Wenn in den 1920er Jahren ein neues Lied erschien, kam es selten schlicht daher. Noch bevor die erste Note erklang, sprach das Titelblatt der Notenbände Bände: kunstvoll gestaltet, farbenfroh illustriert und durchdrungen vom Lebensgefühl einer Epoche, die von Aufbruch, Widersprüchen und unbändiger Lust am Neuen geprägt war. Die Notentitelblätter dieser Zeit sind weit mehr als bloße Verpackungen für musikalische Inhalte – sie sind eigenständige Kunstwerke, die den Zeitgeist der Weimarer Republik spiegeln.
Zwischen schwungvollen Jazz-Rhythmen, mondänen Art-Déco-Motiven, geometrischen Formen und stilisierten Figuren offenbart sich eine visuelle Welt, die von Tanz, Vergnügen und Eleganz, aber auch von den Brüchen und Experimenten einer ganzen Gesellschaft erzählt. Hier begegnen sich Grafikdesign und Musik auf Augenhöhe: Die Bilder laden ein, die Klänge förmlich zu sehen, und die Songs rufen beim Betrachten ihrer kunstvollen Umschläge gleich mit.
Mit der Ausstellung „Benjamin, ich hab’ nichts anzuziehn“ rückt das Deutsche Kabarettarchiv in Mainz diese oft übersehene Kunstform nun ins Rampenlicht. Präsentiert wird nicht nur eine faszinierende Auswahl originaler Notentitelblätter aus den Goldenen Zwanzigern, sondern auch die Geschichte ihrer Schöpferinnen und Schöpfer, die den künstlerischen Aufbruch einer ganzen Generation sichtbar machten. Die Schau dokumentiert eindrucksvoll, wie eng Musik und Grafik miteinander verwoben sind – und wie sehr beide Medien dazu beitrugen, das Lebensgefühl dieser Dekade zu prägen.
Zur feierlichen Eröffnung der Ausstellung wird ein ebenso facettenreiches Programm geboten: Begrüßungsworte sprechen Andrea Bähner, 1. Vorsitzende der Stiftung Deutsches Kabarettarchiv, sowie Alexander Schweitzer, Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz und Schirmherr der Ausstellung. In diesem Rahmen wird außerdem die Plakette „Ort der Demokratiegeschichte“ an das Deutsche Kabarettarchiv durch die Stiftung Orte der deutschen Demokratiegeschichte, Frankfurt, verliehen – eine Auszeichnung, die die besondere Bedeutung des Hauses würdigt.
Die Einführung in die Ausstellung übernimmt Martina Keiffenheim, Kuratorin und Leiterin des Archivs, die die Besucherinnen und Besucher auf eine Zeitreise durch Jazz, Schlager und grafische Avantgarde mitnimmt. Musikalisch wird der Abend von der gefeierten Chanson-Interpretin und Autorin Evelin Förster sowie Ferdinand von Seebach am Klavier begleitet. Gemeinsam lassen sie Lieder und Bilder aus der Weimarer Republik lebendig werden – und machen hör- und sichtbar, wie eng Kunst, Musik und Gesellschaft in jenen Jahren miteinander verbunden waren.
Im Anschluss sind alle Gäste herzlich eingeladen, beim Get-together ins Gespräch zu kommen, Eindrücke zu teilen und das Lebensgefühl der Zwanziger nachklingen zu lassen.
Die Ausstellung „Benjamin, ich hab’ nichts anzuziehn“ ist eine Hommage an eine Zeit, in der Kunst und Leben in schillernder Symbiose standen – und lädt ein, diese Faszination neu zu entdecken.