerin Schmidt-Ott sieht darin zwar keine völlig neuen Erkenntnisse, besonders im Blick auf die USA, würdigt jedoch, wie Heßler die Verbindung zu mythologischen Figuren wie Sisyphos herstellt. Dessen endlose Arbeit überträgt sie auf die Entwicklung der Technik und bezieht dabei Positionen des Technikkritikers Günther Anders ein. Ihre Argumentation gegen einen „naiven Technikglauben“ bezeichnet Schmidt-Ott als interessant und „durchaus elegant“ – am Ende als „lesenswerte Geistesgeschichte“.
Sisyphos als Technikchauvinist?
Der Doppelcharakter des Fortschritts steht hier im Mittelpunkt. Vom Zahnrad zum Getriebe, von der Dampflok zum Automobil, von der Rechenmaschine – dem Urmodell kalkulatorischer Vernunft – bis hin zum Computer hat der menschliche Erfindungsgeist Großartiges hervorgebracht, stets im Bestreben, den eigenen Grenzen zu entkommen. Doch wo Fortschritt sich auf einen „technological fix“ beschränkt, wiederholt sich sein Dilemma: Der Versuch, immer bessere Maschinen zu entwickeln, führt keineswegs zu einer besseren Welt, sondern produziert neue Fehler, die wiederum neue Innovationen erzwingen.
Sisyphos ist, um im Bild zu bleiben, keineswegs der Held und Heiler, für den er sich gern hält. Er entpuppt sich als Technikchauvinist, dazu verurteilt, immer größere Steine einen immer höheren Berg hinaufzuwälzen. Heßler entwirft aus diesem Grundmotiv keine durchgehende Erzählung, sondern arbeitet die Knotenpunkte heraus, an denen die Paradoxien technischer Problemlösungen sichtbar werden.
Beispiele sind der Lügendetektor, der als Wahrheitsmaschine gedacht war, im Klima des Kalten Kriegs aber vor allem Justizirrtümer hervorbrachte, oder das autonome Fahren, das immer dann, wenn ein Durchbruch angekündigt wird, an der Komplexität der Realität scheitert. Mit der Künstlichen Intelligenz, der ersten Anwendung, die nicht mehr auf standardisierte, sondern auf individuelle Ergebnisse zielt, markiert Heßler eine technikgeschichtliche Zäsur. Da KI auf der Verarbeitung von Datenmengen beruht, die konkrete Nutzer im Netz bereitstellen, spiegeln ihre Resultate immer auch deren Fehler. Seither ist Irren nicht mehr nur menschlich, sondern auch maschinell.
Wahnhafte Selbstverwirklichung bis zur Selbstabschaffung
Wohin führt diese Entwicklung? Auf den Mars mit Elon Musk? Mit Prognosen hält sich dieses ebenso scharfsinnige wie unterhaltsame Buch zurück. Einige Tendenzen zeichnet es jedoch deutlich ab – etwa den Trend zum „humanen Töten“: Das Auge einer Drohne erfasst keine Menschen mehr, sondern nur noch Ziele. Der Trans- oder Posthumanismus träumt von nanobotartigen Implantaten, die die Beschränkungen des menschlichen Körpers endgültig überwinden sollen – eine Selbstverwirklichung des Menschen um den Preis seiner Abschaffung. Noch ist das Zukunftsmusik, doch eines steht fest: Sisyphos wird seinen Stein so bald nicht beiseitelegen.
Empfehlenswertes Werk
Heßlers Werk ist sehr empfehlenswert. Der spannende, dicht geschriebene und dennoch auch für interessierte Laien gut verständliche Text bietet über den reinen Inhalt hinaus zahlreiche Denkanstöße und Anregungen zum Weiterdenken.
Für Bayerischen Buchpreis und Deutschen Sachbuchpreis nominiert
„Sisyphos im Maschinenraum? Eine Geschichte der Fehlbarkeit von Mensch und Technologie“, erschienen im Verlag C.H. Beck, München 2025, 294 Seiten, € 32,00, ist für den Bayerischen Buchpreis sowie den Deutschen Sachbuchpreis 2025 nominiert.
Buchvorstellung, Lesung und Diskussion
Der „Geschichte-Jetzt!“-Abend mit Buchvorstellung, Lesung und anschließender Diskussion wird von Dorothee Linnemann, Historikerin und Kuratorin am Historischen Museum Frankfurt, moderiert.
Die Veranstaltung findet im Leopold-Sonnemann-Saal des Historischen Museums, Saalhof 1, statt. Der Eintritt kostet vier Euro, ermäßigt zwei Euro. Weitere Informationen und Tickets sind online unter Sisyphos im Maschinenraum. Eine Geschichte der Fehlbarkeit von Mensch und Technologie zu finden.
(Diether von Goddenthow / RheinMainKultur.de)
Historisches Museum Frankfurt
Saalhof 1
60311 Frankfurt am Main
Tel +49 69 212 35599
Fax +49 69 212 30702
E-Mail info@historisches-museum-frankfurt.de
